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Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft in Oldenburg im
Zusammenhang mit der Tötung einer Beifahrerin durch einen von einer
Autobahnbrücke geworfenen Holzklotz werden jetzt deshalb kritisiert,
weil dabei die
Verkehrsdaten eines Mobilfunkturms erhoben und
ausgewertet wurden. Dabei sollen die Daten von 10.000 Menschen und
13.000 Mobilverbindungen zusammen gekommen sein
(1).
Es seien
Beschlüsse zum Abhören der Telekommunikation ohne jede Begründung und
ohne jeden Erfolg ergangen.
Zu Wort kommen vor allem der Spiegel, Andy Müller-Maguhn vom
, der
Staatsrechtsprofessor Christoph Gusy und am Rande die nicht
namentlich genannten Verteidiger
des
mutmaßlichen Täters, Nikolai H. Die Quellen hinterlassen eine Menge
Unfug.
Der beginnt beim Wort "Abhören". Vorratsdaten sind Verkehrsdaten und
somit nur Daten über die äußeren Umstände der Telekommunikation. Sie
sind keine Inhaltsdaten.
"Abhören" bezieht sich aber auf das gesprochene oder
geschriebene Wort. Genau das ist von den Verkehrsdaten ausgeschlossen
(2).
Mit welcher Vorstellung die Oldenburger Ermittler die Turmdaten
auswerten wollten, weiß ich nicht. Im Ergebnis haben sie damit recht
gehabt, weil sie die Anwesenheit des mutmaßlichen Täters zur
Tatzeit in der Funkzelle des Tatorts belegen konnten.
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"Rasterfahndung" ist das nächste Blödwort in diesem Zusammenhang.
Rasterfahnden kann man nur, indem man automatisch verschiedene
Datenquellen aufgrund von definierten Kriterien gegeneinander abgleicht.
Die (manuelle) Auswertung der Verkehrsdaten eines Turmes ist keine
Rasterfahndung.
Keinem Ermittler interessieren die Verkehrs- oder Inhaltsdaten von
Unverdächtigen. Bestenfalls werden sie von einem desinteressierten
Ermittler (oder Dolmetscher, wenn die Kommunikation in einer
Fremdsprache erfolgt) im Schnelldurchlauf überflogen und als
uninteressant für die Ermittlungen verworfen. Sie landen auf einem
Datenträger und werden nach Maßgabe von
§ 101 Abs. 8 StPO
gelöscht oder verrotten dort bis zu seiner physikalischen
Haltbarkeitsgrenze.
Mit der juristischen Mode, einen besonderen
Kernbereichsschutz
einzuführen, wird die Eingriffstiefe wegen höchstpersönlicher Meinungs-
und Empfindungsäußerungen zusätzlich vertieft. Nun muss im Detail
geprüft werden, ob ein Gespräch im Kernbereich geführt wird und
vertrauliche Sexualitätsdetails, schwerste Krankheiten, weltanschauliche
Erkenntnisse oder religiöse Bekenntnisse zum Gegenstand hat. Das prüft dann nicht
nur der Dolmetscher, sondern auch der verantwortliche Ermittler und im
Streitfall noch einige Juristen.
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Müller-Maguhn kritisiert die unpräzise Gestalt von
Funkzellen. Recht hat
er. Funkzellen haben keine Wabenform, sondern sind unregelmäßig und
dabei abhängig von Geländeformen, Gebäuden und Witterungen. Und? Wenn
ein Mobiltelefon in der Funkzelle eines Funkmasts eingelockt ist, dann
befindet es sich physikalisch in dessen Empfangsbereich und nicht ganz
weit weg. Für eine punktgenaue Ortung reicht das nicht und vermisste
oder verunglückte Personen kann man anhand einer Funkzellenmessung nur
dann finden, wenn man ihre physikalische Ausdehnung kennt.
Der Staatsrechtler kritisiert die mangelnde Definition der
Anwendungsfälle und spricht von einer unzulässigen
Breitbandaufklärung, weil die Verhältnismäßigkeit der Eingriffsmaßnahme
ungeregelt sei.
Mit diesen Argumenten kann man nicht umgehen, weil sie zu allgemein
sind und weder eine Angriffsfläche noch überhaupt eine
Diskussionsgrundlage bieten.
Experten
haben große Zweifel, ob die Abfrage und Auswertung von Verbindungs- und
Standortdaten gesetzlich als Standardermittlungsmaßnahme vorgesehen ist.
Genau das sagt
aber
§
100g Abs. 2 StPO, allerdings unter den einschränkenden und strengen
Bedingungen dieser Vorschrift.
Müller-Maguhn hat noch mehr auf Lager und spricht bedeutungsschwer von
Verbindungsdaten. Diesen Begriff hat das Telekommunikationsgesetz schon
lange aufgegeben und spricht seit 2004 von Verkehrsdaten (
§ 3 Nr. 30 TKG). Sie umfassen auch die
Geodaten, die der Stand-By-Modus
von Handys verursacht, auch wenn keine SMS verschickt oder empfangen
oder kein Gespräch geführt wird. Auch das ergibt sich im Ergebnis aus
§
100g Abs. 2 StPO.
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Schließlich wird der
Anfangsverdacht bemüht und in Frage gestellt,
dass dieser wegen aller unschuldigen Handynutzer bestehe. Wer behauptet
das? Wenn ein Ermittler das Telefonbuch aufschlägt, um die Telefonnummer
eines Beschuldigten zu erfahren, macht er damit auch nicht alle anderen
verzeichneten Personen zu Beschuldigten. Solange die Identität des
Beschuldigten nicht bekannt ist, besteht nur der Anfangsverdacht einer
Straftat eines unbekannten Täters. Die Ermittlungen zielen darauf, diese
Person zu ermitteln. An einer Straftat wird man in Anbetracht einer
erschlagenen Frau kaum Zweifel haben können
Nur zur Erinnerung: Die Erhebung von Verkehrsdaten bedarf immer eines
gerichtlichen Beschlusses und sei es zur Bestätigung einer
staatsanwaltschaftlichen Eilentscheidung (
§ 100b Abs. 1 S. 3 StPO). Jede dieser Anordnungen muss die
gesetzlichen Vorgaben berücksichtigen und erkennen lassen, dass sie bei
der Entscheidung geprüft wurden. Dabei können Fehler geschehen und ich
wäre der Letzte, der sie leugnet. Bloß: Warum besteht dieses
abgrundtiefe Misstrauen gegen die Strafverfolgung? Möchten die Kritiker
gerne von Holzklötzen erschlagen werden und befürchten müssen, dass die
Täter frei rumlaufen?
Ich
mag Twister, aber ihre Wiederkäuung
(3)
der schon von Rötzer vorgetragenen Argumente, nunmehr geadelt durch die
Kritik des zu keinen Überraschungen fähigen Unabhängigen
Landesdatenschutzzentrums Schleswig-Holstein, machen das Ganze auch
nicht besser.
Das Mäkeln an der Verkehrsdatenauswertung ist eben modern und die
immer wieder betonte Position des Bundesverfassungsgerichts, wonach
verdeckte und tief in Grundrechte eingreifende Ermittlungen im
Zusammenhang mit der besonders schweren Kriminalität gerechtfertigt
sind, ist irgendwie an den Kritikern vorbeigegangen.
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(1)
Florian Rötzer, Bedenken gegen "Rasterfahndung" im
Holzklotz-Fall, Heise online 23.07.2008
(2)
Problematisch sind die Short Messages - SMS. Sie benutzen die
Signalisierungsfunktion der Mobilnetze und sind eigentlich nur
Verbindungsdaten, die "Huckepack" Inhaltsdaten transportieren. Das ist
so als wenn ich an eine Telefonnummer eine Nachricht anhänge, die damit
übermittelt wird. Bei dieser Art der Telekommunikation ist die Trennung
zwischen Signalisierung und "Wort" schwierig, aber machbar. Dankt der
TK-Industrie, die eine profitable Nische entdeckt haben.
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(3)
Twister, 10.000 Mann und ein Holzklotz. Zur Verhältnismäßigkeit
von Abfragen in Datenhalden, Telepolis 28.07.2008
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