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28.04.2012
Die
Pflichten eines Ermittlungsrichters im Zusammenhang mit einer
gerichtlichen Vernehmung hat der BGH herausgearbeitet und ziemlich
deutlich formuliert
(1):
Ein zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge wird regelmäßig deshalb
durch den Ermittlungsrichter vernommen, weil bei einer späteren - aus
welchen Gründen auch immer erfolgten - Zeugnisverweigerung nur die
Aussage des Ermittlungsrichters über die Angaben des Zeugen verwertbar
ist. In derartigen Fällen, erfahrungsgemäß oft Gewalt- und/oder
Sexualdelikte zum Nachteil von Frauen oder Kindern, hat der
Ermittlungsrichter daher die Pflicht, sich
schon während der von ihm durchgeführten Vernehmung intensiv darum zu
bemühen, sich den Aussageinhalt einzuprägen.
Ausfluss dieser Pflicht
des Ermittlungsrichters ist es auch, dann, wenn seine Vernehmung als
Zeuge ansteht, die Vernehmungsniederschriften
einzusehen, um sich erforderlichenfalls die Einzelheiten ins Gedächtnis
zurückzurufen (...).
Es handelt
sich um eine ergänzende, "nicht tragende" Bemerkung, der ich nur ungern
widerspreche. Der Zeuge, auch wenn er ein Polizeibeamter oder ein
Richter ist, hat keine Editionspflicht. Niemand kann ihn zwingen,
Unterlagen zu suchen und sich anhand seiner Aufzeichnungen die
Erinnerungen aufzufrischen. Wenn er das tut, ist das gut und schön. Eine
Pflicht dazu, sich Aussageinhalte einprägen oder ins
Gedächtnis zurückrufen zu müssen, ist nirgendwo gesetzlich geregelt und
kann allenfalls aus dem Beamtenrecht beim Polizisten und aus seiner
verfassungsrechtlichen Stellung beim Richter abgeleitet werden. Das ist
Kasuistik und weit entfernt von geschriebenem Recht. "Pflichten"
kann auch der BGH nicht daraus machen.
Nehmen wir das obiter dictum als freundlichen Appell an die
Professionalität der Beamten und Richter und streichen das Wort "Pflicht".
Dann wird ein Schuh draus und ein Anspruch, den jeder Funktionsträger in
der Exekutive und in der Judikative an sich selber stellen sollte. Eine
"Pflicht" besteht jedenfalls nicht, auch wenn der geschätzte 1.
Strafsenat das sagt.
Ein
Beschuldigter hat seiner Frau "etwas Schlimmes" angetan. Danach verließ
er sie lebend und weiß nicht, dass sie inzwischen an den Folgen
verstorben ist. Darf die Polizei die Tatsache des Todes in der
Beschuldigtenvernehmung verschweigen?
Der BGH bestätigt, dass der Vernehmungsbeamte nicht sein vollständiges
Wissen offenbaren muss, wenn er den Beschuldigten vernimmt (
§§ 136,
136a
StPO)
(2).
Er muss ihm aber den Grund und die Tat erklären, die ihn in die Rolle
des Beschuldigten gebracht hat
(3).
Dazu gehört auch, dass das Opfer an der schlimmen Behandlung gestorben
ist:
Hier geht es aber um die „Tat“ als solche, nicht deren rechtliche
Bewertung.
Unbeschadet der - stets gegebenen, praktisch besonders bei
polizeilichen Vernehmungen bedeutsamen - Möglichkeit, aus
ermittlungstaktischen Gründen nicht stets jedes schon bekannte Detail
offen zu legen, ist dem Beschuldigten der ihm vorgeworfene Sachverhalt
zumindest in groben Zügen zu eröffnen (...). Hinsichtlich der Ausgestaltung
der Eröffnung im Einzelnen hat also der Vernehmende einen gewissen
Beurteilungsspielraum. Dessen Grenzen sind jedoch überschritten, wenn
dem Beschuldigten eines Gewaltdelikts der Tod des Opfers nicht eröffnet
wird. Ohne Hinweis auf diesen die Tat prägenden Gesichtspunkt ist sie nicht einmal in groben Zügen eröffnet. Der ohnehin
nicht sehr klare Hinweis, es gehe um das „Schlimme“, was der
Beschuldigte dem Tatopfer angetan habe, reicht daher nicht aus.
(1)
BGH, Urteil vom 21.03.2012 1 - StR 43/12, Rn 15
(2)
BGH, Beschluss vom 06.03.2012 - 1 StR 623/11, Rn 43
(3)
Das polizeiliche Lehrbeispiel ist das rechtlich falsche "Verkehrsquiz".
Verkehrsteilnehmer dürfen von der Polizei anlasslos angehalten werden (
§ 36 Abs. 5 StVO). Dann ist die Ansage aber "Allgemeine
Verkehrskontrolle". Gibt es einen Anlass, zum Beispiel eine
Geschwindigkeitsüberschreitung, so ist das zu sagen. Falsch ist
jedenfalls: "Wissen Sie, was Sie gerade falsch gemacht haben?" Verkehrsquiz eben.
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28.04.2012
Dort,
wo Aussage gegen Aussage steht, ist die Beweiswürdigung besonders
wichtig und die Überzeugungsbildung anspruchsvoll. Das ist besonders
häufig der Fall, wenn es um Menschenhandel oder Sexualdelikte geht, über
die nur der Angeklagte selber und das Opfer etwas aussagen können. Über
den Umgang mit solchen Konstellationen sagt der BGH zu Recht
(1):
Auch
soweit die Strafkammer darauf hingewiesen hat, dass die Nebenklägerin
ein Rachemotiv für eine Falschbelastung des Angeklagten gehabt habe,
liegt kein Rechtsfehler vor. Die Existenz
eines solchen Motivs besagt zwar für sich genommen noch nicht, dass die
Nebenklägerin aus diesem Rachegedanken heraus tatsächlich einen unwahren
Vorwurf erhoben hat. In der Zusammenschau mit weiteren
Umständen, wie dem auffälligen Verhalten der Nebenklägerin nach dem 6.
April 2009, die anfangs noch unbeeinträchtigt weiter mit dem Angeklagten
zusammengearbeitet hatte, später aber angeblich schwer traumatisiert
war, gewinnt das Vorhandensein eines Falschbelastungsmotivs jedoch an
Beweisbedeutung.
Für hart
Gesottene ein Beispiel mit erheblichem Ekelfaktor: Blasen- und
Analkatheter bei einer 17-Jährigen. Der vom BGH gezogene Schluss rückt
die Verhältnisse wieder ins rechte Licht
(2):
Jedoch
kommt es bei objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren
Erscheinungsbild, eindeutig sexualbezogenen Handlungen auf die
Motivation des Täters nicht an. Gleichgültig ist deshalb, ob er die
Handlung etwa aus Wut, Sadismus, Scherz oder Aberglaube vornimmt. Auch
eine sexuelle Absicht des Täters ist bei solchen Handlungen - im
Unterschied zu äußerlich ambivalenten Handlungen - nicht erforderlich.
Insoweit reicht es aus, wenn sich der Täter der Sexualbezogenheit seines
Handelns bewusst ist (
BGHR StGB § 178 Abs. 1 Sexuelle Handlung 6;
BGH NStZ-RR 2008, 339, 340; ...).
(1)
BGH, Urteil vom 07.03.2012 - 2 StR 565/11, Rn 13
(2)
BGH, Urteil vom 14.03.2012 - 2 StR 561/11, Rn 20
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28.04.2012
Auf
Grundsätzliches greift der BGH auch zurück, wenn es um die gebotene
Sachaufklärung im Zusammenhang mit einem Geständnis geht. Der 3.
Strafsenat zieht die Schrauben wieder einmal an
(1):
Das deutsche
Strafprozessrecht wird von dem Grundsatz beherrscht, dass die Gerichte
von Amts wegen den wahren Sachverhalt aufzuklären haben ( § 244 Abs. 2 StPO). Auf dieser Grundlage ( § 261 StPO) ist der Schuldspruch zu treffen
und sind die entsprechenden Rechtsfolgen festzusetzen. Dieser Grundsatz
darf - schon wegen der Gesetzesbindung des Richters ( Art. 20 Abs. 3 GG)
- nicht dem Interesse an einer einfachen und schnellstmöglichen
Erledigung des Verfahrens geopfert werden. Es ist daher unzulässig, dem
Urteil einen Sachverhalt zu Grunde zu legen, der nicht auf einer
Überzeugungsbildung unter vollständiger Ausschöpfung des
Beweismaterials beruht. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte -
unter Umständen im Rahmen einer Verfahrensabsprache - geständig zeigt.
Zwar unterfällt auch die Bewertung eines Geständnisses dem Grundsatz der
freien richterlichen Beweiswürdigung. Das Tatgericht muss allerdings,
will es die Verurteilung des Angeklagten auf dessen
Einlassung stützen, von deren Richtigkeit überzeugt sein ( BGH, Urteil
vom 10. Juni 1998 - 2 StR 156/98 ...). Es ist deshalb stets zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis
mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren ist, ob es in sich stimmig
ist und ob es die getroffenen Feststellungen trägt (st. Rspr.; vgl.
etwa
BGH, Beschluss vom 11. Dezember
2008 - 3 StR 21/08 ...). Die Beschränkung der Beweiswürdigung im Wesentlichen auf den
bloßen Hinweis, der Angeklagte sei geständig gewesen, genügt
insbesondere dann nicht, wenn aufgrund der Komplexität und der
zahlreichen Details des festgestellten Sachverhalts Zweifel bestehen
können, dass der Angeklagte an das Tatgeschehen eine auch in den
Einzelheiten genügende Erinnerung hat ( BGH, Beschluss vom 5. Dezember
1995 - 4 StR 698/95 ...).
Es ist ja
nicht so, dass ich dem ernsthaft widersprechen will. Nur weiß ich nicht,
worüber sich der BGH wirklich erregt. Konsens ist ein beherrschendes
Prinzip der Demokratie und des Rechtsstaats. Wenn es eine konsensuale
Verständigung gibt und der Angeklagte dennoch Revision einlegt, muss
eine gewisse böse Absicht jedenfalls in Gedanken bewegt werden.
Dealgespräche haben einen typischen Ablauf und die schlechteren Richter
eröffnen sie mit den Worten: "Na, Herr Staatsanwalt, was haben Sie
sich denn so vorgestellt?"
Alle Beteiligten setzen dabei ihr Pokerface auf und ich sage in aller
Regel: "Das gesetzliche Höchstmaß der Freiheitsstrafe sind 15 Jahre"
(
§ 38 Abs. 2 StGB) oder: "Die Strafgewalt des Amtsgerichts reicht
bis 4 Jahre Freiheitsstrafe" (
§ 24 Abs. 2 GVG). Das löst immer Unmut bei allen Anderen aus.
Viel
schöner wäre es doch, wenn die übliche Strategie ziehen würde: Zunächst
äußert die Staatsanwaltschaft ihre (völlig überzogenen)
Strafvorstellungen, dann verständigt man sich auf eine Strafhöchstgrenze,
die nach der Anklage gerade noch schuldangemessen ist, und zähneknirschend
auf eine Strafmindestgrenze in Bezug auf die Vorwürfe in der
Anklageschrift (Ob das mein Mandant mitmachen kann?). Dann
kommt die formelhafte Erklärung des Verteidigers, dass die und die
Anklagevorwürfe eingeräumt werden, die und die aber nicht oder anders.
Gutes Recht, will man meinen. Damit wird aber immer mehr an der
bindenden Zusage der Strafverfolgung gepuhlt und am Ende Rechtsmittel
eingelegt mit der klaren Erkenntnis, dass der zweite Aufguss allein
wegen Zeitablaufs billiger wird. Jede Abschwächung der Vorwürfe führt
dann zur Strafverringerung, was wegen der Gesamtstrafe und der gebotenen
Gesamtwürdigung keineswegs zwingend wäre.
Solche
Verständigungen, bei denen allein das Gericht oder die
Staatsanwaltschaft die sinnbildlichen Hosen runter lassen müssen und
dann ziemlich dumm dastehen, sind einem Rechtsstaat unwürdig und der BGH
fördert das auch noch. Er könnte auch sagen: Der Angeklagte, der ein
ernsthaftes Entgegenkommen veranlasst, kann zwar den rechtsstaatlichen
Prozess überprüfen lassen, nicht aber die Beweiswürdigung, die
gerichtliche Überzeugung und auch nicht die Strafzumessung. In anderem
Zusammenhang macht das der BGH häufiger und das besonders dann, wenn er
meint, dass der Angeklagte noch billiger nicht davon kommen darf.
(1)
BGH, Beschluss vom 07.02.2012 - 3 StR 335/11, Rn 5
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Täterschaft und Beihilfe bei der Beutesicherung
28.04.2012
Die
Angeklagten haben Mule-Accounts zu Verfügung gestellt und darüber
eingehende Zahlungen illegaler Herkunft weiter geleitet. Mit anderen
Worten: Sie sind Finanzagenten. Wie das eingehende Geld erlangt wurde,
war ihnen jedoch nicht bekannt. Das Landgericht Wuppertal hat
insoweit die Ansicht vertreten, eine der Angeklagten habe
zumindest mit
bedingtem Vorsatz gehandelt, da "sie bewusst in Kauf genommen" habe, "jedwede,
den Umständen nach nicht fernliegende Art von Vermögensdelikten,
insbesondere auch Delikte des Computerbetrugs durch ihr Verhalten zu
unterstützen". Ebenso habe der Angeklagte V. den subjektiven Tatbestand
der Beihilfe zum Computerbetrug erfüllt. Auch wenn er Einzelheiten dazu,
wie die Gelder auf die Konten gelangt seien, nicht "konkret" gekannt
habe, sei ihm doch bewusst gewesen, dass es sich um etwas "Illegales"
gehandelt habe. Er habe dies nicht weiter hinterfragt und damit "bewusst
in Kauf genommen, irgendeine, nicht fernliegende Art von
Vermögensdelikten, darunter auch einen etwaigen Computerbetrug, durch
sein Verhalten zu unterstützen".
(1)
Das genügt
dem BGH nicht, weil er nach einer genauen Tatbeteiligung beim Phishing
fragt. Die Kontomanipulation ist ein Computerbetrug (
§ 263a StGB), auf den die Grundsätze des Betruges anzuwenden sind (
§ 263 StGB). Während beim Betrug ein menschlicher Irrtum erregt und
missbraucht wird, wird beim Computerbetrug ein Datenverarbeitungsvorgang
manipuliert. Beide Tatbestände verlangen aber noch mehr: Es muss zu
einer Vermögensverfügung kommen, die in gleicher Höhe zu einem
rechtswidrigen Vermögenszuwachs beim Täter führt (Stoffgleichheit). Die
tatbestandliche Vollendung erfolgt deshalb in aller Regel, sobald das
manipulierte Konto belastet und der angewiesene Betrag auf den Weg
gebracht ist.
Damit hat sich der Täter die Beute aber noch nicht gesichert und die Tat
deshalb noch nicht beendet. Erst beim Eingang der Beute auf dem
Mule-Account des Finanzagenten tritt die Beendigung ein, so dass dieser
Finanzagent auch Gehilfe beim Computerbetrug ist.
Was ist aber, wenn über mehrere Mule-Accounts die Beute weiter geleitet
wird? Dann ist das Grunddelikt beendet und kommt keine Beihilfe mehr in
Betracht, sondern eine strafbare Begünstigung (
§ 257 StGB)
(2):
Der neue Tatrichter wird bei der Bewertung der
Tatbeiträge der Angeklagten zu berücksichtigen haben, dass Beihilfe nur
bis zur materiellen Beendigung der Haupttat, also bis zur endgültigen
Sicherung ihres Erfolges, möglich ist. Danach kommt nach Maßgabe des
§
257 Abs. 3 StGB eine Strafbarkeit wegen Begünstigung in Betracht. Von
einer materiellen Beendigung solcher Taten des Computerbetruges, bei
denen aufgrund einer Manipulation des Datenverarbeitungsvorgangs
Geldbeträge von Konten der Geschädigten auf Empfängerkonten geleitet
werden, ist auszugehen, sobald entweder das überwiesene Geld vom
Empfängerkonto abgehoben oder auf ein zweites Konto weiterüberwiesen
worden ist.
Die
fürsorglichen Belehrungen über die Natur der Beihilfe gehen noch etwas
weiter
(3):
Fördert der Gehilfe dieselbe Tat durch mehrere Handlungen, dann bleibt
es bei einer Beihilfetat.
Fördert der Gehilfe mit einer Handlung mehrere Haupttaten, dann ist er
auch nur einmal Gehilfe, auch wenn die Täter mehrere materielle Taten
begehen.
Leistet der Gehilfe allerdings nicht nur durch eine Beihilfehandlung zu
verschiedenen Haupttaten, sondern zusätzlich zu jeder Haupttat noch
durch weitere selbständige Unterstützungshandlungen Hilfe im Sinne des
§ 27 Abs. 1 StGB, so
stehen die Beihilfehandlungen für jede
Haupttat im Verhältnis der Tatmehrheit
zueinander (vgl.
BGH, Beschluss vom 4. März 2008 - 5 StR
594/07 ...;
Beschluss vom 22.
September 2008 - 1 StR 323/08 ...).
Das hat Bedeutung, wenn über das Konto des
Finanzagenten die Beute aus mehreren Taten geleitet wird:
Sollte
der neue Tatrichter daher feststellen, dass die Angeklagte E. nicht nur
im Sinne einer Beihilfehandlung für mehrere Haupttaten Konten zur
Verfügung gestellt oder einen Dritten als Empfänger von durch
Computerbetrug erlangter Überweisungen gewonnen, sondern im Stadium
zwischen Vollendung und Beendigung der Haupttat durch das Abheben von
Geldern vom ersten Empfängerkonto Hilfe geleistet hätte, hätte er auf
dieser Grundlage von mehreren Beihilfetaten im Sinne des
§ 53 StGB
auszugehen.
Das ist zum Beispiel der Fall wenn der
Angeklagte
im
Vorfeld dem früheren Mitangeklagten einen auf einen Aliasnamen
ausgestellten Pass verschafft, ihn bei der Eröffnung zweier Konten
unterstützt und "die Kontodaten an seinen Hintermann" weitergegeben,
sondern auch den Transfer der Gelder überwacht und den früheren
Mitangeklagten entsprechend unterrichtet.
(4)
Zu guter
Letzt noch eine Variante: Wird die Beute aus mehreren Computerbetrugen
zunächst gesammelt und dann in ihrer Summe weitergeleitet, ist das
wieder nur eine Handlung des Finanzagenten und deshalb nur eine
Beihilfetat. Kompliziert wird das dann, wenn in der Summe auch Beträge
enthalten sind, die von anderen Finanzagenten zugeliefert wurden. Dann
handelt es sich nämlich um eine einheitliche Tat der Begünstigung, weil
die Täterschaft (
§ 257 StGB) die Beteiligung (
§ 27 Abs. 1 StGB)
verdrängt.
(1)
Zitiert in
BGH, Beschluss vom 28.02.2012 - 3 StR 435/11, Rn 3
(2)
Ebenda
(1), Rn 7
(3)
Ebenda
(1), Rn 8
(4)
BGH, Beschluss vom 12.03.2012 - 3 StR 436/11, Rn 4
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28.04.2012
Auf ganz
alte und im Internet nicht verfügbare Quellen bezieht sich der BGH jetzt,
um die Rollen von Rädelsführern und Hinterleuten im Zusammenhang mit
kriminellen oder terroristischen Vereinigungen zu definieren
(1)
(
§§ 129,
129a StGB).
Der
Rädelsführer muss danach
eine führende Rolle mit beträchtlichem Einfluss in der Vereinigung
spielen, auch wenn er seinerseits von Weisungen abhängig ist
(2):
Nach
gefestigter, ursprünglich zu § 90a StGB aF entwickelter und später auf
die
§§ 129,
129a StGB übertragener Rechtsprechung ist
Rädelsführer, wer in der
Vereinigung dadurch eine führende Rolle spielt, dass er sich in
besonders maßgebender Weise für sie betätigt.
Entscheidend ist dabei nicht der Umfang, sondern das Gewicht, das der
geleistete Beitrag für die Vereinigung hat. Besonders maßgebend ist eine
Tätigkeit dann, wenn sie von Einfluss ist auf die Führung der
Vereinigung im Ganzen oder in wesentlichen Teilen, wenn also der Täter,
falls er nicht schon selbst zu den Führungskräften gehört, doch durch
sein Tun gleichsam an der Führung mitwirkt (BGH, Urteil vom 2. Oktober
1963 - 3 StR 34/63, BGHSt 19, 109, 110). Der vom Täter ausgeübte
Einfluss muss der Sache nach beträchtlich sein (BGH, Urteil vom 1.
Dezember 1964 - 3 StR 37/64, BGHSt 20, 121, 123 f.). Eine rein formale
Stellung innerhalb eines Führungsgremiums reicht für sich genommen noch
nicht aus (LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 173 mwN). Liegen die
genannten Voraussetzungen vor, so wird die Rädelsführerschaft
andererseits nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass der Täter
von
Weisungen abhängig ist (BGH, Beschluss vom 25. Januar 1956 - 6 StR
100/55, bei Wagner GA 1960, 235).
Hinzu kommt
jetzt
(3), dass der
bestimmende Einfluss des Täters als Führungskraft bzw. als gleichsam an
der Führung der Organisation mitwirkende Person sich auf die Vereinigung
als solche richten, mithin etwa die Bestimmung der Organisationszwecke,
-tätigkeiten oder -ziele, die ideologische Ausrichtung der Vereinigung,
deren Organisationsstruktur oder sonstige Belange mit für die
Vereinigung wesentlicher Bedeutung betreffen muss. Diese Auslegung des
Tatbestandsmerkmals ist geboten aufgrund von dessen Sinn und Zweck, die
dahin gehen, "Drahtzieher" (BGH, Urteil vom 12. Mai 1954 - 6 StR 30/54,
BGHSt 6, 129, 130 mwN), Führungskräfte und solche Personen zu erfassen,
die kraft einer Schlüsselstellung einen bestimmenden Einfluss haben (LK/Krauß,
StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 173), der hohen, im Vergleich zum jeweiligen
Grundtatbestand deutlich gesteigerten Strafdrohung des
§ 129a Abs. 4 StGB (Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren
in den Fällen des
§ 129a Abs. 1 und 2, Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu
zehn Jahren in den Fällen des
§ 129a Abs. 3 StGB) sowie der gesetzlichen Gleichstellung
des Rädelsführers mit dem Hintermann.
Für den
Hintermann hingegen
(4)
ist
kennzeichnend, dass er zwar - im Unterschied zum Rädelsführer -
nicht Mitglied der Vereinigung ist,
gleichwohl aber die Vereinigung als Außenstehender dadurch wesentlich
fördert, dass er geistig oder wirtschaftlich
maßgebenden Einfluss auf die Führung der Vereinigung hat (BGH,
Urteil vom 1. Dezember 1964 - 3 StR 37/64, BGHSt 20, 121, 123).
In jüngerer
Zeit häufen sich die Beiträge im Cyberfahnder, die sich mit kriminellen
und terroristischen Vereinigungen befassen
(5).
Der Zusammenhang mit dem Cybercrime-Recht drängt sich dabei nicht auf
dem ersten Blick auf. Den Anlass hat eine Entscheidung des BGH aus dem
Jahr 2011 gegeben: Die Angeklagten haben systematisch auf Streaming-Plattformen
(Internet-Radio) rechtsradikale Musik gesendet, Volksverhetzung
betrieben und Bombenbauanleitungen gegeben. Sie wurden deshalb u.a.
wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung (
§ 129 StGB) verurteilt
(6).
Auch andere Erscheinungsformen der Internetkriminalität von gewisser
Dauer und personeller Konsistenz bestärken die Vermutung, dass sie von
einer kriminellen Vereinigung betrieben werden. Das dürfte vor allem für
geschlossene Boards in den Bereichen Carding und Kinderpornographie
sowie für große, international betriebene Botnetze gelten.
Die
Strafverfolgung wegen krimineller Vereinigungen unterliegt einigen
Besonderheiten. Es handelt sich um ein "Staatsschutzdelikt" nach
§
74a Abs. 1 Nr. 4 GVG, für die das Gesetz besondere Strafkammern
vorsieht, die bei dem Landgericht eingerichtet werden, bei dem örtlich
auch ein Oberlandesgericht angesiedelt ist. Die Zuständigkeit der
Staatsanwaltschaft folgt der des Gerichts (
§§ 141,
143
Abs. 1 GVG), so dass nur bestimmte Staatsanwaltschaften zur
Anklageerhebung berufen sind. Das ändert jedoch nichts an der
allgemeinen Ermittlungsverpflichtung der Staatsanwaltschaft (
§§ 152 Abs. 2,
160
Abs. 2 StPO,
§
143 Abs. 2 GVG). Darüber hinaus ist der jeweils vorgesetzte
Generalstaatsanwalt auch dazu befugt, die Verfahrensführung selbst zu
übernehmen (Devolutionsrecht) oder mit ihrer Wahrnehmung einen anderen
als den zunächst zuständigen Beamten zu beauftragen (Substitutionsrecht)
(7).
Das führt zu der kurios wirkenden Folge, dass der beauftragte Beamte
unmittelbar zum Mitarbeiter der "zunächst zuständigen"
Staatsanwaltschaft wird und unter deren Namen zum Beispiel Anträge beim
dort zuständigen Ermittlungsrichter stellen muss.
Eine weitere Besonderheit weist
§
129b Abs. 1 S. 3 StGB auf, wonach die Verfolgung von
außereuropäischen Vereinigungen der ausdrücklichen
Strafverfolgungsermächtigung des Bundesministeriums der Justiz
voraussetzt (s.a.
§
77e StGB). Das ist unlängst ein Problem gewesen, vor dem auch der
BGH gestanden hat
(8).
Auch im
materiellen Strafrecht gilt es einige Besonderheiten zu beachten, die
ich bereits an anderer Stelle ausgeführt habe
(8).
Die
Rechtsprechung zeigt eine gewisse Zurückhaltung, wenn es um die
Verurteilung wegen Organisationsdelikte geht. Das beginnt bereits bei
der Frage nach einer Bande. Dennoch bin ich sicher, dass sich das
Problem mit der kriminiellen Vereinigung im Zusammenhang mit Internet-Straftaten
immer häufiger stellen wird und die Staatsschutzkammern dadurch zu
besonderen Kammern auch für das Internetstrafrecht werden. Ihre
Zuständigkeit verdrängt zum Beispiel die der Jugendkammer (
§ 74e Nr. 3 GVG), nicht aber die der Wirtschaftsstrafkammer (
§ 74e Nr. 2 GVG). Das lässt noch lustige Zuständigkeitsstreite
erwarten.
(1)
BGH, Urteil vom 16.02.2012 - 3 StR 243/11
(2)
Ebenda
(1), Rn 8
(3)
Ebenda
(1), Rn 9
(4)
Ebenda
(1), Rn 9
(5)
Grundlegend:
Die Vereinigung, 2007
Der Hintermann als Täter, 03.01.2010
uneigentliche Organisationsdelikte,
Bande
und Mittäter. Kriminelle Vereinigung, 25.02.2012
(6)
Streaming. Kriminelle Vereinigung,, 15.06.2011;
BGH, Beschluss vom 19.04.2011 - 3 StR 230/10.
(7)
Roland Hefendehl, Strafprozessrecht, Uni Freiburg
05.05.2006, S. 10
(8)
kriminelle Vereinigungen unter Dieben im Gesetz, 06.01.2012;
BGH, Beschluss vom 13.09.2011 - 3 StR 231/11.
(9)
Dieter
Kochheim, IuK-Strafrecht, April 2012, S. 94.
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