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August 2009
16.08.2009 verdeckte Erkenntnisse
     
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"Bei uns ist es leider nicht so wie in den USA, wo die Nutzung der Früchte vom verbotenen Baum auch in den Verfahren tabu ist", kommentierte der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert die Entscheidung gegenüber der Frankfurter Rundschau. (1)
 
 

 
Bislang hat sich der BGH erst mit einer Presseerklärung geäußert (2), das schriftliche Urteil vom 14.08.2009 - 3 StR 552/08 - liegt noch nicht vor (2a). Datenschützer und andere Halbweise lamentieren dennoch über die vermeintlichen Vorteile des US-amerikanischen Strafrechts und über Rechtswidrigkeit.

Das Urteil richtet sich gegen drei Angeklagte im Zusammenhang mit einer ausländischen terroristischen Vereinigung (Al Qaida), die vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Dabei wurden Erkenntnisse aus einer akustischen Wohnraumüberwachung verwertet ( großer Lauschangriff, § 100c StPO), die nach Maßgabe des Rheinland-Pfälzischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes durchgeführt worden war.

Der große Lauschangriff ist die Maßnahme mit den tiefsten Eingriffen in die Grundrechte, die die Strafprozessordnung unter strengen Anforderungen zulässt. Eine ältere Vorschrift hat das BVerfG 2004 beanstandet (3), die geltende Fassung des § 100c StPO jedoch 2007 "abgenickt" (4). Vergleichsweise tief greift die Onlinedurchsicht in Grundrechte ein, die bislang nur vom BKA-Gesetz und polizeilichen Landesgesetzen angesprochen wird, nicht jedoch Eingang in die StPO gefunden hat ( Kollisionsrecht).
 

 
Wenn Ermittlungsergebnisse aus polizeirechtlichen Eingriffsmaßnahmen im Strafverfahren verwertet werden sollen, greift der in § 161 Abs. 2 StPO festgeschriebene Grundsatz der Schwellengleichheit. Er besagt, dass die Erkenntnisse aus Eingriffsbefugnissen aus anderen Gesetzen nur dann verwertet werden dürfen, wenn sie im vorliegenden Verfahren zulässig hätten erhoben werden dürfen (5). Für die Erkenntnisse aus einem großen Lauschangriff gilt außerdem § 161 Abs. 3 StPO, der die Verwertung von einem gerichtlichen Beschluss abhängig macht.

Die zügig geäußerte Kritik am BGH verkennt die bestehenden Schutzvorrichtungen der Strafprozessordnung. Der Grundsatz der Schwellengleichheit verhindert die ausufernde Verwertung von Erkenntnissen und der Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensführung ist ein allgemeiner Grundsatz, den das BVerfG auf alle Verfahrensordnungen anwendet. Einer Verwertung in ihren Grenzen dürfte deshalb nichts entgegen stehen.
 

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Die Kritiker der jüngsten Entscheidung des BGH verkennen wahrscheinlich die Einstiegshürden, die der Grundsatz der Schwellengleichheit setzt. Er hatte zu prüfen, ob in dem Verfahren gegen die Al Qaida-Verdächtigen ein großer Lauschangriff als strafprozessuale Maßnahme hätte angeordnet werden dürfen, und nicht auch, ob die polizeirechtliche Maßnahme in jeder Hinsicht rechtmäßig war. Eine solche Überprüfungspflicht erwarte ich nur wegen offensichtlich rechtswidriger oder willkürlicher Maßnahmen.

Diese von unserer Rechtsordnung eingegrenzte Sicht auf die aktuelle Verwertung von Ermittlungserkenntnissen verfolgt eine andere Ausrichtung als die des US-amerikanischen Rechts, das auch die Beweiserhebung im einzelnen prüft. Ist sie fehlerhaft, dann bleiben die Erkenntnisse dort unverwertbar (siehe Kasten oben links).

Das deutsche Recht fragt hingegen nach dem neuen Grundrechtseingriff, der darin besteht, dass eine Erkenntnis, die in anderem Zusammenhang gewonnen wurde, jetzt prozessual verwertet werden soll. Damit hebt es den (aktuellen) Schutz individueller Rechts hervor und vermeidet es, dass im Strafverfahren alle Einzelheiten der polizeilichen Beweiserhebung nachvollzogen und geprüft werden müssen - was ein gefundenes Fressen für alle Strafverteidiger wäre, um Zweifel über Zweifel zu behaupten.
 

 
Die schlichte Kritik der "Illegalität", die Stefan Krempl bei übt (6), verkennt die Verwertungsverbote, die § 100c Abs. 4 ff. StPO festschreiben. Er folgert daraus, dass das Polizeigesetz aus Rheinland-Pfalz keinen ausdrücklichen Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensführung kennt (7), auf eine Rechtswidrigkeit im Ganzen.

Aber auch insoweit wirkt das Gebot der Schwellengleichheit: Erkenntnisse aus dem Kernbereich der persönlichen Lebensführung dürfen unter der Regie der StPO nicht übernommen und verwertet werden, so dass auch kein neuer Grundrechtseingriff eintreten kann.

Ob Rheinland-Pfalz sein Polizeigesetz ändern muss, ist eine andere Frage. Wegen der Beschlagnahmevorschriften in der StPO hat das BVerfG im Zusammenhang mit E-Mails beim Hostprovider dieses Erfordernis nicht gesehen. Der StPO kam dabei zugute, dass sie die "modernen" Schutzmechanismen im § 101 und seinen Verweisen regelt, so dass die Beschlagnahme von E-Mails in dieses System eingebunden werden kann. Dabei kommt der StPO auch zugute, dass die einschlägigen Vorschriften vorkonstitutionelles Recht aus der Zeit vor dem Grundgesetz sind, das wegen seiner Grundrechtseinschränkungen nicht ausdrücklich deklariert werden muss.

Der Kernbereichsschutz hat sich inzwischen zum allgemeinen Rechtsinstitut für alle Eingriffsrechte entwickelt, so dass die allgemeinen Gesetze ihn nicht mehr zwingend ausformulieren müssten, weil er sowieso gilt.
 

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(1) Stefan Krempl, BGH lässt Verwertung von Erkenntnissen aus illegalem Lauschangriff zu, Heise online 15.08.2009

(2) Urteil gegen Mitglied und Unterstützer der Al Qaida weitgehend rechtskräftig, BGH 14.08.2009

(2a) BGH, Urteil vom 14.08.2009 - 3 StR 552/08

(3) BVerfG, Urteil vom 03.03.2004 - 1 BvR 2378/97, 1 BvR 1084/99

(4) BVerfG, Beschluss vom 11.05.2007 - 2 BvR 543/06

(5) zuletzt: BGH, Urteil vom 27.11.2008 - 3 StR 342/08
 

 
(6) (2)

(7) zuletzt wegen der Beschlagnahme von E-Mails: BVerfG, Beschluss vom 16.06.2009 - 2 BvR 902/06; Zitat;
siehe Cyberfahnder, Verwertung von verdeckt erlangten Beweisen, Mai 2009, S. 2

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018