Jeder Staat kann auf Hoher See oder an jedem anderen
Ort, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht, ein
Seeräuberschiff oder -luftfahrzeug oder ein durch Seeräuberei
erbeutetes und in die Gewalt von Seeräubern stehendes
Schiff oder Luftfahrzeug aufbringen, die Personen
an Bord des Schiffes oder Luftfahrzeugs festnehmen und
die dort befindlichen Vermögenswerte beschlagnahmen.
Die Gerichte des Staates, der das Schiff oder Luftfahrzeug
aufgebracht hat, können über die zu verhängenden Strafen
entscheiden sowie die Maßnahmen festlegen, die
hinsichtlich des Schiffes, des Luftfahrzeugs oder der Vermögenswerte
zu ergreifen sind, vorbehaltlich der Rechte
gutgläubiger Dritter.
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Die Befugnis
zum Einschreiten gegen Piraten leitet sich völkerrechtlich
aus Art. 105
SRÜ und dem völkergewohnheitsrechtlichen
Recht zur Pirateriebekämpfung ab. Der Umfang
der Zwangsmaßnahmen, insbesondere der Freiheitsentziehung,
muss im Hinblick auf den nicht abdingbaren
Art. 104
Abs. 1 S. 1 GG durch den Gesetzgeber in einem förmlichen
Gesetz geregelt werden, das die wesentlichen Grundzüge der
Maßnahme selbst normiert. Eine solche gesetzliche Ausgestaltung
liegt mit dem in
§ 4 Abs. 1 SeeAufgG enthaltenen
Verweis auf die StPO vor, die damit anwendbar ist. Eine
Befugnis der Soldaten der Deutschen Marine für vorläufige
Freiheitsentziehungen auf Hoher See ergibt sich aus
§ 127
Abs. 1 S. 1 StPO, soweit dessen tatbestandliche Voraussetzungen
im Einzelfall erfüllt sind.
§ 127 Abs. 2 StPO ist hingegen
für Soldaten der Deutschen Marine im Rahmen der
Operation Atalanta nicht anwendbar.
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Im Juni
2010 haben die Niederlanden zehn Somalier nach Deutschland ausgeliefert,
denen die Staatsanwaltschaft Hamburg Piraterie vorwirft: Sie sollen
am 5. April 2010 die unter deutscher Flagge fahrende MV Taipan
gekapert ... haben
(2).
Ihnen
drohen bis zu 15 Jahren Haft.
Man hätte es ahnen müssen:
Anwälte und Menschenrechtsaktivisten kritisieren allerdings das
Verfahren und werfen rechtliche und politische Fragen auf. Ach ja?
Die erste
Frage gilt dem Lebensalter der Beschuldigten. Einer will 13 Jahre alt
gewesen sein und wäre deshalb schuldunmündig. Nach einer medizinischen
Untersuchung könnte er sich als achtzehnjähriger Heranwachsender
herausstellen. Dasselbe gilt für einen angeblich Sechzehnjährigen sowie
für einen nach eigenen Angaben Neunzehnjährigen, der womöglich schon 21
Jahre alt ist. Die Untersuchungsmethode ist natürlich sehr umstritten
und Pro Asyl protestiert
seit vielen Jahren gegen die zunehmende Praxis der
Altersfestlegungen. Wow!
Eine
namentlich genannte Verteidigerin kommt auf eine ganz tolle Idee: Die
Gefangenen seien nicht binnen 48 Stunden einem Haftrichter vorgeführt
worden und müssten deshalb freigelassen werden! Jawoll! In der
Somalischen See befindet sich bekanntlich hinter jeder dritten
Meereswelle eine Insel mit zwei Bergen und einem deutschen Haftrichter.
Und das deutsche Strafverfahrensrecht gilt auch im Rahmen einer von den
Vereinten Nationen beschlossenen militärischen Aktion. Man lernt nicht
aus!
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Dann kommen
die Krokodilstränen der Rührung und des Mitleids. Es
handele sich bei den Piraten um
"zehn klapprige Gestalten" und
ihrem Mandanten fiele das Essen schwer, wenn er an seine hungernde
Familie, an seinen sechsjährigen Sohn und das Neugeborene in Somalia
denke, sagt die Rechtsanwältin. Die Frau hat den Aufbaukurs
"Schwere Rührung für Schwere Verbrecher" erfolgreich absolviert. Mit
ihrem Schmalz hätte man gut
die
fünf Maschinengewehre und zwei Raketenwerfer samt Munition sowie
zwei Enterhaken schmieren können, die bei der Festnahme
sichergestellt wurden.
Zudem sei
die Anklage der Staatsanwaltschaft viel zu nüchtern. Das soziale Elend
und der Hunger in Somalia könne nicht in einem deutschen Gerichtssaal
verhandelt werden, meint dieselbe Anwältin.
Jo, dem kann abgeholfen werden. Dazu engagieren wir Ina Müller und
ihren Shanty-Chor "De Tampentrekker" und die singen uns 'was von des
"toten Manns Kiste", andere
Piratenlieder und schließlich das
Lummerlandlied, wobei das Gericht auftritt. Das Ganze verlegen wir
über den nördlichen Polarkreis, wo bis zum nächsten Tag (
§ 114b Abs. 2 Nr. 1 StPO) mindestens ein halbes Jahr vergeht - damit
der Haftrichter pünktlich ankommt.
Apropos:
Auf unter deutscher Flagge fahrenden Schiffen gilt das deutsche
Strafrecht ( § 4
StGB) und im übrigen auch, wenn sich die Tat gegen einen Deutschen
richtet (
§ 7 Abs. 1 StGB). Wegen des Festnahmerechts in Bezug auf Piraten
gilt Art. 105 des Seerechtsübereinkommens
(1)
in Verbindung mit dem Festnahmerecht aus
§ 127 Abs. 1 StPO
(2).
Für alle übrigen Vorschriften der StPO gilt das Territorialprinzip, also
die Formvorschriften erst ab Grenzübertritt.
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