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Florian Rötzer verwendet in
die Abkürzung PTDS
(1)
und meint die Posttraumatische Belastungsstörung
(2),
die in verschiedenen anderen Quellen als PTB oder als PTBS abgekürzt
wird, im Englischen jedoch als Posttraumatic Diagnostic Scale und eben
PTDS bezeichnet wird.
Mit der PTB, ihren Ursachen, Wirkungen und Folgen habe ich mich erstmals im vergangenen Jahr auseinandersetzen müssen. Ich bin
weder Psychiater noch Psychologe und habe nur einen oberflächlichen
Eindruck gewinnen können, der den Anschein einer noch strittigen
Forschungsrichtung vermittelt.
Wie lassen
sich die außergewöhnlichen und irrational wirkenden Reaktionen von
Opfern von Naturkatastrophen oder Gewaltaktionen erklären, die unter
äußerem Druck angepasst, zustimmend und persönlichkeitsfremd agieren?
Warum äußern sich manche Zeugen objektiv unglaubhaft und scheint ihre
innere Wahrnehmung undifferenziert und borniert zu sein?
In
Deutschland kam diese Frage meiner Erinnerung nach erstmals 1973 im
Zusammenhang mit dem Stockholm-Syndrom auf
(3),
weil sich einzelne Opfer einer Geiselnahme mit ihren Geiselnehmern
verbündeten und sie unterstützten.
Wurde dabei ein archaischer Alter Ego
(4)
oder ein Mister Hyde
(5)
aktiviert? Wenn das so wäre, dann könnte dem Verursacher kein Vorwurf
gemacht werden. Ups, ist halt passiert.
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Dem ist
aber nicht so.
Was
PTB-Opfer machen, machen sie besonders gut - ist mir die Äußerung
eines sachverständigen Zeugen noch gut in Erinnerung.
Der Auslöser
einer PTB ist ein als lebensbedrohlich empfundenes Ereignis oder eine
zeitlich gestreckte Gewaltsituation. In Betracht kommen
Naturkatastrophen, Unfälle, Kriegserfahrungen, Vergewaltigungen,
gewaltsame Gefangenschaften und vergleichbare, jedenfalls
außergewöhnliche Erfahrungen
(6).
Sie führen zu einer Verhaltensblockade. Das PTB-Opfer funktioniert
nach dem "Willen" einer natürlichen Extremsituation oder eines Schergen
und ist nicht in der Lage, seine gewohnten Verhaltensweisen,
Moralvorstellungen und Tagesabläufe zu leben. Es funktioniert.
Dahinter mag eine natürliche und archaische Überlebensstrategie
stecken, die es Lebewesen und schließlich auch Menschen ermöglicht,
selbst in Extremsituationen zu überleben, indem sie einfach
funktionieren und das gewohnte, übliche und umweltkritische Verhalten abgeschaltet wird, um zunächst einmal weiter zu leben. Also eine Art
"Superstress", der im Kopf passiert und über die einfachen biochemischen
Ausschüttungen von Zucker und Adrenalin hinaus geht.
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Zur
Erklärung gibt es eine biochemische Theorie. Danach führt das
lebensbedrohliche Ereignis zur Ausschüttung von Cortisol
(7),
das zu einer Bläschenbildung auf der Verbindungsstrecke zwischen den
beiden Gehirnhälften führen soll. Ich habe es den "Bus" zwischen den
beiden Gehirnhälften genannt
(8).
Die Wirkung soll jedenfalls sein, dass die kognitiven und emotionalen
Erinnerungsbilder, die in den Gehirnhälften getrennt gespeichert sind,
nicht mehr deckungsgleich verbunden werden können.
Das führt dazu, dass PTB-Opfer auf Dauer Erinnerungsfehler und
Flashbacks haben, wobei sie auf äußere Signale unerwartet und wie unter
der ursprünglichen Stresssituation reagieren.
Eine Therapie dagegen ist langfristig und nur begrenzt Erfolg
versprechend.
Wenn das so stimmen würde, dann könnte eine PTB diagnostisch mit
chemischen oder physikalischen Methoden nachgewiesen werden.
Dem
widerspricht ein anderer, der wohl herrschende Erklärungsansatz. Er ist
auch neurologisch, aber nicht streng biochemisch, und diagnostiziert die PTB
nur anhand von psychiatrischen und psychotherapeutischen Untersuchungen.
Auch er verspricht nur eine langfristige und nicht immer erfolgreiche
Therapie.
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Das
Ergebnis ist unabhängig von den therapeutischen Ansätzen dasselbe.
PTB-Opfer sind zunächst einmal nicht mehr in der Lage, ihr gewohntes
Leben zu führen. Sie sind eingeschränkt arbeitsfähig und beschränkt
sozialfähig.
Die
PTB-Forschung setzte erst bei den Veteranen des Vietnam-Krieges ein und
konnte dabei auf alte Studien nach dem Korea-Krieg aufbauen. Ich
vermute, dass die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges und der
Vertreibung dieselben Symptome gezeigt haben - ältere Ereignisse dürften
dasselbe Potential gehabt haben.
Die
strafrechtliche Schuldfrage bei PTB-Opfern ist interessant. Mehrere
Sachverständige vertreten die Auffassung, dass PTB-Opfer zwar nicht in
ihrer Einsichtsfähigkeit eingeschränkt sind, sie wissen also, dass sie
normativ falsch handeln, aber nicht nach dieser Einsicht handeln können.
Sie sind in ihrer Steuerungsfähigkeit mehr oder weniger eingeschränkt.
Mein Fazit:
Ungewöhnliche, sprunghafte und borniert wirkende Zeugenaussagen können
die Auswirkung einer krankhaften Erlebnisverarbeitung infolge einer PTB
sein. Wenn der Zeuge nicht lügt, auch das ist möglich, so sind seine
Erinnerungsbilder richtig, aber falsch zeitlich und situativ zugeordnet.
Sie klumpen sozusagen um besondere Ereignisse herum. Das Ereignis wirkt
wie ein Magnet und verhindert eine intellektuelle raumzeitliche
Differenzierung.
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Eine
peinliche politische Dimension bekommt das Thema durch die militärische
Praxis in den USA. Kriegsveteranen, die nur psychisch geschädigt sind,
aber nicht durch körperliche Verletzungen oder Amputationen,
wird die Kriegsverwundetenauszeichnung Purple Heart und die damit
verbundenen (kleinen) Hilfen verweigert
(9).
Telepolis zitiert den PR-Chef einer Veteranenorganisation:
"Man muss
sein Blut vergossen haben durch ein Kriegsgerät in den Händen eines
Feindes der Vereinigten Staaten. Vergossenes Blut ist das Kriterium."
Einfach nur "Macke" reicht ihm nicht.
In Großbritannien besteht ein Zehntel der Häftlingen aus Soldaten, die
im Irak oder in Afghanistan im Einsatz waren
(10).
Nach einer hier zitierten Studie sollen viele der Kriegsheimkehrer unter
einer PTB leiden.
Eine PTB kann nach meinem Eindruck kriminelles Verhalten aber nur
dann fördern, wenn eine äußere Einwirkung ein Verhaltensziel formuliert
und die Umsetzung verlangt. Ich vermute eine andere Ursache: PTB-Opfer
benötigen eine behutsame soziale und psychotherapeutische
Wiedereingliederung. Dort, wo sie fehlt und die Folgen der PTB die
normale Leistungsfähigkeit im Arbeitsleben behindert, können die Opfer
wirtschaftliche und andere Misserfolge erleben, die ihrerseits
abweichendes Verhalten unterstützen könnten. Kriminelles Verhalten wäre
dann keine unmittelbare Folge der Krankheit, sondern eine mittelbare,
die aus der Desintegration des Erkrankten stammt.
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Rund 500
Bundeswehrsoldaten sollen nach Auslandseinsätzen unter PTB leiden oder
gelitten haben
(11).
Ihnen hat der Bundestag jetzt Hilfe versprochen.
Die Tiefe
und Wirkungen einer PTB sind unterschiedlich, wie ich jetzt weiß. Mit
einer guten psychotherapeutischen Betreuung lässt sie sich behandeln und
die überwiegenden Fälle, vor allem die schwächeren Traumata, dürften sich
auch heilen lassen. Schwer traumatisierte PTB-Opfer können stabilisiert
und das Krankheitsbild gelindert werden. Nach dem gegenwärtigen Stand
der Forschung könnten sie langfristig oder sogar ein Leben lang unter ihren
Folgen leiden.
Ich
befürchte, dass die PTB vorübergehend zu einem Modebegriff für jedwede
Befindlichkeitsstörung wird. Das ist schade und das wird sie als
definiertes und abgrenzbares Krankheitsbild überstehen. Solche Moden
haben auch ihr Gutes, weil sie eine bislang wenig bekannte Erkrankung zu
einer allgemeinen Bekanntheit verhelfen.
Der Weg, den die Bundestagsinitiative geht, ist ungewöhnlich
vorausschauend, leise und sensibel. Das ist man von der Politik kaum
noch gewohnt.
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