Es steht aber nicht im Belieben der Strafverfolgungsbehörden, wann
sie eine Antragstellung in Erwägung ziehen. Sie dürfen nicht so lange
mit dem Antrag an den Ermittlungsrichter warten, bis die Gefahr eines
Beweismittelverlusts tatsächlich eingetreten ist, und damit die von
Verfassungs wegen vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters
unterlaufen (
BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00, ...;
Beschluss vom 4. Februar 2005 - 2 BvR 308/04, ...). Für die
Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung
rechtzeitig erreichen können, kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die
Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten die Durchsuchung für
erforderlich halten (
BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, ...).
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Der 3.
Strafsenat des BGH scheint lange gewartet zu haben, bis er die
Textbausteine für diesen Beschluss aus der Mottenkiste geholt hat. Seit
etlichen Jahren gibt es den Rechtsbegriff "Hilfsbeamter der
Staatsanwaltschaft" nicht mehr
(2).
Und so ganz verständlich ist es nicht, warum er gerade diesen Fall zum
Anlass für eine rüde und mehr als pingelige Entscheidung genommen hat.
Ein
Drogendealer wurde samt seiner Freundin nächtens gegen 22:00 Uhr
festgenommen. Seine Telekommunikation wurde schon länger als einen Monat
überwacht. Das setzte einen gerichtlichen Beschluss voraus, in dem der
Verdacht einer besonders schweren Straftat (nach Maßgabe des
Straftatenkatalogs des
§ 100a Abs. 2 StPO) geprüft und bestätigt worden war. Nun will die
Polizei auch die Wohnung der Verdächtigen durchsuchen und wendet sich an
den Eildienst-Staatsanwalt. Ein Ermittlungsrichter ist seit 21:00 Uhr
nicht mehr zu erreichen (Beginn der "Nachtzeit" i.S.v.
§
104 Abs. 3 StPO) und der Staatsanwalt ordnet irgendwann zwischen
22:00 und 23:00 Uhr wegen Gefahr in Verzug die Durchsuchung an, ohne
allerdings seine Entscheidung schriftlich zu fixieren.
Das geht
aber nicht, sagt der 3. Strafsenat des BGH. Schon am Nachmittag des
betreffenden Tages habe die Polizei Personal zusammengezogen, um genau
eine solche Durchsuchung in der schon bekannten Wohnung der Verdächtigen
durchzuführen. Dann hätte sie auch schon am Nachmittag eine gerichtliche
Anordnung herbeiführen können. Das Zuwarten bis nach der Festnahme sei
nicht richtig gewesen, deshalb sei die Durchsuchung rechtswidrig gewesen
und unterliegen die dadurch gewonnenen Beweismittel einem
Beweisverwertungsverbot.
Diese
Entscheidung ist aus mehreren Gründen fadenscheinig und fragwürdig.
Die
Mitglieder des 3. Strafsenats belehren in geschlossenen Versammlungen
fürsorglich die ihnen unterstellten Landgerichtskammern darüber, wie man
richtig Recht spricht und fordern die Kollegen zum Mut auf. Zum Beispiel
dazu, ausufernde Beweisanträge nach Fristsetzung wegen
Verschleppungsabsicht abzulehnen. Wenn die Vorderrichter das dann tun
und es zum Schwur kommt, wird das Urteil aufgehoben und ein falsch
verstandener Disput zwischen den verschiedenen Strafsenaten deklariert
(3).
In einer ähnlichen Veranstaltung im Herbst 2010 meinte einer der hohen
Kollegen süffisant bemerken zu müssen, dass es verwunderlich sei, dass sich zu
einem brisanten Problem (Verwertbarkeit von zulässig erhobenen
Vorratsdaten nach der Entscheidung des BVerfG zur
Vorratsdatenspeicherung) offenbar nur Staatsanwälte geäußert und
dazu genug Zeit hätten. Ihrer
Meinung zu folgen sei der Senat aber nicht geneigt. Dass eben jene
Staatsanwälte ihre Aufgabe ernst nehmen
(4),
beliebte der hohe Kollege nicht in Betracht zu ziehen. Unter dem Druck
zwei anderer Senate entschied dann auch der 3. Strafsenat so, wie es die
punkigen Staatsanwälte vorgezeichnet hatten
(5)
- nicht ohne der Staatsanwaltschaft Verden aus förmlichen Gründen noch
ein's auf die Glocke zu geben.
Das BVerfG
verlangt ein Verwertungsverbot dann, wenn rechtsstaatlich zwingende
Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich
Unverzichtbares preisgegeben wurde. Wo diese Grenze überschritten
sein soll, nachdem das berufene Gericht wegen einer erheblich
nachhaltigeren Eingriffsmaßnahme - Anordnung der TKÜ und wahrscheinlich
auch einer längerfristigen Observation - die Zulässigkeit dieser
Maßnahmen anerkannt hat, verschließt sich dem geneigten Betrachter.
Blankett-Durchsuchungsbeschlüsse nach dem Motto: Durchsucht wo immer ihr
wollt, wenn es etwas mit dem Fall zu tun hat, sind unzulässig. Die
Antwort auf die Frage, ob die Polizei schon eine sichere Kenntnis davon
hatte, dass nur die Wohnung der Verdächtigen als Durchsuchungsort in
Betracht kommen würde, bleibt der BGH schuldig. Jedenfalls der BtM-Bunker
hätte irgendwo anders sein können - sagt mir die kriminalistische
Erfahrung.
Für alle
Eingriffsmaßnahmen werden konkrete Anhaltspunkte verlangt - und das
hätte ich auch gerne so. Die Durchsuchung ist streng ortsbezogen. Auf
diesen Fall bezogen: Wenn ich aus der TKÜ die Erkenntnis ziehe, dass in
der Wohnung des Beschuldigten Beweismittel lagern könnten, dann muss ich
auch vor einem Zugriff die nötigen Durchsuchungsbeschlüsse anregen und
beantragen. Wenn das nicht der Fall ist?
Dann wünsche ich mir an erster Stelle einen BGH-Richter, der nach einem
vollen und anstrengenden Arbeitstag nächtens schlaftrunken am Handy zu
einer Eingriffsentscheidung Rede und Antwort steht und dann einen
genialen Vermerk über seine Anordnungen verfasst. Am besten um 4:30 Uhr,
nachdem er bereits um 3:30 Uhr das erste Mal aus dem Tiefschlaf gerissen
worden war.
Was soll der betroffene Staatsanwalt machen? Er ist zu einer
Entscheidung verpflichtet und muss gegenwärtigen, dass kein
Ermittlungsrichter erreichbar ist. Er muss entscheiden und soll er
nächtens sagen: Nö, dann strafvereiteln wir mal? Er hat die Aufgabe,
egal ob abgespannt, kaputt oder aus dem Schlaf gerissen darüber zu entscheiden,
ob eine verhältnismäßig flache (von den gesetzlichen Voraussetzungen
her), aber grundrechtlich äußerst schwere
Maßnahme durchgeführt werden soll. Soll er Bedenken anmelden, nachdem
ein anderer Kollege in Ruhe die Rechtslage geprüft und ein Gericht sogar
die TKÜ angeordnet hat?
Auf der
nach oben hin offenen Skala der Weltfremdheit, auf der bislang eine
Bundesministerin und ein Bundesbeauftragter die Marker für die
Höchstwerte setzen, kandidiert diese Entscheidung für mindestens eine
Spitzenposition.
Sie disqualifiziert sich bereits dadurch, dass sie von Hilfsbeamten
spricht.
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