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Juli 2010
05.07.2010 10-07-10 Eingriffsmaßnahmen
     
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift untermauerter Anfangsverdacht

 
Eine Anordnung nach § 100a StPO erfordert zwar für sich betrachtet keinen bestimmten Verdachtsgrad, sondern nur den „einfachen“ Tatverdacht einer Katalogtat. Dieser Verdacht muss allerdings auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruhen. Dabei sind mit Blick auf das Gewicht des in Rede stehenden Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG Verdachtsgründe notwendig, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Es müssen Umstände vorliegen, die nach der - auch kriminalistischen - Lebenserfahrung in erheblichem Maße darauf hindeuten, dass jemand eine Katalogtat begangen hat. Der Verdacht muss auf Grundlage schlüssigen Tatsachenmaterials bereits ein gewisses Maß an Konkretisierung und Verdichtung erreicht haben. [Leitsatz] (1)
Zu den Textvergleichen und den aus deren Ergebnissen gezogenen Schlüssen hat der Senat bereits früher darauf hingewiesen, dass bei Analysen von Bekennerschreiben vorgefundene Übereinstimmungen in thematischer, stilistischer und textgestalterischer Hinsicht regelmäßig Indizien mit einem allenfalls äußerst geringen Beweiswert sind. [Rn 23] (1)
 

 
Durch Beschluss vom 11.03.2010 (1) hat der Bundesgerichtshof bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit verdeckter Ermittlungsmaßnahmen ( § 101 StPO) festgestellt, dass sie rechtswidrig waren, weil zum Zeitpunkt ihrer Anordnung und Durchführung ein ausreichender Tatverdacht gegen den früheren Beschuldigten nicht bestand.

Das Gericht wiederholt dazu seine Rechtsprechung, dass im Zusammenhang mit der Überwachung der Telekommunikation gemäß § 100a StPO zwar ein einfacher Tatverdacht ausreicht, dieser aber durch weitere Tatsachen angereichert und abgesichert sein muss ( Anfangsverdacht).

Sprachanalysen anhand von Textvergleichen spricht der BGH einen äußerst geringen Beweiswert zu. Sie sind jedenfalls für sich alleine nicht geeignet, den gebotenen Verdacht zu begründen (siehe links unten).

Wegen der Begründungspflicht in Beschlüssen über Eingriffsmaßnahmen findet der BGH hingegen versöhnliche Worte: Staatsanwaltschaft und Gericht müssen sich darauf verlassen können, dass die Vorlageberichte der Verfolgungsbehörden vollständig die bekannten Ermittlungsergebnisse wiedergeben. Insoweit ist der Richter auch nicht gehindert, Teile aus der Antragsschrift in seinen Beschluss zu übernehmen, wenn er die rechtliche Beurteilung aus dem Antrag teilt. Damit trägt der BGH auch der Tatsache Rechnung, dass die Beschlüsse im Ermittlungsverfahren häufig unter Zeitdruck erfolgen müssen (siehe Kasten rechts). Daraus folgt - zu recht - eine große Verantwortung der Ermittlungsbehörden.
 

 
Staatsanwaltschaften und Gerichte müssen davon ausgehen können, dass sie im Ermittlungsverfahren ihre Entscheidungen auf der Grundlage aller maßgebenden, bis zu dem jeweiligen Zeitpunkt angefallenen Ermittlungsergebnisse treffen. Der Ermittlungsrichter ist bereits von Verfassungs wegen verpflichtet, die Zulässigkeit der beabsichtigten Maßnahme eigenständig zu prüfen (...). Entgegen der Auffassung des Verfahrensbevollmächtigten des früheren Beschuldigten fehlt es an einer solchen eigenständigen Prüfung nicht ohne Weiteres bereits dann, wenn der Ermittlungsrichter Passagen aus der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft wörtlich in seinen Beschluss übernimmt. Denn stimmt der Ermittlungsrichter in seiner Einschätzung, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der von der Staatsanwaltschaft beantragten Ermittlungsmaßnahmen vorliegen, mit derjenigen der Antragstellerin überein, so ist er nicht verpflichtet, dies durch eine eigene sprachliche Stilübung im Anordnungsbeschluss selbstständig zu formulieren; vielmehr darf er insoweit durchaus wörtlich auf die Ausführungen in der Antragsschrift zurückgreifen. Die dem zugrunde liegende, unabdingbare, eigenständige Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen durch den Ermittlungsrichter muss allerdings in der Praxis häufig unter großem Zeitdruck durchgeführt werden; der Akteninhalt ist oft umfangreich. Die Erfüllung seiner Funktion als Kontrollorgan der Ermittlungsbehörden (...) wird deshalb nicht unerheblich erschwert und verzögert, wenn der Ermittlungsrichter nicht annehmen kann, dass die Beweislage, soweit sie für die Entscheidung relevant ist, in den Antragsschriften ohne erhebliche Lücken dargetan ist. [Rn 26] (1)
 

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(1) BGH, Beschluss vom 11.03.2010 - StB 16/09
 

 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018