<S. 6>
Ein Verteidiger hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Übergabe von
Kopien der Ermittlungs- und Gerichtsakten. Er kann sie sich bei
Akteneinsichtnahme selbst fertigen. Gleichwohl wird sinnvoller Weise
häufig anders verfahren, wenn dies aus Gründen der Fairness, der
Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung angezeigt erscheint.
(1)
<S. 7>
Im Übrigen kann der tadelnde Hinweis „nun mandeln Sie sich
doch nicht so auf“ oder „jetzt mandeln Sie sich schon wieder auf“ vor
dem Hintergrund des von der Strafkammer in ihrem Beschluss über die
Zurückweisung des Befangenheitsantrags geschilderten Prozessverhaltens
des Verteidigers nur als eine auf bayerisch eher zurückhaltend
formulierte Bitte um Respektierung des Rechts und der Pflicht des
Strafkammervorsitzenden, die Verhandlung zu leiten (
§ 238 Abs. 1 StPO), sowie um Wahrung des - auch
standesrechtlich geforderten (
§ 43a BRAO) - Gebots der Sachlichkeit verstanden werden.
(1) |
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Fünf junge
Entscheidungen des BGH gilt es vorzustellen.
Ein
Verteidiger hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass ihm Kopien
von Schriftsätzen und Beschlüssen ausgehändigt werden (
links oben). Alles andere ist pure Nettigkeit.
Die
Zurechtweisung eines Verteidigers muss manchmal sein, damit sich das
Gericht nicht von ihm die Butter vom Brot nehmen lässt. Das sind meine
Worte, der BGH sagt's feiner (
links unten).
Lange Zeit
das einzige Verwertungsverbot in der Strafprozessordnung ist in
§ 136a StPO bestimmt: Der Beschuldigte darf nicht durch Gewalt,
List, falsche Versprechungen oder gar Medikamente in seiner
Willensfreiheit beeinträchtigt werden. Geschieht das, dann sind seine
Angaben auch dann unverwertbar, wenn er ihrer Verwertung zustimmt.
Das Verwertungsverbot beschränkt sich jedoch auf die Teile einer
Aussage, die tatsächlich unter Gewalt erpresst worden sind (
rechts oben).
Gegen
Heucheleien wendet sich der BGH etwas verklausuliert (
rechts unten). Er spricht die bekannte Einlassungsstrategie an: "Ich
gestehe alles, aus dem ich mich nicht herausreden kann!"
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<LS> Wird ein Beschuldigter in ausländischer Haft bei Vernehmungen
geschlagen, so führt dies nicht zur Unverwertbarkeit seiner Äußerungen
im Rahmen eines Gesprächs, das er während der Haft mit einem deutschen
Konsularbeamten führt, wenn hierbei die Misshandlungen
keinen Einfluss
auf den Inhalt seiner Angaben mehr haben.
(2)
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<13> Ein
nicht am tatsächlichen Schaden, sondern am
Ermittlungsstand orientiertes und auch sonst zumindest
sehr zögerliches Verhalten legt schon im
Ansatz eine - fakultative - Strafrahmenmilderung gemäß
§ 46a StGB nicht ohne weiteres nahe ...
Dies kann aber dahinstehen, da allein ein
Schuldanerkenntnis oder gar dessen bloße Ankündigung keine
Grundlage eines Täter-Opfer-Ausgleichs in der hier allein in Betracht
kommenden Alternative des
§ 46a Nr. 2 StGB sein kann ...
(3)
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Solche Lippenbekenntnisse sind taktisch ausgerichtet und zeigen keine
Reue und kein auf Wiedergutmachung ausgerichtetes Nachtatverhalten (
§ 46 Abs. 2 StGB). Sie sind kalkulierte Sprechblasen und von der
Erkenntnis (oder Beratung) der Unvermeidbarkeit geprägt. Dadurch
verdienen sie kein Entgegenkommen im Wege der Strafzumessung oder gar
einer Strafrahmenverschiebung wie im Falle der (ehrlichen)
Schadenswiedergutmachung.
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Der 1.
Senat prescht mit der Forderung hervor, dass im Rahmen einer
Verständigung nicht nur eine Strafobergrenze ausgehandelt werden muss,
sondern ein angemessener Strafrahmen, der immer auch eine
Strafuntergrenze (15.11.2010) hat. Das bringt er in der schon
angesprochenen Entscheidung auf den Punkt (
links oben).
Die
Anforderungen an die Begründungstiefe von Urteilen konkretisiert eine
weitere Entscheidung (
links unten).
Diese Art der Besserwisserei und Zurechtweisung ist nicht
unproblematisch. Sie ist panoptisch, verliert und verliebt sich in
Details und schürt die Angst der Praktiker davor, einen Vers des hohen
Gerichts übersehen oder falsch eingeschätzt zu haben. Es liegt in der
Natur der Sache, dass ein Instanzgericht nur am Fall und nicht im
Allgemeinen argumentiert. Das Panoptikum als Gesamtbild stellt sich dann
aber als ein Zerrbild aus verschiedenen Handlungsanweisungen im
Einzelnen dar: Das darfst Du, das darfst Du nicht und das ist (mit
bedenkend wiegendem Kopf) bedenklich. Die Linie gerät dabei aus dem
Blick und ich glaube nicht, dass die fünf Strafsenate des BGH immer
dieselbe Linie vor Augen haben.
Gelegentlich strukturiert der BGH seine Rechtsprechung und verknüpft
die verschiedenen Entscheidungen zu einen geflochtenen Strang. In Bezug
auf die Begründungserfordernisse in einem Strafurteil scheint es mir
daran aber noch zu fehlen.
Die
Ohrwatschen kommen zuletzt (
rechts
oben). Es ist natürlich völlig neben Sache, Ausführungen über das
Erfordernis der Verbüßung zu machen, wenn das Gericht auf eine
Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren erkennt. Auch die Frage, ob der
Verurteilte in den offenen Vollzug gehört, muss von anderen entschieden
werden.
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<Rn 6> Bei Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
sind Ausführungen zur Strafaussetzung zur Bewährung fern liegend; die
Frage, "ob es des Vollzugs der Freiheitsstrafe bedürfe", stellt sich
nicht und muss vom Tatrichter daher auch nicht erörtert werden. Das gilt
erst Recht auch für die hier vom Landgericht ausgesprochene "dringende
Empfehlung", den Angeklagten "umgehend in den offenen Vollzug
aufzunehmen" (UA S. 16). Solche rechtlich
unverbindlichen Hinweise können Erfordernisse und Besonderheiten
des Vollzugs der Freiheitsstrafe und des Vollstreckungsverfahrens der
Natur der Sache nach nicht berücksichtigen und begründen die Gefahr, als
rechtlich bindend fehlgedeutet zu werden.
(6) |
Die vom BGH kritisierte tatrichterliche Bemühtheit ist vom ihm nicht
ganz unverschuldet. Seit Jahrzehnten straft der BGH seine nachgeordneten
Berufskollegen ab und provoziert damit Unsicherheiten. Ich wünsche mir
mehr Zöpfe, die er flicht.
Zwei
Entscheidungen sind beim BGH anhängig, die mich brennend interessieren.
Das Landgericht Verden hat entschieden, dass Vorratsdaten, die nach
Maßgabe der vorläufigen Entscheidungen des BVerfG zulässig erhoben
wurden, nach dem Urteil vom 02.03.2010 überhaupt nicht mehr verwertet
werden dürfen
(7).
Mit meiner Position
(8)
hat sich das Gericht (Dank kollegialer Unterstützung) ausdrücklich
auseinander gesetzt und abgelehnt. Anders das Landgericht Hannover
(9),
ohne mich zu erwähnen.
Am 15.11.2010 soll ein mit dieser Entscheidung berufener BGH-Richter
bei einer justizöffentlichen Veranstaltung den Cyberfahnder nicht nur
als ernsthafte Quelle, sondern auch wohlwollend zitiert haben -
ausdrücklich "im Gegensatz zum Leipziger Kommentar".
Ich bin gespannt!
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