Gefahr im Verzug |
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Gefahr im Verzug |
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Gefahr im Verzug:
Gefahr im Verzug besteht, wenn ein weiteres Zuwarten befürchten lässt,
dass dadurch der Erfolg der Maßnahme gefährdet wird. Bei seiner
Entscheidung muss der Staatsanwalt oder die "Ermittlungsperson", wie es
jetzt in
§
152 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG - heißt, mehrere
Ermessensentscheidungen treffen:
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Verhältnismäßigkeit der Maßnahme:
Ist die Eingriffshandlung im Verhältnis zum Gegenstand der Untersuchung
gerechtfertigt? Hierbei sind die Schwere des Eingriffs gegenüber dem
Betroffenen und das Interesse der Öffentlichkeit an einer wirksamen
Strafverfolgung gegeneinander abzuwägen.
Die Maßnahme kann
unverhältnismäßig sein, wenn die Schwere des Delikts sehr geringfügig
ist, wenn der Beweis auch mit anderen Beweismitteln zu führen ist oder
wenn der Eingriff den Betroffenen so schwer belastet, dass zum Beispiel
seine Existenzgrundlage in Frage gestellt wird.
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1. Amtsgericht und Landgericht haben die Eilanordnung der
Staatsanwaltschaft aufgrund hinreichender Dokumentation der
Eingriffssituation kontrolliert (vgl. zur Dokumentationspflicht der
Strafverfolgungsbehörden
BVerfGE 103, 142 <160>). Zwar ist zu bemängeln,
dass nicht der - primär verantwortliche - Staatsanwalt, sondern der
beteiligte Polizeibeamte die Umstände des Eingriffs in der Akte vermerkt
hat. Vorliegend reichte der zeitnahe polizeiliche Vermerk jedoch wegen
der Evidenz des Falles zur Information des Gerichts aus. Der Vermerk
ließ den Tatverdacht (Besitz mehr als geringfügiger Mengen Cannabis)
sowie die Zielrichtung der Durchsuchung deutlich erkennen. Klar wurden
auch die tatsächlichen Anhaltspunkte des Durchsuchungsverdachts
(einschlägige Vordelinquenz) sowie die Umstände, die Gefahr im Verzug
begründeten (Nachtzeit, Ergreifen des Beschwerdeführers auf frischer
Tat).
<Rn 12>
(1)
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2. Das Fehlen eines richterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit
begegnet vorliegend keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Allerdings
folgt aus der Regelzuständigkeit des Richters gemäß
Art. 13 Abs. 2
Halbsatz 1 GG die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die
Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters gegebenenfalls auch durch die
Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes zu sichern (vgl.
BVerfGE 103, 142
<156>). Nach der Rechtsprechung des Zweiten Senats zur Erreichbarkeit
des Haftrichters bedeutet dies jedoch nicht, dass auch zur Nachtzeit im
Sinne des
§ 104 Abs. 3 StPO unabhängig vom konkreten Bedarf stets ein
richterlicher Eildienst zur Verfügung stehen müsste (vgl.
BVerfG, NJW
2002, S. 3161 <3162> unter Hinweis auf
BVerfGE 103, 142 <146> ). Vielmehr
ist ein nächtlicher Bereitschaftsdienst des Ermittlungsrichters von Verfassungs wegen erst dann gefordert, wenn hierfür ein praktischer
Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht. <Rn 13> |
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Erreichbarkeit des Richters:
Ist ein Richter erreichbar und wie lange wird es dauern, bis seine
Entscheidung eingeholt werden kann? Berücksichtigt werden muss die
Tageszeit, die Frage, ob außerhalb der normalen Geschäftszeiten ein
Eildienst eingerichtet ist, und die von der Erfahrung bestimmte Dauer,
bis eine (notfalls mündliche) richterliche Entscheidung gefallen ist.
Gefahr des Misserfolgs:
Schließlich ist die Gefahr einzuschätzen, ob durch Warten und nach
welcher Wartezeit der Erfolg der Maßnahme gefährdet ist. Hierbei fließen
die (kriminalistischen) Erfahrungen aus vergleichbaren Situationen und
die Beurteilung der beteiligten Personen ein.
richterlicher Eildienst:
(1)
Siehe:
BVerfG, Beschluss vom 10.12.2003 - 2 BvR 1481/02 (Kästen
links).
(2) Kasten
unten links:
BVerfG, Beschluss vom 04.02.2005 - 2 BvR 308/04 |
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Die
Landesjustiz- und die Gerichtsverwaltungen und die Ermittlungsrichter
haben sicherzustellen, dass der Richtervorbehalt als
Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Sie müssen die
Voraussetzungen für eine tatsächlich wirksame präventive richterliche
Kontrolle der Wohnungsdurchsuchungen schaffen. Dazu gehört die
Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters - bei Tage, auch außerhalb der
üblichen Dienststunden, uneingeschränkt und während der Nachtzeit (
§ 104 Abs. 3 StPO) jedenfalls bei einem praktischen, nicht
auf Ausnahmefälle beschränkten Bedarf (...)
<Rn 12> |
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Polizei
und Staatsanwaltschaft müssen bei ihrem Vorgehen im Ermittlungsverfahren
den Ausnahmecharakter der nichtrichterlichen Durchsuchungsanordnung
beachten und gegebenenfalls die nachträgliche gerichtliche Prüfung der
Durchsuchungsvoraussetzungen ermöglichen. Sie dürfen die
Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters nicht unterlaufen, indem sie
so lange zuwarten, bis die Gefahr eines Beweismittelverlustes
eingetreten ist. Selbst herbeigeführte tatsächliche Voraussetzungen
können die Gefahr im Verzuge und die Eilkompetenz nicht begründen. Der
Durchsuchung muss in aller Regel der Versuch vorausgehen, einen
Ermittlungsrichter zu erreichen und bei dessen Unerreichbarkeit einen
Staatsanwalt (
§ 105 Abs. 1 Satz 1 StPO). Diese Bemühungen werden nicht
durch den abstrakten Hinweis verzichtbar, eine richterliche Entscheidung
oder die Entschließung eines Staatsanwalts seien zur maßgeblichen Zeit
gewöhnlicherweise nicht mehr zu erlangen. Die handelnden Beamten,
möglichst der - vorrangig verantwortliche - Staatsanwalt, haben die
Bezeichnung des Tatverdachts und der gesuchten Beweismittel und die
tatsächlichen Umstände, auf die die Gefahr des Beweismittelverlustes
gestützt wird, sowie die Bemühungen, einen Ermittlungsrichter oder bei
seiner Unerreichbarkeit einen Staatsanwalt zu erreichen, in einem vor
der Durchsuchung oder unverzüglich danach gefertigten Vermerk
vollständig zu dokumentieren. So kann die vollständige gerichtliche
Nachprüfung der Annahme von Gefahr im Verzuge gewährleistet werden
(...). <Rn 14>
(2) |
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Im
Beschluss
vom 20.02.2001 - 2 BvR 1444/00 - hat das Bundesverfassungsgericht -
BVerfG -
die Anforderungen an die Gefahr im Verzug sehr eng gefasst. Sie muss die
praktische Ausnahme sein und "mit Tatsachen begründet werden, die auf den
Einzelfall bezogen sind. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen
oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrung gestützte,
fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus." Es verlangt von den
Staatsanwälten und Polizeibeamten eine unverzügliche und umfassende
Dokumentation ihrer Entscheidung und ihrer leitenden Erwägungen.
Darüber
hinaus fordert es von den Justizverwaltungen, personell und sachlich die
Erreichbarkeit eines entscheidungsfähigen Richters zu gewährleisten (was
bislang häufig nur zögerlich umgesetzt ist).
Mit
Beschluss vom 18.04.2007 -
5 StR 546/06 - hat der Bundesgerichtshof erstmals zu erkennen
gegeben, dass "bewusste Missachtung oder gleichgewichtig grobe
Verkennung" des Richtervorbehalts ein Verwertungsverbot nach sich
ziehen kann. |
Diese Tendenz der Rechtsprechung ist in ihrer Konsequenz neu, war aber voraus zu sehen.
Das Gesetz kennt ein Verwertungsverbot nur im Zusammenhang mit
verbotenen Vernehmungsmethoden ( §
136a StPO) und die Rechtsprechung hat in den letzten Jahrzehnten m.W.
nur einmal ein Verwertungsverbot angenommen, als in einem Strafverfahren
in allen Phasen der Untersuchung eklatante Rechtsfehler vorgekommen
waren. In ständiger Rechtsprechung und fußend auf seinem Beschluss vom
11.07.1994 – 2 BvR 777/94 - (Leitsätze bei
rechtsrat-bremen.de, S. 8) hat das BVerfG schon lange die
Zulässigkeit der Untersuchungshaft davon anhängig gemacht, dass die
begründenden Tatsachen dem Verteidiger durch Akteneinsicht bekannt sind.
Das war m.E. der erste Schritt zu einem richterrechtlichem
Verwertungsverbot, das dem deutschen Strafverfahrensrecht bislang fremd
war.
Mit dem Richtervorbehalt im Zusammenhang mit der Entnahme einer
Blutprobe (
§ 81a Abs. 1, Abs. 2 StPO) befasst sich ein jüngerer
Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 12.02.2007 - 2 BvR 273/06 - und
bemängelt die voreilige Anordnung durch die Staatsanwaltschaft.
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Cyberfahnder |
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© Dieter
Kochheim,
11.03.2018 |