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Februar 2009
28.02.2009 Erkenntnisse - Import
     
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift zulässige Verwertung verdeckter Zufallserkenntnisse
 
 
Ändern sich im Verlauf eines anhängigen Strafverfahrens strafprozessuale Vorschriften, so ist für das weitere Verfahren grundsätzlich die neue Rechtslage maßgeblich. (1)
 
 
Werden durch eine Telefonüberwachung in einem Ermittlungsverfahren gegen Dritte gewonnene Daten in ein anderes Strafverfahren eingeführt, um sie zur Aufklärung des gegen den dortigen Beschuldigten gerichteten Tatvorwurfs zu verwenden, so liegt hierin ein - erneuter - Eingriff in das Fernmeldegeheimnis ( Art. 10 Abs. 1 GG). Dieser Eingriff bedarf einer gesonderten rechtlichen Grundlage (vgl. Art. 10 Abs. 2 GG) ... (2)
 
 
Die Inhalte der Telefonate sind in dem gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs des Betrugs gerichteten Strafverfahren jedenfalls als sog. Zufallsfunde nach § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO verwertbar. Danach dürfen die auf Grund der Telefonüberwachung (rechtmäßig) erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach der Strafprozessordnung hätte angeordnet werden dürfen. (3)
 
 

 
Bei der Überwachung der Telekommunikation ( § 100a StPO) Dritter ergaben sich Erkenntnisse darauf, dass sie ihrerseits das Opfer eines Betruges im besonders schweren Fall geworden sind ( § 262 Abs. 3 StGB). Diese Zufallsfunde, wie sich der BGH im Anschluss an § 108 StPO ausdrückt, sind in dem Verfahren gegen den Betrüger verwertbar [ Schwellengleichheit, (1)].

Das Landgericht war in dieser Sache anderer Ansicht gewesen und stellte sich auf den Standpunkt, dass zu dem Zeitpunkt, als die TKÜ durchgeführt wurde, eine entsprechende Maßnahme gegen den Angeklagten nicht hätte durchgeführt werden dürfen, so dass die Erkenntnisse daraus nicht verwertet werden dürften.

Dem hat Bundesgerichtshof jetzt widersprochen. Bei der Verwertung verdeckt erlangter Kenntnisse aus einer TKÜ in einem anderen Verfahren erfolgt ein erneuter Eingriff in das Fernmeldegeheimnis; er darf nur auf einer geltenden gesetzlichen Grundlage erfolgen. Sie besteht dann, wenn wegen des Vorwurfs gegen den Dritten jetzt ebenfalls die TKÜ angeordnet werden darf und das ist seit dem 01.01.2008 auch bei einem besonders schweren Fall des Betruges zulässig (siehe unten).

Das Urteil des BGH ist die erste (mir bekannte) Entscheidung, die sich mit dem neu gefassten § 477 StPO auseinander setzt (4). Das ist aber die falsche Hausnummer, weil der BGH auf § 161 Abs. 2 StPO hätte Bezug nehmen müssen. Es geht ihm nämlich um den Import verfahrensfremder Erkenntnisse und nicht um den Export, der in § 477 StPO geregelt ist. Vom Ergebnis her bleibt das aber gleich.
 

 
Die §§ 161 und 477 StPO erwecken den Eindruck, als seien sie auf die nur unter besonderen Umständen zulässig erlangten Beweismittel aus anderen Verfahrensordnungen anzuwenden, also zum Beispiel nach dem Polizeirecht. Das Urteil stellt klar - was ich auch schon bislang angenommen habe (5), dass das auch für unterschiedliche Strafverfahren gilt (verschiedene prozessuale Taten, § 264 StPO).

Danach gibt es mehrere Durchbrechungen der auf dem ersten Blick äußerst strikten Beweisverwertungsverboten wegen verdeckt erlangter Beweismittel:

als Vollbeweis in demselben Verfahren, auch wenn sich die rechtliche Beurteilung geändert hat und jetzt die Beweiserhebung nicht mehr zulässig wäre (6)
 
als Vollbeweis in anderen Verfahren, wenn sie dort nach Maßgabe des aktuellen Strafverfahrensrechts hätten erhoben werden dürfen ( Schwellengleichheit)
 
als Spurenansatz (7) zur Begründung von Eingriffsmaßnahmen (z.B. für Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse) (8)
 
zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten (9)
 

Damit kann man leben.
 

zurück zum Verweis rückwirkende Verwertbarkeit
 

 
 
Der eigentliche, unmittelbare Eingriff in die Rechtssphäre des Angeklagten lag vielmehr erst darin, dass die Staatsanwaltschaft die durch die Telefonüberwachung gewonnenen Daten in das Verfahren gegen den Angeklagten einführte mit dem Begehren, sie zur Aufklärung des gegen diesen gerichteten Tatvorwurfs zu verwenden. In einer derartigen Verwendung der gewonnenen Daten liegt eine erneute Durchbrechung des Fernmeldegeheimnisses (vgl. BVerfGE 100, 313, 391 f. (10) ), die gesonderter rechtlicher Grundlage insbesondere deswegen bedarf, weil die Datenverwendung nunmehr der Strafverfolgung eines Dritten dienen soll, gegen den sich die ursprüngliche Anordnung der heimlichen Datengewin-nung nicht gerichtet hatte. Diese rechtliche Grundlage war im Zeitpunkt der von der Staatsanwaltschaft begehrten Datenverwendung durch § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO in Verbindung mit § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. n StPO indes gegeben. Der vor dem 1. Januar 2008 bestehenden Rechtslage, die die Verwendung der durch die Telefonüberwachung rechtmäßig erlangten Zufallsfunde zur Aufklärung eines Betrugs im besonders schweren Fall ( § 263 Abs. 3 Satz 2 StGB) nicht zuließ (vgl. § 100b Abs. 5 in Verbindung mit § 100a Abs. 1 StPO aF), kommt demgegenüber keine Bedeutung mehr zu. (11)
 

 
10.05.2009: Klarheit schafft das Urteil des BGH (12) besonders wegen der Frage, ob die beschränkt verwertbaren Kenntnisse auch in anderen Strafverfahren verwertet werden dürfen, deren Gegenstand erst nach neuem Recht die Überwachung der Telekommunikation zulassen. Der BGH lässt das jetzt zu.

Bedeutsam wird das vor allem wegen der vermögensstrafrechtlichen und Fälschungsdelikte, die neu in den Straftatenkatalog des § 100a Abs. 2 StPO aufgenommen worden sind. Das betrifft zum Beispiel qualifizierte Formen des Betruges und der Urkundenfälschung.

Die Argumentation des BGH ist nicht überraschend. Für das Strafverfahrensrecht gilt kein Rückwirkungsverbot ( § 2 Abs. 1 StGB), sondern der Grundsatz, dass das Verfahrensrecht zum Zeitpunkt seiner Anwendung gilt (13). Folglich ist nach dem Inkrafttreten des neuen Straftatenkatalogs nur noch dieser anzuwenden und nicht mehr das alte Recht.

Ein berechtigtes Vertrauen des Angeklagten in die Fortgeltung dieses früheren Rechtszustands ist nicht anzuerkennen. (14)
 

zurück zum Verweis Anmerkungen
 


(1) BGH, Urteil vom 27.11.2008 - 3 StR 342/08, Rn. 13

(2) Ulf Buermeyer, ebenda (1), Bearbeiter für hrr-strafrecht.de

(3) ebenda (1), Rn. 11

(4) siehe auch Zweckbindung, Verwertungsverbote

(5) Import- und Exportverbote

(6) Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts

(7) BVerfG, Urteil vom 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, S. 64

(8)  BVerfG, Beschluss vom 25.04.2005 - 2 BvR 866/05

(9) (7)
 

 
(10) BVerfG, Urteil vom 14.07.1999 - 1 BvR 2226/94, 1 BvR 2420/95, 1 BvR 2437/95 -

(11) ebenda (1), Rn. 13

(12) ebenda (1)

(13) Zitat ganz oben links.

(14) ebenda (1), Rn. 13, am Ende.
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018