|
|
|
||||
kalt ist es hier, zuhause |
Eindrücke von Kreta |
|
Großansicht (2) |
Drei Wochen habe ich auf der südlichsten europäischen Insel verbracht (1) und nicht das erste Mal. Dort zahlt man inzwischen 23 % Umsatzsteuer, was man auch als Aufforderung zur Steuerhinterziehung missverstehen kann. Man sagt, dass der übliche Stundenlohn für Hilfskräfte bei 2,50 € liegt. So viel kostet auch eine Flasche Mythos im Kafenion, der Liter Superbenzin hingegen zwischen 1,77 und 2,20 €. Selbst die Einheimischen fahren häufiger mit dem Fahrrad.
Die
Hafenpromenade der früheren Hauptstadt Kretas
(2)
wird geprägt von nervenden Propagandisten, die überall das beste Lokal
weit und breit ankündigen. Das Straßenbild wird seit einigen Jahren auch von bettelnden südosteuropäischen Kindern
geprägt, die die ersten Takte von
Lilli Marlen aus ihren billigen Handzuginstrumenten quetschen
(3).
Sie haben binnen eines Jahres mindestens sechs Takte hinzugelernt und trommeln jetzt
auch unter der Aufsicht abseits stehender und beobachtender Erwachsener. |
|
Von Deutschfeindlichkeit habe ich Berichte gehört (4), selber aber nichts mitbekommen. Eher herrscht Frust, eine Mischung aus Fatalismus, Hoffnung und Gelassenheit. Die Insel ist reich - vor allem an Olivenbäumen. Tausch- und Subsistenzwirtschaft sind hier leichter zu machen als in den gewerblichen Metropolen im Norden, wo man für alles bezahlen muss und sich die Gehalts- und Rentenkürzungen existenziell auswirken. Auffällig ist die fehlende Polizeipräsenz. Die meisten Polizeiautos sieht man an der E75 an Stellen, wo die Höchstgeschwindigkeit auf 50 oder 60 km/h herunter geregelt ist. Dort verstecken sich viele Verkehrsschilder hinter wuchernder Vegetation. Andere weisen kreative Übermalungen oder Einschusslöcher auf, wenn sich die aufgeklebten Zahlen nicht von selber gelöst und unkenntlich gemacht haben. Polizeistreifen zu Fuß gibt es nicht. Jeder Polizeieinsatz soll dem Anzeigeerstatter 50 € kosten, sagt man in der Markthalle, nachdem eine Taschendiebin erwischt wurde, die schon bekannt ist und aus einem nördlichen Nachbarland stammen soll. Auch das könnte man als Aufforderung zur Selbstjustiz missverstehen (6). Schade, dass ich wieder im kalten Deutschland bin. Ich wäre gerne länger geblieben und komme nächstes Jahr wieder. Ständig leben möchte ich auf Kreta nicht, so schön es dort ist. Dazu fehlt es mir an Sprachkenntnissen, an den nötigen sozialen Kontakten und an der Fähigkeit, über Gelassenheit und Unzuverlässigkeit hinweg zu sehen. (1) Das stimmt nicht ganz: Die südlichste bewohnte Insel Europas ist Gavdos mit 81 Einwohnern ( Bild [NASA]). Sie liegt etwa 36 km südlich von Kreta im Libyschen Meer. (2) Chania. Bild: Kochheim 2012.
(3)
Akkordeon wäre zu viel gesagt, das würde zu sehr nach Musik klingen. (4) Ich habe den Eindruck, dass solche Reaktionen auch von Kleidung, mangelnder Höflichkeit und Auftreten provoziert werden. (5) Bild: Kochheim 2010.
(6)
Der Spötter in mir sagt: Ich habe keine Vorurteile. Ich habe nur eine
gute Beobachtungsgabe. |
Cyberfahnder | |
© Dieter Kochheim, 11.03.2018 |