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14.04.2012
Die
Rechtsprechungsübersicht beginnt mit einer Glosse und widmet sich dann
ernsteren Themen nach dem
Beweiswert einer DNA-Spur und zum Beispiel nach der
Gewerbsmäßigkeit beim Taschendiebstahl
10.04.2012
Was
will der BGH sagen?
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Das Urteil ist zwar falsch, aber noch billiger
darf der Angeklagte nicht davon kommen!
Was sagt der BGH?
Die Änderung des Schuldspruchs hat den Fortfall der vom Landgericht
festgesetzten Einzelstrafen zur Folge. Der Senat kann jedoch in
entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Gesamtstrafe als
Einzelstrafe bestehen lassen. Er schließt aus,
dass bei richtiger Bewertung des Konkurrenzverhältnisses (einerseits
betreffend die Anzahl der Taten und andererseits hinsichtlich des
Zurücktretens des Betruges) und bei Berücksichtigung auch der
Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 28, 49 StGB
im
Ergebnis eine (noch) niedrigere Strafe verhängt worden wäre. In
Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts ist der Senat
der Überzeugung, dass nach dem Tatbild und dem durch die
Anstiftungshandlung des Angeklagten verwirklichten Unrecht der
Tatrichter auf keine geringere Strafe als die - zur Bewährung
ausgesetzte - Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten erkannt
hätte.
Was
befürchtet der BGH?
Das Verfahren darf auf keinen Fall eine andere
Wirtschaftsstrafkammer in die Finger bekommen – die macht’s dann noch
billiger.
BGH, Beschluss vom 07.03.2012 - 1 StR 662/11, Rn 12
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Beweiswert einer DNA-Spur |
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14.04.2012
2009 hat
der BGH die DNA-Spur zum Vollbeweis aufgewertet
(1):
Jedenfalls
bei einem Seltenheitswert im Millionenbereich kann wegen der inzwischen
erreichten Standardisierung der molekulargenetischen Untersuchung das
Ergebnis der DNA-Analyse für die Überzeugungsbildung des Tatrichters
dahin, dass die am Tatort gesicherte DNA-Spur vom Angeklagten herrührt,
ausreichen ...
Jetzt
rudert der 3. Strafsenat wieder zurück und verlangt die präzise Erhebung
und Darstellung der wissenschaftlichen Grunddaten, die für die
statistische Bewertung herangezogen wurden
(2):
Zwar ist das
in der forensischen Praxis gebräuchliche PCR-Verfahren, das dazu dient,
aus der Probe sowie aus der Vergleichsprobe jeweils eine bestimmte
Anzahl in der Kern-DNA auftretender Systeme (sog. short tandem repeats;
STR) eindeutig zu identifizieren und so einen Vergleich zu ermöglichen,
inzwischen in seinen Abläufen so weit standardisiert, dass es im Urteil
keiner Darlegungen hierzu bedarf. Dies gilt jedoch nicht für die an die
so gewonnenen Daten anknüpfende Wahrscheinlichkeitsberechnung, denn sie
erfordert zunächst die Auswahl einer in Betracht kommenden
Vergleichspopulation und beispielsweise Überlegungen zur Anwendbarkeit
der sog. Produktregel. Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der
Berechnung auf ihre Plausibilität zu ermöglichen, verlangt der
Bundesgerichtshof deshalb in ständiger Rechtsprechung die Mitteilung der
Berechnungsgrundlagen im Urteil (
Beschluss vom 12. Oktober 2011 - 2 StR 362/11 ...;
Beschluss vom 21. Januar 2009 - 1 StR 722/08 ...;
Beschluss vom 5. Februar 1992 - 5 StR 677/91 ...;
Urteil vom 12. August 1992 - 5 StR 239/92 ...). Hierzu gehören neben
Verbreitungswahrscheinlichkeiten auch die eindeutige Kennzeichnung der
verglichenen Systeme (Basenfolgemuster), die Zahl der Wiederholungen in
den beiden zugehörigen Allelen sowie eine hinreichend deutliche
Umschreibung der herangezogenen Vergleichspopulation.
Die
jetzt verlangten Erhebungen sind Befundtatsachen, die von
Sachverständigen erhoben werden. Genau dazu sind sie da. Wenn sie
neue oder ungewöhnliche Verfahren anwenden, dann muss sich das Gericht
tatsächlich mit dem Aussagewert und der Ergebnissicherheit ihrer Methodik auseinandersetzen. Handelt es sich hingegen um erprobte
Standardverfahren, dann muss der Hinweis darauf genügen, dass es sich um
ein anerkanntes und im Einzelfall qualitätskontrolliertes Verfahren
handelt. Die Anforderungen, die der 3. Strafsenat jetzt stellt, sind
jedenfalls
überzogen, wenn man sie zum Beispiel an jenen des 2. Strafsenats misst
(3):
Zwar
handelt es sich bei der molekulargenetischen Untersuchung von DNA-Spurenträgern
um ein standardisiertes Verfahren, bei dem die Darlegungsanforderungen
in den Urteilsgründen geringer sind, als dies normalerweise bei
Sachverständigengutachten der Fall ist, und es insbesondere keiner
Darlegung der Untersuchungsmethode bedarf. Um dem Revisionsgericht die
Nachprüfung zu ermöglichen, ob die auf das Gutachten gestützte
Überzeugung des Landgerichts auf rechtsfehlerfreier Grundlage beruht,
hätte es gleichwohl in den Urteilsgründen neben der Berechnungsgrundlage
zumindest der Mitteilung bedurft, mit welcher Wahrscheinlichkeit der
Angeklagte als Spurenleger in Betracht kommt. Denn was das Ergebnis der
DNA-Analyse betrifft, bedarf es regelmäßig jedenfalls eines
Seltenheitswertes im Millionenbereich, um die Überzeugung des
Tatrichters zu begründen, dass eine bestimmte Spur vom Angeklagten
herrührt (
BGH NStZ 2009, 285).
(1)
genetischer Fingerabdruck, 27.03.2009;
BGH, Beschluss vom 21.01.2009 - 1 StR 722/08
(2)
BGH, Beschluss vom 06.03.2012 - 3 StR 41/12, Rn 10
Short tandem repeat
Polymerase-Kettenreaktion
(3)
BGH, Beschluss vom 12.10.2011 - 2 StR 362/11, Rn 6
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... war doch nur ein Taschendiebstahl |
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11.04.2012
Der
Angeklagte hat zwei Geldbörsen gestohlen, in denen sich nachweislich nur
Geld im Wert von 12 € befunden hatte. Dass das ein Diebstahl ist,
darüber brauchen wir nicht sprechen ( § 242 StGB).
Der Dieb wollte damit aber auch seinen Lebensunterhalt verdienen. War
das deshalb ein gewerbsmäßiger Diebstahl (
§ 243 Abs. 1 Nr. 3 StGB), also ein besonders schwerer Fall, bei dem
selbst im Einzelfall eine Mindeststrafe von 3 Monaten Freiheitsstrafe
droht? Dagegen spricht
§
243 Abs. 2 StGB, wonach bei geringwertigen Sachen ein besonders
schwerer Fall ausgeschlossen ist (Bezug auf
§
248a StGB). Die Wertgrenze dafür liegt uneinheitlich irgendwo bei 30
€.
Das klingt danach, dass jedenfalls der Wert des
Bargeldes einen gewerbsmäßigen Diebstahl ausschließt.
Doppelfehler, sagt der BGH. Die übrigen Fälle
zeigen, dass der Dieb immer mehr als nur geringwertiges Geld erlangen
wollte, also sein Vorsatz auf werthaltige Beute ausgerichtet war. Im
Übrigen hat er nicht nur das Geld gestohlen, sondern die Geldbörsen auch
und ihren Inhalt: Personalausweise, Karten, Führerscheine. Das alles
zusammen ist locker nicht mehr geringwertig:
Insofern kommt es nicht auf den Wert der
Geldbörsen - diesen hat die Strafkammer nicht festgestellt - und auf die
Frage an, ob dieser zusammen mit dem jeweils entwendeten Bargeld noch
unterhalb der Geringwertigkeitsgrenze (vgl. hierzu
BGH, Urteil vom 3.
Mai 2011 - 1 StR 100/11 ...) lag. Denn selbst wenn dem so war,
wäre
§ 243 Abs. 2 StGB
nur anwendbar, wenn zudem der Tatvorsatz des
Angeklagten auf die Erlangung eines geringwertigen Gegenstandes
gerichtet gewesen wäre (vgl.
BGH, Urteil vom 27. August 1986 - 3 StR
264/86 ...). Dies aber
kann nach den Urteilsgründen insgesamt, vor allem unter Berücksichtigung
sechs vergleichbarer Diebstähle und der dabei erzielten Beute
ausgeschlossen werden.
§ 243 Abs. 2 StGB
greift im Übrigen nicht ein,
wenn Sachen ohne messbaren Verkehrswert gestohlen werden (vgl.
BGH, Urteil vom 10. Mai 1977 - 1 StR 167/77
...), wie etwa
Ausweispapiere.
Mit dieser
Einschätzung dürfte sich der BGH inzwischen irren, was am Ergebnis
nichts ändert. Personalausweise, Zahlungskarten und andere
Personalpapiere haben durchaus einen Verkehrswert auf den digitalen
Schwarzmärkten. Belassen wir es dabei: Der BGH hat recht!
BGH, Beschluss vom 06.03.2012 - 1 StR 28/12, Rn 9
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Haftung für das Filesharing des erwachsenen Sohnes |
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14.04.2012
Das
BVerfG rügt die uneinheitliche Rechtsprechung verschiedener
Oberlandesgerichte im Zusammenhang mit der Frage nach der Haftung des
Betreibers eines
lokalen Netzes für Handlungen anderer, zum Beispiel von
Familienangehörigen
(1). Anlass gibt ihm dazu ein Urteil des OLG Köln, das
keine Revision zugelassen und damit ein klärendes Wort des BGH
verhindert hat
(2):
Mithin
hätte hier eine Revisionszulassung nahegelegen, weil eine
klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage, die sich in einer
unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das
abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung
und Handhabung des Rechts berührt (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), sowie
eine entscheidungserhebliche Abweichung im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 Alt. 2 ZPO vorlag <Rn 27>.
Schließlich
winkt das BVerfG auch ein bisschen mit dem Zaunpfahl, indem es zwar
nicht entscheidet, aber entscheidende Quellen zitiert:
Es kann
dahinstehen, ob die Revision auch im Hinblick auf die Frage zuzulassen
gewesen wäre, ob eine Abmahnung wie die hier gegenständliche überhaupt
eine grundsätzlich brauchbare anwaltliche Dienstleistung darstellt und
insoweit ersatzfähige Rechtsverfolgungskosten auslöst (verneinend OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 14. November 2011 - I-20 W 132/11 -, K&R 2012,
S. 116 m. Anm. Heidrich; LG Hamburg, Urteil vom 8. Oktober 2010 - 308 O
710/09 n.rkr. -, MMR 2011, S. 53 <55> m. Anm. Solmecke/Rüther). <Rn
29>
Damit
spricht das Gericht auf die seit Jahren offene Frage nach den Grenzen
des Abmahnungsrechts und der damit verbundenen "Abmahn-Industrie"
an
(3).
Tatsächlich treibt die Verfolgung von Verwertungsrechten manchmal
unverständliche Blüten
(4).
Die Unsicherheiten über die Kontrollgrenzen und bei der Verantwortung
für Dritte treffen in jüngerer Zeit vor Allem die Café-Betreiber, die
ihren Kunden offene WLANs zur Verfügung stellen
(5).
(1)
BVerfG, Beschluss vom 21.03.2012 - 1 BvR 2365/11
(2)
Markus Kompa, Bundesverfassungsgericht vermisst
Grundsatzurteil zu Filesharinghaftung, Telepolis 13.04.2012;
Verfassungsgericht zu Filesharing: Klärung der Haftungsfrage notwendig,
Heise online 13.04.2012
(3)
Holger Bleich, Die Abmahn-Industrie. Wie mit dem
Missbrauch des Urheberrechts Kasse gemacht wird, c't 1/2010, S. 154.
(4)
geisterhafte Haftung, 29.12.2011;
Peter Mühlbauer, GEZ will Geld von Obdachlosen,
Telepolis 31.03.2012.
Auch hübsch:
Markus Kompa, Ehemalige DDR-Bürger sollen für Genuss
von Westfilmen nachzahlen, Telepolis 01.04.2012 (
Markus Kompa, Entwarnung: Keine nachträgliche
GEZ-Gebührenpflicht für ehemalige DDR-Bürger, Telepolis 02.04.2012).
(5)
Café-Besitzer plagen Abmahnungen wegen offenem WLAN, Heise online
03.04.2012
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Vorschaubilder die Zweite |
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10.04.2012
2010 hat
der BGH die ersten Grundsätze zur Rechtmäßigkeit und ihrer Grenzen im
Zusammenhang mit Vorschaubildern aufgestellt
(1).
Seinerzeit ist das Gericht von einer einfachen Einwilligung zur
Verbreitung ausgegangen, wenn der Rechteinhaber seine Werke im Internet
veröffentlicht, ohne Vorkehrungen gegen die Erfassung in Suchmaschinen
zu treffen. Das hat der BGH jetzt auch auf die Verbreitung durch Dritte
erweitert
(2):
Eine vom
Urheber oder mit seiner Zustimmung von einem Dritten erklärte
Einwilligung in die Wiedergabe der Abbildung eines Werkes als
Vorschaubild erstreckt sich auch auf die Wiedergabe von Abbildungen
dieses Werkes, die nicht vom Urheber oder mit seiner Zustimmung von
einem Dritten ins Internet eingestellt worden sind.
Die neue
Entscheidung beweist wieder das gute Augenmaß, mit dem der BGH das Thema
Schutzrechte im Internet und ihre Grenzen strukturiert
(3).
(1)
Freiheit
für Vorschaubilder, 13,05.2010;
Zitat
und Vorschaubild, 08.08.2010;
BGH, Urteil vom 29.04.2010 - I ZR 69/08.
(2)
BGH, Urteil vom 19.10.2011 - I ZR 69/08,, zweiter
Leitsatz;
Joerg Heidrich, Google darf auch widerrechtlich
veröffentlichte Bilder zeigen, Heise online 12.04.2012
(3)
Schutzrechte und Freiheiten, 15.01.2012
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