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November 2011 |
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Systemneustart. Zerrspiegelte Gegenwart von Gibson |
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Cayce Pollard ist die Hauptperson in der "Mustererkennung". Sie ist eine erwachsene, junge Frau mit einer ungewöhnlichen Allergie: Sie spürt die corporate identity, die verschiedene Waren zu Marken mit einem einheitlichen Gepräge machen, und vermag die Muster zu erkennen, die sie verbinden. Sie ist deshalb auch ein "Coolhunter", berät bei der Gestaltung von Firmenlogos und spürt Modetrends auf. Nachdem ungewöhnliche Filmschnitzel im Internet auftauchen, die offenbar Teile eines zusammenhängenden, suggestiv wirkenden Films sind und eine von Faszination getragene Bekanntheit erlangen, wird sie von Hubertus Bigend, dem Inhaber der Marketing-Agentur Blue Ant, damit beauftragt, der Sache auf den Grund zu gehen. Die Geschichte ist spannend und wird getragen von Gibsons feinfühliger Behandlung seiner Hauptfigur. Ihre inneren Zweifel, Gefühle, Gedankensprünge, Erkenntnisse und Schmerzen erlebt man als Leser hautnah mit. Cayce reist immerhin zu Schauplätzen auf der ganzen Welt und erlebt auch gefährliche Episoden Gibson hat mit seinen Neuromancer-Romanen in den 1980er Jahren den Begriff Cyberspace kreiert. Gleichzeitig wird die von ihm geschaffene Sparte als Cyberpunk bezeichnet, womit ein sehr schneller und die Sicht wechselnder, skroboskopisch anmutender Erzählstil gemeint ist. Die Erzählsprache in der Mustererkennung ist deutlich ruhiger, betrachtender, nicht aber langatmig. Sie ist komprimiert, beschreibende Worte haben eine eigene Aussage und verlangen vom Leser Konzentration. Das macht den besonderen Lesespaß aus. Die Hauptperson im Quellcode ist Hollis Henry, eine Journalistin, die früher Rockstar war. Sie bekommt von dem Redakteur des geplanten Technologie-Magazins "Node" den Auftrag, über eine neue Kunstform zu schreiben, bei der über eine Brille zusätzliche Elemente in die Realität eingefügt werden (Locative Art). Bei ihrer Recherche trifft sie auf einen Frachtcontainer voller Geld, der von Containerschiffen immer wieder um die ganze Welt getragen wird, und auf Verschwörer, die das darin enthaltene Geld endgültig unbrauchbar machen. Während die Mustererkennung ihren Reiz aus den Empfindungen der Hauptperson ziehen, sind es beim Quellcode die Situationen, Strukturen und Besonderheiten der Gegenwart. Das macht Gibson schon gut. Er schreibt über die Zeitgeschichte und dennoch meint man, irgendeiner Parallelverschiebung unterlegen zu sein. Eine Hauptpersonen, neben anderen, im Systemneustart ist wieder Hollis Henry. Mit gewichtigen Nebenrollen tauchen auch Cayce Pollard und Hubertus Bigend auf. In diesem Roman geht es um eine geheimnisvolle Modemarke - Gabriel Hounds, militärische Großaufträge für Bekleidung und gewalttätige Konkurrenzkämpfe. Gibson versucht, die Nachdenklichkeit der Cayce Pollard aus der Mustererkennung auf mehrere andere Protagonisten zu übertragen, was nur teilweise gelingt. Außerdem versucht er, die Spannung aus dem Plot zu ziehen, was ihm beim Quellcode noch gelang, jetzt aber weniger. So hat der Systemneustart zwar seine Spannungsspitzen, die Gibson in eigener und guter Manier ausmalt, aber sie haben Seltenheitswert, kommen nur streckenweise vor und vor allem zum Ende hin plätschert die Geschichte aus wie ruhiges Meer am Strand. Es bleibt der Eindruck von einem hervorragenden
Erzähler mit kleinen, gut verarbeiteten Ideen, aber ohne Vision. Ich
habe ihn, auch mit einem gewissen Spaß gelesen, aber mehr aus Gewohnheit
als aus Mitgerissenheit. Schade. |
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Anmerkungen | ||
Siehe auch:
William Gibson, 2007;
Raubkopien sind ein Qualitätssiegel, 06.07.2008. |
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Cyberfahnder | ||
© Dieter Kochheim, 11.03.2018 |