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In der
Welt der Wissenschaft findet demnach eine ähnliche Selektion nach
Prominenz wie im Rest der von der Aufmerksamkeitsökonomie geprägten
Gesellschaft statt. Die Zahl der Artikel, die eine hohe Popularität
erzielen, werden weniger, obgleich die Gesamtzahl der Artikel ansteigt.
Die Wissenschaftler nehmen also aufgrund der Informationsflut oder als
Reaktion auf sie weniger wahr, was sich auch daran zeigt, dass ältere
Artikel kaum mehr berücksichtigt werden. Das könne dazu führen, warnt
Evans, dass auch Artikel mit wichtigen Inhalten in den Archiven
verschwinden. Evans führt die beobachteten Veränderungen auf die
Online-Suche zurück, die zwar effizienter sei, aber mit dem Verfolgen
von Hyperlinks eher auf vorherrschende Trends stößt. Das könne "die
Konsensbildung beschleunigen und die Breite der Funde und der darauf
aufbauenden Ideen verengen".
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Die Verfügbarkeit wissenschaftlicher Informationen und Aufsätze
verändert das Zitationsverhalten, berichtet Florian Rötzer in
(1).
Immer mehr Veröffentlichungen kämen hinzu, ihre Zitatapparate werden aber
immer beschränkter und kurzfristiger, weil sie sich zunehmend auf mehr
jüngere und immer weniger ältere Quellen beziehen würden.
Ich habe dazu eine Privattheorie, die keinen Anspruch darauf erhebt,
die herrschende Meinung zu sein:
Es gibt drei Typen wissenschaftlicher Äußerungen:
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1. |
Vorpreschende Untersuchungen und Ideen betreten
Neuland und entwickeln Schlussfolgerungen, die so noch nicht
formuliert wurden.
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2. |
Diskutanten: Traditionelle Überzeugungen,
vorpreschende Ideen und ergänzende Erwägungen werden
gegeneinander abgewogen, bewertet und weiter entwickelt.
Wissenschaftliche Kleinarbeit für Diplo- und Doktoranten, die
den Hauptanteil liefern.
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3. |
Die Zerschläger der gordischen Knoten ziehen
Schlussstriche und präsentieren die von 1. entwickelten Theorien
unter Berücksichtigung der Einschränkungen und Erweiterungen der
Diskutanten. Sie müssen reife Fachleute sein, die die
Anerkennung, Autorität und Qualifikation dazu haben, "Basta" zu
sagen und eine wuselige Diskussion zu beenden.
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Alte Quellen können in aller Regel wirklich unbetrachtet bleiben. Die
meisten von ihnen sind überholt, weil irgendwann ein "Zerschläger" gute
Arbeit geleistet und Standards gesetzt hat. Andere alte Quellen haben
die Angriffe der Diskutanten bestens überstanden und müssen nicht mehr
zitiert werden. Das gilt für Einsteins spezielle und absolute
Relativitätstheorie, für die Kopenhagener Quanteninterpretation und Darwins Evolutionstheorie
ebenso wie für die juristischen Highlights zur cic, pVV
und Anscheins- und Duldungsvollmacht. Diese Werkzeuge zur Welterkenntnis
und Problemlösung müssen nicht mehr ernsthaft hinterfragt werden, weil
sie ihre Praxistauglichkeit bewiesen haben. Sie können irgendwann von
einem genialen Vorprescher verworfen oder als Sonderfall bewiesen
werden. Bis dahin haben die Diskutanten jedoch zu schweigen. Wie Dieter
Nuhr meint: Einfach mal Schnauze halten.
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Zurück zum Thema: Die Ignoranz alter Quellen ist nicht für sich selber
ein Merkmal für schlechtere Qualität. Wichtig ist vielmehr die
Quellenbewertung und damit die Entscheidung, ob einer im Internet
verfügbaren gegenüber einer dort nicht dokumentierten Quelle der Vorzug
zu geben ist. Die Methoden der wissenschaftlichen Argumentation werden
nicht dadurch aufgehoben, dass es das Internet gibt. Kommt er zu dem
Ergebnis, dass die alte und nicht i-dokumentierte Quelle relevant ist,
muss er sie zitieren und nötigenfalls auch wörtlich als Großzitat.
Rötzers Beitrag hinterlässt deshalb mehr den blöden und unangenehmen
Nachgeschmack, dass die wissenschaftlichen Bewertungstraditionen
aufgegeben würden, als dass die Internetverweise als solche
unwissenschaftlich wären.
Das sind sie nicht, solange wissenschaftlich lautere "Zerschläger" am
Werk sind.
Der Cyberfahnder hofft, dass er alle drei Typen bedient und
vielleicht in dem einem oder anderen Zusammenhang ein Zerschläger bleibt.
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