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März 2012
17.03.2012 kinderpornographische Boards
zurück zum Verweis geschlossene Boards sind öffentliche Räume
 

17.03.2012 
In die Geflogenheiten von kinderpornographischen Foren führt uns der BGH mit einem Urteil aus dem Januar 2012 ein (1), das gleichzeitig zwei materielle Rechtsfragen klärt: Auch geschlossene Boards sind im Sinne des materiellen Kipo-Strafrechts "öffentlich" dann, wenn sich in ihnen eine beliebige Zahl von anonymen Interessierten tummeln können.

 
KiPo-Boards (Sachverhalt)
Öffentlichkeit im Sinne von § 184b StGB
Drittbesitzverschaffung
verdeckte Ermittlungen und Keuschheitsproben
 


Ihre Betreiber machen sich auch wegen der Dateien strafbar, die sie nicht selber in Besitz nehmen, sondern zu denen sie den Mitgliedern nur den Zugang verschaffen
( Drittbesitzverschaffung).

Schließlich stellt sich auch die Frage, ob diese Schärfungen der materiellen Strafbarkeit auch Auswirkungen auf die strafrechtlichen Ermittlungen haben. Dabei geht es vor Allem um verdeckte Ermittlungen und um die Keuschheitsproben.

Ein Urteil aus dem Februar 2012 hat sich durch Schweigen geäußert (2) und vor einem Jahr hat der BGH eine genaue Abgrenzung der Verbrechensfantasie von wirklichem verbrecherischen Willen und dessen Umsetzung gefordert (3). Unlängst äußerte sich das Gericht auch zurückhaltend zur Frage der Einziehung (4). In der neuen Entscheidung findet das Gericht erfreulich deutliche Worte.

Die beiden Angeklagten waren die Administratoren von zwei nacheinander eingerichteten Boards, auf denen Mitglieder Nachrichten oder Anfragen (sog. Postings) hinterließen und insbesondere dauerhaft und ungestört kinderpornographische Bild- und Videodateien austauschten <Rn 3>. Die Adressen der abgelegten Dateien wurden leicht abgeändert (zum Beispiel hxxp:// anstelle von http://).

Das Board war in verschiedene Bereiche unterteilt. Ein Teil hiervon war jedermann zugänglich, im Übrigen war das Board nur Mitgliedern vorbehalten, die - graduell abgestuft - durch verschiedene Aktivitäten, insbesondere das eigene Posten von kinderpornographischen Dateien innerhalb des Boards, eine entsprechende Zugangsberechtigung erhalten hatten. Der Angeklagte N. war hierbei als "Moderator" tätig, um für "Ruhe und Ordnung" unter den Besuchern des Boards zu sorgen. Zudem brachte er in dieser Funktion zahlreiche eigene Ideen ein, um den Erhalt des "Z. "-Boards zu sichern und zu fördern <Rn 4>.

Jedenfalls in den exklusiven inneren Hard Core-Bereich des späteren Boards wurden die Mitglieder nur zugelassen, wenn sie entsprechendes Material lieferten (Keuschheitsprobe). Sofern die Mitglieder innerhalb eines bestimmten Zeitraums keine Aktivitäten entfalteten, wurde ihr Zugang automatisch deaktiviert, um passive Teilnehmer von dem Board fernzuhalten. So unterlag die Szene einem ständigen Wechsel. Am 29. September 2009 hatte das "S. "-Board aktuell 476 Mitglieder zu verzeichnen <Rn 5>.

Die geschilderten Geflogenheiten weichen nicht sonderlich ab von denen, die sich anderer Interessen widmen (zum Beispiel dem Carding), außer im Ekelfaktor: Von den Mitgliedern wurden verstärkt auch sog. "Eigenproduktionen", also selbst gefertigtes Bild- und Filmmaterial, gepostet, die den sexuellen Missbrauch nahestehender Personen zeigten <Rn 5>.

Das Urteil betritt mit klaren Aussagen rechtliches Neuland: Zutreffend hat das Landgericht das Betreiben des "Z. "-Boards durch den Angeklagten N. und des "S. "-Boards durch beide Angeklagte - jeweils nebst den dazugehörigen Chats - als bandenmäßige Verbreitung kinderpornographischer Schriften in der Variante des öffentlichen Zugänglichmachens ( § 184b Abs. 1 Nr. 2 Var. 4, Abs. 3 Alt. 2 StGB) gewertet. Ein solches Zugänglichmachen liegt in der Zurverfügungstellung einer Plattform, die dem Einstellen von Dateien im Internet dient, wobei die Möglichkeit des Lesezugriffs genügt (...). Nichts anderes gilt für das Bereitstellen entsprechender Links, wobei es nach Auffassung des Senats ohne Belang ist, ob das Zugänglichmachen durch das Posten eines Links auf eine kinderpornografische Datei erfolgt (...) oder ob - wie hier in Einzelfällen - die Zieladresse durch Verändern von Buchstaben aus Sicherheitsgründen geringfügig verändert und von den Nutzern nach Weisung manuell eingegeben wird. <Rn 9>.

Der BGH stellt auch klar, dass der Begriff "öffentlich" auch für die geschlossenen Teile eines Boards gilt. Das gilt bereits dann, wenn einem größeren, in seiner Zahl und Zusammensetzung unbestimmten Personenkreis die Möglichkeit der Kenntnisnahme eröffnet wurde <Rn 11> und vor allem wenn ein professionell organisierter Kinderpornoring im Internet eine Tauschbörse mit mehreren tausenden Zugriffen pro Tag und vielen hundert anonymen pädophilen Mitgliedern unterhält, wobei das einzige Zugangshindernis das eigene Posten kinderpornografischer Dateien ist. Ein öffentliches Zugänglichmachen von kinderpornografischem Material liegt deshalb vor, wenn der Zugang nicht auf einen dem Anbieter überschaubaren kleinen Personenkreis beschränkt werden kann, es sich vielmehr um einen anonymen, nicht überschaubaren Benutzerkreis handelt.

Der BGH geht noch weiter, indem er die Board-Betreiber auch für die Drittbesitzverschaffung in Anspruch nimmt ( § 184b Abs. 2, Abs. 3 Alt. 2 StGB):

Drittbesitzverschaffen setzt zwar grundsätzlich - in Abgrenzung zum eigenen Sichverschaffen des Nutzers - voraus, dass die Handlung des Täters direkt und unmittelbar auf die Besitzverschaffung des Dritten gerichtet ist. Bedarf es aber - wie hier - nur noch einer geringfügigen Mitwirkungshandlung des Empfängers selbst, der lediglich den Link anklicken muss, um die tatsächliche Herrschaft über die kinderpornografischen Dateien zu erlangen, und ist aufgrund der gerade auf den Austausch und die Übermittlung solcher Daten gerichtete Kommunikation in einem Chat mit einer alsbaldigen Inanspruchnahme des Downloadangebots zu rechnen, ist es ohne Bedeutung, dass der letzte Schritt zur eigentlichen Besitzerlangung in der Hand des Nutzers liegt. Ob dies auch so zu sehen wäre, wenn statt eines Links die selbst in den Browser einzugebende Adresse für kinderpornografische Dateien in den Chat eingestellt wird, braucht der Senat an dieser Stelle nicht zu entscheiden <Rn 18>.

Danach bedeutet es für das Unternehmen des Drittbesitzverschaffens keinen Unterschied, ob der Täter dem Nutzer die Daten etwa per E-Mail mit entsprechendem Anhang (...) übermittelt oder ob er diesem die Möglichkeit des Zugriffs auf diese - wie vorliegend - durch Übermitteln eines anzuklickenden Links verschafft hat. Auch für die Tathandlung des Verbreitens i.S.v. § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB macht es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ( BGHSt 47, 55, 59 f.) keinen rechtlich relevanten Unterschied, ob der Anbieter dem Nutzer die Dateien explizit zusendet (Upload) oder der Nutzer diese durch Aktivieren eines Links anfordert (Download) <Rn 19>.

Das Urteil hat auch eine Signalfunktion für die polizeilichen Ermittlungen in den Boards. Wenn selbst ihre zugangsbeschränkten Teile als Öffentlichkeit anzusehen sind, stellen sich die Fragen nach der Eingriffsgrundlage für Ermittlungen ohne die Schärfe, die sie hätten, wenn ein starker Schutz durch Grundrechte bestände. So greift zunächst wegen der Beobachtung des Boards die Ermittlungsgeneralklausel ( §§ 161 Abs. 1 S. 1, 163 Abs. 1 S. 2 StPO). Je stärker sich die Ermittlungen auf einen bestimmten Personenkreis oder einen bestimmten Beschuldigten konzentrieren, bedarf es zunächst der Zustimmung der Staatsanwaltschaft ( § 110b Abs. 1 S. 1 StPO) oder sogar des Gerichts ( § 110b Abs. 2 Nr. 1 StPO) (5). Die genauen Grenzen zwischen der freien Informationsbeschaffung im Internet, dem im Einzelfall beauftragten NoeP und dem Verdeckten Ermittler sind noch nicht bestimmt. Dazu bedarf es erst noch breiterer Erfahrungen.

Das größte Problem bei den Ermittlungen im KiPo-Bereich sind die Keuschheitsproben. Die Ermittler sind zwar berechtigt unerkannt zu ermitteln, nicht aber dazu, Straftaten zu begehen. Bereits der schlichte Besitz von KiPo-Abbildungen ist strafbar. Es wird die Meinung vertreten, dass die polizeiliche Verwendung kinderpornographischer Bilder durch Notstand gerechtfertigt ist ( § 34 StGB). In dieser Allgemeinheit teile ich die Auffassung nicht. Wenn jedoch bekannt ist, dass - wie im vom BGH entschiedenen Fall - neue "Eigenproduktionen" gepostet werden, wird auch davon ausgegangen werden können, dass sexueller Missbrauch an Kindern akut stattfindet. Das könnte in der Tat eine gegenwärtige, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben oder Leib sein, die einen Notstand begründet.

Das Urteil des BGH vom 18.01.2012 setzt klare Signale und stärkt die Strafverfolgung gegen die Kinderpornographie. Im Ergebnis gilt das nicht nur für die Fragen nach der materiellen Strafbarkeit, sondern auch für den Nachdruck, mit dem die Strafverfolgung betrieben werden kann. Das ist erfreulich!


(1) BGH, Urteil vom 18.01.2012 - 2 StR 151/11

(2) Verbreitung von Kinderpornographie im Chat-Kanal, 04.03.2012

(3) Härtere Gangart gegen das Skimming und für die materielle Gerechtigkeit, 05.04.2011

(4) Löschen statt einziehen, 28.02.2012

(5) Siehe wegen der Einzelheiten: Dieter Kochheim, Verdeckte Ermittlungen im Internet, # 1.20, 03.07.2012
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018