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Juni 2012

23.06.2012 verdeckte Ermittlungen
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift zwischen NoeP und VE

 


Abgrenzungsprobleme im Zusammenhang mit verdeckten personalen Ermittlungen 

 Vor einem Jahr habe ich zunächst mit der Präsentation über verdeckte Ermittlungen im Internet und dann mit dem Arbeitspapier Internet-Ermittlungen Verwirrung und Aufregung damit verursacht, dass ich einerseits tiefe polizeiliche Ermittlungen im Internet und in abgeschotteten Netzen als zulässig betrachtet und andererseits auch gesagt habe, dass dann, wenn sich die Ermittlungen gegen einen bestimmten Beschuldigten richten, eine gerichtliche Genehmigung nach § 110b Abs. 2 Nr. 2 StPO erforderlich werden kann. Kritik kam besonders aus dem polizeilichen Bereich, wo sich die Vorstellung verselbständigt hat, Verdeckte Ermittler müssten wegen ihrer Identität immer geheim gehalten werden und ihre Erkenntnisse müssten immer entweder durch einen VE-Führer als Zeuge vom Hörensagen oder unter deprivater Tarnung (Maskerade, Paravan, Videovernehmung) in das Gerichtsverfahren eingeführt werden.

Das stimmt, wenn es um Taten aus mafiösen und schwerkriminellen Täterkreisen geht. Die gesetzlichen Vorschriften über den Einsatz Verdeckter Ermittler betreffen aber nicht nur diese extremen (schweren) Täterkreise, sondern auch die aus der erheblichen Kriminalität und das sind auch die Betrüger, die von ihren Betrügereien leben, ohne andere oder wesentliche andere Erwerbsquellen zu haben (gewerbsmäßige Kriminalität).

Eine schon etwas ältere, bislang unveröffentlichte Entscheidung des BGH gibt Anlass, das Thema nochmals aufzugreifen.
 

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Im Anschluss an das Urteil des BVerfG zur Onlinedurchsuchung (1) ist die Informationsbeschaffung in öffentlichen Quellen im Internet zulässig, ohne dass der Ermittler seine polizeiliche Identität offenbaren müsste. Das geht so weit, dass er sich auch auf öffentlichen Kommunikationsplattformen an der Diskussion beteiligen und an der Meinungsbildung beteiligen darf, ohne sich als Polizist erkennen zu geben. Nur wegen der dabei gewonnenen Daten sieht das BVerfG eine Grenze: Wenn bei der Recherche personenbezogene Daten erhoben und vor allem dann, wenn diese mit Daten aus anderen Quellen verbunden werden, dann bedarf es nach Maßgabe des informationellen Selbstbestimmungsrechts einer besonderen Ermächtigungsgrundlage für die Datenverarbeitung und -speicherung. Die ergibt sich im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren aus der Ermittlungsgeneralklausel ( §§ 161 Abs. 1, 163 Abs. 1 StPO) in Verbindung mit der geltenden Dokumentationspflicht (Vollständigkeit der Akten).

Gezielte polizeiliche Ermittlungshandlungen, bei denen der Polizist seine Identität verschweigt, werden schon seit den Neunziger Jahren von der Rechtsprechung anerkannt (2) und bedürfen in aller Regel der Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Sie werden unter dem Begriff "Nicht offen ermittelnder Polizeibeamter" - NoeP - zusammen gefasst und betreffen vor allem den Scheinkauf (zum Beispiel bei Waffen- und BtM-Geschäften) und den Zugriff auf den Täter. Für sie ist kennzeichnend, dass der NoeP einen zeitlich und räumlich umgrenzten Ermittlungsauftrag hat.

 Für längerfristige personale Ermittlungen stellen die §§ 110a, 110b StPO den Verdeckten Ermittler - VE - zur Verfügung. Bei ihm handelt es sich um einen Polizeibeamten, der unter einer Legende ermittelt und unter ihr auch im Rechtsverkehr auftreten darf ( § 110a Abs. 2 StPO). Sein Einsatz bedarf der Zustimmung der Staatsanwaltschaft und dann, wenn sie sich gegen einen bestimmten Beschuldigten richten oder der VE auch nicht allgemein zugängliche Wohnungen betreten soll, auch die des Gerichts ( § 110b Abs. 2 StPO). Unter weiteren Voraussetzungen darf die Identität des Verdeckten Ermittlers auch über seinen Einsatz hinaus geheim gehalten werden.
 

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.06.2010 - StB 15/10
...
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juni 2010 gemäß § 304 Abs. 5 StPO beschlossen:

Die Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2010 (2 BGs 140/10) wird auf Kosten der Staatskasse verworfen.

Gründe:
Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs es abgelehnt, dem Einsatz eines Verdeckten Ermittlers gegen die Kontaktperson der Beschuldigten V. und M. mit dem mutmaßlichen Namen A. alias "..." für die Dauer von drei Monaten zuzustimmen ( § 110a Abs. 1 Nr. 2, § 110b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO).

Die dagegen gerichtete Beschwerde des Generalbundesanwalts bleibt ohne Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung auf dem Gebiet des Staatsschutzes begangen worden ist; zur Durchführung der geplanten Ermittlungsmaßnahmen bedarf es des Einsatzes eines Verdeckten Ermittlers nicht, vielmehr reicht ein nicht offen ermittelnder Polizeibeamter aus (zur Abgrenzung vgl. BGHSt 41, 64, 65 f.; ...). Der Maßnahme steht daher § 110a Abs. 1 Satz 3 StPO entgegen.

Die Ermittlungsbehörde beabsichtigt, mit der Person mit dem mutmaßlichen Namen A. in der Weise in Kontakt zu treten, dass auf deren an eine E-Mail-Adresse des Beschuldigten V. gerichtete Anfrage durch einen Polizeibeamten geantwortet und dabei der Eindruck erweckt wird, es handele sich um eine E-Mail des Beschuldigten. Sollte die Person darauf reagieren, ist eine Fortsetzung des Austausches von E-Mails beabsichtigt. Weitere Einsatzmöglichkeiten sind nicht gegeben. Ein persönlicher Kontakt mit der Person ist mangels näherer Kenntnisse zu deren ldentität nicht möglich. Der Polizeibeamte wird weder eine Wohnung betreten noch Dritten gegenüber mit einer Legende in Erscheinung treten müssen. Es ist allein eine Kommunikation im lnternet unter Verschleierung der ldentität des Polizeibeamten geplant (...).
 

Mit der Abgrenzung zwischen dem NoeP einerseits und dem VE andererseits befasst sich der links abgebildete, bislang nicht veröffentlichte Beschluss des BGH vom 24.06.2010 - StB 15/10. Ihm liegt eine Entscheidung des Ermittlungsrichters des BGH zugrunde, der eine Zustimmung zu einem VE-Einsatz abgelehnt hatte. Das bestätigt der Strafsenat unter Hinweis auf § 110a Abs. 1 Satz 3 StPO, weil auch das minder schwere Ermittlungsmittel "NoeP" zur Verfügung stände.

Im letzten Absatz des Beschlusses wird die beabsichtigte Ermittlungsmaßnahme angesprochen und ich stimme ihm zu, dass es sich dabei um einen sachlich, räumlich und zeitlich umgrenzten Ermittlungsauftrag handelt, wobei allein eine Kommunikation im lnternet unter Verschleierung der ldentität des Polizeibeamten geplant ist und es um die Kontaktanbahnung zu einer noch unbekannten Person unter der Identität des Beschuldigten geht.

Die Entscheidung des BGH signalisiert, dass sowohl der Nutzung der Identität des Beschuldigten als auch der verdeckten Kontaktaufnahme zu Personen im Täterumfeld keine durchgreifenden Bedenken entgegenstehen.

Seine Auseinandersetzung mit der unbekannten Identität des Betroffenen greift recht kurz, weil ihm nicht deshalb die geschützte Rolle des Beschuldigten im Sinne von § 110b Abs. 2 StPO fehlt, weil seine Identität unbekannt ist, sondern weil ihm keine konkrete Tatbeteiligung vorgeworfen wird (3).

Auch ein zweiter Aspekt gerät kurz in dem Beschluss und das ist die Dauer der geplanten Maßnahme. Sie ist von der GBA zunächst auf drei Monate ausgelegt gewesen und das reicht weit über das hinaus, was als ein räumlich und zeitlich umgrenzter Ermittlungsauftrag für einen NoeP angesehen werden kann.
 

    
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 Das Recht im Zusammenhang mit den verdeckten Ermittlungen lässt noch viele offene Fragen und der hier dokumentierte Beschluss des BGH unternimmt nur einen Schritt auf einer noch langen Strecke.

 Die Praxis muss sehr genau auf gesetzliche Richtervorbehalte achten, um sich nicht dem Vorwurf der Willkür mit der möglichen Folge von Verwertungsverboten auszusetzen (4). Andererseits fördert der BGH auch mehr Gelassenheit im Zusammenhang mit Ermittlungen in kriminellen Räumen, wenn er auch geschlossene Kinderporno-Boards als "Öffentlichkeit" ansieht, wenn einem größeren, in seiner Zahl und Zusammensetzung unbestimmten Personenkreis die Möglichkeit der Kenntnisnahme eröffnet wurde (5).

Wertvoll ist der Beschluss des BGH vom 24.06.2010 - StB 15/10 - wegen seiner klaren Bekenntnisse zur Zulässigkeit des NoeP als solchen, der Verwendung der Identität eines Beschuldigten zur weiteren Sachaufklärung und zur Kontaktaufnahme mit (unbekannten) Dritten.

Wegen der genauen Abgrenzung zwischen NoeP und VE hilft der Beschluss nur unwesentlich weiter. Er macht erneut klar, dass der NoeP nur einen umgrenzten Ermittlungsauftrag haben kann, dessen Weite und Dauer aber offen bleibt. Das ist hilfreich, soweit er die Rechtsfigur des NoeP nicht weiter eingrenzt.

Die gesetzlichen Vorschriften über den VE dienen besonders auch dem Schutz der eingesetzten Beamten (6). Durch die weiterhin offene Frage, unter welchen Voraussetzungen der NoeP zum VE wird, bleibt auch der Bereich des Schutzes offen. Eine gewisse Sicherheit kann dadurch erreicht werden, dass die Staatsanwaltschaft einen schriftlich fixierten Ermittlungsauftrag ausdrücklich genehmigt. Dann ist es nämlich unerheblich, ob es sich noch um den Einsatz eines NoeP oder schon um den eines VE handelt, weil dessen einfacher Einsatz ( § 110b Abs. 1 StPO) allein ihrer Zustimmung bedarf.
  

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(1) BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 - 1 BvR 370/07, 595/07

(2) Siehe BGH, Urteil vom 07.03.1995 - 1 StR 685/94 und meine Auseinandersetzung: Dieter Kochheim, Verdeckte Ermittlungen im Internet, S. 45 (Grenzen zwischen VE un NoeP).

(3) Ein Verdächtiger wird zum Beschuldigten, wenn ihm aufgrund konkreter Anhaltspunkte eine Straftat zur Last gelegt wird. Insoweit ist vom Gesetz und von der Rechtsprechung anerkannt, dass die Beschuldigtenrechte (siehe zum Beispiel § 136 StPO) schon in einem ganz frühen Stadium des Verdachts wirken.
Insoweit ist auch derjenige ein Beschuldigter, dessen Eigenschaften zwar beschrieben werden können, so dass er identifizierbar ist, aber dessen genaue Identität (Name, Aufenthalt usw) noch unbekannt ist.
Im entschiedenen Fall handelt es sich um eine Kontaktperson der Beschuldigten, von deren kriminelle Einbindung nichts bekannt gegeben wird. Insoweit ist der Status des Beschuldigten noch nicht erreicht.

(4) Leitungsbefugnis und Verwertungsverbote, 09.10.2011;
Verwertungsverbot nach Durchsuchung, 14.10.2011
( BGH, Beschluss vom 30.08.2011 - 3 StR 210/11).

(5) geschlossene Boards sind öffentliche Räume, 17.03.2012;
BGH, Urteil vom 18.01.2012 - 2 StR 151/11.

(6) BGH, Urteil vom 22.012.1995 – 3 StR 552/94, Rn 7
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018