Web Cyberfahnder
  Cybercrime    Ermittlungen    TK & Internet    Literatur    intern    Impressum 
August 2010
29.08.2010 Rechtsprechung
     
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift besondere Strafempfindlichkeit überraschende Wendung

 
Nicht frei von Rechtsfehlern ist auch die Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte sei als Ausländer besonders strafempfindlich. Die Ausländereigenschaft begründet für sich alleine keine besondere Strafempfindlichkeit; nur besondere Umstände wie Verständigungsprobleme, abweichende Lebensbedingungen und erschwerte familiäre Kontakte können ausnahmsweise zu einer anderen Beurteilung führen (...). Konkrete Feststellungen hierzu fehlen. (1)
 

10-08-34
Vielfach wird unbedacht behauptet, Ausländer seien besonders strafempfindlich, weil sie sprachlich und kulturell allein gelassen seien. Das führt im Ergebnis zu einer milderen Strafe und damit zu einem Entgegenkommen gegenüber der Verteidigung.

Der Knastalltag sieht anders aus und mit bestimmten Muttersprachen können sich viele Insassen sehr gut untereinander verständigen.

Nicht aus diesem Grund ist der BGH  der Mär entgegen getreten, sondern weil er im Einzelfall besondere Umstände festgestellt wissen will (1). Recht so!
 

10-08-36
 Das angegriffene Urteil spricht von 119 Einzelstrafen. Davon hebt der BGH in der Revision 34 auf (4). Man würde meinen, dass das Gericht nun die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht oder ein anderes Tatsachsengericht zurückverweisen würde ( § 354 Abs. 2 StPO). Immerhin haben nur zwei Drittel der ausgeurteilten Taten Bestand gehabt.

Weit gefehlt! Die Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren lässt der BGH bestehen und verwirft die Revision des Angeklagten. Warum?

In der Sache geht es um Serienbetrügereien im Zusammenhang mit fingierten Aufträgen und Scheinrechnungen. In den aufgehobenen Fällen hatte das Landgericht Tatmehrheit angenommen ( § 53 StGB), der BGH sieht sie jedoch als Teile natürlicher Handlungseinheiten (5). Er hebt nicht die tatsächlichen Feststellungen auf, sondern bewertet sie rechtlich abweichend. Dadurch kann der Strafausspruch im Ergebnis bestehen bleiben, weil durch die Zusammenfassung mehrerer Taten zu jeweils einer einzigen Tat ... sich deren Schuldgehalt nicht ändert (6).
 

Urteil bei Freispruch
 
Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen feststellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (2).
 

10-08-35
Hohe Anforderungen stellt der BGH an die Begründung freisprechender Urteile. Das ist nicht neu, sondern ständige Rechtsprechung. Sie wird hier noch einmal auf den Punkt gebracht (2).

Das Gericht verlangt nach einer schlüssigen Überzeugungsbildung des Tatrichters und die Würdigung der festgestellten Tatsachen. Ein einfaches "das ist ja so schwierig" oder "das ist ja alles nicht bewiesen lässt der BGH nicht gelten.
 

zurück zum Verweis Zaunpfahl englischsprachige Gesetzestexte
 
Dagegen wird der Schuldspruch von den festgestellten Mängeln der Entscheidung nicht berührt. Der Senat schließt aus, dass ein neues Tatgericht - auch bei nahe liegender Einschaltung eines anderen Sachverständigen - zu einem Ausschluss der Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangen könnte. (3).
 


10-08-37
Das Gericht zitiert einen ungenannten Sachverständigen mit den Worten, der Angeklagte habe seine Gewaltfantasien unter einer krankhaften "schönen Stimmung" ausgelebt. Das hält der BGH hingegen nicht für hinreichend wissenschaftlich und legt die Beauftragung eines anderen Sachverständigen nahe (3): Denn dies besagt noch nichts darüber, ob er in der Tatsituation noch uneingeschränkt in der Lage war, sein Verhalten zu steuern (Rn. 6).

Unterschieden wird dabei zwischen der Einsichtsfähigkeit, also das Vermögen des Angeklagten, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, und der Steuerungsfähigkeit, also danach, ob der Angeklagte dieser Einsicht folgen konnte. Die schlichte Tatsache einer psychischen Störung führt nicht zur Schuldunfähigkeit ( § 20 StGB) oder zur verminderten Schuldfähigkeit ( § 21 StGB), wenn der Krankheitswert gering und der Betroffene im Alltagsleben mit ihr umgehen kann.
 

10-08-38
Mit einem hilfreichen Dienst hat Juris bei gesetze-im-internet.de begonnen, indem besonders wichtige Gesetzeswerke auch in englischer Sprache veröffentlicht werden. Das gilt zum Beispiel für
das Strafgesetzbuch - StGB,
die Strafprozessordnung - StPO,
das Gerichtsverfassungsgesetz - GVG - und
das Bürgerliche Gesetzbuch - BGB.

Gegenwärtig sind 16 Gesetze in englischer Sprache verfügbar: Teilliste Übersetzungen.
 

zurück zum Verweis Anmerkungen
 


(1) BGH, Urteil vom 08.07.2010 - 3 StR 151/10

(2)   BGH, Urteil vom 29.07.2010 - 4 StR 190/10, Rn. 7.

(3) BGH, Beschluss vom 30.06.2010 - 2 StR 580/09, Rn. 9.
 

 
(4) BGH, Beschluss vom 03.08.2010 - 4 StR 157/10

(5) materielle und prozessuale Tat, 13.05.2010

(6) Rn. 8 unter Bezugnahme auf BGH, Beschluss vom 09.03.2010 - 4 StR 592/09.
 

zurück zum Verweis Cyberfahnder
© Dieter Kochheim, 11.03.2018