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August 2009
09.08.2009 Akteneinsicht
     
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Das Akteneinsichtsrecht nach § 147 Abs. 1 StPO bezieht sich auf die dem Gericht vorliegenden oder ihm im Falle der Anklage gemäß § 199 Abs. 2 Satz 2 StPO vorzulegenden Akten. Das sind nach herrschender Meinung die von der Staatsanwaltschaft nach objektiven Kriterien (vgl. § 160 Abs. 2 StPO) als entscheidungserheblich dem Gericht zu präsentierenden Unterlagen. Dazu gehören ... zwar (nur) diejenigen, die durch die Identität der Tat und der des Täters konkretisiert werden ("formeller Aktenbegriff", vgl. BGHSt 30, 131, 138 f. (1) ...). Jedoch muss danach jedenfalls das gesamte vom ersten Zugriff der Polizei ( § 163 StPO) an gesammelte Beweismaterial, einschließlich etwaiger Bild- und Tonaufnahmen nebst hiervon gefertigter Verschriftungen, zugänglich gemacht werden, das gerade in dem gegen den Angeklagten gerichteten Ermittlungsverfahren angefallen ist (...). Eine Ausnahme gilt nur für Unterlagen oder Daten, denen eine allein innerdienstliche Bedeutung zukommt. Dies können etwa polizeiliche Arbeitsvermerke im Fortgang der Ermittlungen unter Bewertung der bisherigen Ermittlungsergebnisse oder sonstige rein interne polizeilichen Hilfs- oder Arbeitsmittel nebst entsprechender Dateien sein (...). Im Bereich der Justizbehörden sind vom Akteneinsichtsrecht ausgenommen etwa entsprechende Bestandteile der staatsanwaltschaftlichen Handakten, Notizen von Mitgliedern des Gerichts während der Hauptverhandlung oder so genannte Senatshefte (...). <RN 20> (2)
 
 

 
Manche Streite wirken im Rückblick unwirklich, zum Beispiel der, ob die Verteidigung Einblick in die Spurenakten nehmen darf. Spuren- und Fallakten dienen zur besseren Gliederung des Prozessstoffes und sollen nur die Arbeit mit den Akten erleichtern. Aus heutiger Sicht sind sie zweifellos wie die "normalen" Akten zu behandeln und der Akteneinsicht nach § 147 StPO zugänglich.

Hierfür gilt der Grundsatz, dass alles, was dem Gericht zugänglich ist, auch der Verteidigung zugänglich sein soll. Basta und gut so.

Das Urteil des BGH aus dem Juni 2009 (2) geht darüber noch einen Schritt hinaus, indem es alle digitalen und Audio-Aufzeichnungen der Überwachung der Telekommunikation - TKÜ - dem Akteneinsichtsrecht der Verteidigung zugänglich macht. Mit dieser Absolutheit setzt sich das oberste Fachgericht einigen Widersprüchen aus.

Die Auswertung einer TKÜ verläuft grundsätzlich in drei Schritten:

Sichtung
Verschriftung
Zusammenfassung und Bewertung

Die Sichtung erfolgt in aller Regel im Nachhinein, weil eine Life-Überwachung so viel Personal bindet und Kosten verursacht, dass sie außer jedes Verhältnis steht, wenn es sich nicht um eine besonders gefährliche Situation handelt, z.B. um eine Geiselnahme, oder um die Festnahme besonders gefährlicher Täter geht.
 

 
Der sichtende Polizeibeamte verschriftet dann im Auftrag der Staatsanwaltschaft die wichtig erscheinenden Passagen und kennzeichnet unwichtige als das, was sie sind: Unbeachtlich. Dazu gehören auch die Gesprächsinhalte, die den Kernbereich der persönlichen Lebensführung betreffen und deshalb ebenso zu löschen sind wie die, an denen zeugnisverweigerungsberechtigte Personen nach Maßgabe von § 161 Abs. 2, 3 StPO beteiligt sind.

Diese Löschung birgt das - insofern neutrale - Problem, dass Informationen vernichtet werden, die sich später sowohl zulasten wie auch zugunsten von Verdächtigen oder Dritten auswirken können. Das Beweismaterial wird dadurch perforiert und wegen seines Gesamtaussagewertes beschädigt.

Ich favorisiere deshalb das Archivmodell, das die vollständige Dokumentation von Beweismaterial ermöglicht, den Zugriff Unberechtigter jedoch ausschließt.

Je nach der Bedeutung des gesprochenen Wortes erfolgt die Verschriftung als Wortprotokoll, meistens jedoch in zusammen fassenden Worten oder zum Beispiel allgemein beschreibend als "Privatgespräch", wenn es oberhalb der Schwelle zum Kernbereich der persönlichen Lebensführung angesiedelt ist.

Die Beschränkung der Verschriftung dient mindestens zwei Zwecken. Sie erspart personelle Aufwände und verhindert, dass die an der überwachten Telekommunikation beteiligten über das Maß hinaus bloßgestellt werden, das unabdingbar ist.
 

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Nach diesen Maßstäben gehören die beim Landeskriminalamt als Computerdateien gespeicherten Unterlagen zu den nach § 199 Abs. 2 Satz 2 StPO dem Gericht vorzulegenden Akten. Sie sind konkret in den gegen die Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren wegen der Taten angefallen, die letztlich Gegenstand der Anklageschriften geworden sind. Sie sind daher nicht mit Spurenakten vergleichbar, die Ermittlungsergebnisse zwar zu den nämlichen Straftaten enthalten, sich aber allein auf andere Personen beziehen, die im Laufe der Ermittlungen (vorübergehend) mit diesen Taten in Verbindung gebracht wurden (s. dazu BGHSt 30, 131; BVerfGE 63, 59 (3)). Es handelt sich auch nicht um rein polizeiinterne Hilfs- und Arbeitsmittel.
 
Hier   wurden von den auf albanisch geführten Telefonaten Kurzübersetzungen ins Deutsche und inhaltliche Zusammenfassungen in deutscher Sprache erstellt und gespeichert. Derartige Kurzübersetzungen und inhaltliche Zusammenfassungen sind aber Auswertungen gewonnenen Beweismaterials und als solche selbst potentielle Beweismittel. Dies unterscheidet sie von reinen Bewertungen, die an eine derartige Auswertung anknüpfen können und allein polizeiinternes Arbeitsmittel sind, wenn sie etwa der Strukturierung der weiteren Ermittlungen dienen. Den Verteidigern durfte danach die Einsichtnahme in die gespeicherten Dateien nicht verweigert werden. <RN 21>
 
 

 
Ein weiteres Problem ist das der Verständigungssprache. In der Praxis dürfte der überwiegende Teil der aufgezeichneten Gespräche in einer Fremdsprache geführt werden, die ohne Dolmetscher nicht verschriftet werden können.

Dazu können nur solche Dolmetscher herangezogen werden, die nicht nur handwerklich gut sind, sondern auch lokale Mundarten verstehen und schließlich so tief in den Untersuchungsgegenstand eingeweiht sind, dass sie die Andeutungen und die hintersinnige Wortwahl der Sprecher verstehen.

Wegen dieser besonderen Probleme im Zusammenhang mit Fremdsprachen erfolgt die Verschriftung häufig in indirekter und zusammenfassender Rede. Nur die besonders bedeutenden Passagen werden, möglicherweise sogar erst in einem weiteren Arbeitsschritt wortwörtlich übersetzt.

Die Datenbank mit den verschrifteten Texten stellt schließlich die Grundlage für die weitere polizeiliche Arbeit dar. Nur die Erkenntnisse und Zusammenfassungen aus ihr gelangen endlich in die Akten oder ihren Nebenvorgängen (Sonderhefte, Fall- und Spurenakten).

Den Zugriff auf gelöschte Inhalte bekommt ein akteneinsehender Verteidiger nicht. Sie sind unwiederbringlich verloren und lassen sich auch nicht rekonstruieren.

Das BVerfG geht in seiner Entscheidung zur Beschlagnahme von E-Mails noch über die Löschungsanweisungen des Gesetzgebers hinaus, indem es sich gegen eine überschießende Beschlagnahme wendet. Zur Frage der dauerhaften Dokumentation nimmt es klar Stellung: Es bevorzugt die Beweisunklarheit gegenüber Datenfriedhöfen, die in aller Regel niemanden mehr interessieren. Dadurch verhindert es grundsätzlich denkbare Missbräuche - auf die Gefahr hin, dass Hauptverhandlungen erschwert und unnötig in die Länge gezogen werden.
 

 
Der BGH wendet sich in eine andere Richtung und mit demselben Ergebnis, dass ebenfalls der Prozessstoff ausufern kann.

Dabei übersieht er, dass es sich im System des § 147 StPO bei den TKÜ-Mitschnitten nicht um Aktenbestandteile handelt, sondern um Beweisstücke. Sie unterliegen nicht der Akteneinsicht, sondern nur dem Besichtigungsrecht auf der Geschäftsstelle ( § 147 Abs. 4 StPO), wo sich der Verteidiger auf seiner mitgebrachten Sonnenliege stunden- und nächtelang die intellektuell fragwürdigen Äußerungen seines Mandanten und von dessen Kontaktleuten anhören kann.

Ich habe Verständnis dafür, dass der Verteidigung die Original-Mitschnitte zugänglich gemacht werden, deren Verschriftung schließlich zum Gegenstand der Anklagevorwürfe gemacht wird. Ich habe auch noch ein gewisses Verständnis dafür, dass die Verteidigung darüber hinaus ein Prüfungsrecht haben muss, das auch die nicht in das Verfahren eingeführten Teile umfasst.

Sinnvoller als das jetzt judizierte Flickwerk wären jedoch vernünftige Verfahrensregeln unter Einschaltung neutraler Stellen. Die Rechtsprechung tendiert hingegen zu immer aufwändigeren Pflichten seitens der Strafverfolgungsbehörden. Sie lassen sich erfüllen, nicht aber mit den vorhandenen sachlichen und personellen Mitteln. Der Gesetzgeber und die Finanzmittel verwaltenden Regierungen stellen sich dem gegenüber taub - ebenso wie sich BGH und BVerfG gegenüber wirtschaftlichen Argumenten taub stellen.

Ausbaden müssen das Dilemma die Polizeibeamten, Staatsanwälte und Richter, die der stirngekräuselten Kritik der Verwaltung ausgesetzt sind, wenn etwas nicht normgerecht funktioniert, und die überhaupt kein Verständnis dafür hat, warum das so sein könnte.
 

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(1) Nach verschiedenen Quellen dürfte es sich um BGH, Urteil vom 26.05.1981 - 1 StR 48/81 - handeln. Die Entscheidung ist m.W. im Internet nicht frei verfügbar. Die Entscheidung wird als der "Fall Oetker" bezeichnet und soll das Akteneinsichtsrecht ausdrücklich auch auf die Spurenakten erweitert haben.

(2) Zitat aus BGH, Urteil vom 18.06.2009 - 3 StR 89/09

(3) Das Thema "Spurenakten" soll auch das BVerfG beschäftigt haben. Die Entscheidung ist m.W. nicht im Internet verfügbar.
 

 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018