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Die Sicherstellung und Beschlagnahme von E-Mails auf dem
Mailserver des Providers sind am Grundrecht
auf Gewährleistung des Fernmeldegeheimnisses aus
Art. 10 Abs. 1
GG zu messen.
§§ 94 ff. StPO genügen den
verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an eine gesetzliche
Ermächtigung für solche Eingriffe in das
Fernmeldegeheimnis zu stellen sind. [Leitsatz zu
(2)]
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Nachdem
sich der BGH
(1)
zur Beschlagnahme von E-Mails geäußert hat und verlangt, dass die
besonderen Voraussetzungen der
Postbeschlagnahme gemäß
§ 99 StPO vorliegen müssen, hat sich jetzt auch das BVerfG gemeldet
(2)
(3).
Die
Beschlagnahme von Netzdateien hat den Cyberfahnder mehrfach beschäftigt.
Die technischen und rechtlichen Grundlagen habe ich im Zusammenhang mit
der Onlinedurchsuchung (
Webdienste,
Ergebnisse) und der Durchsicht externer Speichermedien (
Onlinedurchsuchung light) entwickelt und insoweit die Position
vertreten, dass sich die Eingriffsmaßnahme allein an den Anforderungen
des
§ 94 StPO misst.
Damit habe ich insoweit recht behalten, dass beide obersten Gerichte
keine Einschränkungen im Hinblick auf die Art und Schwere der Straftaten
verlangen. Der BGH verlagert nur das Stadium des Zugriffs, indem er die
Vorschriften der Postbeschlagnahme angewendet sehen will. Das bedeutet,
dass konkrete Anhaltspunkte eine Straftat belegen und dass die Maßnahme
einen unmittelbaren Bezug zum Beschuldigten hat. Das war nicht mein
Thema und aus der Sicht der
Praxis ist diese Einschränkung unproblematisch.
Hinzu kommen formelle Einschränkungen in Bezug auf die richterliche
Bestätigung wegen Entscheidungen bei
Gefahr
im Verzug. Das macht die Arbeit nicht leichter, ist jedoch
verständlich und behindert die Strafverfolgung jedenfalls nicht
grundsätzlich.
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Das BVerfG
betrachtet die Eingriffsmaßnahme (gegen den Hostprovider) als offene
Maßnahme (
Kasten links) und macht ebenfalls keine Einschränkungen
wegen der Art und Schwere der Kriminalität (
Kasten Mitte). Dabei schwingt müde Enttäuschung mit (wenn wir hier
meckern, dann erhöht der Gesetzgeber die Strafrahmen ...).
Wegen der Formalien bestätigt das BVerfG den BGH: Es verlangt nach
konkreten Anhaltspunkten für eine Straftat und lässt sie nur in Bezug
auf den Beschuldigten (
Kasten rechts) und dann zu, wenn sachliche Fakten vorhanden sind,
dass der Zugriff zu bestimmten Beweismitteln führt. Damit wendet es sich
ab von der Systematik des Gesetzgebers, der wegen der Auffindeprognose
die auf Tatsachen fußende kriminalistische Erfahrung ausreichen lässt,
und stellt den Beschuldigten (
§ 102 StPO) dem unbeteiligten Dritten gleich (
§ 103 StPO).
Das
eröffnet eine Prognose: Die strenge
Linie, die das BVerfG hier zeigt, lässt erwarten, dass es die
Vorratsdatenspeicherung zwar nicht untersagen, ihre Durchführung jedoch
so strengen Anforderungen unterwerfen wird, dass sie einem de-fakto-Verbot
gleichkommen. Die Strafverfolgung wird dadurch so aufwendig, dass sie
personell und sachlich zu teuer werden könnte.
Diese Schlussfolgerungen ergeben sich aus den Vorgaben des BVerfG im
Übrigen:
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praktische Beschränkungen |
Hervorhebung der Durchsicht |
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Das BVerfG
wendet sich gegen die Beschlagnahme überschießender Daten (
Kasten links). Es sollen also nur die Daten in den amtlichen
Gewahrsam genommen werden, die für die Untersuchung tatsächlich von
Bedeutung sind.
Damit
stellt sich das Gericht, wie es scheint, wiederum gegen den Gesetzgeber,
der wegen der Beschlagnahme von Sachbeweismitteln ihre potenzielle
Beweisbedeutung genügen lässt.
Zwei gute Gründe sprechen für die Position des Gesetzgebers:
Erst beim Urteil kann erkannt werden, welche Fakten die sichere
Überzeugung stützen und welche Beweisketten nur flankierende Argumente
liefern. Während der Ermittlungen müssen die Optionen schlicht und
einfach offen bleiben.
Beweismittel sind nur dann überzeugungstauglich, wenn sie auch wegen
ihrer Erhebung und ihres Zusammenhangs lückenlos sind. Das BVerfG und
ihm folgend der Gesetzgeber perforieren jedoch die Beweisführung, indem
sie Löschpflichten im Zusammenhang mit dem Kernbereich der persönlichen
Lebensführung und wegen der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen
installieren.
Dabei geht es nicht darum, Kern- oder Schutzbereichsinformationen zu
verwerten, sondern darum, dem üblichen Vorwurf vorzubeugen, just die
nicht dokumentierten Spuren und Beweise wären entlastend gewesen.
Konsequent und richtig wäre es deshalb, dem von mir vorgeschlagenen
Hinterlegungsmodell zu folgen. Es verhindert Missbräuche und schafft
Rechtssicherheit im Verfahren nach dem Abschluss der Ermittlungen.
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Das BVerfG
hebt das in
§ 110 StPO beschriebene Verfahren der Durchsicht hervor.
Dabei geht es darum, aus einer Vielzahl von Schriftstücken die zu
selektieren, die im Sinne von
§ 94 Abs. 1 StPO tatsächlich von Beweisbedeutung sind (
Kasten Mitte).
Damit mischt sich das BVerfG regelnd in eine von Unsicherheit
geprägten Diskussion ein, die Mitte der neunziger Jahre vom
Ermittlungsrichter beim BGH (unbeabsichtigt) im Zusammenhang mit der
Datenbeschlagnahme ausgelöst wurde. Er verlangte vom Generalbundesanwalt
eine zügige Datenauswertung und ließ es genügen, dass bereits nach
Durchsicht eines Teils der (vorläufig) sichergestellten Daten
beweiserhebliche darunter waren. Dies reiche aus, um alle Daten (oder
ihr Surrogat auf polizeilichen Datenträgern) zu beschlagnahmen.
Darüber
geht das BVerfG jetzt hinaus und verlangt eine lückenlose Durchsicht (
Kasten rechts und
Kasten links).
Wenn schon,
denn schon: Indem das BVerfG die Position des BGH aufnimmt und die
Beschlagnahme von E-Mails den formellen Beschränkungen des
§ 99 StPO unterwirft, sieht es sie auch als geheime Ermittlung gemäß
§ 101 StPO an und verlangt nach den dort festgeschriebenen
Mitteilungs- und Belehrungspflichten (
Kasten rechts).
Damit wendet sich das Gericht ein weiteres Mal gegen den Gesetzgeber. Im
Zusammenhang mit offenen Eingriffsmaßnahmen gewährt er bislang nur
Beteiligungsrechte den unmittelbar von ihnen Betroffenen. So kann sich
der Dritte im Sinne von
§ 103 StPO gegen die Durchsuchung wehren, weil in sein
Gewahrsamsrecht eingegriffen wird, nicht aber der Beschuldigte selber.
Das dehnt das BVerfG jetzt aus. Ob das mit Bedacht geschah oder der
scheuklapperigen Entscheidungslinie des BVerfG geschuldet war, weiß ich
nicht.
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Greifen Strafverfolgungsbehörden - wie bei
Sicherstellungen und Beschlagnahmen - mit Kenntnis des
Betroffenen,
außerhalb eines laufenden Kommunikationsvorgangs auf
Kommunikationsinhalte zu, kann der auch sonst im
strafprozessualen Ermittlungsverfahren erforderliche
Anfangsverdacht einer Straftat genügen. (Rn 69)
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Mit dem verfassungsrechtlich anerkannten
Strafverfolgungsinteresse wäre es nicht vereinbar, sämtliche
E-Mails für
derartige Deliktsbereiche generell und ohne Rücksicht auf den
Einzelfall von einer Sicherstellung und
Beschlagnahme auszunehmen. Andernfalls wäre es für jeden Nutzer
ein Leichtes, belastende E-Mails durch eine
Auslagerung auf den Mailserver seines Providers dem Zugriff der
Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Insoweit
ist auch zu berücksichtigen, dass nach dem Willen des
Gesetzgebers für die Sicherstellung und Beschlagnahme von
Mitteln herkömmlicher Kommunikation gemäß § 94 StPO und § 99
StPO der Anfangsverdacht einer einfachen Straftat
genügen kann. Würden im Hinblick auf die Sicherstellung und
Beschlagnahme von E-Mails auf dem Mailserver des
Providers höhere Anforderungen gestellt, bestünde zudem die
Gefahr, dass die Strafrahmen für bestimmte
Deliktsgruppen allein deshalb erhöht würden, um bei diesen
Delikten einen Zugriff auf Daten und
Kommunikationsinhalte zu ermöglichen. (Rn 74)
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Auf die E-Mails darf nur zugegriffen werden,
wenn ein konkret zu beschreibender Tatvorwurf vorliegt, also
mehr
als nur vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen (...). Beim Zugriff
auf die bei dem Provider gespeicherten E-Mails ist auch die
Bedeutung der E-Mails für das Strafverfahren sowie
der Grad des Auffindeverdachts zu bewerten. Im Einzelfall können
die Geringfügigkeit der zu ermittelnden
Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden
E-Mails sowie die Vagheit des Auffindeverdachts
der Maßnahme entgegenstehen. (Rn 79)
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Bei dem Vollzug von Durchsuchung und Beschlagnahme -
insbesondere beim Zugriff auf umfangreiche elektronisch
gespeicherte Datenbestände - sind die verfassungsrechtlichen
Grundsätze zu gewährleisten, die der Senat in seinem
Beschluss zur Durchsuchung und Beschlagnahme eines umfangreichen
elektronischen Datenbestands (...) entwickelt hat. Hierbei ist vor allem darauf zu
achten, dass die Gewinnung überschießender, für das
Verfahren bedeutungsloser Daten nach Möglichkeit vermieden wird.
Die Beschlagnahme sämtlicher gespeicherter Daten
und damit des gesamten E-Mail-Verkehrs wird regelmäßig nicht
erforderlich sein. (Rn 81)
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Eine sorgfältige Sichtung und Trennung der E-Mails nach ihrer
Verfahrensrelevanz wird am Zugriffsort nicht immer
möglich sein. Sofern die Umstände des jeweiligen
strafrechtlichen Vorwurfs und die - auch technische -
Erfassbarkeit des Datenbestands eine unverzügliche Zuordnung
nicht erlauben, muss die vorläufige Sicherstellung
größerer Teile oder gar des gesamten E-Mail-Bestands erwogen
werden, an die sich eine Durchsicht gemäß § 110 StPO
zur Feststellung der potenziellen Beweiserheblichkeit und
-verwertbarkeit der E-Mails anschließt. (Rn 87)
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Das Verfahrensstadium der Durchsicht gemäß § 110 StPO ist der
endgültigen Entscheidung über den Umfang der
Beschlagnahme vorgelagert (...). Es entspricht dem Zweck des §
110 StPO, im Rahmen des
technisch Möglichen und Vertretbaren lediglich diejenigen
Informationen einem dauerhaften und damit vertiefenden
Eingriff zuzuführen, die verfahrensrelevant und verwertbar sind.
Während das Verfahren der Durchsicht auf der
Grundlage der vorläufigen Sicherstellung zum Zweck der
Feststellung der potenziellen Beweiserheblichkeit und -verwertbarkeit auf die Vermeidung eines dauerhaften und
umfassenden staatlichen Zugriffs nebst den hiermit
verbundenen Missbrauchsgefahren abzielt, würde bei einer
endgültigen, bis zum Verfahrensabschluss wirkenden
Beschlagnahme des gesamten E-Mail-Bestands der staatliche
Zugriff zeitlich perpetuiert und damit erheblich
intensiviert. (Rn 88)
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Eine endgültige Beschlagnahme liegt noch nicht vor. Sie hat sich
auf konkrete Gegenstände zu beziehen, deren
Beweiseignung und Beschlagnahmefähigkeit gegenstandsbezogen zu
prüfen sind. Das dafür vorgesehene und der
Beschlagnahme vorgelagerte Stadium der Durchsicht ist vorliegend
noch nicht abgeschlossen. Die Durchsicht dient
dazu, verfahrensrelevante von unerheblichen Daten zu trennen, um
die Beschlagnahme sodann nur auf den relevanten
Teil des Datenbestands zu erstrecken. Die E-Mails wurden indes
noch nicht vollständig auf ihre
Beweiserheblichkeit hin durchgesehen, weil das
Bundesverfassungsgericht die weitere Durchsicht im Wege einer
einstweiligen Anordnung unterbunden hat. (Rn 106)
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Die nach Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Unantastbarkeit der
Menschenwürde fordert auch im Gewährleistungsbereich
des Art. 10 GG Vorkehrungen zum Schutz individueller Entfaltung
im Kernbereich privater Lebensgestaltung. ... Es
muss sichergestellt werden, dass Kommunikationsinhalte des
höchstpersönlichen Bereichs nicht gespeichert und
verwertet werden, sondern unverzüglich gelöscht werden, wenn es
ausnahmsweise zu ihrer Erhebung gekommen ist ...
(Rn 90)
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Werden auf dem Mailserver des Providers gespeicherte E-Mails
ausnahmsweise ohne Wissen des Postfachinhabers
sichergestellt, so ist dieser so früh, wie es die wirksame
Verfolgung des Ermittlungszwecks erlaubt, zu
unterrichten. Andernfalls könnte er weder die Unrechtmäßigkeit
der Erfassung noch etwaige Rechte auf Rückgabe
oder Löschung der Daten geltend machen ... (Rn 94)
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Anmerkungen |
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(1)
Beschlagnahme von E-Mails
(2)
BVerfG, Beschluss vom 16.06.2009 - 2 BvR 902/06
(3)
siehe auch:
Bundesverfassungsgericht erlaubt Ermittlern Zugriff auf E-Mails beim
Provider, Heise online 15.07.2009
Peter Nowak, Im Zweifel für die Ermittlungsbehörden,
Telepolis 16.07.2009
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Cyberfahnder |
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© Dieter Kochheim,
11.03.2018 |