Web Cyberfahnder
über Suchmaschinen und -strategien
  Cybercrime    Ermittlungen    TK & Internet    Literatur    intern    Impressum 
August 2009
08.08.2009 geheime Ermittlungen
     
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift gehörtes Hörensagen und gesperrte Beweise
 

 

Bei Würdigung der Angaben der einvernommenen Vernehmungs- bzw. Führungsbeamten der VP zu einem Gespräch, in welchem Percy L. seinen Vater, den Angeklagten Klaus-Dieter L., der Tatbeteiligung an dem verfahrensgegenständlichen Raubüberfall bezichtigt haben soll, hat das Landgericht den eingeschränkten Beweiswert der Aussagen dieser "Zeugen vom Hörensagen" nicht verkannt und bedacht, dass solche Angaben den Feststellungen regelmäßig nur dann zu Grunde gelegt werden dürfen, wenn sie durch andere wichtige Beweisanzeichen gestützt werden (BGHSt 36, 159, 166 m.w.N. (2)). Das Landgericht hat ferner gesehen, dass diese Einschränkungen in besonderer Weise gelten, wenn die VP in den polizeilichen Vernehmungen ihrerseits nur Bekundungen eines Dritten, wie hier dem Gesprächspartner des Angeklagten Percy L., wiedergegeben hat, also selbst nur "Zeuge vom Hörensagen" gewesen ist (vgl. BGH StV 1996, 583 (4)). (5)
 
 

 
Im Zusammenhang mit den geheimen Ermittlungen wurde bereits auf die Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Zeugenbeweises vom Hörensagen eingegangen (1). Das Bundesverfassungsgericht lässt den mittelbaren Beweis zur Bekämpfung der besonders gefährlichen Kriminalität zu, verlangt aber nach einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung. Das einfache Ergebnis ist, dass der Beweis vom Hörensagen nicht als Vollbeweis geeignet ist, sondern immer von anderen Spuren, Beweisanzeichen und Beweismitteln begleitet sein muss, um die Überzeugungsbildung des Gerichts zu begründen.

Bedeutsam wird das zumeist dann, wenn die Strafverfolgungsbehörden die Identität einer gefährdeten Auskunftsperson geheim halten ( Vertrauensperson) oder vertraulich behandeln ( Informant) (3). In diesen Fällen wird der VP-Führer als Zeuge über die Angaben der Auskunftsperson vernommen, wodurch den Verfahrensbeteiligten ein direkter Eindruck von der Glaubwürdigkeit der Auskunftsperson und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben verwehrt bleibt.

Der Beweiswert einer Auskunft ist noch weiter eingeschränkt, wenn die Auskunftsperson ihr Wissen ihrerseits durch Hörensagen erlangt hat. 2008 hat der BGH die Verwertung von Aussagen aus "gehörtem Hörensagen" zugelassen, jedoch wegen ihres Beweiswertes hohe Schranken gesetzt [ (5); siehe Kasten links]. Das ist nachvollziehbar und konsequent gewesen.
 

 
Von besonderer zeitgeschichtlicher Bedeutung sind die Feststellungen des Bundesgerichtshofes in dem Motassadeq-Urteil aus 2006 (6). Dem Angeklagten wurde im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 ...  "Beihilfe zum Mord in 3066 Fällen sowie zum versuchten Mord und zur gefährlichen Körperverletzung in fünf Fällen in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" vorgeworfen (RN 1).

Schon 2004 hatte sich der BGH mit dem ersten Urteil in dieser Sache auseinander gesetzt (7) und die Grenzen der Geheimhaltung im Strafverfahren präzisiert. Zunächst bestätigt er die Zulässigkeit von Sperrerklärungen ( § 96 StPO) und die Geheimhaltung von Identitäten (Kasten unten links), mahnt aber zur vorsichtigen Beweiswürdigung.

Anschließend hebt das Urteil die Besonderheit hervor, dass es nicht um die Würdigung einer belastenden Aussage gehe, sondern dass ein für die Wahrheitsfindung potentiell bedeutsamer Zeuge der Beweisaufnahme völlig entzogen werde, so daß offen bleibt, welches Beweisergebnis durch seine Vernehmung hätte erzielt werden können (RN 19). Die dem Angeklagten drohenden Nachteile müssten im Wege der Freien Beweiswürdigung ( § 261 StPO) und durch die Anwendung des Zweifelsgrundsatzes ausgeglichen werden (RN 20; siehe Kasten unten rechts).
 

zurück zum Verweis abschließende Würdigung
 

 

Die Sperrung von Beweismitteln seitens der Exekutive ist erst bei der abschließenden Würdigung des gesamten Beweisergebnisses mitzuberücksichtigen. Hierbei hat der Tatrichter in seine Erwägungen die Möglichkeit einzubeziehen, daß das gesperrte Beweismittel, wäre es in die Hauptverhandlung eingeführt worden, das Entlastungsvorbringen bzw. die entlastende Beweisbehauptung des Angeklagten bestätigt hätte. Diese Möglichkeit hat er dem übrigen Beweisergebnis gegenüberzustellen und auf dieser Grundlage unter Beachtung des Zweifelssatzes zu entscheiden, ob das potentiell entlastende Ergebnis der unterbliebenen Beweiserhebung durch die, verwertbaren sonstigen Beweismittel so weit entkräftet wird, daß trotz der geschmälerten Erkenntnisgrundlage der Inbegriff der Hauptverhandlung die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten trägt (...). Je mehr sich das Ergebnis der Beweisaufnahme mit dem Entlastungsvorbringen des Angeklagten in Einklang bringen lassen könnte, je näher das gesperrte Beweismittel zu der Tat steht und je stärker es daher potentiell zu deren Aufklärung hätte beitragen können, um so höhere Anforderungen sind dabei an den argumentativen Aufwand des Tatrichters zur Begründung seiner Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu stellen, insbesondere wenn die Beweise, auf die er diese Überzeugung stützt, nur indiziell auf die Schuld des Angeklagten hindeuten. (7); RN 25
 
 

 
Der BGH verlangt schließlich eine abschließende Würdigung (siehe Kasten links, RN 25) mit einem erhöhten Begründungsaufwand. In außergewöhnlichen Fällen könne ein Verstoß gegen das Gebot fairer Verfahrensführung dem Verfahren als Ganzem die Grundlage entziehen und zur Einstellung des Verfahrens zwingen [RN 34; (11)], wenn dem Tatrichter durch die Maßnahmen der Exekutive die Beweisgrundlage derart verkürzt wird, daß auch unter Beachtung der dargelegten Grundsätze vorsichtiger Beweiswürdigung und der Anwendung des Zweifelssatzes eine gerichtlich verantwortbare Überzeugungsbildung nicht mehr gewährleistet ist, die rechtsstaatlichen Anforderungen sowie der verfassungsrechtlich verbürgten Stellung der Strafgerichte genügt, den wahren Sachverhalt unbeeinflußt von Einflußnahmen der vollziehenden Gewalt zu ermitteln.

Diesen Anforderungen unterliegen auch die Strafverfolgungsbehörden und das insbesondere dann, wenn sie Kenntnisse von potenziell entlastenden Beweismitteln haben, die sie wegen bestehender Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitszusagen nicht offen in die Hauptverhandlung einführen können.

In diesem Fall muss der Staatsanwalt erklären, dass er von entlastenden oder wegen ihres Gehalts unklarer Beweise weiß und darauf seine Würdigung im Plädoyer abstellen. Das kann so weit gehen, dass er seinerseits die Einstellung durch Prozessurteil beantragen muss.
 

 
Beweisrechtlich ist auch ein Nebenaspekt im Urteil von 2006 (12) von Interesse, der das Unmittelbarkeitsprinzip ( § 250 StPO) betrifft: In der Hauptverhandlung vor dem Hanseatischen OLG Hamburg waren die "Zusammenfassungen" von Aussagen eingeführt worden, die zwei Zeugen im amerikanischen Gewahrsam gemacht hatten. Der Beweiswürdigung des OLG, das die enthaltenen Angaben als unglaubhaft angesehen hat, steht laut BGH nicht entgegen, dass wegen der Unmöglichkeit, diese beiden Zeugen persönlich zu vernehmen oder auch nur Verhörspersonen zu befragen oder zumindest vollständige Vernehmungsprotokolle zu erhalten, die von den USA überlassenen "Zusammenfassungen" einer besonders vorsichtigen Würdigung zu unterziehen waren. Den insoweit zu stellenden Anforderungen (BGHSt 49, 112 (13)) ist die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts, das sich der Verkürzung der Beweisgrundlage bewusst war, gerecht geworden. RN 31

zurück zum Verweis BGH, Urteil vom 04.03.2004 - 3 StR 218/03
 

 
 
Kann ein zentrales Beweismittel wegen einer Sperrerklärung oder einer verweigerten Aussagegenehmigung nicht in die Hauptverhandlung eingeführt werden, obwohl ohne die Sperrerklärung oder verweigerte Aussagegenehmigung die Erhebung des Beweises ein Gebot der Aufklärungspflicht gewesen wäre ( § 244 Abs. 2 StPO) bzw. ein Beweisantrag des Angeklagten auf Erhebung des Beweises aus keinem der in § 244 Abs. 3 - 5 StPO genannten Ablehnungsgründe hätte zurückgewiesen werden können, muß der Tatrichter die hierdurch bedingte Einschränkung seiner Erkenntnismöglichkeiten sowie die Beschneidung der Verteidigungsrechte des Angeklagten bei seiner Überzeugungsbildung berücksichtigen und in den Urteilsgründen im Rahmen der Beweiswürdigung erörtern. Andernfalls ist seine Beweiswürdigung lückenhaft und der Anspruch des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren ( Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 1 MRK) verletzt. (7), RN 16
 
 

 
 
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf jedoch ein Konflikt zwischen Geheimhaltungsinteressen der Exekutive einerseits und den Verteidigungsinteressen des Angeklagten sowie der Pflicht des Gerichts zur Wahrheitsermittlung ( § 244 Abs. 2 StPO) andererseits nicht dazu führen, daß sich die Geheimhaltungsinteressen nachteilig für den Angeklagten auswirken. In derartigen Fällen muß durch eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung und gegebenenfalls die Anwendung des Zweifelssatzes der Verkürzung der Beweisgrundlage und damit der Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts Rechnung getragen werden (vgl. BGH NStZ 2000, 265, 266 f. (8); s. auch BVerfG NStZ 2000, 151, 153 (9)). RN 17
 
 

 
 
Verfahrensrechtliche Gestaltungen, die der Ermittlung der Wahrheit und somit einem gerechten Urteil entgegenstehen, können daher den Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren beeinträchtigen (BVerfGE 57, 250, 274 f. m.w.N. (10)). Zu diesen Beschränkungen zählen die behördliche Verweigerung von Aussagegenehmigungen ( § 54 StPO i.V.m. den Beamtengesetzen) sowie die Abgabe von Sperrerklärungen nach § 96 StPO. Diese Maßnahmen können, auch wenn sie verfahrensmäßig und inhaltlich rechtsfehlerfrei ergangen sind, zu erheblichen Einschränkungen der Verteidigungsinteressen des Angeklagten führen. Verschlechtern sie dessen Beweissituation, fordert der Grundsatz fairer Verfahrensgestaltung ein Regulativ. Ein solches hält das Strafprozeßrecht mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung ( § 261 StPO) sowie dem Prinzip "Im Zweifel für den Angeklagten" bereit. ... RN 20
 
 

zurück zum Verweis Anmerkungen
 


(1) BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981 - 2 BvR 215/81, abgedruckt bei Jens Ph. Wilhelm, Entscheidungssammlung zum Strafverfahrensrecht, Stand Dezember 2003, S. 7;
BVerfG, Beschluss vom 19.07.1995 - 2 BvR 1142/93, abgedruckt bei Jens Ph. Wilhelm, Entscheidungssammlung zum Strafverfahrensrecht, Stand Dezember 2003, S. 18, 19

(2) ungeprüfte Quelle: BGH, Urteil vom 31.03.1989 - 2 StR 706/88, bei Deutsche Rechtsprechung

(3) Einsatz von Vertrauenspersonen;
Anlage D zu den RiStBV

(4) die Entscheidung ist m.W. nicht im Internet veröffentlicht worden

(5) BGH, Urteil vom 07.02.2008 - 4 StR 502/07;
Zitat: RN 29

 

 
(6) Mounir al-Motassadeq;
BGH, Urteil vom 16.11.2006 - 3 StR 139/06;
abschließende Entscheidung: Urteil gegen El Motassadeq rechtskräftig (Presseerklärung des BGH vom 11.05.2007)

(7) BGH, Urteil vom 04.03.2004 - 3 StR 218/03

(8) BGH, Urteil vom 11.02.2000 - 3 StR 377/99; Beweiswürdigung von anonymen Quellen

(9) BVerfG, Beschluss vom 27.10.1999 - 1 BvR 385/ 90; Aktenvorlage wegen Verwaltungsvorgänge

(10) BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981 - 2 BvR 215/81

(11) BGH, Urteil vom 25.10.2000 - 2 StR 232/ 00

(12) (6)

(13) (7)
 

zurück zum Verweis Cyberfahnder
© Dieter Kochheim, 11.03.2018