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Juli 2012

08.07.2012 Hacktivismus
zurück zum Verweis neue Hacktivismus-Studie von Paget

 

 
 Vor wenigen Tagen erschien die jüngste Studie über den Hacktivismus von François Paget mit 35 Seiten Umfang in gewohnter Qualität und mit vielen Quellenhinweisen. Sie ist ein echtes Highlight.
 

 Paget arbeitet für die McAfee Labs in Frankreich. 2010 wurde von ihm die Studie über die Cybercrime und den Hacktismus veröffentlicht (1), die mich nachhaltig beeindruckt und mich dazu veranlasst hat, sie in eigenen Worten nachzuerzählen und stellenweise zu ergänzen (2). Mit der vor allem jüngeren Geschichte des Hacktismus setzt er sich jetzt kenntnis- und materialreich auseinander (3) und behandelt die neuen Protestformen im Umfeld von Anonymous, LulzSec und der Occupy-Bewegung. Paget hält zu ihnen, in McAfee's Tradition, eine kritische Distanz (4).

Sein ausgewogenes und von einer gewissen Sympathie geprägtes Fazit lautet schließlich <S. 32>:

 

 
Wenn Hacktivisten weiterhin so unkoordiniert agieren und wie bisher jeden in ihre Reihen aufnehmen, der vorgeblich in ihrem Namen handelt, befinden wir uns möglicherweise am Rande eines digitalen Bürgerkriegs. Die gesamte Hacktivisten-Bewegung wird einer zunehmenden Kriminalisierung sowie Regierungen zum Opfer fallen, die fürchten, dass ihre Wirtschaft sowie wichtige Infrastrukturen durch die zunehmende Abhängigkeit von der Informationstechnologie untergraben werden. Wenn es die Hacktivisten von 2012 jedoch schaffen, erwachsen zu werden, sich zu organisieren und auch außerhalb des Internets zu mobilisieren, können wir uns Anonymous als Version 2.0 von Nichtregierungsorganisationen vorstellen, die ideologisch zwar vielleicht fragwürdig handelt, von unseren Demokratien aber doch respektiert wird. Verbindungen mit politischen Organisationen einer neuen Generation wie etwa mit der Piratenpartei können ein erster Schritt in diese Richtung sein.

An den Beginn des Hacktivismus setzt Paget die Gründung des Chaos Computer Clubs - - im Jahr 1981 <S. 3> (5). Er widmet sich sodann dem Entstehen der Anonymous-Bewegung <S. 4> und ihrer Geschichte seit 2006 <S. 5> (6) sowie der Geschichte von Wikileaks <S. 7>. Im Dezember 2010 führten die Striktionen gegen Julian Assange und Wikileaks zur spektakulären Operation Payback aus dem Umfeld von Anonymous <S. 8>. Seit 2011 erfolgten weitere Operationen, zum Beispiel gegen HB Gary Federal <S. 11>, und LulzSec erschien als eigenständige Gruppierung <S. 11>. Sie löste sich nach 50 Tagen auf (7). Paget setzt sich mit den direkten Doxing-Angriffen gegen Personen und Unternehmen auseinander <S. 15> (8), den Reaktionen der Polizei <S. 16> und schließlich den gemeinsamen Aktionen von Anonymous und der Occupy-Bewegung <S. 18> im Jahr 2012.

Paget hebt die Bedeutung der sozialen Plattformen für die Kommunikation und Abstimmung bei Anonymous hervor <S. 20>, beschreibt die verwendeten DDoS-Werkzeuge <S. 23> und widmet sich dann einer zweiten Gruppe von Hacktivisten, den Internetdissidenten (Cyberoccupier) <S. 24>, sowie den "Internetkriegern" <S. 27>:
Während der Anonymous-Bewegung verbundene Cyberoccupier und Internetdissidenten die Redefreiheit verteidigen und für Minderheiten und Menschen eintreten, die um ihre Freiheit kämpfen, reagieren andere, häufig autoritäre oder religiöse, den jeweiligen Regierungen nahestehende Gruppierungen auf – aus ihrer Sicht – Einmischungen. Im Gegensatz zu Anonymous agieren diese „Patrioten“ häufig als Fundamentalisten, während sie sich gleichzeitig als Hacktivisten betätigen.
 

Die Grafik links stammt von S. 31 der Studie und veranschaulicht die Entwicklungsprozesse, die Paget beobachtet, beschreibt und perspektivisch fortschreibt. Es handelt sich um eine erweiterte Fassung der schon in den Bedrohungsprognosen für 2012 veröffentlichten Grafik (9).

Sie leidet an einem Übergewicht, das die Skript-Kiddies zu einem Bindeglied zwischen Anonymous und den Internetarmeen werden lässt. Dessen ungeachtet gibt sie einen hilfreichen Überblick über die verschiedenen Bewegungen und ihre Herkünfte. Vor allem durch die Zusammenarbeit zwischen Anonymous und der Occupy-Bewegung ist eine neue Qualität des bürgerrechtlichen Protestes entstanden, der sich jetzt in beiden Teilen der dualen Welt Gehör verschafft.

In dieser neuen Fassung erscheinen erstmals auch die Internetdissidenten, die in der Darstellung vom Dezember 2011 noch fehlten.

 

 
In unkalkulierbaren Abständen schafft es immer wieder, bemerkenswerte Analysen und Prognosen zu veröffentlichen. Das galt bereits für die zweite große europäische Studie zur Internetkriminalität (10) und einige Fortsetzungen. Die Studien von Paget ragen aus den übrigen Veröffentlichungen heraus, weil er weniger die technischen, als die sozialen und politischen Aspekte der Kriminalität im Internet betrachtet. Zum Glück ist die jüngste Studie gleich in deutscher Sprache erschienen. Ihr wichtiger Vorgänger (11) ist nur auf Englisch und meheren anderen Fremdsprachen veröffentlicht worden.

Lob verdient Paget vor allem wegen seiner ausgeglichen Perspektive. Er kann nicht die Augen davor verschließen, dass sich der Hacktivismus immer auch in Straftaten äußert und Bedrohungen auch für die Unternehmen und Menschen darstellt, die sich auf die Sicherheitstechnik von McAfee verlassen. Andererseits zeigt er auch Anerkennung für die bürgerrechtlichen Bekenntnisse der Bewegungen und die politische Macht, die im Umfeld von Anonymous entstanden ist. Paget macht das, was man von einem guten Analytiker in einem Sicherheitsunternehmen erwartet: Er beobachtet Entwicklungen und bewertet sie wegen ihrer möglichen Bedeutung in der Zukunft. Das ermöglicht es wiederum, Gegenmaßnahmen zu entwickeln.


(1) François Paget, Cybercrime and Hacktivism, McAfee 15.03.2010

(2) Dieter Kochheim, Cybercrime und politisch motiviertes Hacking. Über ein Whitepaper von François Paget von den McAfee Labs,, 20.10.2010

(3) François Paget, Hacktivismus. Das Internet ist das neue Medium für politische Stimmen, McAfee 05.07.2012

(4) Siehe zuletzt: Besetzer (Occupy-Bewegung), 15.01.2012;
, Bedrohungsprognosen für 2012, McAfee 20.12.2011.

(5) Siehe auch: Eine kurze Geschichte der Cybercrime, 03.11.2010;
die in dem Aufsatz zusammengetragenen Fakten beruhen überwiegend auf dem Aufsatz von Paget (1).

(6) Siehe auch: kopfloses Kollektiv: Anonymous, 15.02.2011;
Dieter Kochheim, Eskalationen, 19.02.2011 <Die verlorene Unschuld der Ökonomie, S. 17>.

(7) Ende der Überfahrt nach 50 Tagen, 28.06.2011

(8) Siehe auch: Bedrohungen im 4. Quartal 2011, 03.03.2012.

(9) (4)

(10) globale Sicherheitsbedrohungen, 27.07.2008

(11) (1)
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018