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August 2009
23.08.2009 Internetpiraterie
     
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Die Überlastung der Justiz in diesen Fragen dürfe nicht dazu führen zu glauben, dass man sich nunmehr in einem „rechtsfreien Raum“ befände.
 
 
Unterhalb der Leistungsmöglichkeiten und –bereitschaft der Staatsanwaltschaften könnten einige der Belange auf zivilrechtlichem Wege eingefordert werden. (2)
 
 

 
Am 11.08.2009 traf sich auf Einladung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie in Berlin eine erste Expertenrunde zu dem "Wirtschaftsdialog für mehr Kooperation bei der Bekämpfung der Internetpiraterie" (1). Ein Mitarbeiter des Ministeriums, Wolf Siegert, hatte die undankbare Aufgabe, die dabei abgesonderten Sprechblasen zu einem Ergebnisprotokoll zusammen zu fassen (2).

Die Herkunft der Experten lässt vermuten, was sie unter Internetpiraterie verstehen: Bereitstellen und Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in öffentlich zugänglichen Datennetzen und vor allem durch File-Services und Peer-to-Peer-Verbindungen.

Aus dem Ergebnisprotokoll erfährt man nichts dazu. Es beschränkt sich auf jene Positionen ... die ... neue Horizonte für die weitere Debatte eröffnet haben. (S. 7)

Eine solche Position stammt von Herrn Engeln: Das Netz brauche ... keine neuen Regeln, sondern endlich bezahlbare und benutzbare Inhalte. (S. 8) Das wird nicht vertieft. Statt dessen geht es um Sanktionen, die nicht zu einer breiten Kriminalisierung führen dürften, um Änderungen in den Nutzungsbedingungen der Zugangsprovider, um die Ansprache der Betroffenen, den Ausbau legaler Angebote, damit sie attraktiver und ... konkurrenzfähiger sind (S. 9), und um Geschäftsmodelle.

Und schließlich: Es müsse ein deutlicher Unterschied gemacht werden zwischen ... „Einzeltätern“ und den als kriminell zu kennzeichnenden Machenschaften, denen nur noch mit dem Strafrecht begegnet werden könne. (S. 10)
 

 
Genau an dieser Deutlichkeit fehlt es allerorten (3). Kriminelle Geschäftemacher müssen verfolgt werden (5). Nur, darum geht es den "Piraten" nicht. Sie stellen geschütztes Material kostenlos zur Verfügung und schmälern die Einnahmen der Verwerter besonders dort, wo es um Vorpremierenfilme oder die Zweitverwertung geht beziehungsweise um Musik aus den Charts. Insoweit habe ich sogar Verständnis für die Jammerei. 

Wichtige Stichworte fehlen hingegen: Vertrauensbildung und Kundenbindung. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen nämlich, dass die Urheberrecht-Verwerter ihre Kunden eher als Feinde angesehen haben, die sie gerne auch mit Schlechtleistungen beliefern. Sie haben das Digital Rights Management eingeführt und die Käufer unter einen Generalverdacht gestellt, Un-CDs verkauft, die bewusst technische Standards brechen und nicht abspielbar sind, sowie teure Zusammenstellungen, deren Schrott auch noch bezahlt werden soll. Und nicht zuletzt haben sie die unsäglichen Raubkopierer=Verbrecher-Kampagnen durchgeführt und unterstützt.

Herrn Hebigs Forderung nach einer End- to-End Neutralität des Internets (S. 12), verbunden mit einer sanften Kritik an die eingeführten Websperren, bleibt eine einsame Stimme im Protokoll: wer die Freiheit aufgäbe, um Sicherheit zu gewinnen, würde am Ende beides verlieren.
 

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Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung hervorgehoben und das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren – zur Überführung von Straftätern ebenso wie zur Entlastung Unschuldiger – betont. (6)
 
 

 
Zu guter Letzt kommt der Appell gegen den rechtsfreien Raum ( links oben, S. 13).

Ein rechtsbesetzter Raum braucht jedoch klare, verständliche und besonders solche Regeln, die die Interessen aller am Markt Beteiligten berücksichtigen. Davon sind die "Körbe" mit den Urheberrechtsreformen weit entfernt. Sie disqualifizieren sich durch kurzgedachte Verfahren und sinnleere Begriffe wie das gewerbliche Ausmaß.

Auch an die Justiz hat die Expertenrunde gedacht, ohne dass deutlich wird, auf was sie hinaus will ( links unten, S. 13). Die Rede ist von der begrenzten Leistungsfähigkeit und fehlenden Leistungsbereitschaft der Staatsanwaltschaft. Diese zurückhaltenden Worte lassen Zweifel daran aufkommen, ob die Experten wissen, wovon sie reden.

Hinter der "Leistungsbereitschaft" stehen drei Aspekte:

die personellen und sachlichen Ressourcen,

die Schwerpunktsetzung bei der Kriminalitätsbekämpfung, soweit das unter dem Legalitätsprinzip möglich ist ( § 152 Abs. 2 StPO), und

die Strafverfolgung als Anliegen der Öffentlichkeit (6).
 

 
Die Leistungsfähigkeit der Strafverfolgung (und der Rechtspflege insgesamt) ist dann ein besonderes Anliegen der Öffentlichkeit, wenn sonst eine allgemeine Verunsicherung, ein Klima der Angst oder Verelendung zu befürchten wären oder das Zusammenleben in Freiheit und Gleichheit gefährdet würde - um die wesentlichen Bedürfnisse zu kennzeichnen.

Unter diesen Gesichtspunkten könnten sich die Straftaten von Taschendieben, Wohnungseinbrechern und Skimming-Tätern oder besoffenen Autofahrern, Schlägern und Betrügern als erheblich gefährlicher für das öffentliche Klima erweisen als Raubkopien von Hitparaden-Songs und filmischen Liebesschnulzen.

Bei der "Expertenrunde" sind zwei Lobbyistengruppen aufeinander gestoßen. Die Verwerter wollen ihre Einnahmen sichern und die Zugangsprovider teure Begehrlichkeiten im Zusammenhang mit Auskünften, Sperren und Warnungen abwenden, wobei sie auch ein Kapazitätsproblem haben, das sich in den Bandbreiten wegen des Downloads äußert.

Der Wirtschaftsdialog zwingt die Beteiligten, von bornierten Maximalforderungen abzurücken - ich nenne das das Gitte-Prinzip (7) - und in Kooperationen zu denken, die auch die Interessen des anderen berücksichtigen.

Jetzt fehlt noch die Einbindung der wichtigsten Gruppe: Die zahlenden Käufer.
  

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(1) Expertenrunde im Wirtschaftsministerium diskutiert Internet-Piraterie, Heise online 21.08.2009

(2) Workshops zum Wirtschaftsdialog für mehr Kooperation bei der Bekämpfung der Internetpiraterie, BMWi 18.08.2009;
Zitat: S. 13

(3) Spitzenreiter bei Google:
Horst Soltysiak, Was bedeutet Internet-Piraterie, Copypolice 15.06.2005 (4)
(RAe) Schutt, Waetke, Internetpiraterie-Portal (mit ausgesuchter Rechtsprechung zur Unterstützung des eigenen Geschäftsmodells)
 

 
(4) Hinweis zur Fortbildung: In der deutschen Sprache leitet das Fragewort "was" einen Fragesatz ein, der mit einem Fragezeichen abschließt. Das sieht so aus: ?

(5) dreiste Geschäfte mit Fälschungen

(6) BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 - 1 BvR 1550/03, 2357/04, 603/05 (Auskunftsansprüche gegenüber dem BaFin)

(7) "ich will alles und das sofort" (Song, 1982)
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018