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Gemäß
§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG beschließt die ... große
Strafkammer bei der Eröffnung des Hauptverfahrens, dass sie in der
Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern einschließlich des
Vor-sitzenden besetzt ist, es sei denn, nach dem Umfang oder der
Schwierigkeit der Sache erscheint die Mitwirkung eines dritten
(Berufs-)Richters erforderlich. Bei dieser Entscheidung steht der
Strafkammer kein Ermessen zu; sie hat die Dreierbesetzung zu
beschließen, wenn dies nach Umfang oder Schwierigkeit der Sache
notwendig erscheint. <RN 11>
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Jedoch
begründet nicht jeder Verstoß gegen
§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG eine durchgreifende Besetzungsrüge
nach
§ 338 Nr. 1 StPO. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn
die Strafkammer ihre Entscheidung auf sachfremde Erwägungen gestützt
oder den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise
überschritten hat, so dass die Besetzungsreduktion objektiv willkürlich
erscheint ... <RN 12>
(1)
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Angesichts dieses Umfangs der Sache war die Reduzierung der Richterbank
auch bei Beachtung des der Kammer eingeräumten weiten
Beurteilungsspielraums nicht mehr vertretbar. Nichts anderes ergibt sich
daraus, dass ... die Strafkammer zum Zeitpunkt der Entscheidung nach
§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG offensichtlich davon ausgegangen
ist, das Verfahren durch eine Absprache einverständlich und damit
kurzfristig erledigen zu können. Dies hätte eine Besetzungsreduktion
aber allenfalls dann rechtfertigen können, wenn die Kammer nach dem
bisherigen Verfahrensgang konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür
gehabt hätte, dass sich die Angeklagten in der Hauptverhandlung
entsprechend den Anklagevorwürfen geständig zeigen werden ... <RN
13>
(1)
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Es gibt
Entscheidungen des obersten Fachgerichts, deren tiefer Sinn sich nicht
ohne weiteres erschließt. So geht es mir bei dem Urteil des BGH aus dem
Juni, in dem er die Verhandlung zum angefochtenen Urteil in
Zweierbesetzung kritisiert
(1).
§ 76 Abs. 1 GVG stellt als Leitbild auf, dass die großen
Strafkammern des Landgerichts mit einem Vorsitzenden und zwei weiteren
Berufsrichtern besetzt sind. Hinzu kommen zwei Laienrichter (
Schöffen). Sie müssen in der Hauptverhandlung ununterbrochen
anwesend sein (
§ 226 Abs. 1 StPO). Die Vorschrift spricht von zwei weiteren
Funktionsstellen: Ein Protokollführer und die Staatsanwaltschaft müssen
ebenfalls ständig anwesend sein. Ihre Aufgaben können jedoch von
wechselnden Personen wahrgenommen werden.
Erkrankt eine Gerichtsperson, dann kann die Hauptverhandlung in
Umfangssachen länger unterbrochen werden (
§ 229 Abs. 3 StPO).
Nach der
üblichen Arbeitsteilung in einer großen Strafkammer kommt dem
Vorsitzenden die Aufgabe der Verhandlungsleitung zu. Noch tiefer in den
Prozessstoff muss der zweite Berufsrichter eingearbeitet sein. Er ist
nicht nur "Beisitzer", sondern auch der Berichterstatter, der die
Hauptverhandlung wegen aller Rechts- und Sachfragen vorbereitet und am Ende
den Entwurf des Urteils schreiben muss.
Dem dritten Berufsrichter kommt in aller Regel eine rein beobachtende
Rolle zu; nur selten findet eine Arbeitsteilung zwischen den
beisitzenden Berufsrichtern in derselben Strafsache statt. Böswillige
Zungen sprechen deshalb gelegentlich vom dritten Berufsrichter als den
"Beischläfer".
§ 76 Abs. 2 GVG stellt sich dem allgemeinen Leitbild entgegen und
bestimmt, dass die "normale" große Strafkammer mit 2 Berufsrichtern
besetzt sein muss.
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Nach
§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG kann sie bei der Eröffnung
des Hauptverfahrens (
§§ 199 ff. StPO) darüber entscheiden, ob sie mit zwei oder drei
Berufsrichtern besetzt sein soll. Dieser Möglichkeit hat der BGH jetzt
engere Schranken gesetzt, ohne damit eine genaue Handlungsanweisung
gegeben zu haben (siehe Kasten
links unten).
Die Folge davon ist, dass die Dreierbesetzung zum Regelfall wird,
ohne dass davon erkennbare Vorteile zu erwarten sind.
Nur für das Schwurgericht, das für die Verhandlung über äußerst
schwere Verbrechen zuständig ist (
§ 74 Abs. 2 GVG), ist die Dreierbesetzung ohne Ausnahme
vorgeschrieben (
§ 76 Abs. 2 GVG).
An der Beratung nehmen die Berufsrichter und Schöffen mit gleicher
Stimme teil (
§ 196 GVG). Von ihr ausgeschlossen sind auch die Ergänzungsrichter
und -schöffen.
Sie spielen eine besondere Rolle (
§ 192 Abs. 2, 3 GVG) und dienen der Verfahrenssicherung in
unwägbaren Umfangsverfahren. Sie müssen während der ganzen
Hauptverhandlung anwesend sein, sind aber von den Beratungen und
Entscheidungen des Gerichts ausgeschlossen. Nur dann, wenn ein
Berufsrichter oder ein Schöffe wegen Krankheit oder aus anderen Gründen
ausfällt (
§§ 22 ff. StPO) und dadurch die weitere Hauptverhandlung gefährdet
wird, rücken sie in den Spruchkörper nach und werden zu seinem
stimmberechtigten Vollmitglied.
Im
Zusammenhang mit der hier besprochenen BGH-Entscheidung wäre es deshalb
näher liegend, die Verfahrenssicherung durch Ergänzungsrichter als durch
beisitzende Vollmitglieder des Spruchkörpers zu diskutieren. Aber das
ist vielleicht zu profan und praxisnah.
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