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Die angegriffenen Entscheidungen begrenzen die Reichweite dieses
freien Verteidigerverkehrs dahingehend, dass der unkontrollierte Verkehr
nur in der Weise ausgeübt werden kann, als er unmittelbar der
Vorbereitung der Verteidigung dient, mithin nur solche Schriftstücke
umfasst, die unmittelbar das Strafverfahren betreffen (...). Dies ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der weitergehenden Ansicht, wonach das Verteidigerprivileg auch
Schriftsätze aus anderen Verfahren umfasse, wenn diese mit der
Verteidigung in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen oder mittelbar
die Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren tangieren (...) zu
folgen, würde bedeuten, dem Beschuldigten nahezu unkontrollierten
Schriftverkehr zu ermöglichen. Diese Ansicht nimmt an, dass Bemühungen
um den Erhalt oder die Beschaffung von Arbeitsplatz und Wohnung,
Darlehnsaufnahme für eine Kaution und Verkauf von Wertgegenständen für
die Kaution durchaus die Haftgründe oder die Sanktionsentscheidung
betreffen können und damit mittelbar der Verteidigung dienen (...). Da
im Rahmen der Strafzumessung sowie der Entscheidung über die
Strafaussetzung zur Bewährung mannigfaltige, in der Person des
Beschuldigten liegende Gründe eine Rolle spielen, stünde bei einem
derartigen Verständnis des freien Verteidigerverkehrs nahezu jedes
Schreiben in irgendeinem Bezug zum Strafverfahren und im Zusammenhang
mit der Verteidigung. Die Zuordnung zur eigentlichen
Verteidigungsvorbereitung wäre nicht mehr eingrenzbar und würde ins
Uferlose führen (...).
(1)
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Im
Anschluss an die Zeugnisverweigerungsrechte aus
§ 53 Abs. 1 StPO bestimmt
§ 97 Abs. 1 StPO ein ausdrückliches
Beschlagnahmeverbot wegen der Schriftstücke, die sich in der Hand
eines Berufshelfers befinden. Dabei unterscheidet die StPO zwischen dem
"normalen" Rechtsanwalt, der den Beschuldigten in Rechtssachen berät und
vertritt, und dem Verteidiger, der den Beschuldigten wegen der gegen ihn
gerichteten strafrechtlichen Vorwürfe vertritt (u.a.
§ 240 StPO).
§ 160a Abs. 1 StPO gewährt dem Verteidiger einen besonderen Schutz,
indem er Ermittlungsmaßnahmen gegen ihn ausschließt und "dennoch
erlangte Erkenntnisse" einem Verwertungsverbot unterwirft. Unter dieser
Schwelle bleibt der Schutz wegen der Rechtsanwälte im übrigen (
§ 160a Abs. 2 StPO). Er schließt Ermittlungsmaßnahmen gegen sie
nicht aus und kennt auch kein Verwertungsverbot, unterwirft die
Ermittlungshandlungen aber einer besonderen Prüfung der
Verhältnismäßigkeit. Als Auslegungsregel hat der Gesetzgeber bestimmt,
dass die Maßnahme dann zulässig ist, wenn sie im Zusammenhang mit
Straftaten von
erheblicher Bedeutung steht (
§ 160a Abs. 2 S. 1 zweiter Teilsatz StPO)
(2)
(3).
Ein klares Privileg für das Vertrauensverhältnis zum Verteidiger
enthält
§ 148 Abs. 1 StPO, der bedingungslos den freien Verkehr mit ihm
zulässt.
Hieraus hat die Rechtsprechung abgeleitet, dass entgegen dem Wortlaut
des
§ 97
Abs. 1 StPO auch die
Verteidigerpost in der Hand des Beschuldigten beschlagnahmefrei ist
(4).
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Mit der
Unterscheidung zwischen Rechtsanwalt und Verteidiger hat sich jüngst das
BVerfG auseinandergesetzt
(1),
wobei es um das Verbot in
§ 115 Abs. 1 OWiG ging, Gefangenen Nachrichten zu übermitteln. Der
betroffene Rechtsanwalt hatte seinem Mandanten in der Untersuchungshaft
an der Postkontrolle vorbei Schriftverkehr übergeben, der allgemeine
Rechtsangelegenheiten und jedenfalls nicht die strafrechtlichen Vorwürfe
gegen ihn zum Gegenstand hatte.
Nach den
Nr. 32, 33 UVollzO unterliegt der eingehende und ausgehende
Schriftverkehr der Postkontrolle
(5).
Diese Verwaltungsvorschriften füllen die gesetzliche Eingriffsbefugnis
aus
§ 119 StPO aus
(6).
Dank des Privilegs aus
§ 148 Abs. 1 StPO ist die Verteidigerpost von der Postkontrolle
ausgenommen.
Eine
Erweiterung der Kontrollfreiheit auch auf den allgemeinen
rechtsanwaltlichen Schriftverkehr hat das BVerfG abgelehnt. Mit
deutlichen Worten: Die Ausdehnung des Schutzes
würde ins Uferlose führen.
25.12.2009:
Berufsgeheimnisträger werden nur geschützt, soweit ihr Zeugnisverweigerungsrecht
im Verfahren gegen den Beschuldigten reicht, nicht aber soweit ihr
Individualinteresse als selbst beschuldigte Personen betroffen ist
(7).
Mit diesen Worten hat der BGH die Beschlagnahmefreiheit von
Verteidigerpost in den Fällen abgelehnt, in denen der Verteidiger
Beschuldigter wegen der Tat seines Mandanten oder wegen strafbarer
Unterstützungshandlungen verdächtig ist.
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(1)
BVerfG, Beschluss vom 13.10.2009 - 2 BvR 256/09
(2)
Im Gegensatz zur
besonders schweren Kriminalität ist die von "erheblicher Bedeutung"
bislang nicht klar definiert. Es wird sich um mindestens
mittlere Kriminalität handeln müssen, die der besonders schweren
näher steht als der leichten Kriminalität.
(3)
Die neue Bundesregierung beabsichtigt, die Unterscheidung zwischen
Rechtsanwalt und Verteidiger aufzugeben und sie als einheitliches Organ
der Rechtspflege zu verstehen;
siehe auch
Detlef Burhoff, Hinweise zur Rechtspolitik im
Strafverfahren, Dezember 2009.
(4)
Wegen der Grenzen siehe jetzt
(7), Rn. 13.
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(5)
Rechtsprechungsübersicht bei
dejure.org.
(6)
Die ab 01.01.2010 geltende Neufassung des
§ 119 StPO bezieht sich ausdrücklich auf die Kommunikation des
Gefangenen mit der Außenwelt. Das fehlt in der noch geltenden Fassung.
Daneben bestehen auch landesrechtliche Regelungen zum Haftvollzug, auf
die hier nicht eingegangen wird (auch das würde ins Uferlose führen).
(7)
BGH, Urteil vom 27.03.2009 - 2 StR 302/08, Rn. 12
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