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Juli 2008
Gesellschaft und Politik 21.07.2008 praktische Wissenschaft
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift veränderte Zitation
 
In der Welt der Wissenschaft findet demnach eine ähnliche Selektion nach Prominenz wie im Rest der von der Aufmerksamkeitsökonomie geprägten Gesellschaft statt. Die Zahl der Artikel, die eine hohe Popularität erzielen, werden weniger, obgleich die Gesamtzahl der Artikel ansteigt. Die Wissenschaftler nehmen also aufgrund der Informationsflut oder als Reaktion auf sie weniger wahr, was sich auch daran zeigt, dass ältere Artikel kaum mehr berücksichtigt werden. Das könne dazu führen, warnt Evans, dass auch Artikel mit wichtigen Inhalten in den Archiven verschwinden. Evans führt die beobachteten Veränderungen auf die Online-Suche zurück, die zwar effizienter sei, aber mit dem Verfolgen von Hyperlinks eher auf vorherrschende Trends stößt. Das könne "die Konsensbildung beschleunigen und die Breite der Funde und der darauf aufbauenden Ideen verengen".
 

 
Die Verfügbarkeit wissenschaftlicher Informationen und Aufsätze verändert das Zitationsverhalten, berichtet Florian Rötzer in (1). Immer mehr Veröffentlichungen kämen hinzu, ihre Zitatapparate werden aber immer beschränkter und kurzfristiger, weil sie sich zunehmend auf mehr jüngere und immer weniger ältere Quellen beziehen würden.

Ich habe dazu eine Privattheorie, die keinen Anspruch darauf erhebt, die herrschende Meinung zu sein:

Es gibt drei Typen wissenschaftlicher Äußerungen:

 

 
1. Vorpreschende Untersuchungen und Ideen betreten Neuland und entwickeln Schlussfolgerungen, die so noch nicht formuliert wurden.
 
2. Diskutanten: Traditionelle Überzeugungen, vorpreschende Ideen und ergänzende Erwägungen werden gegeneinander abgewogen, bewertet und weiter entwickelt. Wissenschaftliche Kleinarbeit für Diplo- und Doktoranten, die den Hauptanteil liefern.
 
3. Die Zerschläger der gordischen Knoten ziehen Schlussstriche und präsentieren die von 1. entwickelten Theorien unter Berücksichtigung der Einschränkungen und Erweiterungen der Diskutanten. Sie müssen reife Fachleute sein, die die Anerkennung, Autorität und Qualifikation dazu haben, "Basta" zu sagen und eine wuselige Diskussion zu beenden.
 

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Alte Quellen können in aller Regel wirklich unbetrachtet bleiben. Die meisten von ihnen sind überholt, weil irgendwann ein "Zerschläger" gute Arbeit geleistet und Standards gesetzt hat. Andere alte Quellen haben die Angriffe der Diskutanten bestens überstanden und müssen nicht mehr zitiert werden. Das gilt für Einsteins spezielle und absolute Relativitätstheorie, für die Kopenhagener Quanteninterpretation und Darwins Evolutionstheorie ebenso wie für die juristischen Highlights zur cic, pVV und Anscheins- und Duldungsvollmacht. Diese Werkzeuge zur Welterkenntnis und Problemlösung müssen nicht mehr ernsthaft hinterfragt werden, weil sie ihre Praxistauglichkeit bewiesen haben. Sie können irgendwann von einem genialen Vorprescher verworfen oder als Sonderfall bewiesen werden. Bis dahin haben die Diskutanten jedoch zu schweigen. Wie Dieter Nuhr meint: Einfach mal Schnauze halten.
 


Zurück zum Thema: Die Ignoranz alter Quellen ist nicht für sich selber ein Merkmal für schlechtere Qualität. Wichtig ist vielmehr die Quellenbewertung und damit die Entscheidung, ob einer im Internet verfügbaren gegenüber einer dort nicht dokumentierten Quelle der Vorzug zu geben ist. Die Methoden der wissenschaftlichen Argumentation werden nicht dadurch aufgehoben, dass es das Internet gibt. Kommt er zu dem Ergebnis, dass die alte und nicht i-dokumentierte Quelle relevant ist, muss er sie zitieren und nötigenfalls auch wörtlich als Großzitat.

Rötzers Beitrag hinterlässt deshalb mehr den blöden und unangenehmen Nachgeschmack, dass die wissenschaftlichen Bewertungstraditionen aufgegeben würden, als dass die Internetverweise als solche unwissenschaftlich wären.

Das sind sie nicht, solange wissenschaftlich lautere "Zerschläger" am Werk sind.

Der Cyberfahnder hofft, dass er alle drei Typen bedient und vielleicht in dem einem oder anderen Zusammenhang ein Zerschläger bleibt.
 

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(1) Florian Rötzer, Auch in der Wissenschaft findet durch das Internet ein Konzentrationsprozess statt, Telepolis 21.07.2008
 

 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018