Ich habe Strafe verdient und bitte um eine gehörige solche (Curt
Goetz)
Anfang der
90er Jahre wurde kontrovers über die Reichweite eines Geständnisses
diskutiert und besonders darüber, ob ein Betroffener objektive Messwerte
"gestehen" kann, die er nicht selber erhoben hat; zum Beispiel
eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr in einer
bestimmten Höhe.1993 meinte der BGH,
dass das in gewissen Grenzen geht. Beim Geständnis geht es nicht darum,
mit naturwissenschaftlicher Präzision alle Unwägbarkeiten
kommastellengenau zu klären, sondern nur Ungereimtheiten und solche Begebenheiten, die mit der Lebenserfahrung oder den Naturgesetzen nicht
oder kaum in Einklang zu bringen sind. Seine Argumentation ist
bemerkenswert, immer noch lesbar und wert, in Erinnerung behalten zu
werden.
BGH, Beschluss vom 19.08.1993 - 4 StR 627/92
Nach § 261 StPO entscheidet der Tatrichter, soweit nicht
wissenschaftliche Erkenntnisse, Gesetze der Logik und Erfahrungssätze
entgegenstehen, nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung
geschöpften Überzeugung. ... Dagegen ist der Tatrichter weder
verpflichtet, in den Urteilsgründen alle als beweiserheblich in Betracht
kommenden Umstände ausdrücklich anzuführen (...), noch hat er stets
darzulegen, auf welchem Wege und aufgrund welcher Tatsachen und
Beweismittel er seine Überzeugung gewonnen hat (...). <Rn 15>
Tatsachen,
die Zweifel an der Zuverlässigkeit von Beweismitteln erwecken, sind in
den Urteilsgründen nur zu erwähnen und zu würdigen, wenn sie im
konkreten Fall Einfluss auf die Überzeugungsbildung gewinnen können ...
<Rn 16>
Folgt der
Richter dem Gutachten eines Sachverständigen, hat er die wesentlichen
Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass
das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer
tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und ob die Schlussfolgerungen nach
den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und
den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Der Sachverständige hat
als Gehilfe des Richters die zur Beurteilung der Rechtsfragen
notwendigen Tatsachen und wissenschaftlichen Erkenntnisse beizusteuern
... <Rn 17>
Die Ausführungen des Urteils sind jedoch nicht Selbstzweck (...). In
welchem Umfang sie geboten sind, richtet sich nach der jeweiligen
Beweislage, nicht zuletzt auch nach der Bedeutung, die der Beweisfrage
unter Berücksichtigung des Tatvorwurfs und des Verteidigungsvorbringens
für die Wahrheitsfindung zukommt (...). Nichts anderes ist anzunehmen,
wenn die Überzeugung des Tatrichters auf Meßergebnissen beruht, die mit
anerkannten Geräten in einem weithin standardisierten und tagtäglich
praktizierten Verfahren gewonnen werden (...). Zwar dürfen die Gerichte
vor möglichen Gerätemängeln, Bedienungsfehlern und systemimmanenten
Meßungenauigkeiten nicht die Augen verschließen. Die Anforderungen, die
deshalb von Rechts wegen an Meßgeräte und -methoden gestellt werden
müssen ... dürfen jedoch nicht mit den sachlichrechtlichen Anforderungen
an den Inhalt der Urteilsgründe gleichgesetzt werden. <Rn 18>
...
Es entspricht deshalb allgemein anerkannter Praxis, dass auch im
Bereich technischer Messungen Fehlerquellen nur zu erörtern sind, wenn
der Einzelfall dazu Veranlassung gibt. ... Dem Verteidiger ist
es unbenommen, durch entsprechende Anträge auf eine weitere Aufklärung
zu dringen ... <Rn 19>
Soweit es
sich um allgemein anerkannte und häufig angewandte
Untersuchungsverfahren handelt, ist der Tatrichter nicht verpflichtet,
Erörterungen über deren Zuverlässigkeit anzustellen oder die
wesentlichen tatsächlichen Grundlagen des Gutachtens im Urteil
mitzuteilen ... <Rn 21>
Das
Bußgeldverfahren dient nicht der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern
der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung (...). Es ist schon im
Hinblick auf seine vorrangige Bedeutung für die Massenverfahren des
täglichen Lebens auf eine Vereinfachung des Verfahrensganges
ausgerichtet (...). Die Beschränkung des Rechtsbeschwerdeverfahrens
verfolgt den Zweck, den Zugang zu den der Vereinheitlichung der
Rechtsprechung dienenden Obergerichten nicht durch eine Fülle von
massenhaft vorkommenden Bagatellsachen zu verstopfen und sie so für ihre
eigentliche Aufgabe funktionsuntüchtig zu machen (...). Daraus ergibt
sich, daß auch an die Urteilsgründe keine übertrieben hohen
Anforderungen zu stellen sind ... <Rn 22>
Der Anspruch des Betroffenen,
nur
aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Meßdaten verurteilt zu werden, bleibt
auch dann gewahrt, wenn ihm die Möglichkeit eröffnet ist, den Tatrichter
im Rahmen seiner Einlassung auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen
entsprechenden Beweisantrag zu stellen. ... <Rn 23>
Ob eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist,
kann grundsätzlich nicht davon abhängen, welcher Gerätetyp zur Anwendung
gekommen ist und ob dessen Betriebsvorschriften befolgt worden sind.
Umstände, die abweichend vom Regelfall dem Vertrauen in die
Zuverlässigkeit von Messungen entgegenstehen, die aber in den
Feststellungen keinen Niederschlag gefunden haben, können deshalb nicht
im Wege der allgemeinen Sachrüge, sondern nur mit einer entsprechenden
Verfahrensrüge gerichtlicher Kontrolle zugänglich gemacht werden.
... <Rn 27>
Die Angaben zum Messverfahren und zum Toleranzwert bilden somit die
Grundlage einer ausreichenden, nachvollziehbaren Beweiswürdigung.
Gesteht der Betroffene uneingeschränkt und glaubhaft ein, die
vorgeworfene Geschwindigkeit - mindestens - gefahren zu sein, so bedarf
es nicht einmal der Angabe des Meßverfahrens und der Toleranzwerte ...
<Rn 30>
Ein zulässiges Geständnis sei deshalb nicht "schlechterdings"
ausgeschlossen.
Zugestanden werden nicht die Umstände des Messvorgangs oder die
Richtigkeit der vom Gerät angezeigten Geschwindigkeit, vielmehr räumt
der Betroffene lediglich in dem Wissen um sein eigenes Fahrverhalten ein,
eine bestimmte Geschwindigkeit gefahren zu sein. <Rn 34>
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