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1. |
Das Gericht darf im Rahmen einer Urteilsabsprache an der
Erörterung eines Rechtsmittelverzichts nicht mitwirken und
auf einen solchen Verzicht auch nicht hinwirken.
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2. |
Nach jedem Urteil, dem eine Urteilsabsprache zugrunde
liegt, ist der Rechtsmittelberechtigte, der nach
§ 35 a Satz 1 StPO über ein Rechtsmittel zu belehren ist, stets
auch darüber zu belehren, daß er ungeachtet der Absprache in
seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte
Belehrung). Das gilt auch dann, wenn die Absprache
einen Rechtsmittelverzicht nicht zum Gegenstand hatte.
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3. |
Der nach einer Urteilsabsprache erklärte Verzicht auf die
Einlegung eines Rechtsmittels ist unwirksam, wenn der ihn
erklärende Rechtsmittelberechtigte nicht qualifiziert belehrt
worden ist.
(1)
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Im Zusammenhang mit seinem Beschluss über die Zulässigkeit und Grenzen
verfahrensvereinfachender Absprachen im Strafverfahren hat der Große
Senat für Strafsachen bekannt, dass er die Grenzen der zulässigen
Auslegung berührt, und vom Gesetzgeber klare Regeln gefordert
(1).
Das Gericht hebt den Grundsatz des fairen Verfahrens, das Gebot der
bestmöglichen Sachaufklärung und die Schuldangemessenheit der Strafe
hervor und hat daraus die drei links zitierten Leitsätze entwickelt, die
seither für die Praxis leitend geworden sind.
Die an der Bundesregierung beteiligten Fraktionen
(2)
haben im Januar einen Gesetzesentwurf vorgelegt, nachdem der
Bundesrat bereits 2007 aktiv geworden war
(3).
Er sieht umfassende Belehrungs- und Protokollierungspflichten vor und
schließt einen vorschnellen Rechtsmittelverzicht aus.
Der Rechtsausschuss des Bundestages hat am 25.03.2009 den Entwurf
beraten und dazu Experten angehört, deren
Stellungnahmen veröffentlicht wurden.
Die Berufsverbände und die Praxis unterstützen das Vorhaben vom
Grundsatz her und kritisieren einzelne Formulierungen
(4),
wobei jedoch der Deutsche Richterbund deutliche Kritik an überzogenen
Formalien und Verwertungsverboten übt
(5).
Grundsätzliche Kritik äußert dagegen Gillmeister
(6)
und entwickelt Alternativtexte, die präziser und klarer zu sein scheinen
als die stellenweisen Ausschweifungen im Gesetzentwurf.
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Kempf lehnt hingegen den Gesetzentwurf ab
(7).
Er befürchtet vor Allem eine Ungleichbehandlung und Benachteiligung der
Angeklagten, die sich einer Verständigung widersetzen.
Ungewöhnlich und subjektiv ist die Stellungnahme von RiBGH Fischer
(8).
Auf dem ersten Blick wirkt sie frisch und lebendig, auf dem zweiten eher
selbstgerecht und vage, jedenfalls an ihrem Anfang, wo er die Praxis rügt, dass
sie das geltende Verfahrensrecht häufig nicht einhalte.
Das betrifft
insbesondere die Verpflichtung zur umfassenden
Wahrheitsermittlung, das Verbot von Zusagen bestimmter Strafhöhen, von
Maßregel-Aussprüchen oder Neben- und Folgeentscheidungen, das Verbot der
Verpflichtung
zum Rechtsmittelverzicht sowie die Erfordernisse der
Verfahrensöffentlichkeit.
Öffentliche
Verlautbarungen hierzu sind, nach Erfahrungen des Verfassers, meist von
Beschwichtigung und Vorwürfen an die jeweils andere Seite, häufig auch
von
Unehrlichkeit geprägt. Umfang und praktische Folgen des tatsächlichen
Abspracheverhaltens werden verharmlost, soweit es das jeweils eigene
Verhalten
betrifft.
Fischer verteilt Schelte gegen (einzelne) überlastete Richter,
Konfliktverteidiger und die Justizpraxis als solche, ohne dass die
Allgemeingültigkeit seiner Kritik hinterfragt werden kann.
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