Zwar ist es einem Richter auch nach den Vorschriften des am 4.
August 2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung der Verständigung
im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 [...
(1)]
grundsätzlich nicht verwehrt, zur Förderung
des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der
Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Dabei hat er jedoch die
gebotene Zurückhaltung zu wahren, um jeden
Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden.
Dies gilt mit Blick auf einen möglichen Interessenwiderstreit in
besonderem Maße, wenn Gespräche über eine verfahrensbeendende Absprache
mit einem Angeklagten unter Ausschluss eines vom selben Tatkomplex
betroffenen, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden
oder die Tatvorwürfe bestreitenden Mitangeklagten geführt werden. In
solchen Fallkonstellationen liegt es nahe, dass bei dem an dem Gespräch
nicht beteiligten Mitangeklagten berechtigte Zweifel an der
Unvoreingenommenheit der Richter aufkommen können, da aus seiner Sicht
zu befürchten steht, dass auch auf Betreiben des Gerichts seine
Tatbeteiligung hinter verschlossenen Türen und ohne seine Kenntnis
mitverhandelt wird. Dieser verständlichen Besorgnis kann zuverlässig nur
dadurch begegnet werden, dass Gespräche, die die Möglichkeit einer
Verständigung zum Inhalt haben, auch außerhalb der Hauptverhandlung nur
in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten oder offen in der
Hauptverhandlung geführt werden. Gleichwohl sieht das Gesetz zur
Regelung der Verständigung im Strafverfahren keine Vorschrift vor, die
Gespräche mit einzelnen Verfahrensbeteiligten außerhalb der
Hauptverhandlung untersagt. Haben solche Erörterungen jedoch
stattgefunden, muss der Vorsitzende auch bei einem ergebnislosen Verlauf
und unabhängig davon, ob neue Aspekte im Sinne des
§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO zur Sprache gekommen sind, hierüber in der
Hauptverhandlung umfassend und unverzüglich unter Darlegung der
Standpunkte aller beim Gespräch anwesenden Verfahrensbeteiligten
informieren, da nur auf diese Weise von vorneherein jedem Anschein der
Heimlichkeit und der hieraus entstehenden Besorgnis der Befangenheit
vorgebeugt und dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren
Rechnung getragen werden kann (vgl.
BGH, Beschluss vom 4. Juli 1990 - 3 StR 121/89,
BGHSt 37, 99, 104; ...).
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Unlängst
hat der Cyberfahnder über die gesetzlichen Regeln zur Verständigung im
Strafverfahren und die Rechtsprechung dazu berichtet
(1).
Jetzt ist eine weitere Entscheidung des BGH hinzu gekommen, die sehr
respektvoll und ausführlich die Rolle des Gerichts in diesem
Zusammenhang schildert [
links,
(2)].
Verständigung darf nicht als fauler Kompromiss und willkürlicher Deal
angesehen werden, deren Vorbilder gerne in amerikanischen Spielfilmen zu
sehen wären.
Es darf keine "Punktstrafe" ausgehandelt werden, sondern nur eine Ober-
und Untergrenze für die Strafe, also ein Strafrahmen
(3).
Die Strafe muss schuldangemessen sein (
§ 257c Abs. 4 StPO).
Rechtsfragen sind einer Verständigung nicht zugänglich. Das gilt etwa
für die Frage der bevorzugten Anrechnung von Auslieferungshaft
(4),
für Vollstreckungsabschläge wegen menschenunrechtswürdiger
Verfahrensverzögerungen
(5)
oder wegen Zusagen zur Strafvollstreckung
(6),
besonders zum Absehen der Vollstreckung wegen Abschiebung oder
Auslieferung (
§ 456a StPO).
Auch nicht
verhandlungsfähig sind die Voraussetzungen des materiellen Strafrechts
für Strafrahmenverschiebungen.
Das gilt zum Beispiel für den Täter-Opfer-Ausgleich (
§ 46a StGB). Das ernsthafte Bemühen des Täters um
Schadenswiedergutmachung kann das Gericht damit belohnen, dass es nach
Maßgabe des
§ 49 StGB den Strafrahmen mildert.
Das gilt
auch für die wieder eingeführte Kronzeugenregelung (
§ 46b StGB), das heißt für die freimütige Äußerung über nicht nur
die eigenen Straftaten, sondern auch die Aufklärung der Beteiligungen
anderer.
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Milde
gewähren schon die allgemeinen Strafzumessungsregeln in
§ 46 StGB. Die Kronzeugenregeln gehen weiter, indem sie eine
Strafrahmenmilderung zulassen, wenn der Täter freiwillig und rechtzeitig
sein Wissen über besonders schwere Straftaten nach Maßgabe des
Straftatenkatalogs im Sinne von
§ 100a Abs. 2 StPO offenbart und dabei neben seiner eigenen
Beteiligung auch die Handlungen anderer bekanntgibt.
Mit
§ 46b Abs. 3 StGB begrenzt der Gesetzgeber die zeitliche Dimension
des Entgegenkommens: Der Täter muss sich schnell entscheiden. Die
Wohltat steht ihm nur zu, wenn er sich bis zur Eröffnung des
Hauptverfahrens nicht nur taktisch
(7),
sondern umfassend äußert, also auch zu den Mittätern und Hinterleuten.
Der
Gesetzgeber hat damit eine vernünftige Linie auch für die Verständigung
in der Hauptverhandlung gezogen: Nach den verfahrensrechtlichen
Formalitäten (
§ 243 StPO) hat der Angeklagte das Wort (
§§ 243 Abs. 5 S. 2,
244 Abs. 1 StPO). Das ist für ihn die Gelegenheit, seine Leistung
für die Wohltaten einer Verständigung zu erbringen.
Äußert er sich erst später und vor Allem taktisch nach dem Motto,
"ich gestehe alles, was man mir nachweisen kann", dann reduziert sich
das Entgegenkommen immer mehr; faktisch bis auf Null oder nahe dem.
Jedes Geständnis muss bei der Strafzumessung gewürdigt werden. Welche
Auswirkungen es hat, ist eine andere Frage und davon abhängig, wann es
erfolgt, welche Klarheiten es schafft (wobei danach gefragt wird, welche
Beweiserhebungen dadurch vermieden werden) und wie sehr es das Umfeld
der Straftat aufhellt.
Anbiederungen des Gerichts hat der BGH deutliche Absagen erteilt
(8).
Sie sind unwürdig und unprofessionell.
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(1)
Rechtsmittel nach einer Verständigung im Strafverfahren, 04.09.2010
(2)
BGH, Beschluss vom 05.10.2010 - 3 StR 287/10, S. 5
(3)
BGH-Rundschau, 26.11.2010
(4)
Ist der Täter aus dem Ausland ausgeliefert worden, so muss das Gericht
über den Maßstab der Anrechnung der Auslieferungshaft entscheiden. Er
lautet in aller Regel auf 1:1, das heißt, dass ein Tag in
Auslieferungshaft als ein Tag der Strafe angerechnet wird. Eine
Anrechnung im Sinne von 1:1,5 bedeutet, dass 2 Tage Auslieferungshaft
wie 3 Tage Freiheitsstrafe anzurechnen sind. Die im Inland erlittene
Untersuchungshaft wird hingegen von Gesetzes wegen im Verhältnis 1:1
angerechnet (
§ 51 Abs. 1 StGB).
(5)
No Deal ! 22.11.2010
(6)
BGH-Rundschau, 26.11.2010
(7)
BGH-Rundschau, 26.11.2010
(8)
No Deal ! 22.11.2010
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