Web Cyberfahnder
über Suchmaschinen und -strategien
  Cybercrime    Ermittlungen    TK & Internet    Literatur    intern    Impressum 
April 2009
10.04.2009 Gefahr im Verzug
10.04.2009 Geheimnisverrat
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift hinterher weiß man's besser Rechtsfragen im Strafverfahren
    nachträgliche Überprüfung von Eingriffsmaßnahmen Geheimhaltung und strafbare Veröffentlichung
 

 

 
Das Anliegen, im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren durch überraschende und eilige Maßnahmen Beweise vor dem natürlichen Verderb oder dem mutwilligen Vernichten zu sichern, ist geeignet, auch die aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Prüfungs- und Erwägungspflichten des Gerichts zu begrenzen. Das Gericht muss jedoch in seiner Entscheidung das Bestehen eines solchen Eilbedürfnisses darlegen, soweit dieses nicht offenkundig ist. (1)
 

 

 
1997 hat das BVerfG die richterrechtliche Konstruktion der "prozessualen Überholung" jedenfalls im Zusammenhang mit Durchsuchungsbeschlüssen aufgehoben (2), die ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs ergingen ( § 33 Abs. 4 StPO). Seither kann die Eingriffsmaßnahme auf die Beschwerde des Betroffenen auch dann noch auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden, wenn sie als solche abgeschlossen ist. Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes ( Art. 19 Abs. 4 GG) eröffnet damit dem Betroffenen den ersten Zugang mit seinem Vorbringen zum Gericht (3).

Bei der rückblickenden Überprüfung sind nur die Kenntnisse, Fakten und Beurteilungen zugrunde zu legen, die zum Zeitpunkt der Eingriffsentscheidung bekannt und leitend gewesen sind. Neuere Erkenntnisse bleiben dabei unberücksichtigt (4). Das Gericht muss nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich ... bescheiden. Der wesentliche, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienende Vortrag muss aber in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (5).

Einen weniger strengen Prüfungsmaßstab verlangt das BVerfG, wenn es um eilige Entscheidungen geht [ Zitat links, (6)]. Wenn eine Eilbedürftigkeit keineswegs auf der Hand lag, muss sich das Beschwerdegericht jedoch ausdrücklich mit ihr auseinander setzen.

Das ist eine vernünftige Entscheidung, die auch auf die Gefahr im Verzug anzuwenden ist. Sie entbindet den Entscheider keineswegs von seiner Verantwortung und seinem Dokumentationszwang, schränkt aber den Umfang der Prüfung je nach der zur Verfügung stehenden Entscheidungszeit ein. Wenn schnell entschieden werden muss, dann muss das auch möglich sein, so auch das BVerfG. Hinterher weiß man es sowieso immer besser - auch das will das BVerfG verhindern.
  

 
§ 353d StGB schützt vertrauliche Inhalte aus Gerichtsverhandlungen. Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich ( § 169 Abs. 1 GVG). Unter besonderen Voraussetzungen kann jedoch die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden ( §§ 171a ff. GVG). Erfolgt der Ausschluss fehlerhaft, besteht ein absoluter Revisionsgrund ( § 338 Nr. 6 StPO), wobei das Verfahren über den Ausschluss der Öffentlichkeit äußerst kompliziert ist.

Nicht jedes Detail aus der nichtöffentlichen Verhandlung ist strafrechtlich geschützt, sondern nur die Tatsachen und Schriftstücke, deren Geheimhaltung das Gericht den anwesenden Personen zur Pflicht macht ( § 174 Abs. 3 GVG).

§ 353d Nr. 3 StGB verbietet die Veröffentlichung von Anklageschriften und amtlichen Schriftstücken, solange sie nicht in öffentlicher Verhandlung verlesen oder erörtert worden sind. Damit soll nicht nur die Privatsphäre der Beteiligten geschützt, sondern auch eine Vorverurteilung verhindert werden (7). Die Strafbarkeit entfällt nach Abschluss des Verfahrens, wenn keine besondere Verpflichtung zur Geheimhaltung besteht.

Amtliche Schriftstücke stammen von Behörden ( § 161 Abs. 1 S. 1 StPO) oder Amtspersonen (z.B. Notare). Dazu gehören aber auch Vermerke und Protokolle der Polizei, der beteiligten Gerichte und der Staatsanwaltschaft, die das Gesetz als "Verhandlungen" bezeichnet ( § 163 Abs. 2 StPO).

Gelegentlich stellt sich mir das Problem, ob ich solche Texte zitieren darf, die sich von allen personenbezogenen Fakten abheben und allein auf Rechtsfragen beschränken. Rechtsfragen sind einer Beweiserhebung nicht zugänglich, weil sie sich auf Tatsachen und Beweismittel beschränken ( §§ 244 Abs. 2, 94 Abs. 1 StPO). Das gilt besonders auch für verlesbare Schriftstücke ( § 256 Abs. 1 StPO), die immer nur Tatsachen und ihre erkenntnisorientierte Bewertung zum Gegenstand haben.

Daraus schließe ich, dass unpersönliche und abstrakt gehaltene Rechtsausführungen nicht nur kein Gegenstand der Beweisaufnahme sind, sondern auch nicht der Strafdrohung des § 353d Nr. 3 StGB unterliegen. Warum auch? (8)
 

zurück zum Verweis Anmerkungen
 


(1) BVerfG, Beschluss vom 05.02.2004 -2 BvR 1621/03

(2) BVerfG, Beschluss vom 30.04.1997 - 2 BvR 817/90, 728/92, 802 und 1065/95

(3) BVerfG, Beschluss vom 18.12.2002 - 2 BvR 1910/ 02, Rn. 17 am Ende

(4) (1), Rn. 17

(5) (1), Rn. 14

(6) (1), Rn. 19
 

 
(7) § 353d Nr. 3 StGB ist mit einer amtlichen Anmerkung versehen und ist nach Maßgabe der Entscheidungsformel mit dem GG vereinbar, BVerfGE v. 3.12.1985; 1986 I 329 - 1 BvL 15/84. Die zugrunde liegende Entscheidung ist jedoch im Internet nicht verfügbar. Ich habe jedenfalls irgendwann die Suche ergebnislos abgebrochen.

(8) Persönlichkeitsrechte können nur betroffen sein, wenn sie Bezug zu einer bestimmbaren Person oder Personengruppe haben. Handwerkliche Rechtsausführungen gehören im Rahmen der Subsumtion zur Präzisierung des abstrakten Obersatzes, dessen Einzelheiten erst im zweiten Schritt mit dem Lebenssachverhalt verglichen werden.
 

zurück zum Verweis Cyberfahnder
© Dieter Kochheim, 11.03.2018