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Der
Angeklagte hat keinen Anspruch darauf, vom erkennenden Gericht einen
Zwischenbescheid über die Bewertungen des Gerichts in Bezug auf
Rechtsfragen zu erhalten
(1).
In dem zugrunde liegenden Fall hat der Angeklagte ein
Beweisverwertungsverbot wegen seiner früheren Aussagen bei der Polizei,
der Staatsanwaltschaft und vor Gerichten geltend gemacht, weil er nicht
vollständig über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe belehrt worden sei.
Das erkennende Gericht hat über die Umstände der Vernehmungen frei
Beweis erhoben, einen Zwischenbescheid über seine Schlüsse und die
aufgeworfene Rechtsfrage hingegen verweigert.
Das BVerfG sieht auch keine Notwendigkeit dazu und hebt hervor, dass
eine derartig bindende Erklärung des Gerichts allein deshalb nicht
verlangt werden könne, weil sich seine Bewertungen im Lichte der übrigen
Beweise noch bis zur Schlussberatung ändern könnten.
Interessant
an der Begründung ist weniger die Entscheidung in der Sache als die
Abwägungen, die das BVerfG wegen der individuellen Freiheitsrechte des
Angeklagten, den Anforderungen an ein rechtsstaatliches und faires
Verfahren sowie schließlich das Recht der Allgemeinheit an einer
funktionstüchtigen Strafrechtspflege unternimmt. Die entsprechenden
Passagen werden
unten zitiert.
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Auch aus
praktischer Sicht ist der Beschluss zu begrüßen. In jedem Fall, in dem
sich das erkennende Gericht über eine vorläufige Bewertung des
Prozessstoffes nach Aktenlage oder aufgrund der bereits abgeschlossenen
Beweiserhebung äußern muss, macht es sich angreifbar und werden
Befangenheitsanträge provoziert (
§§ 24 ff. StPO). Besonders dann, wenn sie nicht durchgreifen, führen
sie zu Verzögerungen und Mehraufwänden.
Eine weise Entscheidung hat der Gesetzgeber mit dem
§ 305 StPO getroffen, indem er grundsätzlich die Beschwerde gegen
solche Beschlüsse des Gerichts ausschließt, die der Urteilsfällung
vorausgehen. Unsinnige Streite über die Eröffnung der Hauptverhandlung
werden dadurch vermieden (
§ 203 StPO).
Wegen der Fortdauer einer angeordneten Untersuchungshaft muss das
Gericht hingegen ständig prüfen, ob die Gründe für die Haft noch immer
bestehen oder aufgrund der erhobenen Beweise anders bewertet werden
müssen (abgeleitet u.a. aus
§ 268b StPO). Deshalb besteht eine beliebte Verteidigungsstrategie
in länger dauernden Strafverfahren darin, durch Anträge zur
Untersuchungshaft und zur Beweiserhebung das Gericht aus der Reserve zu
locken und zu angreifbaren Äußerungen zu bewegen.
Durch die Entscheidung des BVerfG wird jedenfalls eine weitere
Fehlerquelle ausgeschlossen. Entgegen dem Gesetzeswortlaut hat nämlich
das Gericht das letzte Wort (
§ 258 Abs. 2 StPO).
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Das Recht des
Beschuldigten auf ein faires Verfahren wurzelt im
Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten des
Grundgesetzes, insbesondere in dem durch ein Strafverfahren
bedrohten Recht auf Freiheit der Person (
Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und in
Art. 1 Abs. 1 GG, der es verbietet, den Menschen zum bloßen
Objekt eines staatlichen Verfahrens herabzuwürdigen (vgl.
BVerfGE 57, 250 <274 f.>), und den Staat zu korrektem und
fairem Verfahren verpflichtet (vgl.
BVerfGE 38, 105 <111>). An dem Recht auf ein faires
Verfahren sind diejenigen Beschränkungen zu messen, die von den
speziellen Gewährleistungen der grundgesetzlichen
Verfahrensgrundrechte nicht erfasst werden (vgl.
BVerfGE 57, 250 <274>;
109, 13 <34>).
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Als ein
unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des
Strafverfahrens gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren
dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der
erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der
staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter
angemessen abwehren zu können (vgl.
BVerfGE 38, 105 <111>). Die Bestimmung der
verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen, die dem
Beschuldigten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens im
Einzelnen einzuräumen und die Festlegung, wie diese
auszugestalten sind, sind in erster Linie dem Gesetzgeber und
sodann - in den vom Gesetz gezogenen Grenzen - den Gerichten bei
der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben.
Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst
dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch
in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt,
dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden
sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde
(vgl.
BVerfGE 57, 250 <276>;
64, 135 <145 f.>
(2)
).
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Im Rahmen
dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer
funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen
(vgl.
BVerfGE 47, 239 <250>;
80, 367 <375>). Das Rechtsstaatsprinzip, das die
Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält
(vgl.
BVerfGE 7, 89 <92>;
74, 129 <152>; stRspr), fordert nicht nur eine
faire Ausgestaltung und Anwendung des Strafverfahrensrechts. Es
gestattet und verlangt auch die Berücksichtigung der Belange
einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der
Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl.
BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>
(3)).
Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende
Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der
geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten
Bestrafung zugeführt werden (vgl.
BVerfGE 33, 367 <383>;
46, 214 <222>
(3);
stRspr).
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