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März 2010
07.03.2010 Verkehrsdaten
     
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    Bestandsaufnahme und praktische Konsequenzen aus dem Urteil des BVerfG
 

 

Das Bundesverfassungsgericht hat am 02.03.2010 die geltenden telekommunikationsrechtlichen Regeln zur Vorratsdatenspeicherung und den strafverfahrensrechtlichen Zugriff auf sie für nichtig erklärt (1). Damit stellen sich die Fragen danach, wie mit den "Altdaten" umgegangen werden muss, die auch nach Maßgabe des BVerfG zulässig erhoben wurden, und welche Daten künftig noch erhoben werden dürfen.

Die beanstandeten Regeln wurden mit Wirkung vom 01.01.2008 (2) im Rahmen der StPO-Novelle 2007 eingeführt (3). Dazu gehörte eben auch die Vorratsdatenspeicherung, für deren Beginn eine Übergangsfrist bis zum 01.01.2009 galt. Sie hat in Bezug auf das Strafverfahren zwei Regelungsbereiche, die im Telekommunikationsgesetz und in der Strafprozessordnung angesiedelt sind.

§ 113 TKG verpflichtet die Betreiber von geschäftsmäßigen TK-Dienstleistungen (Zugangsprovider) unter Verweis auf die §§ 95 bis 111 TKG zur Auskunft an die Strafverfolgungsbehörden im Hinblick auf die Daten, die sie zu Zwecken ihres kaufmännischen und technischen Betriebes benötigen (siehe unten links). Dazu gehören die Bestandsdaten ( § 95 TKG) und die nach Maßgabe von § 96 Abs. 1 S. 1 TKG begrenzten Verkehrsdaten.

Diese Vorschriften gelten fort und wurden vom BVerfG nicht aufgehoben.
 

Wirkung der Nichtigkeit
keine rückwirkende Nichtigkeit
wirksame unechte Rückwirkung
Verwertung von Vorratsdaten
Verwertungsverbote
Schwellengleichheit
Spurenansatz, Ergreifung
Fazit
 
Aktualisierung

Die Vorratsdatenspeicherung wurde von § 113a TKG angeordnet. Der darin enthaltene Datenkatalog war erheblich umfangreicher. Die Speicherdauer betrug 6 Monate, die Daten mussten binnen eines weiteren Monats gelöscht werden. § 113b TKG enthielt die Ermächtigung, dass die Zugangsprovider die Vorratsdaten an die Strafverfolgungsbehörden herausgeben durften. Beide Vorschriften sind vom BVerfG als verfassungswidrig und nichtig erklärt worden.

Die einschlägige strafverfahrensrechtliche Eingriffsnorm ist § 100g StPO. Sie ist nach der Entscheidung des BVerfG insoweit nichtig, wie sie den Zugriff auf Vorratsdaten gemäß § 113a TKG zuließ. Im übrigen gilt die Vorschrift fort und das gilt vor allem auch wegen der (inhaltlich begrenzten) Verkehrsdaten, die von § 96 Abs. 1 S. 1 TKG definiert werden.

Daraus folgt zunächst, dass künftig keine Vorratsdaten gemäß § 113a TKG vorgehalten und schon deshalb nicht nach § 100g StPO im Strafverfahren beigezogen werden können.
 

zurück zum Verweis Wirkung der Nichtigkeit
 

 
Verkehrsdaten gemäß § 96 Abs. 1 S. 1 TKG:
1. die Nummer oder Kennung der beteiligten Anschlüsse oder der Endeinrichtung, personenbezogene Berechtigungskennungen, bei Verwendung von Kundenkarten auch die Kartennummer, bei mobilen Anschlüssen auch die Standortdaten,
2. den Beginn und das Ende der jeweiligen Verbindung nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen,
3. den vom Nutzer in Anspruch genommenen Telekommunikationsdienst,
4. die Endpunkte von festgeschalteten Verbindungen, ihren Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen,
5. sonstige zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation sowie zur Entgeltabrechnung notwendige Verkehrsdaten.
 

 
Zur Entscheidung über die Nichtigkeit ist das BVerfG durch § 95 Abs. 3 in Verbindung mit § 78 BVerfGG befugt. Daraus folgt jedenfalls, dass dieses Gesetz künftig nicht mehr angewendet werden darf (4). Die Einzelheiten der Rechtsfolgen der Nichtigkeit werden von § 79 BVerfGG angesprochen. Danach können rechtskräftige Strafurteile durch Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozessordnung angegriffen werden.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten ist nach § 359 StPO vor allem dann zulässig, wenn sich die Tatsachengrundlagen des Strafurteils im Nachhinein als nachweislich falsch erwiesen haben. Eine Besonderheit stellt § 359 Nr. 6 StPO dar, der eine Wiederaufnahme auf der Grundlage einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zulässt. In ähnlicher Weise lässt auch § 79 Abs. 1 BVerfGG die Wiederaufnahme zu, soweit die Verurteilung auf dem nichtigen Gesetz beruht. Das ist der Fall, wenn das Gericht bei richtiger Rechtsanwendung möglicherweise anders (als im angefochtenen Urteil geschehen) entschieden hätte.

§ 100g StPO ist aber kein materielles Strafgesetz, dessen Tatbestand mit Strafe droht, sondern eine Regel des Strafverfahrensrechts. In diesem Zusammenhang ist in der Literatur die Ansicht verbreitet, dass die Nichtigkeit nicht auf Verfahrensregeln mit Bezug auf die Vergangenheit wirkt. Die viel behauptete Klarheit lässt die Rechtsprechung vermissen.

Nach einhelliger Meinung stellt die Eröffnung des Wiederaufnahmeverfahrens gemäß § 79 Abs. 1 BVerfGG die Ausnahme dar (5). Die Regel bildet danach § 79 Abs. 2 BVerfGG, der rechtskräftige Entscheidungen bestandskräftig erhält und nur ihre Vollstreckung hemmt.
 

 
Dafür sind zwei gegensätzliche Gründe ausschlaggebend, für die das BVerfGG einen Kompromiss sucht.

Wenn seine Nichtigkeit festgestellt wird, dann ist das Gesetz von vornherein verfassungsrechtlich verboten gewesen und wird es rückwirkend aufgehoben (ex tunc).

Während seiner Geltung ist es jedoch - möglicherweise sogar lange Jahre - auf eine Vielzahl von Sachverhalten angewendet worden. Die konsequente Rückwirkung würde die Bestandskraft aller auf der Gesetzesanwendung beruhender Entscheidungen in Frage stellen und damit eine unverantwortliche Rechtsunsicherheit verursachen.

Dieses Dilemma zwischen Verfassungswidrigkeit einerseits und Gewährung von Rechtssicherheit andererseits beschäftigt die Rechtswissenschaft seit Jahrzehnten (6). Insoweit hat das BVerfG auch prozessuale Verfahren der Wiederaufnahme unterworfen (7), wenn sie die Gerichtsverfassung regeln. Das bedeutet, dass Verfahrensregeln unwirksam werden, die den Gerichtsweg und besonders den gesetzlichen Richter betreffen ( Art. 101 S.2 GG), nicht aber das Verfahrensrecht, das der berufene Richter anwendet.

Die von § 79 Abs. 1 BVerfGG eröffnete Wiederaufnahme stellt, wie gesagt, die Ausnahme dar und § 79 Abs. 2 BVerfGG den Regelfall (8).

Das BVerfG spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich davon, dass niemand gezwungen sein soll, den Makel einer Strafe auf sich lasten zu lassen, die auf einem verfassungswidrigen Strafgesetz beruht (28). Der Begriff Strafgesetz bezeichnet aber ausschließlich materielle Strafnormen, nicht auch formelle.

zurück zum Verweis keine rückwirkende Nichtigkeit wirksame unechte Rückwirkung
 

 
 
Im Bereich von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren können dem Bürger durch Änderungen der Verfahrensordnungen mit Wirkung für bereits anhängige Verfahren wesentliche Positionen für die Wahrung seiner Rechte verkürzt oder abgeschnitten werden. ... (Rn 18)
 
Die Regelung bewirkt allerdings keine sogenannte echte Rückwirkung. Eine solche setzt voraus, dass der Gesetzgeber nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift. ... (Rn 19)
 
Anders als eine echte Rückwirkung, der das Rechtsstaatsprinzip enge Grenzen zieht (...) und die deshalb verfassungsrechtlich in der Regel untersagt ist (...), ist die unechte Rückwirkung grundsätzlich zulässig (...). Jedoch ergeben sich für den Gesetzgeber auch hier aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes Schranken. Im näheren hängt die Beurteilung von dem Ergebnis einer Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit ab. (Rn 20) (15)
 
 

 
Danach behalten alle Anordnungen gemäß § 100g StPO Bestandskraft, wenn sie nicht nur beschlossen wurden, sondern auch vollstreckt. Diese Einschränkung ergibt sich aus § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, der die Vollstreckung aus auf verfassungswidriger Grundlage ergangener Entscheidungen untersagt.

Anordnungen gemäß § 100g StPO richten sich gegen den Zugangsprovider. Er wird durch sie zur Herausgabe der bei ihm gespeicherten Verkehrsdaten verpflichtet. Sobald der Zugangsprovider die herausgegeben hat, ist die Vollstreckung im Sinne von § 100g StPO abgeschlossen.

Keine Vollstreckung in diesem Sinne ist der nachträgliche Rechtsschutz, den § 101 Abs. 7 StPO bietet. Er ist kein Rechtsmittel, der gegen den Vollzug einer Eingriffsentscheidung gerichtet ist, sondern ausdrücklich ( § 101 Abs. 4 S. 2 StPO) eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit und des Vollzuges des Eingriffs, nachdem er beendet ist (9). Die gerichtliche Entscheidung dient vor allem der Nachholung des rechtlichen Gehörs. Die gerichtliche Entscheidung ist sozusagen der Ersatz der sonst gebotenen Anhörung, die nach § 33 Abs. 4 StPO unterbleiben darf, wenn durch sie der Untersuchungszweck gefährdet würde.

Der Maßstab für die Entscheidung nach § 101 StPO ist das zum Zeitpunkt der Entscheidung und Vollstreckung geltende Recht (10). Für die Zeit seit dem 11.03.2008 gilt deshalb der Maßstab, den das BVerfG durch einstweilige Anordnungen gestaltet hat.
 

 
Mit der einstweiligen Anordnung vom 11.03.2008 (11) hat das BVerfG den Vollzug des § 100g StPO in Bezug auf Vorratsdaten weitgehend ausgesetzt (12). Danach durften die Zugangsprovider nur in den Fällen die Vorratsdaten herausgeben, denen Ermittlungen wegen einer Katalogstraftat gemäß § 100a Abs. 2 StPO zugrunde lagen. In allen anderen Fällen mussten die angeforderten Vorratsdaten bis zur abschließenden Entscheidung des BVerfG gespeichert und durften nicht herausgegeben werden. Die einstweilige Anordnung wurde mehrfach erweitert und verlängert (13). Im abschließenden Urteil hat das BVerfG die Löschung der eingefrorenen Daten angeordnet. Zu den Vorratsdaten, die nach der einstweiligen Verfahrensregelung herausgegeben werden durften, sagt es ausdrücklich nichts (14).

Wegen schwebender Entscheidungen ist es dem Gesetzgeber erlaubt, vorläufige materielle und Verfahrensregeln zu treffen. In engen Grenzen darf er dazu auch rückwirkend in Rechtsverhältnisse eingreifen ("echte Rückwirkung"). Die "unechte Rückwirkung", die sich auf Verfahrensregeln beschränkt, ist jedoch nach Maßgabe der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes grundsätzlich zulässig [siehe Kasten links unten, (15)].

Nichts anderes hat das BVerfG mit seinen einstweiligen Anordnungen getan. Nach den Grundsätzen der unechten Rückwirkung bleiben die zwischenzeitlichen Anordnungen gemäß § 100g StPO in Bezug auf Straftaten gemäß § 100a Abs. 2 StPO wirksam und wegen ihrer Folgen vollziehbar.
 

zurück zum Verweis Verwertung von Vorratsdaten Verwertungsverbote
 

 
 
Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (...). Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (...). Insofern ist zu bedenken, dass jedes Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen einschränkt und so die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung beeinträchtigt; von Verfassungs wegen stellt ein Beweisverwertungsverbot mithin eine begründungsbedürftige Ausnahme dar ... (19)
 
 

 
Die Vorratsdaten, die seit dem 11.03.2008 nach Maßgabe der einstweiligen Anordnung des BVerfG erhoben und von den Zugangsprovidern herausgegeben wurden, bleiben gemäß § 79 Abs. 2 BVerfGG und den Grundsätzen der unechten Rückwirkung verwertbar.

Dem stehen auch nicht die inhaltlichen Schranken entgegen, die das BVerfG jetzt in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung gesetzt hat.

Seit dem 11.03.2008 durften nur die Vorratsdaten an die Strafverfolgungsbehörden herausgegeben werden, die die Fälle einer Katalogstraftat gemäß § 100a Abs. 2 StPO und damit die besonders schwere Kriminalität betrafen (16). Wegen dieser Kriminalitätsformen betrachtet das BVerfG noch immer die Verwertung von Vorratsdaten als zulässig (17).

Somit stehen weder Gründe des Verfahrensrechts noch des sachlichen Verfassungsrechts der Verwertung der in der Zwischenzeit erhobenen Vorratsdaten entgegen.

Für sie ist kein Verwertungsverbot eingetreten!
 

 
Das BVerfG unterscheidet zwischen absoluten und relativen Verwertungsverboten (18), wobei letztere eine Verwertung nur unter erhöhten Anforderungen zulassen.

Von Verfassungs wegen gebotene Verwertungsverbote haben immer einen Ausnahmecharakter (siehe Kasten links) und greifen nur dann, wenn bei einer Gesamtschau das Rechtsstaatsprinzip durchbrochen wurde.

Dadurch, dass das BVerfG im Rahmen seiner einstweiligen Anordnungen den Anwendungsbereich des § 100g StPO auf Katalogstraftaten beschränkt hat, steht in diesen Fällen der Verwertung nichts entgegen.
 

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Etwas anderes gilt wegen der Zufallsfunde. Damit sind die Vorratsdaten gemeint, die wirksam und verwertbar erhoben wurden und Auskunft über andere Straftaten geben.

Bis zum 02.03.2010 galten für sie die §§ 161 Abs. 2 (Import) und 477 Abs. 2 S. 2 StPO (Export) nach Maßgabe der einstweiligen Anordnungen des BVerfG. Mit anderen Worten: Verwertbare Vorratsdaten konnten bis dahin auch in andere Verfahren eingebracht und als Vollbeweis verwertet werden, wenn auch dort (wegen einer Katalogstraftat) ihre Erhebung zulässig gewesen ist. Der entscheidende Zeitpunkt, auf den dabei abzustellen ist, ist der des erneuten Grundrechtseingriffs, also dann, sobald über die Verwertung der Vorratsdaten entschieden wurde (20).

Seit dem 02.03.2010 ist § 100g StPO insoweit nichtig, wie er den strafverfahrensrechtlichen Zugriff auf Vorratsdaten zuließ. Seither ist ihre Erhebung in Strafverfahren verboten und fehlt es an einer Norm, mit der sich die Schwellengleichheit begründen ließe.
 

 
Der Grundsatz der Schwellengleichheit gilt nur für die Vorratsdaten, die als Vollbeweis verwertet werden sollen.

Etwas anderes gilt für den vom BVerfG anerkannten Spurenansatz (21). Danach können auch nicht schwellengleiche Erkenntnisse zur Begründung von Eingriffsmaßnahmen herangezogen werden. Bei der gerichtlichen Urteilsbildung bleiben sie jedoch unverwertbar, nicht aber die neuen Erkenntnisse, die aufgrund anderer Ermittlungsmaßnahmen gewonnen wurden.

Daraus folgt, dass die wirksam erhobenen Vorratsdaten im Rahmen des Spurenansatzes auch als Zufallsfunde mit der Beschränkung verwertet werden dürfen, dass sie nur die Begründung neuer Ermittlungsmaßnahmen erlauben. In der folgenden gerichtlichen Verhandlung besteht ein Verwertungsverbot als Vollbeweis.

Ebenfalls erkennt das BVerfG die Verwertung nicht schwellengleicher Erkenntnisse zur Aufenthaltsermittlung und Ergreifung von Tätern an (22).
 

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Seit dem 02.03.2010 können keine Vorratsdaten erhoben werden.
Die seit dem 11.03.2008 unter den Einschränkungen der einstweiligen Anordnung des BVerfG erhobenen Vorratsdaten sind weiterhin verwertbar. Das gilt auch dann, wenn sich seither der rechtliche Gesichtspunkt der Strafbarkeit geändert hat.
Die Vorratsdaten, die bis zum 02.03.2010 als Zufallsfunde Eingang in andere Verfahren gefunden haben, bleiben verwertbar, wenn sie schwellengleiche Vorwürfe betreffen.
Seit dem 02.03.2010 können Vorratsdaten nicht mehr als Zufallsfunde eingeführt werden. Das gilt nicht im Zusammenhang mit dem Spurenansatz und zur Ergreifung des Täters.
Seit dem 02.03.2010 können nur noch zurückliegende Verkehrsdaten erhoben werden, die die Zugangsprovider zu kaufmännischen oder technischen Zwecken speichern dürfen. Die künftigen Verkehrsdaten können weiter erhoben werden.

 

 
Durch die Nichtigkeitserklärung des BVerfG im Hinblick auf § 100g StPO, soweit er den Zugriff auf Vorratsdaten zugelassen hat, ist seit dem 02.03.2010 die Einführung von Vorratsdaten in Strafverfahren ausgeschlossen. Das gilt wegen § 161 Abs. 2 StPO auch für Vorratsdaten, die als Zufallsfunde in anderen Verfahren verwendet werden sollen.

Die Verwertung der seit dem 11.03.2008 erhobenen Vorratsdaten ist zulässig. Sie konnten nur nach Maßgabe der einstweiligen Anordnungen des BVerfG erhoben werden und waren auf die Fälle der besonders schweren Kriminalität nach dem Straftatenkatalog des § 100a Abs. 2 StPO beschränkt. Sie trifft keine rückwirkende Nichtigkeit und kein Verwertungsverbot.

Diese Vorratsdaten dürfen auch dann verwertet werden, wenn sich seit ihrer Erhebung der rechtliche Gesichtspunkt geändert hat (23) und wenn sie im Rahmen des Spurenansatzes oder zur Ergreifung genutzt werden sollen.

Auf der Grundlage des § 100g StPO können jetzt nur noch Verkehrsdaten im Sinne von § 96 Abs. 1 S. 1 TKG erhoben werden. Das sind solche, die von den Zugangsprovidern aus kaufmännischen oder technischen Gründen gespeichert werden müssen. Sie stehen höchstens für die Dauer von 3 Monaten zur Verfügung.
  

 
Die Nichtigkeitserklärungen des BVerfG in Bezug auf die Speicherung und Erhebung von Vorratsdaten wird die Strafverfolgung belasten. War bislang der Zugriff auf die Verkehrsdaten das mildere Mittel gegenüber der Überwachung der Telekommunikation, wird sie wahrscheinlich häufiger zum Einsatz kommen. Im Zusammenhang mit ihr können die künftigen Verkehrsdaten weiterhin aufgezeichnet werden ( § 100g Abs. 1 S. 3 StPO).

Neben dem Zugriff auf Vorratsdaten fehlt der Strafverfolgung auch das Instrument der Onlinedurchsuchung (24). Der Gesetzgeber lässt nicht erwarten, dass er zügig die Vorgaben des BVerfG in beiden Fällen umsetzen wird (25), obwohl der politische Druck stark zu werden beginnt.

Den größten Druck wird die Urheber-Lobby ausüben. Sie ist in aller Regel bei der Durchsetzung ihrer gewerblichen Schutzrechte auf Auskünfte über dynamische IP-Adressen angewiesen, die ihrerseits nur anhand von Verkehrsdaten aufgelöst werden können. Solche Nutzungen im Einzelfall hat das BVerfG unabhängig von der Schwere der Tat oder der Beeinträchtigung als zulässig angesehen.

Weiterer Druck wird seitens der EU kommen, zumal sie die Vorgaben für das gescheiterte Gesetz gegeben hat.

Die jubelnden Gewinner müssen sich vor Augen halten, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht völlig unzulässig ist und auch die Verwertung dieser Daten Berechtigung hat. Der Gesetzgeber ist in Zugzwang und wird nicht ewig auf sich warten lassen können.
 

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28.03.2010: Eine aufmerksame Nutzerin hat mich auf die Kommentierung zu § 32 BVerfGG bei Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge hingewiesen, die meine Argumentation abrundet (26a). Sie hat recht.
 

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§ 79 BVerfGG regelt in seinen Absätzen 1 und 2 die Folgen von Senatsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, durch die eine Rechtsnorm für verfassungswidrig erklärt wird, auf deren Grundlage Entscheidungen ergangen sind, die schon rechtskräftig geworden oder auch sonst nicht mehr anfechtbar sind. Da der Gesetzgeber bei Erlass des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes im Jahre 1951 (...) davon ausging, dass die Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes dessen Nichtigkeit mit Wirkung ex tunc sein würde (...), sollten mit § 79 BVerfGG die Rechtsfolgen der Nichtigkeit im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit begrenzt werden ... (27)
 
 

 

Das geschah vor allem durch die bis heute unverändert gebliebene Vorschrift des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, in der als Grundsatz (...) bestimmt ist, dass - vorbehaltlich des § 95 Abs. 2 BVerfGG oder einer besonderen gesetzlichen Regelung - nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben, also in ihrer Existenz nicht mehr in Frage gestellt werden sollen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz machte der Gesetzgeber nur für das Strafrecht (...). Niemand soll gezwungen sein, den Makel einer Strafe auf sich lasten zu lassen, die auf einem verfassungswidrigen Strafgesetz beruht. Deshalb hat der Gesetzgeber in § 79 Abs. 1 BVerfGG einen zusätzlichen Wiederaufnahmegrund geschaffen (...), mit Hilfe dessen es dem Verurteilten möglich sein soll, diesen Makel nach den Vorschriften der Strafprozessordnung durch Aufhebung oder Berichtigung des auf verfassungswidriger Grundlage ergangenen Strafurteils zu beseitigen (...). Nur in diesem Fall soll deshalb die Rechtskraft der Entscheidung durchbrochen werden können. (28)
 
 

 

Insofern fallen sowohl von Gerichten der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochene falsche Strafurteile als auch solche aus der Zeit der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft in den Anwendungsbereich der § 359 ff. StPO. Selbstverständlich ist grundsätzlich ein Wiederaufnahmeverfahren auch dann zulässig, wenn das Strafurteil auf einem nicht prozessordnungsgemäßen Verfahren beruht (...). Nach der auf der Rechtslage vor Inkrafttreten des NS- Aufhebungsgesetzes beruhenden Ansicht von Gössel (...) gilt dies unabhängig davon, ob man derartige Urteile, etwa von Sondergerichten oder des Volksgerichtshofes, für nichtig erachtet. Danach gebietet das Rehabilitationsinteresse, wenn man die jeweiligen Entscheidungen als nichtig ansieht, den förmlichen, deklaratorischen Nichtigkeitsausspruch durch das Wiederaufnahmegericht wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensweise, allerdings ohne jede Entscheidung in der Sache. Anders würde die zur Nichtigkeit des Urteils führende evident rechtsstaatswidrige Verfahrensweise widersprüchlich insoweit mindestens teilweise anerkannt werden, als eine konstitutiv wirkende formal verfahrensbeendende Entscheidung für erforderlich gehalten wird, während in Wahrheit die Entscheidung wie das dazu führende Verfahren unbeachtlich sind, was nur deklaratorisch (in der Begründung des die Nichtigkeit feststellenden Beschlusses) festgestellt werden kann (...). (29)
 
 

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(1) BVerfG, Urteil vom 02.03.2010 - 1 BvR 256, 263, 586/08

(2) siehe auch StPO-Reform 2007

(3)  Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG

(4) Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit hat dieselbe Folge wie die der Nichtigkeit: Die Norm darf ab sofort, d. h. vom Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an, in dem
sich aus dem Tenor ergebenden Ausmaß nicht mehr angewandt werden.
Siehe BVerfG, Beschluss vom 21.05.1974 - 1 BvL 22/71, 21/72, Rn 134.

(5) siehe Kasten links und Mitte

(6) Eine besondere Tiefe hat der Aufsatz von Manfred Löwisch, Zu den Folgen der Nichtigkeitsfeststellung eines Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht, insbesondere für private Rechtsverhältnisse, Juristenzeitung 1961, S. 731 - 735.

(7) siehe Kasten oben rechts

(8) siehe Kasten oben Mitte

(9) BGH, Beschluss vom 08.10.2008 - StB 12-15/08, Rn 7.

(10) Schluss aus BGH, Urteil vom 27.11.2008 - 3 StR 342/08, Rn 13, wonach das zum Zeitpunkt der Eingriffsmaßnahme geltende Recht zugrunde gelegt werden muss.

(11) BVerfG, Beschluss vom 11.03.2008 - 1 BvR 256/08

(12) Verwertung von Vorratsdaten nur wegen schwerer Kriminalität
 

 
(13) und noch 'ne Sondererhebung

(14) (1)

(15) BVerfG, Beschluss vom 19.10.1999 - 1 BvR 1996/97

(16) Definition: BVerfG, Urteil vom 03.03.2004 - 1 BvR 2378/97, 1084/99, Rn 238, 241, 335; siehe auch Klarstellung vom Bundesverfassungsgericht.

(17) (1), Rn 228, 229.

(18) BVerfG, Beschluss vom 15.10.2009 - 2 BvR 2438/08, Rn 8 ff.

(19) (18), Rn 7.

(20)  BGH, Urteil vom 27.11.2008 - 3 StR 342/08, Rn 11, 13; siehe auch zulässige Verwertung verdeckter Zufallserkenntnisse.

(21) BVerfG, Urteil vom 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98, 1084/99, S. 64.

(22) (21)

(23) Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts

(24) Online-Zugriff an der Quelle

(25) Leutheusser-Schnarrenberger unter Druck, tagesschau.de 03.03.2010

(26) Vorratsdatenspeicherung: CDU-Politiker drängen auf schnelle Nachfolgeregelung, Heise online 06.03.2010

(26a) Graßhof in Maunz, Schmidt-Bleibtreu, Klein, Bethge,
Bundesverfassungsgerichtsgesetz,
31. Ergänzungslieferung 2009

(27) BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 - 1 vR 1905/02, Rn 31.

(28) ebenda (27), Rn 32

(29) BVerfG, Beschluss vom 08.03.2006 - 2 BvR 486/05, Rn 93.
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018