|
Liegen
einem Angeklagten zahlreiche Vermögensdelikte zur Last, die einem
einheitlichen modus operandi folgen, genügt der konkrete Anklagesatz den
Anforderungen des
§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO und des
§ 243 Abs. 3 Satz 1 StPO, wenn dort - neben der Schilderung
der gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des jeweiligen
Straftatbestandes erfüllt - die Tatorte, die Gesamtzahl der Taten, der
Tatzeitraum und der Gesamtschaden bezeichnet werden und im wesentlichen
Ergebnis der Ermittlungen der Anklage oder einer Anlage zur Anklage die
Einzelheiten der Taten, d. h. die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatopfer
und die jeweiligen Einzelschäden, detailliert beschrieben sind.
(1)
|
|
§ 200 StPO verlangt von der Anklageschrift, dass sie den den
Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort
ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die
anzuwendenden Strafvorschriften bezeichnet (Anklagesatz), die
Beweismittel benennt und das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen
ausführt. Dabei ist anerkannt, dass zur Verdeutlichung und ergänzenden
Erläuterung des Anklagesatzes auf das wesentliche Ergebnis der
Ermittlungen zurückgegriffen werden kann
(2).
Der jüngste Beschluss des BGH erweitert die Bezugnahmen ausdrücklich
auf Anlagen zur Anklageschrift und ermöglicht die Verschlankung des
Anklagesatzes, der zu Beginn der gerichtlichen Hauptverhandlung verlesen
werden muss.
Die Anklage
hat zwei wichtige Funktionen. Sie muss den Angeklagten und die
(anwesende) Öffentlichkeit über den Vorwurf informieren, die die
Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten erhebt, und ihn gleichzeitig so
genau umgrenzen, dass er örtlich, räumlich und sachlich unverwechselbar
ist.
Wenn einer oder mehrere Staatsanwälte über Tage hinweg immer wieder
denselben Sermon und Listen mit geschädigten, Zahlungsdaten und Schäden
verlesen, bleibt die Informationsfunktion sowieso auf der Strecke. Kein
Zuhörer kann sich wirklich merken, was dabei dem Angeklagten im
einzelnen vorgeworfen wird.
Viel wichtiger und begreifbarer ist bei "Punktesachen" die
Zusammenfassung. Sie beschreibt, wie der Angeklagte einmal gehandelt
hat, um zum Beispiel viele Menschen zu betrügen (
Rückruftrick), oder wie er in der gleichen Weise immer wieder
handelte (z.B. beim Kindesmissbrauch).
|
Die Namen und sonstigen Daten zu den vielen betrogenen Zeitgenossen oder
die leiernde Wiederholung der ekelerregenden Penetration sind überhaupt
nicht nötig, um die Brisanz des Vorwurfs als Schöffe oder als Besucher
einer Gerichtsverhandlung zu begreifen. Ihr sinnleerer Vortrag stumpft
den Zuhörer eher ab.
Die Umgrenzung der Vorwürfe durch Listenwerke ist eine lange
Tradition in Wirtschaftsstrafsachen. Sie ist zweifellos wichtig, um zu
klären, wegen welcher Einzelheiten der Angeklagte bestraft werden soll
und wegen welcher nicht. Für die Beurteilung des Unrechts und der Schuld
ist es hingegen in aller Regel egal, ob das Opfer Karl Müller oder Heinz
Meier heißt oder ob ein Lieferant in Insolvenz ging, weil der Täter ihm
17.000 € oder 17.394,25 € nicht zahlte, obwohl er es musste.
Die Informationsfunktion äußert sich in dem, was verlesen werden
muss, die Umgrenzungsfunktion in dem, was dem Angeklagten im Detail
vorgeworfen wird. Die Verschlankung der Informationsfunktion ist
hilfreich, solange die Umgrenzungsfunktion davon unberührt bleibt.
Der neue Ansatz des BGH ist deshalb sinnvoll und überfällig.
27.03.2010: Mit den Einzelheiten setzt sich jetzt vertieft der
Vorlagebeschluss des 1. Strafsenats auseinander
(3).
|