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Eine Million Kundendaten wurden aus der Datenbank von Sony gestohlen
(1).
Im April war es zunächst das Hackerkollektiv Anonymous, das DDoS-Angriffe gegen das Unternehmen durchführte, um gegen die
justizielle Verfolgung von Crackern zu protestieren, die den
Kopierschutz der Playstation 3 geknackt haben sollen
(2).
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Jetzt taucht ein neuer Name auf: LulzSec.
Diese Gruppe ist erstmals in diesem Jahr in Erscheinung getreten und
bislang ist unbekannt, wer sich hinter dem Namen verbirgt
(3).
Der Spiegel widmet ihr eigene Fotostrecken
(4)
und ein nettes Schaubild, das den Angriff gegen das Firmennetz von Sony verbildlicht
(5).
Schlag auf Schlag folgten weitere Angriffe
(6).
Christian Stöcker spricht völlig zu Recht davon, dass hier
strategisch operierende Angreifer zu Gange <seien>, die
Geduld haben, jede Menge Zeit und offenbar ausreichende Ressourcen, um
Sicherheitssysteme nach Schwachstellen abzusuchen
(7).
Sie passen nicht in das Bild vom lustigen Hacker, der doch nur spielen
will. Jedenfalls was die Angriffe gegen RSA
(8)
und Lockheed-Martin
(9)
betrifft, vermutet Stöcker
Profis am Werk, Fachleute für IT-Sicherheit, die methodisch und
organisiert vorgehen, um bestimmte Informationen in ihren Besitz zu
bringen. Bezahlte, womöglich festangestellte Cyber-Kriminelle,
vielleicht im Dienste eines ausländischen Geheimdienstes
(10).
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gute Hacker, böse Hacker |
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Tatsächlich ist es geboten, nicht einfach nur von Hackern zu sprechen.
Davon gibt es viele und ganz verschiedene
(11).
Ihnen ist gemeinsam, dass sie tiefe technische Kenntnisse haben und
bereit und in der Lage sind, diese auch praktisch anzuwenden.
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Die, die an anderer Stelle
als "gute" oder "weiße" Hacker bezeichnet werden, nenne ich
wegen ihrer universitären Herkunft die
akademischen Hacker. Sie suchen nach
technischen Schwachstellen sowie anderen Schwächen in der IT-Organisation
und entwickeln sogar Lösungen, um mehr Sicherheit zu schaffen.
Sie verursachen keine böswilligen Schäden, allenfalls unbedachte
Flurschäden, streben nicht nach persönlicher Bereicherung,
sondern mehr nach Anerkennung, Geltung und Bewunderung.
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Aus materieller Not,
zynischem Gewinnstreben oder sozialer Entwurzelung sind die
kriminellen Hacker
entstanden. Sie agieren in der Underground Economy, liefern
Malware und das technische Knowhow für Botnetze, veranstalten
DDoS-Angriffe oder drohen damit, um Geld zu erpressen, und
dringen in fremde IT-Systeme ein, um Informationen zu stehlen,
die sich zu Geld machen lassen. Für sie gilt die Aussage von
Balduan aus dem Jahr 2008:
Keiner
hackt mehr heute zum Spaß, das ist knallhartes Business geworden
(12).
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Nicht minder begabt und
häufig nicht weniger skrupellos sind die
IT-Söldner, die die Hacking-Methoden zum
gewerblichen Einsatz verfeinern und einsetzen, sich dazu
lautere Ziele auf die Fahnen schreiben und in der offenen
Wirtschaft ihr Geld verdienen. Sie kommen erst nach und
nach in das Gesichtsfeld der Öffentlichkeit
(13).
HB Gary Federal, das französische Unternehmen Vupen
(14)
und die jüngsten Angriffsziele von LulzSec
(15)
liefern die Beispiele für die gewerblichen Söldner, die "gutes"
Geld verdienen.
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Weniger aus Spaß als aus
Überzeugung handeln die
Hacktivisten. Sie widmen sich dem Defacement,
also dem Verschandeln gegenerischer Webseiten, führen
DDoS-Angriffe durch und stehlen Daten.
Auch sie unterscheiden sich nach ihren Motiven und Zielen.
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Noch wenig in Erscheinung
getreten sind IT-Terroristen.
Sie verfolgen politische Ziele und sind häufig von politischen
oder religiösen Heilsvorstellungen geprägt, skrupellos und
unbarmherzig.
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Viele Ähnlichkeiten mit
den IT-Söldnern und -Terroristen dürften die regimetreuen
Handlanger aufweisen. Sie übernehmen
Auftragsarbeiten, bei denen die politischen Hinterleute im
Dunkeln bleiben, und erlangen Anerkennung und wahrscheinlich
auch Einkommen. Sie lassen sich im Zusammenhang mit
DDoS-Angriffen in den GUS-Staaten und im Zusammenhang mit
Spionageangriffen aus China erwarten.
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Anonymous und LulzSec
stehen eher in der Tradition der
Spaß-Guerilla. Sie scheinen keinen politischen
Programmen, aber individuellen, mehr moralischen
Politikvorstellungen von Gut und Böse zu folgen. Auch wenn ihre
Programmatik spontaneistisch und unprofessionell wirken mag, so
sind das ihre Handlungen keineswegs
(16),
wie die Angriffe gegen Sony und HB Gary Federal anschaulich
bewiesen haben.
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hacktivistische Kultur |
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Wie sind
die Aktivisten bei LulzSec einzuschätzen?
Nehmen es da tatsächlich gerade ein paar Halbstarke mit dem FBI auf?
Ist das eine neue Form von "apolitischem" Terrorismus? Vandalismus? Wie
soll man das überhaupt nennen? wurde ich unlängst gefragt
(16a).
Der Chaos
Computer Club -
- und der Cult of the Dead Cow
(17)
liefern Beispiele dafür, dass aus der akademischen Hackerkultur immer
wieder mutige - aber auch tollkühne - Aktivitäten entstanden sind, die
an die Sponti-Aktionen aus den 70er und 80er Jahren des letzten
Jahrhunderts erinnern. Sie richten sich gegen das Establishment, die
politischen Eliten und staatlichen und wirtschaftlichen Einrichtungen, die als
Unterdrückungswerkzeuge verstanden werden. Besonders Anonymous zeigt
dabei Rückgrat und Zielgenauigkeit, LulzSec eher Unverfrorenheit und
dreisten, aber auch unbedachten Mut. Beide Gruppen zeigen
spontaneistische Züge und tiefes professionelles Wissen.
Ihre Politik ist libertär, aber nicht streng
programmatisch und keineswegs unpolitisch. Sie leisten systematischen
Vandalismus, also keinen Vandalismus im klassischen Sinne. Ihre
Destruktion ist präzise und deshalb nicht mit dem klassischen
Terrorismus vergleichbar.
Sie sind moralisch selbstlegitimierte
Hacktivisten in der Tradition der Spontibewegung. Aus dieser sind
inzwischen anerkannte politische Parteien entstanden. Dabei dürfte der
Begriff "Tradition" falsch gewählt sein. Vermutlich hat die neue
Bewegung keine politische Erinnerung, die dreißig oder mehr Jahre
zurückreicht, sondern ein selbstgestricktes, libertäres, frisches und
jedenfalls von Selbstzweifeln freies Schwarz-Weiß-Bild von Gut und Böse.
Solche politischen Vorstellungen sind nicht
ungefährlich, weil sie meistens wenig Reflexion und Selbstkritik
verheißen. Ihre Ziele lassen sich jedoch nachvollziehen, eine sachliche
Diskussion dürfte möglich sein und die gewählten Mittel könnten wohl
diskutiert werden. Gegenüber den Gefahren, die von skrupellosen
Kriminellen, Terroristen, Söldnern oder herrschaftlichen Dienern drohen,
dürften die Gefahren, die von Sponti-Hackern ausgehen, eher
gering sein.
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Gegenkultur |
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Man mag es
mir nachsehen: Soweit ich die Jugendkulturen der letzten 25 Jahre
mitbekommen habe, wirkten sie auf mich stark ich-bezogen,
unprogrammatisch und letztlich unpolitisch in dem Sinne, dass sie keine
gesellschaftlichen Perspektiven vermittelten. Auch der Rückzug ins
private oder klein-kollektive Schneckenhaus ist sicherlich "politisch".
Er ist aber der Rückzug in eine Nische und keine weltverbesserische
Mission.
Bei allen Vorbehalten bin ich nicht unglücklich
über die Sponti-Hacker. Die von ihnen verursachten Kollateralschäden
halten sich bislang in Grenzen und ihre Aktionen fordern von der
Zivilgesellschaft klare Bekenntnisse und Ausrichtungen, um mit der neuen
Gegenkultur umzugehen. Sie übernehmen Verantwortung und fordern
Beachtung. Besonders deutlich ist das im Zusammenhang mit
den DDoS-Angriffen von Anonymous gegen Amazon und die Banken geworden,
die den Hostspeicher für WikiLeaks und die Konten für Assange gesperrt
hatten. Die Gegenkultur aus der Zivilgesellschaft hat ihnen demonstriert,
dass sie eigene Normen durchzusetzen bereit ist. Das selbstgerechte
Lavieren und obrigkeitliche Buckeln der New Economy hat jedenfalls von
Anonymous einen herben Stich versetzt bekommen.
Der
Sponti-Hacktivismus liefert der Zivilgesellschaft eine Chance zu
Neuorientierung und Rückbesinnung auf gesellschaftliche Verantwortung.
Seine Akteure kommen nicht von außen, sondern sie sind Teil der
existierenden Gesellschaften. Gleichzeitig sind sie Profis im
technischen Sinne und sendungswillige Eiferer, die für ihre moralischen
Vorstellungen einstehen - jedenfalls solange wie es darum geht, sich für
sie einzusetzen. Sie werden sicherlich nicht reuemütig zu Kreuze
kriechen, wenn es ihnen persönlich an den Kragen geht.
Staaten, Gesellschaften und Wirtschaft werden
sich der Herausforderung stellen müssen. Ich glaube, das wird ihnen
deshalb guttun, weil erstmals wieder eine moralische, ganz und gar
unwirtschaftliche Dimension in die politische Debatte kommt. Man muss
sie nicht uneingeschränkt teilen, aber anerkennen, dass wirtschaftlicher
Wachstum, die Sicherung von Pfründen und Gewinn nicht alleinentscheidend
sind.
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Unterstützung von Kriminalität? |
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Böse! Böse!
Der Cyberfahnder bekundet Sympathie für kriminelle Handlungen?
Nein! DDoS, Hacking und Datenklau sind
Straftaten, die ich nicht kleinreden werde und nicht kleinreden will.
Wenn es um politische Prozesse geht, dann ist aber auch eine gewisse
Gelassenheit gefordert. Bei der Diskussion um den Hacktivismus geht es
bislang nicht um Menschenopfer, Brandstiftung oder ganz schwere
wirtschaftliche Schäden (die durch Prävention hätten begrenzt werden
können). Es geht um eine selbstprovozierte Pleite (HB Gary Federal) und
Rücktritte von Politikern (diplomatische Depeschen der USA auf WikiLeaks),
fragwürdige staatliche Überwachungsmaßnahmen in den USA, die
Unterstützung von Volksbewegungen in Nordafrika und dem Nahen Osten und
wirtschaftliche Muskelspiele im Zusammenhang mit gewerblichen
Schutzrechten. Den Nachweis der großartigen Gefährdung von Menschen
durch WikiLeaks ist die US-Regierung bislang schuldig geblieben. Mit
Verlaub: Die Entrüstung erinnert an das hohle Säbelgerassel zur
Begründung des zweiten Irak-Krieges. Die seinerzeit präsentierten
Beweise haben sich ganz überwiegend als übertrieben oder schlichte Lügen
erwiesen.
Anonymous
und LulzSec müssen Grenzen gesetzt werden. Das geht aber nicht, indem
der große Knüppel geschwungen wird, weil ihr moralischer Appell nicht
von vornherein falsch ist. Ihre Aktivisten werden ihre gerechte Strafe
bekommen müssen. Sie sind nur ein bisschen Helden nach Art von Robin
Hood, in erster Linie aber Straftäter, die wissen, dass sie gegen Normen
verstoßen und deswegen bestraft werden können, wenn sie erwischt werden.
Die
Diskussionen und Auseinandersetzungen um Kernkraft und Umweltschutz vor
30 Jahren sind zunächst fast wirkungslos an der etablierten Gesellschaft
vorbei gegangen. Das hat die Grünen nicht aufhalten und die
Piratenpartei nicht verhindern können. Beide sind nicht meine
politischen Heimaten. Dennoch wünsche ich mir, dass die Signale des
spontaneistischen Hacktivismus ankommen: Mehr Demokratie wagen (Willy
Brandt) und wirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen in Waage
halten. Das ist etwas in Vergessenheit geraten.
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Anmerkungen |
|
(1)
Erica Ogg, Anita Klingler, Sony
Pictures bestätigt Angriff des Hackerkollektivs LulzSec, zdnet
06.06.2011
(2)
Botnetze und Hacktivismus, 08.04.2011
(3)
Susanne Kirchhoff, Erneuter Sony-Hack: Noch mehr
Nutzerdaten veröffentlicht, mobil.teltarif.de 03.06.2011
(4)
Ole Reißmann, Hacker lieben Sony, spiegel.de
03.06.2011;
Sony: So kamen Hacker an Kundendaten;
Website-Angriff: LulzSec verhöhnt Sony.
(5)
Intrusion route to the system, spiegel.de 03.06.2011
(6)
Hacker dringen in US-Sicherheitskreise vor, spiegel.de 06.06.2011;
LulzSec hackt FBI-Liaison und Sicherheitsunternehmen, Heise online
04.06.2011.
15.06.2011
LulzSec hackt Website des US-Senats, Heise online 14.06.2011
16.06.2011
LulzSec legt sich mit der CIA an, Heise online 16.06.2011
(7)
Christian Stöcker, Auf dem Schlachtfeld der
Cyber-Krieger, spiegel.de 09.06.2011
(8)
RSA-Hack, 08.04.2011
(9)
Datendiebe greifen US-Rüstungskonzern an, spiegel.de 28.05.2011
(10)
Ebenda
(7).
(11)
Eskalationen. Mangelnde Entrüstung, 19.02.2011
(12)
Botnetz-Software und -Betreiber, 13.07.2008;
Gordon Bolduan,
Digitaler Untergrund, Technology Review 4/2008, S. 26 ff.
(13)
IT-Söldner im Kampfeinsatz, 15.02.2011
(14)
Luigi, das kostet Dich etwas! 14.02.2011
(15)
LulzSec hackt FBI-Liaison und Sicherheitsunternehmen, Heise online
04.06.2011
(16)
Beides spiegelt sich in dieser Meldung wider:
US-Sender wegen WikiLeaks-Bericht gehackt, Heise online 31.05.2011.
(16a)
Wegen der Quelle habe ich mich zunächst geirrt. Weitere Informationen:
Felix Knoke, Was will LulzSec? orf.at 16.06.2011
(17)
Eine kurze Geschichte der Cybercrime, 03.11.2010
|
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Cyberfahnder |
|
© Dieter Kochheim,
11.03.2018 |