
Aufsatz
als PDF-Version:
Dieter
Kochheim, Über das Verschwinden der Cybercrime,
30.04.2012
Kurzkommentar hierzu:
Felix Knoke, Netzwelt-Ticker: Was am Dienstag sonst
noch in der Netzwelt wichtig war, Spiegel online 10.04.2012 |
Es ist
Ostermontag und da gelten keine wissenschaftlichen Standards, sag ich
einfach 'mal. Deshalb verfügt dieser Beitrag über keine Zitate oder
Links. Er ist ein Essay über das Verschwinden der Cybercrime.
Operation
Payback von 2010, zuvor Stuxnet und Night Dragon von 2011. Solche "großen"
Meldungen gibt es gegenwärtig nicht. Es scheint ruhig geworden zu sein
um die Cybercrime. Gibt es sie nicht mehr? Wo bleiben die vorausgesagten
Angriffe im Zusammenhang mit der Industriespionage?
|
|
Die Quartalsberichte von McAfee und anderen
Sicherheitsunternehmen zeichnen ein anderes Bild. Botnetze und die
Verbreitung von Malware schreiten weiter voran und statt Phishing und
Homebanking-Trojaner geraten eher erpresserische Infektionen in das
Licht der Öffentlichkeit (Bundespolizei, GEMA). Besonders im Trend sind
Angriffe gegen die mobile Telefonie und das Abfangen von TAN beim
Homebanking. Das Spamming geht zurück, dafür werden die Werbenachrichten
gezielter eingesetzt.
Die
wichtigsten cyberkriminellen Geschäftsfelder sind immer noch:
Das
Herstellen und Verbreiten von Malware
zum Ausforschen der infizierten Rechner, ihre Übernahme als Zombies für
Botnetze, für erpresserische Angriffe und zur Manipulation des
Homebankings.
Das Hacking zur Erlangung von
Finanzdaten.
Der
übliche und allgegenwärtige Betrug
in Tauschbörsen und Webshops.
Der
Kontoeröffnungs- und
Warenbetrug.
|
 |
Underground Economy |
|
Ein Blick
hinter die Kulissen offenbart ein reges Treiben.
hacker.yakuza112.org zeigt allein
26 deutschsprachige Boards, die sich fröhlichen Themen wie "carders",
"hacking" oder "virus" widmen. Carders dürfte etwa 14.000 Mitglieder und
die Russian-Elite etwa 8.000 Mitglieder haben. Solche Boards sind
Handelsbörsen für Informationen und kriminelle Dienste. Dank den Happy Ninyas und anderen Zeitgenossen, die solche (gegnerischen) Boards gerne
'mal hacken und als Dump der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen,
wissen wir mehr über das Innenleben. In aller Regel stehen einige
thematisch beschriebene Foren zur Verfügung (Threats), die die
wichtigsten Themen wie Carding, Skimming, Malware, Botnetze und
Paketstationen abdecken. Sie werden nicht nur thematisiert, sondern in
den Foren werden Tipps ausgetauscht und vor allem gehandelt. Versierte
Teilnehmer stellen Tutorials über Kontoeröffnungen per Internet,
Hacking-Tools oder die Erstellung falscher Ausweise zur Verfügung und
beweisen damit ihren Gemeinsinn.
Die
Administratoren und Moderatoren verdienen damit Geld. Zunächst verlangen
sie Mitgliedsgebühren in erschwinglicher Höhe. Verkaufslizenzen für
bestimmte Produkte oder Gifte kosten extra in monatlich zwei- bis
dreistelliger Höhe. Am meisten verdienen sie aber an der Treuhand.
Gesicherte Bezahlvorgänge sind nötig, weil hier
keiner dem anderen traut. Käufer und Verkäufer zocken gleichermaßen ab,
wenn sich ihnen die Gelegenheit dazu bietet. Deshalb müssen alle
Geschäfte unter Einschaltung eines vertrauenswürdigen Treuhänders
abgewickelt werden, der zunächst den Kaufpreis in Empfang nimmt und das
dem Verkäufer mitteilt. Wenn der Käufer den Empfang der Ware bestätigt
hat, kehrt der Treuhändern den Kaufpreis nach Abzug seiner gerechten
Gebühr an den Verkäufer aus. Der Treuhänder macht auch seine eigenen
Geschäfte und vergisst gelegentlich auch die Zahlung an den Verkäufer.
Carding ist
nicht etwa nur der Handel mit gestohlenen Zahlungsdienstdaten, um
Bankkonten abzuräumen, sondern mit allem, was mit Betrug, Urkundenfälschung
und gestohlenen Identitäten zu tun hat. Die Boards vermitteln aber auch
die Grundversorgung mit Rauschgift, Medikamenten und Waffen.
Zu den
benötigten Werkzeugen gehören sichere Bankkonten. Finanzagenten sind
überholt. Besser sind auf falschen Personalien oder von eingeflogenen
Ausländern eröffnete Bankkonten, die sich zum Durchlauf mehrerer Tausend
Euro eignen. Ein gefälschter Mietvertrag ist schnell gemacht, eine
ausländische Identitätskarte auch und eine falsche Gehaltsbescheinigung
schon lange.
Auch
PostIdent-Bescheinigungen lassen sich einfach fälschen. Um die
Bankkorrespondenz zu erhalten, bedarf es nur eines ungebrauchten
Briefkastens in einem Mehrfamilienhaus oder eines selbst installierten
Briefkastens in einem Abbruchhaus. Der Warenbetrug ist schwieriger. Für
ihn muss man seinen falschen Ausweis in einer Postfiliale präsentieren
oder eine Packstation nutzen. Unter einem gehackten Zugangskonto oder
unter einer falschen Identität, natürlich.
|
 |
Hosting |
|
Für
ein Carding-Board braucht man keinen sicheren Hafen bei einem
Schurkenprovider. Alle bekannten Hostprovider bieten für monatlich 20
oder 30 Euro dedizierte Server an, die von dem Kunden administriert
werden. Das Board mit den Mitgliederdaten und ihren Beiträgen passt auf
eine CD. Auf den Server werden ein Content Management System - CMS -
installiert und die Daten geladen.
Boards sind geschlossene Veranstaltungen.
Betrogene Kunden, die Rechtsanwälte oder Strafverfolger auf den
Hostprovider hetzen, gibt es nicht. Insoweit ist die Carding-Szene
fatalistisch. Man handelt unter phantasievollen Namen, betrügt sich
gegenseitig und sucht sich ein neues Opfer, wenn man selbst einem
anderen auf den Leim gegangen ist. Die schwersten Sanktionen, die man
befürchten muss, sind Beschimpfungen (Flames) und der Ausschluss. Ein
neuer Name verschafft ein neues Leben und damit wieder einen Zutritt.
Wird
es dem Betreiber zu heiß, wechselt er den Hostprovider und macht das
Board woanders auf. Hostspeicher ist billig und die Hostprovider sind
willig. Sie wollen auch gar nicht wissen, was ihre Kunden treiben.
Bleibt das Geld aus oder gibt es Ärger, dann wird der Server platt
gemacht und dem nächsten Kunden angeboten. Nach ein paar Postings kommen
die Board-Kunden ganz schnell wieder.
Nur um
die Domainadresse muss man sich kümmern und einen leistungsfähigen
Verwalter finden. carders.cc nutzt dazu das australische
Privacyprotect.org, das seinerseits von suspended-domain.com unter
directi.com betriebene DNS-Server in Mumbai nutzt. Das ist eine lebhafte
Hafenstadt mit 12,5 Mio. Bewohnern im Bundesstaat Maharashtra an der
Westküste Indiens und bestens mit dem Internet verbunden.
Ich vermute, dass alle drei Betreiber nur vier
Bestandsdatenfelder vorrätig halten:
Domainname |
carders.cc |
Zugangscode |
●●●●●●●● |
IP-Adresse |
●●●.●●●.●●●.●●● |
Kunde hat gezahlt |
Y |
Das ist gelebte Datensparsamkeit nach
Herzenslust unserer hiesigen, mehr oder weniger amtlichen Datenschutztrolle.
Einen
Schurkenprovider mit sicherem Hosting braucht nur, wer sich an das öffentliche Publikum
wendet, um mit Lockangeboten zu betrügen, urheberrechtskritische
Multimedia- oder Programmdateien oder seine freie Meinung über den
Holocaust oder die Segnungen des Nationalsozialismus zu verbreiten.
Hostspeicher
ist billig in Westeuropa und die Internet-Infrastruktur ist hier äußerst
leistungsfähig. Der beschwerderesistente Provider aus Russland,
Weissrussland oder der Ukraine hat nicht selten hier Hostspeicher für
seine deutschen und westeuropäischen Kunden gemietet und zahlt
zuverlässig. Das wiederum ist Globalisierung und eine klare Absage an
die internationale Rechtshilfe in Strafsachen.
|
 |
Beutesicherung |
|
Finanzagenten
gab's gestern. Heute richtet man Bankkonten unter falschen Personalien
ein oder hackt sie. Die Phisher, die der verstorbene Kollege Thelen vor
etlichen Jahren verfolgte, mussten noch eine eigene Bank in der Karabik
aufmachen, um sich Zahlungskarten auszustellen und die Beute aus dem
Geldautomaten an der nächsten Ecke zu holen.
Dank
Kreditkarten auf Guthabenbasis aus Gribraltar kann man sich heute diesen
Aufwand ersparen. Wechselstuben im alten Ostblock sind zwar teuer,
wechseln aber zuverlässig Vouchers in Guthaben auf Kreditkarten um oder
überweisen an ein PayPal-Konto. Auch die lästigen Edelmetallkonten
(E-Gold u.a.) gibt es nicht mehr, weil sie vom FBI wegen Geldwäsche
dicht gemacht wurden.
Lästig sind aber auch die karibischen Online-Kasinos. Sie
verlangen tatsächlich, dass man wenigstens ein paar Runden verliert, bis
sie das Spielkonto auflösen und den Saldo überweisen. Besser kann man
die Beutesicherung bei größeren Beträgen aber nicht tarnen.
Für
kleine Beträge gibt es die Vouchers von PaySafeCard oder ukash oder ein
Netzwerk nach Hawala-Art. Während Vouchers nachverfolgt werden können,
kennt die Hawala keine Buchführung über die Zahler und Zahlungsempfänger.
Die Hawalare rechnen untereinander nur nach Volumen ab. Das kennen wir
sonst auch vom Clearing beim Roaming und bei dem internationalen,
bargeldlosen Zahlungsverkehr.
|
 |
Cashing-Schäden |
|
Wenn's
um die Schäden geht, klagt die Finanzwirtschaft nicht lauthals. Sie
bucht sie gegen die Gebühren und bemüht sich um die Begrenzung des
Imageschadens.
Angesichts
der Reife heutiger Malware kommt die Beute ganz automatisch zum Täter.
Er richtet einen Command & Control-Server - C&C - ein und der bedient um
sich herum einen Schutzwall von Fluxservern. Diese sind es, die einen
Abschnitt eines Botnetzes steuern oder die Homebanking-Malware mit den
nötigen Fake-Webseiten und den Informationen über die Zielkonten der
Manipulationen versorgen. Der Täter muss nur dafür sorgen, dass die
Malware verteilt wird, funktioniert und funktionstüchtig bleibt.
Dagegen
sind die erpresserischen Formen der Malware grobschlächtig. Sie fallen
mit ihren Vorwürfen ("Sie haben urheberrechtlich geschütztes Material
verbreitet" oder Kinderpornographie oder überhaupt etwas anrüchiges
getan) und mit ihren freundlichen Anleitungen auf, wo und wie man
Vouchers bekommt. Dabei leben sie von einer besonderen Dreistigkeit und
bei denen, die sich auf die Erpressung einlassen, darf man durchaus ein
schlechtes Gewissen vermuten.
Warum
regt sich keiner darüber auf?
Heutige Cybercrime ist ein Massenphänomen. Der
einzelne Betroffene zahlt Lehrgelt oder sieht sich ertappt und zahlt
Schweigegeld. Die Finanzwirtschaft klagt auch nicht medienwirksam. Ihr
geht es nicht an die Substanz und klagen würde bedeuten, man habe seine
Geschäftsprozesse nicht im Griff. In den USA sind dafür die Vorstände
persönlich haftbar. Dann ist doch lieber eine Klimaanlage im
Rechenzentrum ausgefallen anstatt dass ein Hackerangriff erfolgreich
war.
|
 |
gespenstige Ruhe |
|
Die
Instrumente der Cybercrime sind ausgefeilt wie nie zuvor und dennoch
herrscht eine gespenstige Ruhe. Jedenfalls bleiben die großen Meldungen
aus und Anonymous findet nur noch eine nebensächliche Beachtung.
Die
Kinderporno- und die Cardingszene wurden von der Strafverfolgung in den letzten beiden Jahren verunsichert. Sie verbessern gerade ihre
Abschottung. Der Identitätsdiebstahl äußert sich vor allem in Bankkonten
unter Scheinidentitäten ohne Sicherheiten und die Finanzwirtschaft
schweigt, solange sie keine richtigen Schmerzen hat. Der geprellte
Privatmann ärgert sich und schickt allenfalls seinen Rechtsanwalt zur
Akteneinsicht.
Die
Underground Economy setzt Massen von Geld um und vieles davon versickert
an den Zwischenstationen, bei den Helfern und Helfershelfern.
Sobald das
wahre Ausmaß der Underground Economy bekannt würde, könnte jeder
Schwarzarbeiter, Hartz IV-Betrüger und Steuersünder (im kleinen Maß) mit
Inbrunst behaupten, er werde verfolgt (gehängt) und die wahren Vergeher
könnten frei rumlaufen. Recht hätte er, so gesehen! Gegen die
schleimigen Täter im Internet gibt es bislang nur wenige Verfahren und
die Fanale sind rar.
Es gibt sie.
Die raffiniert handelnden Abofallen-Täter in Göttingen haben
Bewährungsstrafen bekommen und der wichtigste von ihnen, der die
Finanzen verwaltet hat, war nur ein Gehilfe. Sonst wäre das
vielleicht doch eine Bande gewesen.
In
Wuppertal gab es einen Singvogel und die Strafverfolger konnten eine
ganze Skimming-Struktur samt Hinterleute und Geldwäscher ausheben. Sie
wurden ganz schwer rangenommen und zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Hierzulande
verfolgt man BtM-, Grundstoff- und Arzneimittelhändler im Internet,
islamistische Aufrührer und Terroristen, aber keine Schurkenprovider.
Man könnte sie auch hier finden, wenn man sie suchen würde. Man könnte
auch Malware-Manufakturen und Operation-Groups für bestimmte kriminelle
Aufgaen finden, wenn man sie suchen würde. Und man könnte auch Skimming-Truppen
finden ...
|
 |
der große Bang |
|
...
wird kommen, wenn die Schäden und die allgemeine Verunsicherung überhand
nehmen. Ich vertraue der Strafverfolgung, dass sie sich langsam, aber
nachhaltig in Bewegung setzen wird. Angst habe ich nur vor den
Datenschutztrollen und den Politikern, die ihren Blick vor den Gefahren
verschließen und jede Strafverfolgungsmaßnahme mit dem Makel versehen,
dass immer nur Unschuldige generalverdächtigt und verfolgt werden.
Das freut
die bedenkenlosen Cyberkriminellen, die jede Chance zum Beutemachen
nutzen.
|