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Vilnius 2004
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Ich lebe
in einer größeren Stadt in der norddeutschen Tiefebene, wie Hal Faber
sagen würde. Sie war in meiner Kindheit bekannt für ihre "grüne Welle". Wer im Durchgangsverkehr die angezeigte Geschwindigkeit
einhielt, flutschte durch die Stadt zu ihrem anderen Ende.
Das hat sich schon vor Jahrzehnten geändert. Diese Stadt - ihre Region ist etwa so groß wie das Saarland -
verfolgt seither eine geheimnisvolle Verkehrspolitik. Auf knapp 7 Kilometer
Strecke zu meiner Arbeitsstelle befinden sich jetzt 19 Ampeln und 5
Blitzkästen. Die Vorgabe scheint zu sein: Zwei Drittel aller Lichtzeichenanlagen - Ampeln - müssen
für den Durchgangsverkehr auf "rot" geschaltet sein. Diese
Vorgabe wird gelegentlich auch übererfüllt: Drei Viertel der
Lichtzeichenanlagen auf Rotphase sind nicht häufig, kommen aber vor.
Das
Ausbremsen des Durchgangsverkehrs fördert schädliche Abgase. Ganz
konsequent hat deshalb diese - meine - Stadt auch als eine der ersten
die Umweltzone eingeführt. Damit sperrt sie ganz schlimme
Dreckschleudern des privaten Straßenverkehrs aus. Ob sie damit auch die
Leerlauf-Immissionen wirklich kompensiert, ist die Frage.
Meine
Stadt ist experimentierfreudig. Das Experiment heißt seit knapp 20
Jahren "Vorrangschaltung". Sie gibt freie Fahrt für die Straßenbahn und
verhindert ganz häufig, dass mehr als 3 Autos in das Heimatquartier
hineinfahren können.
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Den Nutzern des Öffentlichen Personennahverkehr ergeht es nicht besser. Sie sehen am Horizont eine
Straßenbahn kommen. Weil aber die Haltestelle nicht in das Quartier,
sondern gleich daneben gesetzt wurde, dürfen sie warten, lange warten,
bis sie Zugang zur Haltestelle bekommen. Nicht selten können sie erst
die übernächste Straßenbahn besteigen - wenn der Fahrkartenautomat
funktioniert.
Die
Behinderung des privaten Verkehrs optimiert meine Heimatstadt in Bezug
auf Radfahrer. Glassplitter auf Radwegen
bleiben - bevorzugt nach Großveranstaltungen - möglichst lange liegen und es gibt eine Ampelanlage in der Nähe des
Landtages, deren ordnungsgemäße Überquerung Radfahrern mindestens 4
Minuten kostet.
Das
Langzeitexperiment "Vorrangschaltung" fußt auf der Methode der
Rundum-Rot-Schaltung. Sie lässt sich ausbauen und wird längst erprobt.
Eine Optimierung der Verkehrsbehinderung ließe sich dadurch erreichen,
dass jeder Phasenwechsel an einer Ampel von einer halbminütigen
Rundum-Rot-Phase begleitet wird. Um nach rechts abzubiegen wird man dann
als Autofahrer mindestens drei Minuten ausgebremst.
Das schafft die Gelegenheit, dass im Rahmen einer Image-Kampagne zunächst städtische Mitarbeiter
kostenlos Kalt- und Warmgetränke an die Wartenden verteilen können. Im
nächsten Schritt wird dieser Service kostenpflichtig an eine Fastfoot-Kette
vergeben.
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