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Mai 2012
01.05.2012 Rechtsprechung
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift Dialer und Firmenmäntel
 

 
 Eine Staatsanwältin ist davon empört, dass ihr ein Verteidiger seinen nackten Arsch gezeigt haben soll. Die Frau macht ihren Job und es gibt Grenzen, in denen auch andere Profis ihren Job machen sollten. Den Götz-von-Berlichingen zu machen gehört sicherlich nicht dazu.

Auch der Berichterstatter scheint noch nicht so recht seine Position und Rolle gefunden zu haben. Er eiert. Solche Berichte kann man Mal lustig - oder jedenfalls beachtlich - finden, muss man aber nicht ständig haben:

BreakingNews, SMS-Chat-Prozess nunmehr in zwei getrennten Beweisaufnahmen fortgesetzt, kiel211.de 18.03.2012.

 Kommen wir deshalb zurück zum BGH!
 

 
No Deal of Dialer
Übertriebene Milde und Befangenheit.
 
Firmenmantel und Mittäterschaft beim Betrug
Tatherrschaft und bloßes Fördern fremden Handelns als Abgrenzung zwischen Mittäter und Gehilfen.
 
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 2002 bis 2003 haben die Angeklagten "Autodialer" eingesetzt. Dabei handelt es sich um Malware, die die Zugangsdaten zum Internet verbog. Ihre Dealer rechtfertigten sich damit, dass ihre Dialer den Zugang zu besonderen (Mehrwert-) Diensten schufen, die auch gesondert bezahlt werden müssten. Also zu Sex-  Bildern, Videos, Animationen und Chats vermute ich einmal aus heutiger Sicht. Schön und gut und wenig schutzwürdig. Es ist aber auch überliefert, dass solche Dialer etwas tumb waren: Nicht nur die besonderen Dienste wurden von Dialern auf Mehrwertdienste-Zugänge umgeleitet, sondern alle Netzaktivitäten des infizierten Anwenders. Er bezahlte lustig an T-Online weiter und surfte im Internet ständig statt dessen zum Stundenlohn bereitwillig scheinender Damen.

 Dem Spuk hat der Gesetzgeber inzwischen ein Ende bereitet, Registrierungspflichten und Inkassoverbote eingeführt. Das nicht zuletzt auf dem Hintergrund, dass die seinerzeit eingesetzten Dialer ihre Aktivitäten gerne verschwiegen und sogar ihre Formen wandelten. Als Basis-Malware nisteten sie sich ungefragt und heimlich ein und öffneten sich anschließend als freundliche Helfer, die alle ihre hilfreichen Funktionen erst mit der ausdrücklichen Zustimmung des Anwenders einrichten würden. Das steht hinter dem Begriff "Autodialer" und das bedeutet: Heimliche Abzocke - so wie später die Göttinger Abofalle funktioniert hat.

Bei einem Schaden von rund 12 Mio. Euro hat das Landgericht Osnabrück 2011 den geständigen Hauptangeklagten wegen banden- und gewerbsmäßigen Computerbetruges ( §§ 263a Abs. 2, 263 Abs. 5 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (1).

 Die Einzelheiten der eingestzten Malware hat der BGH nicht erörtert (2) und die zu milde Strafe nur am Rande kritisiert <Rn 22>. Zum interessanten materiellen Cybercrime-Strafrecht äußert sich das Urteil nur knapp <Rn 20, 21>: Im Falle eines erneuten Schuldspruchs wird näher auf eine Abgrenzung zwischen Betrug und Computerbetrug Bedacht zu nehmen sein und zudem können nähere Erörterungen dazu angezeigt sein, inwieweit eine etwaige Beteiligung des Angeklagten als Mittäter an den Betrugstaten sich auch auf den Tatbestand der Datenunterdrückung erstreckte.


 Bei der Abgrenzung zwischen Betrug ( § 263 StGB) und Computerbetrug ( § 263a StGB) kommt es darauf an, ob ein Mensch getäuscht und dadurch zu einem unbedarften Eingaben oder einen Mausklick mit kostenpflichtiger Folge veranlasst wurde (zuletzt: Abofallen) oder ob ein Datenverarbeitungsvorgang manipuliert und dadurch der rechtswidrige Vermögensgewinn ausgelöst wurde. Betrug käme also dann in Betracht, wenn der Dialer nach unzutreffenden Versprechungen vom Anwender selber installiert wurde, und Computerbetrug, wenn die Installation ohne Zutun des Anwenders heimlich erfolgte.

Der Hinweis auf die Datenunterdrückung bezieht sich auf § 303a Abs. 1 StGB. In Unkenntnis der Einzelheiten verbieten sich Spekulationen.


 Einen breiten Raum im Urteil des BGH nehmen die Ausführungen zur durchgreifenden Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft ein. Der Vorsitzende des Gerichts war befangen und die Zurückweisung des staatsanwaltschaftlichen Ablehnungsgesuches hätte nicht verworfen werden dürfen.

Der Fall ist ein plakatives Beispiel dafür, wie sich ein Gericht durch entgegenkommende Milde bei einem Angeklagten anbiedert. Am ersten Verhandlungstag wurde über eine Verständigung verhandelt, wobei wegen drei der vier Angeklagten ein Einverständnis erzielt wurde. Darauf verlas der Verteidiger des verbleibenden Hauptangeklagten eine Erklärung und der Angeklagte beantwortete Fragen des Gerichts. Sein Verteidiger erklärte danach, der Angeklagte wolle keine weiteren Fragen beantworten <Rn 5>.

Der Vorsitzende drängte auf einen schnellen Verfahrensabschluss und darauf, dass nur ein einziger Polizist als Zeuge gehört werden solle. Darüber kam es zum Disput. Als daraufhin der Staatsanwalt seine abweichende Auffassung wiederholte, warf der Vorsitzende ihm ungehalten vor, sich "unanständig" zu verhalten und die anderen Verteidiger "in Sippenhaft zu nehmen" <Rn 6>. Für Fragen der Staatsanwaltschaft an den Angeklagten ließ der Vorsitzende zehn Minuten Zeit. Nach dieser Zeit beendete er die Fragen des Staatsanwalts und wies darauf hin, die Kammer werde nach eigenem Ermessen über die Abladung von Zeugen entscheiden und erwarte für den nächsten Sitzungstag die Schlussvorträge. Unmittelbar da-nach unterbrach er die Sitzung bis zum eine Woche später liegenden nächsten Verhandlungstag <Rn 6>.

Der Staatsanwalt lehnte darauf außerhalb der Haupthandlung, aber zulässig, den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Meint auch der BGH <Rn 12>:
Nach dem Verlauf des ersten Hauptverhandlungstages musste sich der Staatsanwaltschaft die Besorgnis aufdrängen, der Vorsitzende ziehe eine schnelle Prozesserledigung ohne Beachtung ihrer prozessualen Beteiligtenrechte einer sachgemäßen Aufklärung der Anklagevorwürfe vor. Das erkennende Gericht habe klärungsbedürftige Fragen zurückgestellt, obwohl der Angeklagte - wie sich aus den Urteilsgründen ergibt - das Gewicht seiner Tatbeiträge zu den ihm zur Last liegenden Straftaten nicht in vollem Umfang eingeräumt hatte und insbesondere für eine schuldangemessene Sanktion wesentliche Umstände noch klärungsbedürftig waren. Außerdem habe der Vorsitzende durch seine Wortwahl den Eindruck vermittelt, ihm fehle gegenüber der Staatsanwaltschaft das gebotene und unverzichtbare Maß an Distanz und Neutralität. <Rn 13> Der BGH erörtert ferner, dass die Belehrung des Angeklagten, es könne auch in seiner Abwesenheit weiterverhandelt werden (was nicht stimmt, weil seine Befragung durch die Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen war) <Rn 16, 17>, und die Forderung des Vorsitzenden, er erwarte am folgenden Verhandlungstag die Schlussvorträge, obwohl noch keine Beweisaufnahme stattgefunden hatte <Rn 18>. Beides musste den Eindruck der Befangenheit bestärken.

Der geschilderte Fall ist ein extremes Beispiel für ein schuldunangemessenes Entgegenkommen gegenüber einem Angeklagten. Je komplizierter eine Materie ist, desto geneigter sind viele Gerichte, Milde wlten zu lassen. Das ist auch nicht falsch, weil der unsinnige Einsatz von personellen Ressourcen im Strafverfahren kann nicht der Sinn der Sache sein. Bei einem Schaden von 12 Mio. Euro konnte eine Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung auch bei einem umfassenden Geständnis (was nicht erfolgte) und anderen Strafmilderungsgründen nicht ernsthaft erwogen werden (3).

Die Kehrseite davon ist: Je länger die Taten zurückliegen, desto schwieriger wird die Aufklärung und desto milder das Ergebnis. Das ist auch einer der Gründe dafür, dass die Staatsanwaltschaft zurückhaltender mit Rechtsmitteln umgeht. Das war hier unumgänglich. 


(1) Osnabrück: Höxteraner wegen Computerbetrugs verurteilt, Mindener Tageblatt 22.06.2011

(2) BGH, Urteil vom 29.03.2012 - 3 StR 455/11

(3) Vermögensverlust großen Ausmaßes und die Strafzumessung, 24.03.2012
  

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 Wozu kauft man einen Firmenmantel, wenn nicht entweder zum Betrug oder zur Steuerhinterziehung? Ein Firmenmantel ist eine leere Hülle ohne Kapital, ohne Geschäftsbetrieb und ohne kaufmännische Erfahrung. Also nur ein in einem Handelsregister eingetragener Name.

 Die Angeklagten erwarben eine solche Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht (1), deren Aktien sie unter der Vorspiegelung, es handle sich um ein im Bereich regenerativer Energien erfolgreich tätiges Unternehmen, an gutgläubige Kapitalanleger verkaufen wollten <Rn 3>. An dem dann ab Mai 2008 stattfindenden Telefonvertrieb der Aktien durch N. , L. und K. waren die Angeklagten nicht mehr beteiligt. Gewonnen werden konnten etwa 80 Anleger; es entstand ein Gesamtschaden von ca. 1.100.000 € <Rn 6>.

 Im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Firmenmantels, den andere Mittäter dann für betrügerische Fahrzeugkäufe nutzten, hat der BGH 2008 eine weite Fassung der Mittäterschaft beim nur im Vorbereitungsstadium handelnden Komplizen vorgestellt (2). Der 3. Strafsenat verlangt jetzt eine genauere Aufklärung über Willensrichtung der Tatbeteiligten. Die Komplizen, deren Wille auf einer bloßen Förderung fremden Handelns gerichtet ist, bleiben dabei schlichte Gehilfen ( § 27 StGB) (1) <Rn 8>:

Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint (Fischer, StGB, 59. Aufl., § 25 Rn. 12 mwN). Ob danach Mittäterschaft anzunehmen ist, hat der Tatrichter aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (st. Rspr.; vgl.
BGH, Urteile vom 12. Februar 1998 - 4 StR 428/97 ...; vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90 ...). Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen ( BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002 - 3 StR 153/02 ...;
Beschluss vom 2. Juli 2008 - 1 StR 174/08 ...). Erschöpft sich demgegenüber die Mitwirkung nach dem Willen des sich Beteiligenden in einer bloßen Förderung fremden Handelns, so fällt ihm lediglich Beihilfe zur Last ( § 27 Abs. 1 StGB).

 Eine Auseinandersetzung mit der nicht abgelegenen Entscheidung aus 2008 (2) findet nicht statt. Das muss keine böse Absicht sein.


(1) BGH, Beschluss vom 27.03.2012 - 3 StR 63/12

(2) BGH, Beschluss vom 29.04.2008 - 4 StR 125/08
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018