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März 2012
04.03.2012 Rechtsprechung
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift Auslegung und einzelne Rechtsfragen
 

 
 Der Rechtsprechungsreport betrifft vier Einzelfragen, die nichts miteinander zu tun haben. Außer vielleicht: Das materielle Strafrecht, dem es um die Strafbarkeit geht, und das formelle Strafverfahrensrecht, dem es um die förmliche Gerechtigkeit geht, müssen sich konstant an wechselnde Sachverhalte und vor allem Entwicklungen anpassen. Der eherne Grundsatz des Strafrechts ist: Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde ( § 1 StGB; Art 103 Abs. 2 GG). Dennoch ist auch das materielle Strafrecht Wandlungen unterworfen.
 

 
Verbreitung von Kinderpornographie im Chat-Kanal
Schiebetermin
Aussagewert einer Mischspur
Reichweite des Spezialitätsvorbehalts Update
 


  Karl Larenz war ein Parteigänger der Nazis und ein hervorragender Jurist, der sich besonders um die Methodenlehre gekümmert hat. Das ist kein zwingender Widerspruch, aber ein Signal zur Vorsicht. Von ihm stammt die Aussage, dass die Grenze der Auslegung vom Wortlaut des Gesetzes bestimmt wird. Dafür verdient er noch immer Anerkennung. Das schließt vor allem Analogien im materiellem Strafrecht aus. Ansonsten gilt: Wenn der Gesetzgeber einen bestimmten Prozess in einem anderen Rechtszusammenhang geregelt hat, dann kann diese Regelung im Wege der Analogie auch auf fremde Sachverhalte angewendet werden. Larenz' Merksatz und der klare gesetzliche Wortlaut schließen das für das materielle Strafrecht aus (und das ist gut so).

Analogien im formellen Strafverfahrensrecht sind hingegen erlaubt. Ich vertrete zudem die Ansicht, dass auch Analogien im materiellen Recht zulässig sind, solange sie nur dazu dienen, den gesetzgeberischen Willen - der sich eben auch in fremden Rechtsgebieten ausdrücken kann - zu erkunden und auf die Auslegung des materiellen Tatbestands abschließend (als eine Art Hinterbandkontrolle) anzulegen. Wenn sich dabei Wertungswidersprüche ergeben, ist die Auslegung falsch oder mindestens fragwürdig.

Kommen wir zurück zur Spruchpraxis:
 

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04.03.2012 
Manche Entscheidungen der Gerichte sind deshalb bedeutsam, weil sie schweigen. Das gilt auch für diese (1).

Der Angeklagte nutzte einen Laptop ..., um über einen Chatraum Bild- und Videodateien zu verschicken bzw. zu erlangen, die pornographische Darstellungen sexueller Handlungen von oder an Personen wiedergaben, die tatsächlich oder nach ihrem Erscheinungsbild unter 14 Jahre alt waren. Er versandte insgesamt 113 und verschaffte sich 44 solcher Dateien. <Rn 5>

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen ... wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB in 113 Fällen zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten und wegen Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 4 StGB in 44 Fällen zu Geldstrafen von 60 Tagessätzen zu 1 € verurteilt ... <Rn 6>

Weitere Ausführungen über das Verbreiten kinderpornographischer "Schriften" enthält das Urteil nicht und "winkt" in diesem Punkt das angefochtene Urteil schlicht durch. Damit steht fest, was mehrheitliche Meinung war, dass das einfache Einstellen in einen Chat-Kanal das Merkmal des "Verbreitens" erfüllt, ohne dass der BGH das ausdrücklich sagt.


(1) BGH, Urteil vom 08.02.2012 - 2 StR 346/11
 

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04.03.2012 
Nach § 229 Abs. 1 StPO darf die gerichtliche Hauptverhandlung bis zu drei Wochen unterbrochen werden. Das hat nichts damit zu tun, dass das Gericht seine abschließende Entscheidung hinauszögern darf, sondern einfach damit, dass Rechtshilfeersuchen oder Sachverständigengutachten ihre Zeit brauchen und Richter und Schöffen auch Urlaub, Fortbildungen und andere Veranstaltungen wahrnehmen können müssen, wie andere normale Menschen auch.

Der "Schiebetermin" ist ein Hauptverhandlungstag, an dem nicht viel passieren soll. Er soll die Zeit bis zur Vernehmung eines erst später zur Verfügung stehenden Zeugen oder einer anderen Beweisaufnahme überbrücken. Die Rechtsprechung verlangt aber von ihm, dass er die Hauptverhandlung fördern muss (1):

Zur Sache wird in einem Fortsetzungstermin allerdings grundsätzlich bereits dann verhandelt, wenn Prozesshandlungen vorgenommen werden oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen stattfinden, die geeignet sind, das Verfahren inhaltlich auf den Urteilsspruch hin zu fördern und die Sache ihrem Abschluss substantiell näher zu bringen ( BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 3 StR 254/07 ...). Unter diesen Voraussetzungen ist die Dauer des Termins ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob er noch für weitere verfahrensfördernde Handlungen hätte genutzt werden können. Gleichermaßen unschädlich ist es, wenn der Termin zugleich auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist dient ( BGH, Urteil vom 3. August 2006 - 3 StR 199/06 ...). <Rn 17>

Auch wenn in dem Termin Verfahrensvorgänge stattfinden, die nach diesen Maßstäben grundsätzlich zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet sind, liegt ein Verhandeln zur Sache jedoch dann nicht vor, wenn das Gericht dabei nur formal zum Zwecke der Umgehung dieser Vorschrift tätig wird und der Gesichtspunkt der Verfahrensförderung dahinter als bedeutungslos zurücktritt ( BGH, Urteil vom 25. Juli 1996 - 4 StR 172/96 ...; Urteil vom 18. März 1998 - 2 StR 675/97 ...). Zur Fristwahrung ungeeignete "Schiebetermine" sind danach etwa anzunehmen, wenn einheitliche Verfahrensvorgänge willkürlich in mehrere kurze Verfahrensabschnitte zerstückelt und diese auf mehrere Verhandlungstage verteilt werden, nur um hierdurch die zulässigen Unterbrechungsfristen einzuhalten ( BGH aaO; Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 3 StR 254/07 ...). Aus demselben Grund verstößt es gegen § 229 StPO, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substantielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbrechungsfrist im Auge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2011 - 3 StR 61/11 ...). <Rn 18>

Nach diesen Grundsätzen reicht die einfache Verlesung eines Telefax' des Vorsitzenden Richters an die den Geschädigten behandelnden Ärzte sowie der Worte "P-Ethanol 1,9" aus dem hierauf wunschgemäß mitgeteilten Ergebnis einer Blutwertanalyse <Rn 15> nicht dazu aus, die Sache zu fördern. Die fatale Konsequenz davon ist, dass dieser Hauptverhandlungstag unbeachtlich ist und die Hauptverhandlung insgesamt zu lange unterbrochen war. Das führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.


(1) BGH, Urteil vom 02.02.2012 - 3 StR 401/11
 

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04.03.2012 
"Mischspuren" sind molkulargenetische Ergebnisse einer DNA-Spur, die nicht eindeutig, sondern verschiedenen Verursachern zugeordnet werden. In den meisten Fällen können die Gutachter allenfalls ausschließen, dass ein bestimmter Verdächtiger der Verursacher ist.

Häufig besteht aber doch eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass der Verdächtige der Spurenleger ist. Eine einzelne Spur für sich ist nicht dazu geeignet, ihn als Täter zu identifizieren. In dem fraglichen Fall waren aber vier Mischspuren vorhanden <Rn 9>: Es wurden DNA-Spuren an einem weiteren Stück Klebeband (Spur RL51.03), an einem Küchenmesser des Geschädigten und an einem Kabelbinder gesichert, die jeweils Mischprofile ergaben.

Auch wenn von den drei am Tatort gesicherten Mischspuren jede für sich allein eine Überführung des Angeklagten nicht zuließ, durfte ihnen ein Indizwert in der Zusammenschau mit anderen Beweisanzeichen ... nicht abgesprochen werden. <Rn 10>


BGH, Urteil vom 12.01.2012 - 4 StR 499/11
 

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04./24.03.2012 
Die Spezialität ist eine völkerrechtliche Geflogenheit und betrifft die Auslieferung von Verdächtigen zur Strafverfolgung. Sie setzt einen inländischen Haftbefehl voraus und je nach Ausland überprüfen die dortigen Justizbehörden die formelle oder auch materielle Berechtigung des Auslieferungsersuchens. Im Bereich des Schengener Übereinkommens genügt in aller Regel der Bestand eines Europäischen Haftbefehls ( Schengener Informationssystem - SIS). Andere Staaten, zum Beispiel die USA, verlangen nach einem ausführlichen "Case Summary", das mehr als eine Anklageschrift alle Beweismittel und ihre Bewertung aufführt.

Die Spezialität bedeutet, dass der Betroffene nur wegen der Straftaten verurteilt werden darf, wegen der die Auslieferung betrieben wurden. Das sind nur die, die in dem Haftbefehl benannt werden. Eine gesetzliche Form hat das in dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - § 83h IRG - und in dem Europäischen Auslieferungsübereinkommens - Art 14 EuAlÜbk - gefunden.

Der völkerrechtliche Schutz gilt dem inhaftierten, also in seiner Freizügigkeit eingeschränkten Angeklagten. Art 14 Nr. 1 S. 1 b) EuAlÜbk bestimmt ausdrücklich, dass die Bindung der Spezialität entfällt, wenn der Betroffene das Land nicht binnen 45 Tage verlassen hat oder wieder zurückkehrt. Die Spezialität ist deshalb kein absolutes, sondern ein relatives Recht des Betroffenen. Selbst wenn das abgefochtene Urteil des Tatsachengerichts wegen eines Verstoßes gegen den Spezialitätsvorbehalt hätte aufgehoben werden müssen, wird dieser Fehler auch in der Revisionsinstanz wieder geheilt, wenn sich der Betroffene länger als 45 Tage auf freiem Fuß befunden hat oder nach Deutschland zurückgekehrt ist (1).

Das materielle Strafrecht kennt einige Tatbestände, die die Strafbarkeit wegen Gewerbsmäßigkeit und wegen bandenmäßiger Begehung besonders schwer bestraft wissen wollen (siehe zum Beispiel die Bandenliste). Dabei muss festgestellt werden, dass der Täter sich über den Einzelfall hinaus eine kriminelle Erwerbsquelle (Gewerbsmäßigkeit) oder zusammen mit mindestens zwei Komplizen die wiederholte Begehung vergleichbarer Straftaten (Bandenmäßigkeit) gewollt hat.

In dem vom BGH entschiedenen Fall war der Angeklagte aufgrund eines Europäischen Haftbefehls aus Russland ausgeliefert worden. Das erkennende Gericht führte eine Beweisaufnahme durch, die nicht nur die Zeugen und Beweismittel der Straftat aus dem Haftbefehl betrafen, sondern noch eine andere, wegen der der Angeklagte nicht ausgeliefert worden war. Im Endeffekt verurteilte ihn das Gericht zwar nur wegen der im Haftbefehl genannten Tat, aber auch wegen bandenmäßiger Begehung. Zur Begründung nahm es auf die - wegen des Spezialitätsvorbehalts - straffreien, aber in ihren Einzelheiten festgestellten anderen Tat Bezug.

Der BGH hat das bestätigt (2):

Darüber hinaus schließt Art. 14 Abs. 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) eine Verurteilung unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt nicht aus, sofern ihr derselbe Sachverhalt zugrunde liegt und die Tatbestandsmerkmale der rechtlich neu gewürdigten strafbaren Handlung die Auslieferung gestatten würden ... <Rn 16>

Der Spezialitätsgrundsatz schließt nicht aus, Umstände, die eine Straftat darstellen, auf die sich die Auslieferung nicht erstreckt, bei der Überzeugungsbildung hinsichtlich der Täterschaft der Auslieferungstat als Indiz zu berücksichtigen <Rn 18>

Zwar darf ein Sachverhalt, der nicht zu der Auslieferungstat im Sinne des § 264 StPO gehört, nicht bei der Bestimmung der Strafhöhe zum Nachteil des Angeklagten Verwendung finden … Dies schließt jedoch nicht aus, den Strafrahmen eines festgestellten Qualifikationstatbestandes der Verurteilung wegen der Auslieferungstat auch dann zu Grunde zu legen, wenn diese Feststellungen mittels Beweiserhebungen zu einer verfahrensfremden Tat getroffen wurden. <Rn 19>


(1) BGH, Beschluss vom 09.02.2012 - 1 StR 148/11, Rn 9 ff.

(2) BGH, Urteil vom 12.01.2012 - 4 StR 499/11
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018