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Juni 2011 |
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Die Akte des Oberstaatsanwalts |
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Wie hatte ihm sein Vater gesagt? Werde Beamter! Zehn Unterschriften am Tag und Deine Arbeit ist getan! Das heutige Pensum ist noch nicht getan, sagt sich der grau gewordene Oberstaatsanwalt. Er schreckt leicht auf, als das Telefon klingelt. Seine Assistentin, hübsch, engagiert und ergeben, kündigt ihm das Erscheinen der Polizei in dem aktuellen Betrugsfall an. Während er „bringen Sie sie rein“ in den Hörer spricht streift sein Blick über die Bücherregale seines Büros. Hier sammelt sich das geballte Wissen seines lange vergangenen Studiums. Ein paar Buchrücken sind weniger vergilbt und demonstrieren damit, dass hin und wieder doch neues Wissen hinzu gekommen ist. Die Krawatte des Kommissars hängt leicht schief. Der auf Äußerlichkeiten
bedachte Oberstaatsanwalt erkennt auf dem ersten Blick den einfachen,
ungeübten Knoten. In seiner Begleitung ist ein jüngerer Polizist, der
die Laufarbeit machen muss. Er trägt auch die Akte, „meine Akte“, wie
der Oberstaatsanwalt stumm und mit wohligem Schauer feststellt. Er sagt nur knapp, „nehmen Sie Platz“, und deutet seiner Assistentin,
sich ebenfalls auf einen der unbequemen Stühle gegenüber seinem
mächtigen Schreibtisch zu setzen. Seine Assistentin nimmt die Akte an sich und weiß, was sie zu tun hat. Anträge müssen geschrieben und schließlich zum Gericht gebracht werden. Zuvor wird der Oberstaatsanwalt die sauber getippten Entwürfe kritisch studieren, vor allem auf die Zeichensetzung achten und dann eigenhändig unterschreiben. Nachdem auch sie gegangen ist meldet sich unerwartet das Telefon ein weiteres Mal. Im Display des Telefons wird „Amt“ angezeigt und das bedeutet, dass der Anruf vom Landeskriminalamt kommt. Der Oberstaatsanwalt kennt sie alle vom „Amt“, die sich trauen würden, gerade ihn anzurufen. Und tatsächlich hört er die gewohnte Stimme des Hauptkommissars, der einen Einbrecher gefangen hat. Nach den üblichen höflichen Fragen nach dem Befinden und dem der Familie berichtet der Hauptkommissar und der Oberstaatsanwalt begleitet sein begleitendes Kopfnicken mit vernehmlichen „Mhms“. Nachdem der Anrufer zum Schluss gekommen ist, sagt der Oberstaatsanwalt schlicht „Einsperren“ und legt auf. Sodann greift der Oberstaatsanwalt wie zufällig zum örtlichen Telefonbuch, das in seiner Schreibtischschublade geruht hat. Er fixiert versonnen einen imaginären Fleck an der Wand. Nur Eingeweihte oder Scharfsichtige würden darin das von einer Reißzwecke geschaffene Loch erkennen, die längst ihre offensichtliche Aufgabe erfüllt hat und in den dunklen Fundus des Schreibtisches zurückgekehrt ist. Die Finger des Oberstaatsanwaltes gleiten über die schmalen und abgenutzten Seitenrücken des Telefonbuches, bis es sich wie von Geisterhand beseelt öffnet. Bei noch immer abgewandten Blick fühlen seine Finger über die beiden aufgeschlagenen Seiten, so als wenn sie nach geheimen Vertiefungen oder Erhebungen suchten. Sorgfältig und ohne Hast. Erst als sein Zeigefinger an einer Stelle zum Stillstand gekommen ist, senkt der Oberstaatsanwalt seinen Blick und studiert die Eintragung. „Ja“, denkt er für sich, „dort müsste man auch Mal durchsuchen“. Noch während er sich die verdächtige Adresse notiert klopft sein Assistentin und tritt auf Aufforderung herein. Sie bringt ihm sein Akte und eine Tasse Kaffee, so wie er ihn mag, mit Milch und Zucker. Der Oberstaatsanwalt spitzt den schon schmächtigen Bleistift und macht
sich an sein heutige Arbeit. |
Cyberfahnder | |
© Dieter Kochheim, 11.03.2018 |