|
|
Februar 2012 |
|
|||
Wattebäuschchen werfender Dracula |
|
Manchmal
sind es die kleinen Nuancen in der Rechtsprechung, die ganz beachtlich
sind und die Praxis stark beeinflussen. Von solchen Petitessen berichtet diese
zunächst kleine und jetzt immer größere Beitragssammlung. |
|
|
Wattebäuschchen werfender Dracula | |||
06.02.2012 Die Nötigung ( § 240 StGB) wird bestraft, wenn der Täter rechtswidrig (also ohne rechtfertigenden Grund) mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt. Die Erpressung ( § 253 StGB) verschärft die Strafdrohung, wenn die Drohung zu einem rechtswidrigen Vermögensnachteil führen soll, und die räuberische Erpressung ( § 255 StGB) macht das Ganze zu einem Verbrechen, wenn die Drohung auf körperliche Gewalt zielt oder eine gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben verspricht. Muss der Täter im einzelnen beschreiben, was er dem Opfer antun wird, wenn es seinen Forderungen nicht folgt? Der BGH betrachtet das Ziel des Täters und fragt erst dann, was das Opfer aufgrund der Drohung erwarten konnte und musste (1a): Der Vorsatz des Täters muss darauf gerichtet sein, dass der Empfänger die Äußerungen als Drohung versteht und ernst nimmt. Anlass dazu gibt eine sehr verklausulierte Drohung zwischen rumänisch-stämmigen Mitbürgern im Rahmen eines Streits um Geld, die der Täter auf eine offene Postkarte schrieb: Gebt zurück, was ihr gestohlen habt, ihr Betrüger. Dies ist die letzte Warnung. Vlad Tepes <Rn 3>. Dazu muss man wissen: Vlad Tepes ist der legendäre Pfähler, der der Überlieferung nach massenhaft türkische und andere Feinde kopfüber und -unter auf Pfähle stecken ließ. Ein Massenmörder. Er liefert die historische Vorlage für Bram Stokers Graf Dracula. Die Ausrede, Vlad Tepes sei auch ein Kämpfer für Gerechtigkeit gewesen, lässt der BGH nicht gelten. Dass hier eine (etwaige) Drohung auf etwas anderes gerichtet sein könnte als Tod oder jedenfalls schwere körperliche Misshandlung, ist nicht erkennbar. Eine solche Drohung bedarf aber keiner präzisierenden Erläuterung <Rn 26>.
Der gemarkerte Satz ist die Besonderheit: Auch eine verblümte Drohung
ist eine ernsthafte Drohung, wenn der wortbedeutende Rahmen - auch als
Andeutung - unmissverständlich ist. Von Dracula ist nicht zu erwarten,
dass er einen mit Wattebäuschchen bewirft oder einfach nur böse kuckt. |
|||
was zuviel ist, ist zuviel | |||
08.02.2012 Bislang liegt nur die Presseerklärung des BGH zu dem Urteil vom 07.02.2012 – 1 StR 525/11- vor: BGH, Strafzumessung bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe, 07.02.2012 Bei Steuern und anderen Pflichtabgaben sehe ich einen Unterschied darin, ob die Leute das Geld haben, aber nicht hergeben wollen, oder es nicht haben, aber zur Zahlung verpflichtet wären. Für den Fiskus ist es dennoch gleich, ob ihm ein Betrag "x" verloren geht, weil jemand Einkommensteuer auf verdientes Geld verweigert oder Tabaksteuer durch den Verkauf eingeschmuggelter Zigaretten hinterzieht, und in der Tat sind der nicht erlöste Betrag und Schaden für den Staatshaushalt gleich hoch. Das Strafrecht richtet sich aber nach der individuellen Schuld und an ihrem Maßstab gemessen macht es durchaus einen Unterschied, ob der Täter Geld zahlen muss, das eigentlich zur Verfügung stände und er für sich analisiert (Freud lässt grüßen) oder das er nie gehabt hat. Dasselbe gilt für Sozialversicherungs- und andere Beiträge, die der betreffende Mensch hätte zahlen müssen, aber nicht gezahlt hat. Um die Strafbarkeit vom Grundsatz her geht es dabei nicht. Der Zigarettenschmuggler schmuggelt, um die Stangen profitabel und eben ohne Steuern abzugeben. Der Pleitier zahlt die Sozialabgaben nicht, weil er vielleicht hofft, mit seinem maroden Unternehmen doch noch weiter machen und auf einen grünen Zweig kommen zu können. Beides ist falsch und strafwürdig. Die Strafhöhe darf aber nicht am Betrag orientiert werden, sondern am Unrecht des Handelns. Das ist keine Kritik am BGH. Der betreffende Täter hat das Geld gehabt und wollte ein Kleverle sein, um es nicht abgeben zu müssen. Er hat hellenisch gehandelt und gleichzeitig das Gemeinwohl hintergangen und dafür ist er gehörig zu bestrafen. Eigentlich sollte man keine Witze erklären. Die modernen Zeiten (und noch einer!) sind aber so trollig (noch einer!), dass ein Disclaimer (!) nötig ist, um wenigstens den dümmsten Reaktionen vorzubeugen: "analisiert" ist kein Tippfehler, sondern eine Wortschöpfung, die auf den "Analcharakter" anspielt, der von Siegmund Freud beschrieben wurde. Er eignet sich alles an, was er in die Hände bekommt, und will nichts abgeben. "hellenisch" spielt auf Griechenland und das dort beheimatete Gesellschaftsspiel an, Steuern zu vermeiden. "gehörig bestraft" spielt auf eine Geschichte von Curt Goetz mit einem charismatischen Familienvater an, dem ein Kind erziehungsgerecht sagt: "Ich habe Strafe verdient und bitte um eine gehörige solche". "moderne Zeiten" spricht zunächst auf den Film-Klassiker von Charlie Chaplin an. Der Film ist zugleich eine Parodie auf den Fordismus (Anhänger der Kapitalismusvorstellung von James Ford). Die Anspielung zielt natürlich auch auf die brave ("mutig" im Sinne der klassischen Ritterlichkeit [folgsam]) neue Welt von Aldous Huxley an. Kommen wir zur Modernen: "Trolle" sind in diesem Zusammenhang anonyme Mitmenschen, die ungeachet jeder Nettiquette, jedes Mitgefühl beiseite lassen und auf andere verbal losgehen. Sie sind Kollaborateure, womit wir das nächste Fremdwort geschaffen hätten. Ihnen ist egal, welcher Schaden anderen geschieht.
"Disclaimer" sind Haftungsfreistellungserklärungen nach dem Motto: "Ich
bin ja gar nicht schuld und will es auch gar nicht gewesen sein". Sie
gehen zurück auf eine Entscheidung des Landgerichts Hamburg, das dem
einen Riegel vorgeschoben hat: Wer einfach nur berechtigte oder
unberechtigte, böse (die dürfen nicht verboten sein) und böswillige
Meinungsäußerungen (die müssen sich am Streitgegenstand messen lassen, "Wahrnehmung
berechtigter Interessen") von sich gibt, darf das. Hinterhältige und
unmotivierte (nicht nachvollziehbare) Entgleisungen verdienen hingegen
keinen Schutz. Daran ist nichts falsch. |
|||
Steuerhinterziehung im großen Ausmaß | |||
13.02.2012 |
|||
mitgefangen, mitgehangen | |||
|
06.02.2012 Eine moderne Abart davon ist die "psychische Beihilfe". Ein Gehilfe ist, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet ( § 27 Abs. 1 StGB). Das kann eine tatkräftige Hilfe sein, indem der Gehilfe das Mordopfer zum Tatort lockt, dem Täter die Tatwaffe beschafft oder ihm ein falsches Wertgutachten für einen betrügerischen Grundstücksverkauf ausstellt. Der Gehilfe hat keine Tatherrschaft, aber einen gehörigen, also messbaren Anteil an der Tat des anderen. Das geht soweit, dass der Täter nichts von der tatkräftigen Unterstützung des Gehilfen wissen muss (2). Die psychische Beihilfe beschränkt sich auf die Unterstützung des Täterwillens (ich bleib 'mal bei dir und kucke böse) oder auf die Einschüchterung des Opfers (ich kratz mir mit dem Stilett doch nur die Fingernägel sauber). Das geht aber nur, wenn sich der Gehilfe mit den Tatbeteiligten konfrontiert. Hält sich der Gehilfe nur im Hintergrund und hält
sich nur bereit, um notfalls einzugreifen, ohne dass das der Täter das weiß,
bleibt der Gehilfe straflos
(3):
Nach
Auffassung des Senats liegt keine strafbare Beihilfe vor. Die Tat ist in
einem solchen Fall nicht objektiv gefördert, sondern eine solche
Förderung ist nur vorbereitet. |
||
Deliktische Einheit beim Phishing | |||
13.02.2012 |
|||
der Mist des Kleinviehs | |||
06.02.2012 Dann lassen wir es eben sein und verzichten auf die Strafverfolgung, wäre eine wirtschaftlich vertretbare Konsequenz mit einem kleinen Mangel: Sie widerspricht dem Offizialprinzip, also der Verfolgungspflicht aus § 152 Abs. 2 StPO. Müssen tatsächlich alle Geschädigten angehört und vernommen werden? Nein!, ist die schlichte Antwort. Zum Beispiel beim Cashing, also dem finalen Tatabschluss bei Skimming, bei dem die ausgespähten Zahlungskartendaten missbraucht werden, wird in erster Linie nicht der Bankkunde, sondern die kartenausstellende Bank geschädigt. Es reicht also aus, einen sachkundigen Mitarbeiter der Bank über die eingetretenen Schäden zu befragen. Die Kunden können nur sagen: Plötzlich war das Geld von meinem Konto abgebucht. Dasselbe gilt für die Onlinebanking-Trojaner: Sie können nichts über die Wirkweise des Trojaners in ihrem PC berichten, sondern nur über die Tatsache, dass ihren Bankkonten Überweisungen schlechtgeschrieben wurden, die sie nicht in Auftrag gegeben haben und sich auch nicht erklären können. Für den damit angesprochenen Computerbetrug ( § 263a StGB) mag es sicherlich, wie ich meine, ausreichen, den kriminellen Modus nachzuweisen, seine Auswirkungen (Computersabotage bei der Ransomware) und das gleiche Zielkonto wegen der erstrebten Überweisungen. Beim klassischen Betrug ( § 263 StGB) sieht das aber anders aus, weil er neben der klar vorliegenden Täuschung auch einen Irrtum des Opfers und einer auf dem Irrtum beruhenden Vermögensverfügung verlangt. Was ist aber von Opfern zu halten, die sehenden Auges die Kosten für ein sinn- und wertloses Seminar bezahlen, von dem sie sich keine weisen Erkenntnisse, sondern den Einstieg als Vermittler in ein betrügerisches Schneeballsystem erwarten? Wenn sie sich zugleich sicher sind, dass sie nur dann richtig absahnen können, wenn sie am Kopf der Pyramide agieren können und das Fußvolk am Fuß nur aus Verlierern besteht? Hier meldet der BGH Bedenken an (4): Solche Geier - das sind meine Worte, die auf einer freien Interpretation des BGH-Beschlusses beruhen - verdienen keinen pauschalen Schutz. Will man die Veranstalter wegen Betruges bestrafen, muss man ihnen in jedem der massenhaften Einzelfälle nachweisen, dass die Seminarteilnehmer wirklich ge- und enttäuscht wurden. Vor vielen Jahren gab es eine Fernsehserie, die hieß "Gauner gegen Gauner". Gauner, die anderen Gaunern auf den Leim gehen, sind wirklich nicht sonderlich schützenswert.
Bei dem "Kleinvieh" reden wir aber von anderen Leuten. Sie mögen auch
ihren (kleinen) Vorteil vor Augen haben - billige Pornobilder, günstige
Warenlieferungen, überzogene Gewinn- oder Lohnerwartungen, die "Kleverle"
eben. |
|||
grundsätzlich Tatmehrheit | |||
06.02.2012
Eine darüber
hinaus gegebene organisatorische Einbindung des Täters in das
betrügerische Geschäftsunternehmen ist in diesen Fällen nicht geeignet,
die Einzeldelikte der Tatserie rechtlich zu einer Tat im Sinne des
§ 52
Abs. 1 StGB zusammenzufassen. Fehlt es an einer solchen
individuellen Tatförderung, erbringt der Täter aber im Vorfeld oder
während des Laufs der Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder
mehrere Einzeltaten seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden,
sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als
tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den
einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des
§ 52
Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ohne Bedeutung ist dabei, ob die
Mittäter die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen haben ...
(5) |
|||
Betrug im Mahnverfahren | |||
15.02.2012 Auch im Mahnverfahren kann betrogen ( § 263 StGB) werden durch erdichtete Ansprüche, überzogene Forderungen oder falsche Termine wegen der Zinsberechnung. Das erkennt der BGH an (6). Aber es gibt nicht nur das manuelle Mahnverfahren, das von einem Rechtspfleger bearbeitet wird, sondern auch das - unmenschliche - automatisierte Mahnverfahren, das ohne menschliche Beteiligung abläuft (7). Dabei kann kein Mensch getäuscht und in einen Irrtum versetzt werden, so dass ein Betrug als solcher ausscheidet. Deshalb fordert der BGH nach Feststellungen zu dem Mahnverfahren, das durchgeführt wurde. Ändert das Verfahren etwas an der Strafbarkeit und womöglich an der Strafe? Nö. Lügen im automatisierten Mahnverfahren würden
zur Strafbarkeit als Computerbetrug (
§ 263a StGB) führen und der hätte dieselben Konsequenzen. Das
versteckt der BGH in einem Zitat (
Münker, Der Computerbetrug im automatischen Mahnverfahren,
Dissertation Freiburg 2000), winkt also mit einem Zahnpfahl, lässt
es aber darauf beruhen, ohne klare Worte zu finden. Die würden lauten:
Die Strafbarkeit ist dieselbe und deshalb ist auszuschließen, dass das
angegriffene Urteil zu einer milderen Strafe gelangt wäre. Allerdings
hätte das erkennende Gericht einen rechtlichen Hinweis erteilen müssen
und vielleicht war das ausschlaggebend für die sibyllischen Ausführungen
des Gerichts: Vielleicht hätten sich die angeklagten Damen dann doch
noch anders verteidigen können? Wer weiß? |
|||
Geben und Nehmen. Betrug beim Tanken | |||
15.02.2012 Aus dem äußeren Erscheinungsbild der Tathandlungen folgt bei natürlicher Betrachtungsweise, dass es sich hier um ein durch Täuschung bewirktes Geben und nicht um ein Nehmen im Sinne eines Gewahrsamsbruchs handelt. Ob mit dem Einfüllen bereits das Eigentum an dem Benzin erlangt wird, kann dabei dahingestellt bleiben. Jedenfalls bringt der Täter durch die Täuschungshandlung das Benzin in seinen Besitz und erlangt damit einen Vermögensvorteil i. S. des § 263 StGB, dem auf Seiten der geschädigten Tankstelle ein entsprechender Vermögensnachteil gegenüber steht. Ohne Komplikation geht es aber nicht. Das Tatsachengericht muss feststellen, ob der Tankvorgang von der Tanke überwacht wird oder nicht. Bei einer Überwachung begeht der flüchtende Täter einen vollendeten Betrug, bei der nicht überwachten nur einen versuchten Betrug. Der Strafrahmen wird dadurch in der Höhe etwas hin- und hergeschoben. Das Ergebnis ist dasselbe: Der Täter hat Benzin geklaut (im Sinne von: Du sollst nicht stehlen!) und die Strafwürdigkeit ist dieselbe. An der Strafe ändert das auch nichts, weil sich der Richter ungeachtet der Strafnorm am eingetretenen Schaden orientieren wird. Ein vollendeter Betrug liegt jedoch nicht vor, wenn der Täter an einer Selbstbedienungstankstelle tankt, ohne vom Tankstelleninhaber oder dessen Mitarbeiter bemerkt zu werden. In einem solchen Fall ist aber regelmäßig vom Tatbestand des versuchten Betruges auszugehen. Da der Täter schon beim Einfüllen mit dem Willen handelt, sich das Benzin zuzueignen, kommt eine Bestrafung wegen Unterschlagung schon wegen deren Subsidiarität ( § 246 Abs. 1 StGB) auch dann nicht in Betracht, wenn er durch den - versuchten oder vollendeten - Betrug nur den Besitz und nicht bereits das Eigentum an diesem erlangt (...).
Die
Unterscheidung zwisch dem Geben und dem Nehmen zur Abgrenzung zwischen
Betrug und Unterschlagung ist schon ganz schick. Ob man die Förmelei
aber dermaßen auf die Spitze treiben muss, ist eine ganz andere Frage,
die ich jedenfalls mit nein beantworte. |
Anmerkungen | |
(1a) BGH, Urteil vom 29.11.2011 - 1 StR 287/11, Rn 27 (1b) BGH, Beschluss vom 15.12.2011 - 1 StR 579/11, S. 6 (2) Ebenda (1a), Rn 18 (3) Ebenda (1a), Rn 20 (3a) BGH, Bechluss vom 11.01.2012 - 4 StR 559/11, Rn 2 (4) BGH, Beschluss vom 09.11.2011 - 4 StR 252/11 (5) BGH, Beschluss vom 22.12.2011 - 4 StR 514/11, Rn 3 (6) Ebenda (1), Rn 6 (7) Ebenda (1), Rn 7 |
|
Cyberfahnder | |
© Dieter Kochheim, 11.03.2018 |