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Die Überlastung der Justiz in diesen Fragen dürfe nicht dazu führen
zu glauben, dass man sich nunmehr in einem „rechtsfreien Raum“ befände.
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Unterhalb der Leistungsmöglichkeiten und –bereitschaft der Staatsanwaltschaften könnten einige der Belange auf zivilrechtlichem Wege eingefordert werden. (2)
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Am
11.08.2009 traf sich auf Einladung des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Technologie in Berlin eine erste Expertenrunde zu dem "Wirtschaftsdialog
für mehr Kooperation bei der Bekämpfung der Internetpiraterie" (1).
Ein Mitarbeiter des Ministeriums, Wolf Siegert, hatte die undankbare
Aufgabe, die dabei abgesonderten Sprechblasen zu einem Ergebnisprotokoll
zusammen zu fassen
(2).
Die Herkunft der Experten lässt vermuten, was sie unter
Internetpiraterie verstehen: Bereitstellen und Nutzung urheberrechtlich
geschützter Werke in öffentlich zugänglichen Datennetzen und vor allem durch
File-Services und Peer-to-Peer-Verbindungen.
Aus dem Ergebnisprotokoll erfährt man nichts dazu. Es beschränkt sich
auf
jene
Positionen ... die ... neue Horizonte für die weitere Debatte eröffnet
haben. (S. 7)
Eine solche Position stammt von Herrn Engeln:
Das Netz
brauche ... keine neuen Regeln, sondern endlich bezahlbare und
benutzbare Inhalte. (S. 8) Das wird nicht vertieft. Statt dessen
geht es um Sanktionen, die nicht zu einer breiten Kriminalisierung
führen dürften, um Änderungen in den Nutzungsbedingungen der
Zugangsprovider, um die Ansprache der Betroffenen, den Ausbau legaler
Angebote,
damit sie
attraktiver und ... konkurrenzfähiger sind (S. 9), und um
Geschäftsmodelle.
Und schließlich:
Es müsse ein
deutlicher Unterschied gemacht werden zwischen
... „Einzeltätern“ und den als kriminell zu kennzeichnenden
Machenschaften, denen nur noch mit dem Strafrecht begegnet
werden könne. (S. 10)
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Genau an
dieser Deutlichkeit fehlt es allerorten
(3).
Kriminelle Geschäftemacher müssen verfolgt werden
(5).
Nur, darum geht es den "Piraten" nicht. Sie stellen geschütztes Material
kostenlos zur Verfügung und schmälern die Einnahmen der Verwerter
besonders dort, wo es um Vorpremierenfilme oder die Zweitverwertung geht
beziehungsweise um Musik aus den Charts. Insoweit habe ich sogar
Verständnis für die Jammerei.
Wichtige Stichworte fehlen hingegen:
Vertrauensbildung und
Kundenbindung. Die Erfahrungen aus der
Vergangenheit zeigen nämlich, dass die Urheberrecht-Verwerter ihre
Kunden eher als Feinde angesehen haben, die sie gerne auch mit
Schlechtleistungen beliefern. Sie haben das Digital Rights
Management eingeführt und die Käufer unter einen Generalverdacht
gestellt, Un-CDs verkauft, die bewusst technische Standards brechen und nicht abspielbar sind, sowie teure Zusammenstellungen, deren Schrott auch
noch
bezahlt werden soll. Und nicht zuletzt haben sie die unsäglichen
Raubkopierer=Verbrecher-Kampagnen durchgeführt und unterstützt.
Herrn Hebigs Forderung nach einer
End- to-End
Neutralität des Internets (S. 12), verbunden mit einer sanften
Kritik an die eingeführten Websperren, bleibt eine einsame Stimme im
Protokoll:
wer die
Freiheit aufgäbe, um Sicherheit zu gewinnen, würde am Ende beides
verlieren.
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Das
Bundesverfassungsgericht hat wiederholt die unabweisbaren
Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und
Verbrechensbekämpfung hervorgehoben und das öffentliche
Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung
im Strafverfahren – zur Überführung von Straftätern ebenso wie
zur Entlastung Unschuldiger – betont.
(6) |
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Zu guter
Letzt kommt der Appell gegen den rechtsfreien Raum (
links oben, S. 13).
Ein rechtsbesetzter Raum braucht jedoch klare,
verständliche und besonders solche Regeln, die die Interessen aller am
Markt Beteiligten berücksichtigen. Davon sind die "Körbe" mit den
Urheberrechtsreformen weit entfernt. Sie disqualifizieren sich durch
kurzgedachte Verfahren und sinnleere Begriffe wie das
gewerbliche Ausmaß.
Auch an die
Justiz hat die Expertenrunde gedacht, ohne dass deutlich wird, auf was
sie hinaus will (
links unten, S. 13). Die Rede ist von der begrenzten Leistungsfähigkeit
und fehlenden Leistungsbereitschaft der Staatsanwaltschaft. Diese
zurückhaltenden Worte lassen Zweifel daran aufkommen, ob die Experten
wissen, wovon sie reden.
Hinter der "Leistungsbereitschaft" stehen drei Aspekte:
die
personellen und sachlichen Ressourcen,
die
Schwerpunktsetzung bei der Kriminalitätsbekämpfung, soweit das unter dem Legalitätsprinzip möglich ist (
§ 152 Abs. 2 StPO), und
die
Strafverfolgung als Anliegen der Öffentlichkeit
(6).
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Die Leistungsfähigkeit der Strafverfolgung (und der Rechtspflege
insgesamt) ist dann ein besonderes Anliegen der Öffentlichkeit, wenn
sonst eine allgemeine Verunsicherung, ein Klima der Angst oder
Verelendung zu befürchten wären oder das Zusammenleben in Freiheit und
Gleichheit gefährdet würde - um die wesentlichen Bedürfnisse zu
kennzeichnen.
Unter diesen Gesichtspunkten könnten sich die Straftaten von
Taschendieben, Wohnungseinbrechern und Skimming-Tätern oder besoffenen
Autofahrern, Schlägern und Betrügern als erheblich gefährlicher für das
öffentliche Klima erweisen als Raubkopien von Hitparaden-Songs und
filmischen Liebesschnulzen.
Bei der
"Expertenrunde" sind zwei Lobbyistengruppen aufeinander gestoßen. Die
Verwerter wollen ihre Einnahmen sichern und die Zugangsprovider teure
Begehrlichkeiten im Zusammenhang mit Auskünften, Sperren und Warnungen
abwenden, wobei sie auch ein Kapazitätsproblem haben, das sich in den
Bandbreiten wegen des Downloads äußert.
Der Wirtschaftsdialog zwingt die Beteiligten, von bornierten
Maximalforderungen abzurücken - ich nenne das das Gitte-Prinzip
(7)
- und in Kooperationen zu denken, die auch die Interessen des anderen
berücksichtigen.
Jetzt fehlt noch die Einbindung der wichtigsten Gruppe: Die zahlenden
Käufer.
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(1)
Expertenrunde im Wirtschaftsministerium diskutiert Internet-Piraterie,
Heise online 21.08.2009
(2)
Workshops zum Wirtschaftsdialog für mehr Kooperation bei der Bekämpfung
der Internetpiraterie, BMWi 18.08.2009;
Zitat: S. 13
(3)
Spitzenreiter bei Google:
Horst Soltysiak, Was bedeutet Internet-Piraterie,
Copypolice 15.06.2005
(4)
(RAe) Schutt, Waetke, Internetpiraterie-Portal (mit ausgesuchter
Rechtsprechung zur Unterstützung des eigenen Geschäftsmodells)
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(4) Hinweis zur Fortbildung: In der deutschen Sprache leitet das
Fragewort "was" einen Fragesatz ein, der mit einem Fragezeichen
abschließt. Das sieht so aus: ?
(5)
dreiste Geschäfte mit Fälschungen
(6)
BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 - 1 BvR 1550/03, 2357/04,
603/05 (Auskunftsansprüche gegenüber dem BaFin)
(7)
"ich will alles und das sofort" (Song, 1982)
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