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Mai 2012

03.05.2012 Boards
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 In die Geflogenheiten eines kinderpornographischen Boards hat uns der BGH schon im März 2012 (Veröffentlichung) eingeweiht (1). Über die Karriere eines Administrators - wahrscheinlich in denselben Boards im Umfeld des "Zauberwaldes" - berichtet ein neues Urteil (2)

Nach seinem Beitritt engagierte sich der Angeklagte von Beginn an in besonderem Maße für das Board mit dem Ziel, zügig in der Hierarchie aufzusteigen und selbst eine tragende Rolle in der Führungsriege zu übernehmen. Der Angeklagte erhielt daraufhin Ende April 2008 eine Leitungsfunktion zunächst für den ersten zugangsgeschützten Bereich "S. -Z. ", für den er "Administrator" wurde. Administratoren waren für Betrieb, Technik und Weiterentwicklung des Boards zuständig; sie hatten zusätzlich auch sämtliche Befugnisse der ihnen untergeordneten sog. "Moderatoren", die u.a. für die Mitgliederbetreuung zu sorgen hatten. Dem Angeklagten oblag als Administrator insbesondere die Entscheidung über die Vergabe und den Entzug von Zugangsberechtigungen; es gelang ihm in kurzer Zeit, über 90 neue Mitglieder für den "S. -Z. " hinzuzugewinnen. Der Angeklagte bekam sodann ab Anfang Juni 2008 die "Chef"-Rolle eines Administrators auch für den frei zugänglichen "O. -Z. ". Dieser Bereich hatte bei seiner Schließung Ende September 2008 nach der Festnahme eines Board-Mitglieds 340 registrierte Mitglieder, der "S. -Z. " 119 registrierte Mitglieder. Zeitweise verzeichnete das gesamte "Z. "-Board bis zu 4.000 Zugriffe pro Tag <Rn 3>.

Mitglied in dem "S. "-Board konnte jedermann werden, der in einem der zugehörigen Chat-Räume einen Link auf eine kinderpornographische "Hardcore"-Datei einstellte. Wenn die Administratoren die betreffende Datei hinsichtlich des Alters des Kindes und der gezeigten sexuellen Handlungen als geeignet befanden, kam es zur Aufnahme als (einfaches) Mitglied. Um höhere Mitgliederränge mit Zugangsberechtigung zu weiteren Bereichen des Boards zu erreichen, mussten die Mitglieder entsprechend mehr Links zu kinderpornographischen Bild- und Videodateien posten. Sofern die Mitglieder innerhalb eines bestimmten Zeitraums keine Aktivitäten entfalteten, wurde ihr Zugang deaktiviert, um passive Teilnehmer von dem Board fernzuhalten <Rn 6>.

Kipo- und Carding-Boards bedienen ganz verschiedene Interessen und Zielgruppen und ich glaube sogar, dass sich die beteiligten Personengruppen ganz klar unterscheiden lassen - mit den üblichen Grenzgängern, die es immer 'mal wieder gibt und die sich nicht ausschließen lassen. Die inneren Srukturen scheinen hingegen überraschend gleich zu sein:

strenge Teilnehmerauswahl
In einen äußeren Kreis kommt der Interessent (sozusagen zum Schnuppern) noch relativ leicht hinein. Hier muss er sich durch Beiträge oder Keuschheitsproben bewähren. Strengere Boards erwarten die Bewährungsprobe gleich am Anfang oder verlangen Referenzen, also Leumunde, wie sie von sehr britischen Clubs oder mauernden (Geheim-) Bünden überliefert sind.

kontrollierter Aufstieg
In privilegierte Zirkel gelangt man nur durch Keuschheitsproben. Dabei muss man zeigen, was man als Krimineller drauf hat. In dem früheren Beispiel waren das vor Allem die Eigenproduktionen, also der dokumentierte Missbrauch eigener oder nahestehender Kinder. In dem neuen Beispiel dürfte die "Verhardcorisierung" im Vordergrund gestanden haben, also immer jüngere Kinder, die immer nachhaltiger penetriert werden.

Moderatoren
Die Moderatoren sind die Animateure und Sittenwächter in den Foren (Threads ~ Gesprächsfolge). Sie sind bereits von bestimmten Beschränkungen befreit (eigene "Treuhand" beim Carding, begrenzte Materiallieferungspflicht in den Kipo-Boards) und können, je nach dem, wie sie aufsteigen, nicht nur schimpfen (Flame), sondern auch Mitgliederrechte beschränken oder ausschließen.

Administratoren
Die Administratoren entscheiden über die Aufnahme, die Rechte und den Aufstieg von Mitgliedern. Sie sind die Betreiber der kriminellen Veranstaltungen oder jedenfalls die Rädelsführer, die nachwachsen oder herangezogen werden.

Diese strukturellen Ähnlichkeiten haben mich zunächst überrascht. Das gradlinige und effektive Organisationsmodell geht aber auf das russische Board "Cardersplanet" zurück. Auf bewährte Vorbilder wird immer wieder gerne zurückgegriffen.

Beim Carding geht es darum, Geld durch Betrug und andere Straftaten zu verdienen. Bei pädophilen Kipo-Board-Nutzern dürfte die Neigung zunächst im Vordergrund stehen. Bei ihren Betreibern und Administratoren dürfte vielleicht auch das plutokratische Interesse (Geldherrschaft) zunächst zurückgestellt sein. Vorübergehend. Aber auch die Obsession tritt zurück, wenn das Geld verdienen beginnt.


Von besonderem Interesse ist, dass nach dem BGH das Betreiben eines Internet-Boards nebst den dazugehörigen Chats zum Austausch kinderpornographischer Bild- und Videodateien und das eigene Bereitstellen entsprechender Links auf dem Board rechtlich als (bandenmäßige) Verbreitung kinderpornographischer Schriften in der Variante des öffentlichen Zugänglichmachens ( § 184b Abs. 1 Nr. 2 Var. 4, Abs. 3 Alt. 2 StGB) zu werten ist und dass das eigene Posten von Links auf kinderpornographische Dateien in den zu dem Board gehörenden Chats den Tatbestand des (bandenmäßigen) Unternehmens des Drittbesitzverschaffens kinderpornographischer Schriften ( § 184b Abs. 2, Abs. 3 Alt. 2 StGB) erfüllt <Rn 9>.

Das bandenmäßige Begehen leitet der BGH aus folgenden Erwägungen ab <Rn 10>:

Ob jemand Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich nach der deliktischen Vereinbarung, der sog. Bandenabrede. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine Bande den Zusammenschluss von mindestens drei Personen mit dem Willen voraus, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Delikttyps zu begehen ( BGHSt 46, 321, 325; 47, 214, 216; 50, 160, 164). Als Bandenmitglied ist anzusehen, wer in die Organisation der Bande eingebunden ist, die dort geltenden Regeln akzeptiert, zum Fortbestand der Bande beiträgt und sich an den Straftaten beteiligt. Nicht erforderlich für eine - ausdrücklich oder konkludent getroffene - Bandenabrede ist hingegen, dass sich alle Bandenmitglieder persönlich miteinander verabreden oder einander kennen ( BGHSt 50, 160, 164, 168; BGH BGHR § 30 BtMG Abs. 1 Nr. 1 - Bande 9; wistra 2010, 347). Weiterhin ist ... für den Bandenbegriff ein "Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse" nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs
vom 22. März 2001 – GSSt 1/00
(... ; vgl. auch BGH NStZ 2004, 398, 399; 2005, 230, 231) nicht mehr erforderlich.

Die Grenzen zwischen der Bande und der kriminellen Vereinigung verwischen damit immer mehr. Von der Sache her finde ich das nicht falsch. Nicht, dass ich alle Täterverbünde gleich als kriminelle Vereinigung verfolgt wissen will und damit auch alle aktiven Fürsprecher (Rädelsführer) und steuernden Patrone (Hintermänner). Die Richtung, die der Große Senat für Strafsachen eingeschlagen hat, ist richtig. Eine Bande handelt nicht nur am Tatort. Ihre rechtsstaatliche Gefährlichkeit entstammt tatsächlich der strukturellen Gesinnung, Straftaten präzise vorzubereiten, durchzuführen und schließlich die Beute zu sichern und zu verteilen. Zwischen der etablierten Bande und der (nicht terroristischen, aber) kriminiellen Vereinigung bestehen deshalb nur graduelle Unterschiede.

Die eine Seite davon ist, dass die schmierigen Informanten und kleinen Helfer strafrechtlich als Gehilfen und womöglich sogar als Täter verantwortlich gemacht werden können, wenn sie eine beachtliche Tatherrschaft in einen frühen (Vorbereitungs-) Stadium der Tat haben.

Die andere Seite betrifft die Rädelsführer, Berater und Unterstützer. Die jüngere Rechtsprechung des BGH betrachtet sie immer nachhaltiger unter dem Gesichtspunkt der kriminellen Vereinigung. Nach der geltenden Bandenrechtsprechung werden sie aber auch immer weniger zu Rädels- und Hinterleuten und immer mehr zu Tätern und zu maßgeblichen Beteiligten (Anstifter und Gehilfen), deren Tatbeiträge eher höher zu bewerten sind als die der unmittelbar vollendenden Täter.

Diese Rechtsprechungstendenz ist interessant und gilt es zu beobachten.

Das größte Problem dabei ist, dass das Strafrecht der kriminellen Vereinigungen Staatsschutzrecht und besonderen Strafkammern am Sitz von Oberlandesgerichten zugewiesen ist. Die warten auf die großen terroristischen Herausforderungen und dürften auf die Anforderungen, die die Cybercrime und die aktuellen Kriminalitätsformen im Allgemeinen stellen, nicht vorbereitet sein. Wenn aber zwischen Bande und Vereinigung nur noch ein gradueller Schritt ist, dann ist ganz schnell die Entscheidungskompetenz der Staatsschutzkammern gefragt. "Richtige" Schwerkriminalität wird dann nicht mehr an den Landgerichten als solche verhandelt, sondern von den Staatsschutzkammern am Sitz der Oberlandesgerichte.

Das damit angesprochene Gerichtsverfassungsrecht ist falsch. Die kriminelle Vereinigung gehört nicht in die Zuständigkeit der Staatsschutzkammern. Auch der § 129b StGB, der eine Strafverfolgungsermächtigung des Bundesjustizministeriums für außereuropäische kriminelle Vereinigungen verlangt, ist unpassend. Sein Vorbehalt macht Sinn für terroristische Vereinigungen, nicht aber für die Mafia, die Jakuza, die Triaden oder die Diebe im Gesetz.

Es bleibt spannend! 


(1) geschlossene Boards sind öffentliche Räume, 17.03.2012;
BGH, Urteil vom 18.01.2012 - 2 StR 151/11

(2) BGH, Urteil vom 28.03.2012 - 2 StR 398/11
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018