spektakulärer Freispruch vom BGH
ist ein SEK-Einsatz
rechtswidrig?
Mit seiner
plausiblen und dennoch höchst unerfreulichen Entscheidung hat der BGH
ein führendes Mitglied der Hells Angels vom Totschlag an einem
Polizeibeamten freigesprochen
(1).
Das Gericht ist seiner Einlassung gefolgt, wonach er sich eines Angriffs der
rivalisierenden Bandidos und in ernsthafter Gefahr wähnte. Außerdem hat
sich der SEK-Beamte trotz seiner Aufforderung einfach nicht "verpisst",
wie er zitiert wird. Der Hells Angels feuerte ohne Warnschuss zwei
Kugeln ab und eine davon drang neben der Schutzweste in den Oberkörper des Beamten ein.
Der BGH
sieht den Angeklagten in einem Irrtum über Tatumstände (Rn 21,
§ 16
Abs. 1 Satz 1 StGB), hier einer Notwehrsituation (
§ 32 StGB):
Wird eine
Person rechtswidrig angegriffen, dann ist sie grundsätzlich dazu
berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige
Beseitigung der Gefahr gewährleistet; der Angegriffene muss sich nicht
mit der Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel begnügen,
wenn deren Abwehrwirkung zweifelhaft ist. Das gilt auch für die
Verwendung einer Schusswaffe <Rn 23>.
Mich
erschreckt eigentlich eine andere Passage in dem Urteil des BGH:
Eine
Notwehrlage hätte für <den Angeklagten> vorgelegen, wenn der
Polizeieinsatz in seiner konkreten Gestalt nicht rechtmäßig war. Gegen
die Rechtmäßigkeit könnte sprechen, dass es sich bei einer Durchsuchung
um eine grundsätzlich offen durchzuführende Maßnahme handelt. Ob sich
für das konkrete Vorgehen der Polizei in den
§§
102 ff. StPO eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ergibt (...),
kann zweifelhaft sein.
§
164 StPO erlaubt ein Einschreiten nur gegen eine tatsächlich
vorliegende oder konkret bevorstehende Störung der Durchsuchung (...).
Ob präventiv-polizeirechtliche Regeln das Verfahren der
strafprozessualen Durchsuchung abändern können, ist fraglich (...)
<Rn 19>.
In der Tat,
die Polizei hat nicht geklingelt und freundlich um Einlass gebeten, um
einen Durchsuchungsbeschluss zu vollstrecken. Statt dessen hat sie ein
SEK eingesetzt.
Weil der Angeklagte als gewaltbereit eingeschätzt wurde und - mit
behördlicher Erlaubnis - über Schusswaffen verfügte, beschloss das
Landeskriminalamt, dass ein Spezialeinsatzkommando eingesetzt werden
solle, um gewaltsam in das Haus des Angeklagten einzudringen, diesen im
Schlaf zu überraschen, eine "stabile Lage" herzustellen und eine
ungestörte Durchsuchung zu ermöglichen <Rn 7>.
Der BGH lässt die Frage nach der
Rechtswidrigkeit dahinstehen. Musste aber Mal gesagt werden. Warum aber?
Der
gedankliche Ausflug des BGH ist eine Schwadronade auf hohem Niveau, der
den Gedanken an Weltfremdheit aufkommen lässt. Der Angeklagte ist nicht
einfach nur ein bäriger Motorradfreund, sondern der "Sergeant at Arms"
seines Chapters und als solcher nicht nur
für die Disziplin und Ordnung oder für
Beschaffung und Verkauf von "Support"-Artikeln, wie Jacken, Hemden
und Kappen mit Emblemen der "Hells Angels", zuständig <Rn 2,3>,
sondern vor Allem für das Waffenarsenal der Gang, das nach
journalistischen und literararischen Quellen eher aus Kriegs- als aus
Spielzeugwaffen bestehen muss. Das sagt schon sein Titel.
Eine
gefährliche Schwadronade, weil sie den Aspekt der Eigensicherung völlig
ausblendet. Die Zeiten des unbewaffneten Bobbies auf Londoner Straßen
sind lange vorbei. Bei jeder Maßnahme muss sich die Polizei Gedanken
darüber machen, welchen Gefahren ihre Beamten ausgesetzt sein können.
Bei gewalttätigen oder mit Schusswaffen ausgestatteten Tätern kann
höfliches Klingeln tödlich sein. Die polizeiliche Eigensicherung wird
vom Gesetzgeber auch im Strafverfahrensrecht verschämt, aber doch ausdrücklich anerkannt (
§ 161 Abs. 3 StPO).
Zudem eine
sachlich falsche Schwadronade. Ob sich rechtlich eine Eingriffsmaßnahme
als offene oder heimliche darstellt, orientiert sich an der Maßnahme als
ganze und nicht daran, wie sie taktisch eingeleitet und durchgeführt
wird. Hier sollte keine Durchsuchung verheimlicht, sondern offen und
anfechtbar durchgeführt werden. Der Betroffene sollte nur die
eingesetzten Beamten nicht verletzen oder töten können. Die Taktik hat
sich hier als fatal falsch erwiesen. Das stellt den Einsatz eines
Rollkommandos aber nicht grundsätzlich in Frage.
Die Frage nach der Verhälnismäßigkeit der Taktik
darf die Durchführung der Eingriffsmaßnahme nicht grundsätzlich von der
Gefährlichkeit des Betroffenen abhängig machen. Seine
Persönlichkeitsrechte dürfen nicht überzogen beeinträchtigt werden,
darüber gilt es nicht zu streiten. Der Strafverfolgungsanspruch der
Allgemeinheit darf aber auch nicht so weit verdrängt werden, dass der
Eindruck entsteht: Gegen Subkulturen und Parallelgesellschaften
bestimmter Ausprägungen darf der Staat nicht mehr vorgehen, weil diese
ganz ganz böse und unberechenbar werden können.
Ob die polizeilichen Überlegungen über Taktik
und Verhältnismäßigkeit immer richtig sind, ist eine andere Frage und
Anlass für Streite, von denen ich schon einige (und vielleicht zu viele)
hinter mir habe. Insoweit mögen sich polizeiliche Überzeugungswelten
verselbständigt und seitens der Staatsanwaltschaft zu wenig hinterfragt
worden sein. Sie hat aber die Gesamtverantwortung für das
Ermittlungsverfahren und muss leitend eingreifen.
Wenn ich im Zweifel bin, akzeptiere ich das
geschulte polizeiliche Bauchgefühl bei der Gefahreneinschätzung - nicht
ohne kritische Nachfragen wegen der Entscheidungsgrundlagen, womit ich
auch wieder anecke. Nach der Sachverhaltsschilderung des BGH hätte ich
keine Zweifel daran gehabt, dass ein SEK eingesetzt werden muss.
Auch aus
einem anderen Grund ist es eine sachlich falsche Schwadronade. Die Frage nach
dem Störer (
§ 164 StPO) stellt sich tatsächlich erst während der Durchführung
einer strafprozessualen Eingriffsmaßnahme. Er kann während der Maßnahme
und längsten bis zum nächsten Tag weggesperrt werden. Das hat aber
nichts mit der Planung und taktischen Durchführung der Eingriffsmaßnahme
zu tun, auf die der BGH in diesem Fall anspricht.
Das
Maßnahmenvollzugsrecht ist Polizeirecht und der Gesetzgeber hat es
versäumt, ein eigenes Vollzugsrecht im Strafverfahrensrecht einzuführen.
Das mag falsch sein, aber erst 2007 hat der Gesetzgeber dieses
Nebeneinander von Eingriffsrecht (StPO) und Vollzugsrecht (Polizeirecht)
verbunden, indem er
§ 161 Abs. 3 StPO schuf. Dieses System entscheidend in Frage zu
stellen, steht nicht dem BGH, sondern nur dem BVerfG an.
Der Vorsitzende des vierten Senats des BGH würde sagen, dass die
Infragestellung des SEK-Einsatzes in dieser Entscheidung nicht tragend
war. Damit hätte er Recht und wir könnten alle "ja ja ja" sagen, was
seit Brösel als ein Synonym für ein Zitat von Götz von Berlichingen
gilt. Da die Schwadronade aber in der Welt ist, musste ihr etwas
entgegen gesetzt werden. "Ja ja ja" gegen meine Worte höre ich vorausschauend.
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