Selten
erfährt man so viele, fast schon intime Details über das - jedenfalls
berufliche - Privatleben von einzelnen Richtern am Bundesgerichtshof wie
gerade jetzt, wo es um die Neubesetzung des Vorsitzenden Richters des 2.
Strafsenats geht.
Die VRinBGH
Ruth Rissing-van Saan
(1)
war die Vorsitzende des 2. Strafsenats und ging am 31.01.2011 in den
Ruhestand. Seit 2008 ist der Bundesrichter Thomas Fischer
(2)
ihr Stellvertreter und allseits gehandelter Nachfolger im Senatsvorsitz.
Seit der Pensionierung der Vorsitzenden führt Fischer den Senat
kommissarisch. Der Präsident des BGH und ihm folgend die
Bundesjustizministerin favorisieren einen anderen Nachfolger für Rissing-van
Saan, den Bundesrichter Rolf Raum vom 5. Strafsenat mit Sitz in Leipzig
(3).
Anlass dafür oder Folge davon: Der PräsBGH Tolksdorf
(4)
wertete die Gesamtbeurteilung Fischers von "besonders gut geeignet" zu
nur noch "sehr gut geeignet" ab
(5).
Damit wäre der Weg für Raum geebnet gewesen.
Im Rechts- und vor allem im Rechtsmittelstaat
läuft's manchmal anders, als man es plant. Fischer klagte gegen seine
neue Beurteilung.
Zuständig dafür ist das Verwaltungsgericht
Karlsruhe, besetzt mit einfachen Richtern und einem Vorsitzenden, die
alle nicht an die Gehaltsklasse der Kollegen vom BGH heranreichen. Wenn
es aber um Beurteilungen und Personalangelegenheitengeht, dann handelt auch der
Präsident des BGH wie ein normaler Verwaltungsvorstand und dafür ist das
Verwaltungsgericht zuständig.
Das
Verwaltungsgericht Karlsruhe verpasste dem PräsBGH Ende Oktober 2011
eine laut knallende Ohrfeige
(6)
und untersagte ihm
im Wege
der einstweiligen Anordnung ..., die Stelle des Vorsitzenden Richters
des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs mit ... Richter am
Bundesgerichtshof ... zu besetzen, solange nicht über die Bewerbung des
Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu
entschieden worden ist.
Der Streitgegenstand ist einzigartig und so wissen wir auch, um wen es
geht: PräsBGH Tolksdorf wird vom Eingangsgericht angewiesen, den "Beigeladenen"
RiBGH Raum nicht in die Aufgaben eines VRiBGH einzuweisen, solange dem
RiBGH Fischer keine neue Beurteilung eröffnet und das
Besetzungsverfahren erneut durchgeführt ist.
Damit ist der Vorhang zum absurden Theater eröffnet.
Vorhang 1:
Das VG Karlsruhe hat die Befürchtung:
Es
spricht nach derzeitiger Sach- und Rechtslage einiges dafür, dass der
der Auswahlentscheidung zugrunde gelegten dienstlichen Beurteilung des
Antragstellers Mängel anhaften <Rn 12>. Das zielt gegen das
Besetzungsvotum des BMJ:
Hinsichtlich der Kriterien „Juristische Fachqualifikation“ und „Breite
der wissenschaftlichen Kenntnis“ wurde dem Antragsteller <Fischer>
ein leichter Vorsprung gegenüber dem Beigeladenen eingeräumt. Für
den Beigeladenen <Raum> wurde im Hinblick auf das Kriterium „Zusammenarbeit
im Senat innerhalb des Gerichts unter besonderer Berücksichtigung von
Führungsqualifikation und Akzeptanz“ ein deutlicher Vorsprung
festgestellt und diese Eigenschaft besonders gewichtet mit der
Begründung, dass dieser Bereich wegen der bis in die jüngste
Vergangenheit im 2. Strafsenat bestehenden erheblichen Spannungen eine
besondere Bedeutung beizumessen sei. Deswegen wurde in der Gesamtschau
beider Beurteilungen ein Vorsprung für den Beigeladenen gegenüber dem
Antragsteller festgestellt <ebd.>
Noch 2010 hatte der PräsBGH dem Kandidaten Fischer bescheinigt:
Ich halte
ihn für das Amt eines Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof für
besonders geeignet <Rn 16>. Dann wird der Eiertanz des PräsBGH
zitiert <Rn 18>:
„Grund
für meine Zweifel ist, dass seit September 2009 zwei Richter und - im
Mai dieses Jahres (gemeint wohl: im Mai 2010) - eine Richterin aus dem
2. Strafsenat ausgeschieden sind, die ihren Wunsch nach einem
Senatswechsel maßgeblich auch damit begründet haben, dass sie sich eine
Zusammenarbeit mit ... Prof. Dr. ..., zumal mit ihm als
Senatsvorsitzenden, nicht vorstellen können. Bei der Bewertung dieser
ungewöhnlichen Zusammentreffens von mehreren Wechselwünschen stelle ich
einerseits in Rechnung, dass sich der Unmut in seinem Ausmaß zumindest
auch durch ein allgemein schwieriges Klima im 2. Strafsenat erklären
mag; andererseits, sehe ich aber - auch nach Anhörung von ... Prof. Dr.
... - keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine gemeinsame jeder
Substanz entbehrende ‚Mobbing-Aktion‘ mit dem Ziel der Rufschädigung
handeln könnte. In jedem Fall vermag ich die Überzeugung von Frau Prof.
... nur mit Einschränkungen zu teilen, dass Herr Prof. Dr. ... bei den 'Kollegen
des 2. Strafsenats hohe Wertschätzung genießt' und in der für einen
Vorsitzenden Richter wünschenswerten Weise in der Lage ist, sich ‚in
soziale oder menschliche Schwierigkeiten und Probleme Anderer
hineinzuversetzen und diese mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl zu
behandeln.‘
Das
Besetzungsverfahren schlummert. Das Präsidium muss eigenverantwortlich
über die Geschäftsverteilung des Gerichts entscheiden. Insoweit verlangt
das Grundgesetz nach der Gewährleistung des gesetzlichen Richters. Ein
Kommissar oder Vertreter kann deshalb nur vorübergehend und nicht auf
Dauer die Aufgaben eines Vorsitzenden ausüben. Für die fünf Strafsenate
gibt es aber nur vier berufene Vorsitzende Richter. Das führt zum ...
Vorhang 2: Das Präsidium des
BGH beschließt, dass der Vorsitzende des 4. Strafsenats, VRiBGH Ernemann
(7),
ab 2012 zugleich auch den Vorsitz des vakanten 2. Strafsenats übernimmt.
Die Senate des BGH darf man sich nicht als geschlossene Kleingruppe
vorstellen, sondern als Kleinunternehmen, die arbeitsteilig in
Sitzgruppen am Recht arbeiten. Den Vorsitz für alle Sitzgruppen übt der
Vorsitzende aus. Er sollte, muss aber nicht, selber die Fälle bearbeiten,
und muss auf jeden Fall auf die Gradlinigkeit und Kontinuität der
Senatsrechtsprechung hinarbeiten. Das ist eine anspruchsvolle und
aufwändige Tätigkeit.
Kann ein Vorsitzender Richter tatsächlich zwei Strafsenaten mit dem
geforderten Einsatz dienen? Ernemann ist auch nicht mehr de Jüngste und
wird im Sommer 2012 in den Ruhestand gehen. Die gestellte Frage wird -
wie (nicht nur) bei Juristen üblich - ganz unterschiedlich beantwortet.
Zunächst einmal haben ganz viele Verteidiger Besetzungsrügen erhoben. Damit kommen wir zum ...
Vorhang 3: Ist der 2.
Strafsenat überhaupt noch entscheidungsfähig, obwohl er keinen eigenen
Vorsitzenden hat? Die Sitzgruppen sind verschiedener Meinung und eine
davon sagt: Nein
(8)
!
Der böswillige Beobachter sagt: Toll! Das ist ein Lehrstück für die
intellektuell untermauerte Begründung dafür, warum ich nicht mehr
arbeiten muss darf. Kurz gesagt: Ein
Vorsitzender Richter am BGH muss sich so intensiv um seinen Senat
kümmern, dass er nicht zwei Senaten dienen kann. Er ist also völlig
überfordert. Das können wir der rechtsuchenden Bevölkerung nicht zumuten
und deshalb darf der 2. Strafsenat, solange die Vorsitzfrage nicht
gelöst ist, überhaupt nicht mehr entscheiden. Sabbat.
Dem
Problem muss sich auch der 4. Strafsenat stellen, der jetzt keinen
eigenen, ungeteilten Vorsitzenden mehr hat. Vorrübergehend kann aber
dessen Stellvertreter einspringen. In feineren Worten ergibt sich das
aus einem weiteren Beschluss vom 11.01.2012
(9).
Abspann: An beiden
Beschlüssen hat VRiBGH Ernemann mitgewirkt, weil er jetzt der
Vorsitzende aller Sitzgruppen des 2. und 4. Strafsenats ist. Das ist
keine beneidenswerte Rolle!
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