In die
Geflogenheiten eines kinderpornographischen Boards hat uns der BGH schon
im März 2012 (Veröffentlichung) eingeweiht
(1).
Über die Karriere eines Administrators - wahrscheinlich in denselben
Boards im Umfeld des "Zauberwaldes" - berichtet ein neues Urteil
(2):
Nach seinem Beitritt engagierte sich der
Angeklagte von Beginn an in besonderem Maße für das Board mit dem Ziel,
zügig in der Hierarchie aufzusteigen und selbst eine tragende Rolle in
der Führungsriege zu übernehmen. Der Angeklagte erhielt daraufhin Ende
April 2008 eine Leitungsfunktion zunächst für den ersten
zugangsgeschützten Bereich "S. -Z. ", für den er "Administrator" wurde.
Administratoren waren für Betrieb, Technik und Weiterentwicklung des
Boards zuständig; sie hatten zusätzlich auch sämtliche Befugnisse der
ihnen untergeordneten sog. "Moderatoren", die u.a. für die
Mitgliederbetreuung zu sorgen hatten. Dem Angeklagten oblag als
Administrator insbesondere die Entscheidung über die Vergabe und den
Entzug von Zugangsberechtigungen; es gelang ihm in kurzer Zeit, über 90
neue Mitglieder für den "S. -Z. " hinzuzugewinnen. Der Angeklagte bekam
sodann ab Anfang Juni 2008 die "Chef"-Rolle eines Administrators auch
für den frei zugänglichen "O. -Z. ". Dieser Bereich hatte bei seiner
Schließung Ende September 2008 nach der Festnahme eines Board-Mitglieds
340 registrierte Mitglieder, der "S. -Z. " 119 registrierte Mitglieder.
Zeitweise verzeichnete das gesamte "Z. "-Board bis zu 4.000 Zugriffe pro
Tag <Rn 3>.
Mitglied in dem "S. "-Board konnte jedermann
werden, der in einem der zugehörigen Chat-Räume einen Link auf eine
kinderpornographische "Hardcore"-Datei einstellte. Wenn die
Administratoren die betreffende Datei hinsichtlich des Alters des Kindes
und der gezeigten sexuellen Handlungen als geeignet befanden, kam es zur
Aufnahme als (einfaches) Mitglied. Um höhere Mitgliederränge mit
Zugangsberechtigung zu weiteren Bereichen des Boards zu erreichen,
mussten die Mitglieder entsprechend mehr Links zu kinderpornographischen
Bild- und Videodateien posten. Sofern die Mitglieder innerhalb eines
bestimmten Zeitraums keine Aktivitäten entfalteten, wurde ihr Zugang
deaktiviert, um passive Teilnehmer von dem Board fernzuhalten <Rn
6>.
Kipo- und
Carding-Boards bedienen ganz verschiedene Interessen und Zielgruppen und
ich glaube sogar, dass sich die beteiligten Personengruppen ganz klar
unterscheiden lassen - mit den üblichen Grenzgängern, die es immer 'mal
wieder gibt und die sich nicht ausschließen lassen. Die inneren
Srukturen scheinen hingegen überraschend gleich zu sein:
strenge Teilnehmerauswahl
In einen äußeren Kreis kommt der Interessent (sozusagen zum Schnuppern)
noch relativ leicht hinein. Hier muss er sich durch Beiträge oder
Keuschheitsproben bewähren. Strengere Boards erwarten die
Bewährungsprobe gleich am Anfang oder verlangen Referenzen, also
Leumunde, wie sie von sehr britischen Clubs oder mauernden (Geheim-)
Bünden überliefert sind.
kontrollierter Aufstieg
In privilegierte Zirkel gelangt man nur durch Keuschheitsproben. Dabei
muss man zeigen, was man als Krimineller drauf hat. In dem früheren
Beispiel waren das vor Allem die Eigenproduktionen, also der
dokumentierte Missbrauch eigener oder nahestehender Kinder. In dem neuen
Beispiel dürfte die "Verhardcorisierung" im Vordergrund gestanden haben,
also immer jüngere Kinder, die immer nachhaltiger penetriert werden.
Moderatoren
Die Moderatoren sind die Animateure und Sittenwächter in den Foren
(Threads ~ Gesprächsfolge). Sie sind bereits von bestimmten
Beschränkungen befreit (eigene "Treuhand" beim Carding, begrenzte
Materiallieferungspflicht in den Kipo-Boards) und können, je nach dem,
wie sie aufsteigen, nicht nur schimpfen (Flame), sondern auch
Mitgliederrechte beschränken oder ausschließen.
Administratoren
Die Administratoren entscheiden über die Aufnahme, die Rechte und den
Aufstieg von Mitgliedern. Sie sind die Betreiber der kriminellen
Veranstaltungen oder jedenfalls die Rädelsführer, die nachwachsen oder
herangezogen werden.
Diese
strukturellen Ähnlichkeiten haben mich zunächst überrascht. Das
gradlinige und effektive Organisationsmodell geht aber auf das russische
Board
"Cardersplanet"
zurück. Auf bewährte Vorbilder wird immer wieder gerne zurückgegriffen.
Beim Carding geht es darum, Geld durch Betrug und andere Straftaten zu
verdienen. Bei pädophilen Kipo-Board-Nutzern dürfte die Neigung zunächst
im Vordergrund stehen. Bei ihren Betreibern und Administratoren dürfte
vielleicht auch das plutokratische Interesse (Geldherrschaft) zunächst
zurückgestellt sein. Vorübergehend. Aber auch die Obsession tritt zurück,
wenn das Geld verdienen beginnt.
Von
besonderem Interesse ist, dass nach dem BGH
das Betreiben eines Internet-Boards nebst den dazugehörigen Chats
zum Austausch kinderpornographischer Bild- und Videodateien und das
eigene Bereitstellen entsprechender Links auf dem Board rechtlich als (bandenmäßige)
Verbreitung kinderpornographischer Schriften in der Variante des
öffentlichen Zugänglichmachens (
§ 184b Abs. 1 Nr. 2 Var. 4, Abs. 3 Alt. 2 StGB)
zu werten ist und dass das
eigene Posten von Links auf kinderpornographische
Dateien in den zu dem Board gehörenden
Chats den Tatbestand des (bandenmäßigen)
Unternehmens des Drittbesitzverschaffens
kinderpornographischer Schriften (
§ 184b Abs. 2, Abs. 3 Alt. 2 StGB) erfüllt <Rn 9>.
Das
bandenmäßige Begehen leitet der BGH aus folgenden Erwägungen ab <Rn 10>:
Ob jemand Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich nach der
deliktischen Vereinbarung, der sog. Bandenabrede. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine Bande den
Zusammenschluss von mindestens drei Personen mit dem Willen voraus,
künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch
ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Delikttyps zu begehen (
BGHSt 46, 321, 325;
47, 214, 216;
50, 160, 164). Als Bandenmitglied ist anzusehen, wer in die
Organisation der Bande eingebunden ist, die dort geltenden Regeln
akzeptiert, zum Fortbestand der Bande beiträgt und sich an den
Straftaten beteiligt. Nicht erforderlich für eine - ausdrücklich oder
konkludent getroffene - Bandenabrede ist hingegen, dass sich alle
Bandenmitglieder persönlich miteinander verabreden oder einander kennen
(
BGHSt 50, 160, 164, 168;
BGH
BGHR § 30 BtMG Abs. 1 Nr. 1 - Bande 9;
wistra 2010, 347). Weiterhin ist ... für den
Bandenbegriff ein "Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse"
nach der Entscheidung des
Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs
vom 22. März 2001 – GSSt 1/00 (... ; vgl. auch
BGH NStZ 2004, 398, 399; 2005, 230, 231) nicht mehr
erforderlich.
Die Grenzen
zwischen der Bande und der kriminellen Vereinigung verwischen damit
immer mehr. Von der Sache her finde ich das nicht falsch. Nicht, dass
ich alle Täterverbünde gleich als kriminelle Vereinigung verfolgt wissen
will und damit auch alle aktiven Fürsprecher (Rädelsführer) und
steuernden Patrone (Hintermänner). Die Richtung, die der Große Senat für
Strafsachen eingeschlagen hat, ist richtig. Eine Bande handelt nicht nur
am Tatort. Ihre rechtsstaatliche Gefährlichkeit entstammt tatsächlich
der strukturellen Gesinnung, Straftaten präzise vorzubereiten,
durchzuführen und schließlich die Beute zu sichern und zu verteilen.
Zwischen der etablierten Bande und der (nicht terroristischen, aber)
kriminiellen Vereinigung bestehen deshalb nur graduelle Unterschiede.
Die eine Seite davon ist, dass die schmierigen Informanten und kleinen
Helfer strafrechtlich als Gehilfen und womöglich sogar als Täter
verantwortlich gemacht werden können, wenn sie eine beachtliche
Tatherrschaft in einen frühen (Vorbereitungs-) Stadium der Tat haben.
Die andere Seite betrifft die Rädelsführer, Berater und Unterstützer.
Die jüngere Rechtsprechung des BGH betrachtet sie immer nachhaltiger
unter dem Gesichtspunkt der kriminellen Vereinigung. Nach der geltenden
Bandenrechtsprechung werden sie aber auch immer weniger zu Rädels- und
Hinterleuten und immer mehr zu Tätern und zu maßgeblichen Beteiligten (Anstifter
und Gehilfen), deren Tatbeiträge eher höher zu bewerten sind als die der
unmittelbar vollendenden Täter.
Diese Rechtsprechungstendenz ist interessant und gilt es zu beobachten.
Das größte
Problem dabei ist, dass das Strafrecht der kriminellen Vereinigungen
Staatsschutzrecht und besonderen Strafkammern am Sitz von
Oberlandesgerichten zugewiesen ist. Die warten auf die großen
terroristischen Herausforderungen und dürften auf die Anforderungen, die
die Cybercrime und die aktuellen Kriminalitätsformen im Allgemeinen
stellen, nicht vorbereitet sein. Wenn aber zwischen Bande und
Vereinigung nur noch ein gradueller Schritt ist, dann ist ganz
schnell die Entscheidungskompetenz der Staatsschutzkammern gefragt. "Richtige"
Schwerkriminalität wird dann nicht mehr an den Landgerichten als solche
verhandelt, sondern von den Staatsschutzkammern am Sitz der
Oberlandesgerichte.
Das damit angesprochene Gerichtsverfassungsrecht ist falsch. Die
kriminelle Vereinigung gehört nicht in die Zuständigkeit der
Staatsschutzkammern. Auch der § 129b StGB, der eine
Strafverfolgungsermächtigung des Bundesjustizministeriums für
außereuropäische kriminelle Vereinigungen verlangt, ist unpassend. Sein
Vorbehalt macht Sinn für terroristische Vereinigungen, nicht aber für
die Mafia, die Jakuza, die Triaden oder die Diebe im Gesetz.
Es bleibt
spannend!
(1)
geschlossene Boards sind öffentliche Räume, 17.03.2012;
BGH, Urteil vom 18.01.2012 - 2 StR 151/11
(2)
BGH, Urteil vom 28.03.2012 - 2 StR 398/11
|