Die erste Reizformulierung ist das schuldmindernde Argument, dass der
Angeklagte
„durch einen Steuerberater begleitet
wurde und insofern nur von bedingtem Vorsatz
auszugehen“ sei <Rn 14>. Umgekehrt, sagt der BGH, wird ein Schuh
draus: Er hat den Steuerberater bewusst als Steuerhinterziehungsberater
missbraucht und das erhöht die Schuld und mindert sie keineswegs. Das
ist
dolus directus 1. Grades und mehr an Abgebrühtheit geht nicht <Rn
21>.
Schon die missglückte Annahme bedingten
Vorsatzes hätte gereicht, das Urteil insgesamt aufzuheben.
Auch die
zweite Einzelstrafe findet wenig Gnade:
Der
Angeklagte hat nicht nur seinen Steuerberater zur „Steuerhinterziehungsberatung“
veranlasst, sondern auch seine Angehörigen als Empfänger von Zuwendungen
... vorgeschoben. Dies deutet darauf hin, dass der Angeklagte andere ...
in seine Straftat hineingezogen hat; seinen Steuerberater hat er sogar
in die Tatbegehung verstrickt. Diesen gewichtigen Gesichtspunkt hat das
Landgericht nicht erkennbar erwogen ... <Rn 24>
Ein
Argument aus dem angefochtenen Urteil musste das Ganze sowieso zum Platzen
bringen:
Die „trotz des fehlenden zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs“
noch verhängte Bewährungsstrafe begründet das Landgericht damit, „dass
eine höhere als die erkannte Gesamtfreiheitstrafe bei positiver
Aussetzungsprognose nicht mehr hätte ausgesetzt werden können“.
<Rn 14> Allein diese Vorlage disqualifiziert das angefochtene
Urteil: Zuerst muss die schuldangemessene Strafe bestimmt werden. Erst
wenn sie nicht über 2 Jahre liegt, stellt sich ernsthaft die Frage nach
der "Aussetzungsprognose".
Das hätte schon gereicht,
weil sie
sich angesichts der vom Landgericht festgestellten Umstände nach unten
von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein <Rn
25, 40 bis 46>. Der BGH hält sich aber auch
ansonsten nicht kurz, sondern
liest die Leviten:
1. großes Ausmaß <Rn 28>:
wird die Steuer tatsächlich verkürzt: 50.000 €
(4).
Beschränkt sich das Verhalten des Täters darauf, die Finanzbehörden
pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu
lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs,
liegt die Wertgrenze zum „großen Ausmaß“ bei
100.000 € (BGHSt 53, 71, 85
(5)).
2. in Millionenhöhe <Rn 29>:
Bei
Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige
Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe
noch in Betracht (BGHSt 53, 71, 86 mwN
(6)).
Es folgen
weitere Ohrfeigen. Zunächst zur Strafzumessung im Allgemeinen <Rn 35>:
Zwar
durfte das Landgericht der Unbestraftheit des Angeklagten, seiner
Entschuldigung <wem gegenüber?>, der Verfahrensdauer und den
psychischen Belastungen, denen der Angeklagte angesichts einer drohenden
Haftstrafe ausgesetzt war, strafmildernde Bedeutung beimessen. Auch
stellen – ungeachtet der hier bestehenden
Beweislage – das in der Hauptverhandlung abgelegte
Geständnis <was hätte er bestreiten sollen?> sowie die
vollständige Nachzahlung der von dem Angeklagten hinterzogenen Steuern
bestimmende Strafmilderungsgründe dar.
Dann kommt's <Rn 36>:
Allerdings
sind diese Umstände hier keine besonders gewichtigen
Milderungsgründe. Dies gilt auch für die Nachzahlung der geschuldeten
und hinterzogenen Steuern. Durch die Nachentrichtung hat der Angeklagte
diejenigen Steuern abgeführt, die von ihm nach dem Gesetz geschuldet
waren und zu deren Zahlung er auch als ehrlicher Steuerpflichtiger
ohnehin verpflichtet gewesen wäre. Das Gewicht <sic!> dieser
Schadenswiedergutmachung verliert hier dadurch an Gewicht <sic!>,
dass der Angeklagte diese angesichts seiner komfortablen
Vermögensverhältnisse ohne erkennbare Einbuße seiner Lebensführung
erbringen konnte. Hinzu kommt, dass sie – unbeschadet der naheliegenden
Vollstreckungsmöglichkeiten der Finanzbehörden – offensichtlich keinen
besonderen persönlichen Verzicht darstellte.
Die
Vollstreckungslösung ist vom BGH entwickelt worden, um Ungerechtigkeiten
im Bereich der besonders schweren Straftaten durch übermäßig lange
Verfahrensdauern auszugleichen. Das gilt besonders für solche Vorwürfe,
die mindestens 5 Jahre zur Basis setzen. Bei ihnen lässt der BGH mit
einigem Recht die Verurteilung zu der Mindeststrafe schon wegen der
Begehung und ihrer Umstände zu. Wenn weitere Strafmilderungsgründe hinzu
kommen, bleibt es bei der Basisstrafe, die nicht noch mehr gemildert
werden kann.
Ich habe zunächst dem Irrtum aufgesessen, mit
der Vollstreckungslösung könnte die schuldangemessene Strafe ganz von
Verfahrensdauern entlastet werden. Das wäre charmant gewesen. Egal, wie
lange ein Verfahren gedauert hat und ob in ihm unzuträgliche
Verzögerungen aufgetreten sind, hätte jedes Gericht zunächst die
schuldangemessene Strafe feststellen müsse. Läge sie über 2 Jahren
Freiheitsstrafe, könnte sie nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden.
Durch die Vollstreckungslösung könnten dann aus Gerechtigkeitsgründen
ein paar Monate als bereits vollstreckt erklärt werden können, was aber
die Bewährungsfrage nicht berührt hätte.
Ganz schnell ist die Vollstreckungslösung zu
einem weiteren Bonus verkommen. Zunächst werden - manchmal
herbeigeredete - Verfahrensverzögerungen bei der Strafe als solche
angerechnet und dann noch einmal als Bonus bei der
Vollstreckungserklärung. Mit besonders entgegenkommender Kreativität
sollen damit die Wirtschaftsstrafkammern aufgefallen sein.
Auch dem
setzt der BGH einen Riegel vor <Rn 50 bis 52>:
Beim
gerichtlichen Verfahren in Wirtschaftsstrafsachen bestehen
Besonderheiten (vgl.
BGH, Beschluss vom 20. März 2008 – 1 StR 488/07 ...), die
regelmäßig einen Vorrang der
Gründlichkeit vor der Schnelligkeit gebieten:
Der
Eingang einer Anklageschrift ist auch bei Wirtschaftsstrafkammern nicht
vorhersehbar. Denn die Zuteilung an die einzelnen Strafkammern muss so
erfolgen, dass auch nur der Eindruck der Möglichkeit einer Manipulation
des gesetzlichen Richters ausgeschlossen ist. Jede Strafkammer ist dann
– und sollte dies auch sein – zunächst mit anderen Sachen ausgelastet.
Bei komplexen und umfangreichen Strafsachen ist es unter diesen
Umständen nicht möglich, dass sich der Vorsitzende und der
Berichterstatter sofort mit der neu eingegangenen Anklageschrift
intensiv befassen. In aller Regel ist das dann nur parallel zu bereits
laufenden – oder anstehenden – Verhandlungen möglich, die im Hinblick
auf das Beschleunigungsgebot bei vorausschauender, auch größere
Zeiträume umfassender Hauptverhandlungsplanung (vgl.
BVerfG - Kammer-Beschlüsse vom 19. September 2007 – 2 BvR 1847/07
– und vom
23. Januar 2008 – 2 BvR 2652/07) langfristig im Voraus zu
terminieren waren. In diesem frühen Stadium des gerichtlichen Verfahrens
ist ein Ausblenden anderweitiger Belastungen der Strafkammer bei der
Prüfung, ob der Pflicht zur Erledigung des Verfahrens in angemessener
Frist (
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) genügt wurde, nicht möglich und
deshalb auch nicht geboten.
Dem Zwischenverfahren kommt im Hinblick auf den Schutz des
Angeklagten große Bedeutung zu. Zur Vorbereitung der Eröffnungsberatung
bedarf es schon deshalb einer intensiven Einarbeitung des Vorsitzenden
und des Berichterstatters in die Sache - parallel zur Förderung und
Verhandlung anderer Verfahren. Diese Vorarbeit schlägt sich hinsichtlich
des Umfangs naturgemäß nicht als verfahrensfördernd in den Akten nieder,
wie auch andere Vorgänge der meist gedanklichen Auseinandersetzung mit
dem Verfahrensstoff in der Regel nicht. Am Ende einer intensiven
Vorbereitung und der Eröffnungsberatung steht häufig nur ein
Eröffnungsbeschluss, der aus einem Satz besteht (
BGH, Beschluss vom 20. März 2008 – 1 StR 488/07 ...).
(1)
BGH, Beschluss vom 15.03.2011 - 1 StR 529/10.
Siehe auch:
BGH, Beschluss vom 18.10.2011 - 4 StR 253/11, Rn 3.
(2)
BGH, Urteil vom 02.12.2008 - 1 StR 416/08, Rn 34
(3)
BGH, Urteil vom 07.02.2012 - 1 StR 525/11
(4)
BGH, Beschluss vom 15.12.2011 - 1 StR 579/11
(5)
BGH, Urteil vom 02.12.2008 - 1 StR 416/08, Rn 45
(gilt auch für das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen nach
§ 266a StGB).
(6)
Ebenda
(5), Rn 48.
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