2002
bis 2003 haben die Angeklagten "Autodialer" eingesetzt. Dabei handelt es
sich um Malware, die die Zugangsdaten zum Internet verbog. Ihre Dealer
rechtfertigten sich damit, dass ihre Dialer den Zugang zu besonderen (Mehrwert-)
Diensten schufen, die auch gesondert bezahlt werden müssten. Also zu
Sex- Bildern,
Videos, Animationen und Chats vermute ich einmal aus heutiger Sicht.
Schön und gut und wenig schutzwürdig. Es ist aber auch überliefert, dass
solche Dialer etwas tumb waren: Nicht nur die besonderen Dienste wurden
von Dialern auf Mehrwertdienste-Zugänge umgeleitet, sondern alle
Netzaktivitäten des infizierten Anwenders. Er bezahlte lustig an
T-Online weiter und surfte im Internet ständig statt dessen zum
Stundenlohn bereitwillig scheinender Damen.
Dem
Spuk hat der Gesetzgeber inzwischen ein Ende bereitet,
Registrierungspflichten und Inkassoverbote eingeführt. Das nicht zuletzt
auf dem Hintergrund, dass die seinerzeit eingesetzten Dialer ihre
Aktivitäten gerne verschwiegen und sogar ihre Formen wandelten. Als
Basis-Malware nisteten sie sich ungefragt und heimlich ein und öffneten
sich anschließend als freundliche Helfer, die alle ihre hilfreichen
Funktionen erst mit der ausdrücklichen Zustimmung des Anwenders
einrichten würden. Das steht hinter dem Begriff "Autodialer" und das
bedeutet: Heimliche Abzocke - so wie später die Göttinger Abofalle
funktioniert hat.
Bei einem Schaden von rund 12 Mio. Euro hat das Landgericht Osnabrück
2011 den geständigen Hauptangeklagten wegen banden- und gewerbsmäßigen
Computerbetruges (
§§ 263a Abs. 2,
263
Abs. 5 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde
(1).
Die
Einzelheiten der eingestzten Malware hat der BGH nicht erörtert
(2)
und die zu milde Strafe nur am Rande kritisiert <Rn 22>. Zum
interessanten materiellen Cybercrime-Strafrecht äußert sich das Urteil
nur knapp <Rn 20, 21>:
Im Falle eines erneuten Schuldspruchs wird näher auf eine Abgrenzung
zwischen Betrug und Computerbetrug Bedacht zu nehmen sein und
zudem können nähere Erörterungen dazu angezeigt sein, inwieweit eine
etwaige Beteiligung des Angeklagten als Mittäter an den Betrugstaten
sich auch auf den Tatbestand der Datenunterdrückung erstreckte.
Bei der
Abgrenzung zwischen Betrug (
§ 263 StGB) und Computerbetrug (
§ 263a StGB) kommt es darauf an, ob ein Mensch getäuscht und dadurch
zu einem unbedarften Eingaben oder einen Mausklick mit kostenpflichtiger Folge veranlasst
wurde (zuletzt: Abofallen) oder ob ein Datenverarbeitungsvorgang
manipuliert und dadurch der rechtswidrige Vermögensgewinn ausgelöst
wurde. Betrug käme also dann in Betracht, wenn der Dialer nach
unzutreffenden Versprechungen vom Anwender selber installiert wurde, und
Computerbetrug, wenn die Installation ohne Zutun des Anwenders heimlich
erfolgte.
Der Hinweis auf die Datenunterdrückung bezieht sich auf
§ 303a Abs. 1 StGB. In Unkenntnis der Einzelheiten verbieten sich
Spekulationen.
Einen
breiten Raum im Urteil des BGH nehmen die Ausführungen zur
durchgreifenden Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft ein. Der
Vorsitzende des Gerichts war befangen und die Zurückweisung des
staatsanwaltschaftlichen Ablehnungsgesuches hätte nicht verworfen werden
dürfen.
Der Fall ist ein plakatives Beispiel dafür, wie
sich ein Gericht durch entgegenkommende Milde bei einem Angeklagten
anbiedert. Am ersten Verhandlungstag wurde über eine Verständigung
verhandelt, wobei wegen drei der vier Angeklagten ein Einverständnis
erzielt wurde. Darauf verlas der Verteidiger des verbleibenden
Hauptangeklagten eine Erklärung und der Angeklagte beantwortete Fragen
des Gerichts.
Sein Verteidiger erklärte danach, der Angeklagte wolle keine
weiteren Fragen beantworten <Rn 5>.
Der Vorsitzende drängte auf einen schnellen
Verfahrensabschluss und darauf, dass nur ein einziger Polizist als Zeuge
gehört werden solle. Darüber kam es zum Disput.
Als daraufhin der Staatsanwalt seine abweichende Auffassung
wiederholte, warf der Vorsitzende ihm ungehalten vor, sich "unanständig"
zu verhalten und die anderen Verteidiger "in Sippenhaft zu nehmen"
<Rn 6>. Für Fragen der Staatsanwaltschaft an den Angeklagten ließ der
Vorsitzende zehn Minuten Zeit.
Nach
dieser Zeit beendete er die Fragen des Staatsanwalts und wies darauf hin,
die Kammer werde nach eigenem Ermessen über die Abladung von Zeugen
entscheiden und erwarte für den nächsten Sitzungstag die Schlussvorträge.
Unmittelbar da-nach unterbrach er die Sitzung bis zum eine Woche später
liegenden nächsten Verhandlungstag <Rn 6>.
Der
Staatsanwalt lehnte darauf außerhalb der Haupthandlung, aber zulässig,
den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Meint auch der
BGH <Rn 12>:
Nach dem
Verlauf des ersten Hauptverhandlungstages musste sich der
Staatsanwaltschaft die Besorgnis aufdrängen, der Vorsitzende ziehe eine
schnelle Prozesserledigung ohne Beachtung ihrer prozessualen
Beteiligtenrechte einer sachgemäßen Aufklärung der Anklagevorwürfe vor. Das erkennende
Gericht habe klärungsbedürftige Fragen zurückgestellt,
obwohl
der Angeklagte - wie sich aus den Urteilsgründen ergibt - das Gewicht
seiner Tatbeiträge zu den ihm zur Last liegenden Straftaten nicht in
vollem Umfang eingeräumt hatte und insbesondere für eine
schuldangemessene Sanktion wesentliche Umstände noch klärungsbedürftig
waren. Außerdem habe der Vorsitzende durch seine Wortwahl den
Eindruck vermittelt,
ihm fehle
gegenüber der Staatsanwaltschaft das gebotene und unverzichtbare Maß an
Distanz und Neutralität. <Rn 13> Der BGH erörtert ferner, dass die
Belehrung des Angeklagten, es könne auch in seiner Abwesenheit
weiterverhandelt werden (was nicht stimmt, weil seine Befragung durch
die Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen war) <Rn 16, 17>, und
die Forderung des Vorsitzenden, er erwarte am folgenden Verhandlungstag
die Schlussvorträge, obwohl noch keine Beweisaufnahme stattgefunden
hatte <Rn 18>. Beides musste den Eindruck der Befangenheit bestärken.
Der
geschilderte Fall ist ein extremes Beispiel für ein schuldunangemessenes
Entgegenkommen gegenüber einem Angeklagten. Je komplizierter eine
Materie ist, desto geneigter sind viele Gerichte, Milde wlten zu lassen.
Das ist auch nicht falsch, weil der unsinnige Einsatz von personellen
Ressourcen im Strafverfahren kann nicht der Sinn der Sache sein. Bei
einem Schaden von 12 Mio. Euro konnte eine Freiheitsstrafe mit
Strafaussetzung zur Bewährung auch bei einem umfassenden Geständnis (was
nicht erfolgte) und anderen Strafmilderungsgründen nicht ernsthaft
erwogen werden
(3).
Die Kehrseite davon ist: Je länger die Taten
zurückliegen, desto schwieriger wird die Aufklärung und desto milder das
Ergebnis. Das ist auch einer der Gründe dafür, dass die
Staatsanwaltschaft zurückhaltender mit Rechtsmitteln umgeht. Das war
hier unumgänglich.
(1)
Osnabrück: Höxteraner wegen Computerbetrugs verurteilt, Mindener
Tageblatt 22.06.2011
(2)
BGH, Urteil vom 29.03.2012 - 3 StR 455/11
(3)
Vermögensverlust großen Ausmaßes und die Strafzumessung, 24.03.2012
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