Zwar geht das Landgericht im Ansatz zutreffend davon aus, dass ein
Delikt, das sich über einen gewissen Zeitraum hinzieht, andere
Straftaten, die bei isolierter Betrachtung in Tatmehrheit zueinander
stünden, zu Tateinheit verbinden kann, wenn es seinerseits mit jeder
dieser Straftaten tateinheitlich zusammentrifft (...). Auch verkennt die
Strafkammer nicht, dass diese Wirkung ausbleibt, wenn das Dauerdelikt in
seinem strafrechtlichen Unwert, wie er in der Strafandrohung Ausdruck
findet, deutlich hinter den während seiner Begehung zusätzlich
verwirklichten Gesetzesverstößen zurückbleibt. Denn eine minder schwere
Dauerstraftat hat nicht die Kraft, mehrere schwerere Einzeltaten, mit
denen sie ihrerseits jeweils tateinheitlich zusammentrifft, zu einer Tat
im Sinne des
§ 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen ...
Allerdings hat die Strafkammer übersehen, dass sowohl
§ 177 Abs. 2 StGB (Fall 5 ...) mit den zuvor verwirklichten
Delikten (Fälle 3 und 4 ...) als auch
§ 224 Abs. 1 StGB (Fall 6 ...) mit den weiteren der
Vergewaltigung nachfolgenden Delikten (Fälle 7 und 8 ...) durch
§ 239 StGB zur Tateinheit verklammert werden. Für die
sogenannte Klammerwirkung eines dritten Delikts im vorgenannten Sinne
ist erforderlich aber auch hinreichend, dass zwischen dem dritten und
einem der verbundenen Delikte annähernde Wertgleichheit besteht; wiegt
– wie hier – nur eines der betroffenen Delikte schwerer als dasjenige,
das die Verbindung begründet, so verbleibt es bei der Klammerwirkung
(1).
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Diese
Entscheidung ist einem juristisch Ungeschulten nicht verständlich zu
machen und auch dem Fachmann kommen sicherlich Zweifel daran. Es geht um
den Umfang der materiellrechtlichen Tat und darum, ob eine einheitliche
Tat (Tateinheit,
§ 52 StGB) oder mehrere Taten anzunehmen sind (Tatmehrheit,
§ 53 StGB).
Soweit man das dem BGH-Entschluss entnehmen kann, ist eine Frau
eingesperrt (Freiheitsberaubung,
§ 239 StGB) und während dessen mindestens zweimal mit einem
Butterfly-Messer verletzt (gefährliche Körperverletzung,
§ 224 Abs. 1 StGB) und einmal vergewaltigt worden (
§ 177 Abs. 2 StGB).
Nach
§ 52 StGB bilden die Verstöße gegen verschiedene Gesetze dann eine
deliktische Einheit, wenn sie durch dieselbe Handlung oder jedenfalls in
einem ganz engen räumlich-zeitlichen Zusammenhang erfolgen. Das steht
zum Beispiel außer Frage, wenn ein angetrunkener Autofahrer einen Unfall
verursacht (Gefährdung des Straßenverkehrs,
§ 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB) und dadurch einen Menschen verletzt
(fahrlässige Körperverletzung,
§ 229 StGB). Die Vollendung beider Taten fällt zeitlich zusammen
oder steht in einem engen zeitlichen Zusammenhang.
Probleme
bereiten die Dauerdelikte, die sich über lange Zeit erstrecken. Hier ist
das die Freiheitsberaubung, die vom Täter zur Körperverletzung und zur
Vergewaltigung ausgenutzt wird.
Die Freiheitsberaubung ist ein Vergehen (
§ 12 Abs. 2 StGB) und hat einen Strafrahmen, der mit Geldstrafe
beginnt und seine oberste Grenze bei 5 Jahren Freiheitsstrafe hat). Die
Vergewaltigung ist ein selbständiges Verbrechen mit einer Mindeststrafe
von 2 Jahren Freiheitsstrafe und einer Höchststrafe von 15 Jahren
Freiheitsstrafe (
§ 38 Abs. 2 StGB). Mit einer merkwürdig bildhaften Begründung hat
der BGH immer wieder ausgeführt, dass das schwach bestrafte Vergehen
nicht die "Kraft" habe, das erheblich schwerer bestrafte Verbrechen zu
einer einheitlichen Tat zu verklammern.
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Während der
Freiheitsberaubung scheint der Täter neben der Vergewaltigung und den
beiden gefährlichen Körperverletzungen noch 4 weitere "einfache" Delikte
begangen zu haben (Nötigung? Verbotener Waffenbesitz?), die dieselbe
oder eine geringere Höchststrafe androhen. In diesen Fällen soll nun
doch eine Klammerwirkung erfolgen (
links unten).
Viel
einfacher und sachgerechter wäre es, wenn der BGH diesen Klammer-Mist
bei Dauerdelikten ganz aufgeben oder wenigstens klar strukturieren
würde. Meine Vorschläge sind:
Ein Dauerdelikt kann nur dann mit anderen Delikten eine Tateinheit
bilden, wenn beide auf demselben Tatentschluss beruhen. Das gilt auch
für verschiedene Dauerdelikte.
Ein
Vergehen kann als Dauerdelikt gegenüber einem Verbrechen oder einem
Vergehen, das mit einer höheren Mindeststrafe droht, keine
Klammerwirkung entfalten.
Die
knappen, abstrakten und oberflächlich wirkenden Ausführungen des BGH
fördern ein grundsätzliches Problem bei der Auseinandersetzung mit
seiner Rechtsprechung zu Tage: Ohne weitere Kenntnisse über den
entschiedenen Fall lassen sie sich nicht nachvollziehen und schon gar
nicht würdigen. Der Rezensent kämpft mit denselben Problemen wie das
Revisionsgericht, wenn es Bewertungsmängel des Tatgerichts ohne eigene
Tatsachenkompetenz zu erkennen und aufzuklären versucht.
Das Fatale ist nur, dass nicht zuletzt durch die fast lückenlose
Veröffentlichung der BGH-Entscheidungen jede seiner Beurteilungen, die
stark am Einzelfall orientiert sind, eine allgemeine Bedeutung
entfalten, die ihnen tatsächlich nicht zukommt.
Das gilt besonders für den hier angesprochenen Beschluss, bei dem man am
Ende wirklich nicht weiß, was der BGH tatsächlich geregelt und
positioniert hat. Er muss ganz vorsichtig in der Zukunft diskutiert
werden und eignet sich kaum für eine klare Positionsbestimmung und
Ausrichtung.
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