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(1) Handelt jemand irrtumsfrei und
uneingeschränkt schuldfähig, so ist sein Hintermann regelmäßig
nicht mittelbarer Täter. Dies gilt insbesondere für Fälle, in
denen der unmittelbar handelnde Täter nicht nur rechtlich,
sondern vor allem tatsächlich das Geschehen umfassend beherrscht
und auch beherrschen will. Dann hat der Hintermann in der Regel
keine Tatherrschaft.
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(2) Es gibt aber Fallgruppen, bei denen trotz
eines uneingeschränkt verantwortlich handelnden Tatmittlers der
Beitrag des Hintermannes nahezu automatisch zu der von diesem
Hintermann erstrebten Tatbestandsverwirklichung führt. Solches
kann vorliegen, wenn der Hintermann durch
Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt,
innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst.
Derartige Rahmenbedingungen mit regelhaften Abläufen kommen
insbesondere bei staatlichen, unternehmerischen oder
geschäftsähnlichen Organisationsstrukturen und bei
Befehlshierarchien in Betracht. Handelt in einem solchen Fall
der Hintermann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er
insbesondere auch die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar
Handelnden, den Tatbestand zu erfüllen, aus und will der
Hintermann den Erfolg als Ergebnis seines eigenen Handelns, ist
er Täter in der Form mittelbarer Täterschaft.
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Der
Hintermann ist der Täter, der nicht offen auftritt und nur durch seine
Handlanger handelt. Er bleibt sozusagen im Schatten und hat doch die Zügel
in der Hand.
Wie ist
seine täterschaftliche Stellung zu beurteilen?
Nach
§ 25 Abs. 1 StGB wird als Täter bestraft, wer die Tat selber begeht.
Der zentrale Begriff dafür ist die Tatherrschaft. Sie ist gekennzeichnet
vom Täterwillen, also von der Entscheidung über das Ob, Wann, Wo, gegen
wen und das Wie der Tatausführung.
Teilen sich mehrere Täter die Tatausführung
(2)
so, dass sie für jeweils einen notwendigen Teil des Tatplans die
Tatherrschaft übernehmen, oder handeln sie gemeinsam, werden sie alle
gemäß
§ 25 Abs. 2 StGB als Mittäter gleich einem Einzeltäter behandelt.
Vom
Mittäter unterscheidet sich der Gehilfe (
§ 27 Abs. 1 StGB) dadurch, dass er nicht nach der Tatherrschaft
trachtet, sondern sich mit Teilnehmerwillen der Tatherrschaft des
anderen unterwirft. Das kann er nur bewusst, also mit Vorsatz machen.
Den
Initiator des Täters bezeichnet das Gesetz als Anstifter (
§ 26 StGB). Er fördert den Tatentschluss, hat aber keine
Tatherrschaft.
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§ 25 Abs. 1 StGB kennt eine weitere Täterschaftsform, die des
mittelbaren Täters. Er ist derjenige, der die Tat "durch einen anderen
begeht". Das kann er nur, wenn er anders als der Anstifter Tatherrschaft
hat.
Die
wichtigsten Fallgruppen für die mittelbare Täterschaft sind:
Der Hintermann beeinflusst einen psychisch Kranken so, dass er die Tat
als willenloses Werkzeug mit verminderter oder ohne Schuld begeht (
§§ 20,
21 StGB).
(4)
Der Hintermann vorenthält Herrschaftswissen, so dass das Werkzeug unter
Irrtum handelt (
§§ 16,
17 StGB). Bekannte Beispiele dafür sind der Irrtum über eine scharfe
Schusswaffe, die für eine Schreckschusswaffe gehalten wird, oder über
die Wirkung von Giften oder Medikamenten.
Dem Werkzeug fehlt ein persönliches Merkmal der Strafbarkeit (
§ 28 StGB). Neben den Vertretungsfällen (
§ 14 Abs. 1 StGB) können das auch besondere Berufspflichten als
"Richter", "Rechtsanwalt" u.a. sein.
Der Hintermann bildet schuldunfähige Kinder (
§ 19 StGB) für Straftaten aus, lässt sie diese ausführen und
übernimmt die Beute
(5).
Diese traditionellen Formen der mittelbaren Täterschaft meint der BGH
(1)
(
links oben), wenn er vom unmittelbar handelnden Täter mit Tatherrschaft
spricht.
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der Boss als Täter |
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Er besitzt die Tatherrschaft. Er beherrscht das Geschehen
tatsächlich weit mehr, als dies bei anderen Fallgruppen erforderlich
ist, bei denen mittelbare Täterschaft ohne Bedenken angenommen wird,
etwa bei Einsatz eines uneingeschränkt verantwortlichen Werkzeugs, das
lediglich mangels einer besonderen persönlichen Pflichtenstellung oder
mangels einer besonderen, vom Tatbestand verlangten Absicht nicht Täter
sein kann. Auch bei Einsatz irrender oder schuldunfähiger Werkzeuge sind
Fallgestaltungen häufig, bei denen der mittelbare Täter den
Erfolgseintritt weit weniger in der Hand hat als bei Fällen der
beschriebenen Art.
(6)
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Der Hintermann hat in Fällen der hier zu entscheidenden Art auch den
umfassenden Willen zur Tatherrschaft, wenn er weiß, daß die vom
Tatmittler noch zu treffende, aber durch die Rahmenbedingungen
vorgegebene Entscheidung gegen das Recht kein Hindernis bei der
Verwirklichung des von ihm gewollten Erfolgs darstellt.
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Der
Gesetzgeber hat den mittelbaren Täter aber nicht auf diese
traditionellen Fallgruppen beschränkt. Nach einer ausführlichen
Darstellung des Meinungsstandes kommt der BGH schließlich zu dem
Ergebnis, dass auch der als mittelbarer Täter anzusehen ist, wer
Organisationsstrukturen schafft oder auch nur nutzt, um auf den
unmittelbar Handelnden einzuwirken und dadurch zu bestimmte Straftaten
zu bestimmen (siehe
oben links).
In der Entscheidung ging es um Selbstschussanlagen und Minen entlang der
Grenze der DDR und damit um die strafrechtliche Haftung der politisch
Verantwortlichen.
Eine saubere und willkürfreie Lösung des Rechtsproblems verlangt nach
einer Begründung, die vergleichbare Erscheinungsformen auch gleich
behandelt. Dieser Verantwortung hat sich der BGH mit guten Argumenten
gestellt
(8).
Der BGH
beantwortet die allgemein gestellte Frage, wie mit den Hinterleuten in
verbrecherischen Organisationen umzugehen ist und das unabhängig davon,
ob es sich um Staatsapparate, mafiöse Strukturen oder andere kriminelle
Organisationen handelt.
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Wenn der
Machtapparat so dominant und stark ist, dass seine Normung eine
Entscheidung des Tatmittlers zum rechtmäßigen Handeln verdrängt, dann
sind im Einzelfall auch die Hinterleute gleich dem Tatmittler als
mittelbare Täter verantwortlich.
Dieses
Ergebnis ist nicht ganz unproblematisch, weil die Grenze zwischen Tat
und Organisation zu verwischen droht.
Der mittelbare Täter muss einen gewissen Bezug zur tatsächlichen Tat
behalten und kann nicht schlicht für alle Straftaten die
Mitverantwortung tragen, die seine Gefolgsleute im wohl- oder
missverstandenen Gehorsam ausführen. Die Grenzen zur
kriminellen Vereinigung dürfen - als das speziellere Recht - nicht
unterlaufen werden und die Ausweitung der mittelbaren Täterschaft darf
nicht zu einem allgemeinen Organisationszugehörigkeits- und
Gesinnungsstrafrecht ausufern.
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Missbrauch von Macht |
mafiöse Kriminalität |
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Eine so verstandene mittelbare Täterschaft wird nicht nur beim
Mißbrauch staatlicher Machtbefugnisse, sondern auch in Fällen
mafiaähnlich organisierten Verbrechens in Betracht kommen, bei
denen der räumliche, zeitliche und hierarchische Abstand
zwischen der die Befehle verantwortenden Organisationsspitze und
den unmittelbar Handelnden gegen arbeitsteilige Mittäterschaft
spricht. Auch das Problem der Verantwortlichkeit beim Betrieb
wirtschaftlicher Unternehmen läßt sich so lösen. Darüber hinaus
kommt eine so verstandene mittelbare Täterschaft auch in Fällen
in Betracht, in denen, wie in dem der Entscheidung BGHSt 3, 110
(9)
zugrundeliegenden Sachverhalt, der Täter bewußt einen
rechtswidrig handelnden Staatsapparat für die Verfolgung eigener
Ziele ausnutzt.
(10)
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Der BGH
spricht sehr deutlich von den Befehlen der verantwortlichen
Organisationsspitze, die die Herrscher zu mittelbaren Tätern machen. Der
Befehl ist die Anweisung zu einem bestimmten Verhalten, die ein
Vorgesetzter einem Untergebenen macht. Sie muss - allgemein gesprochen -
einen Tatbestand bezeichnen, bei dessen Eintritt so und nicht anders zu
handeln ist. Zeitpunkt und Ort des Handelns sowie die Person des Opfers
können dabei allgemein bleiben, wenn der Rahmen bestimmt ist, zum
Beispiel: Jeder Flüchtling wird erschossen!
Mit dieser
Einschränkung wird dem Befehlshaber auch kein Unrecht getan. Er
entscheidet sich mit seinem Befehl für das Unrecht und muss deshalb auch
die Konsequenz dafür tragen, dass der Befehlsempfänger entsprechend
handelt.
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Besonders
interessant an der Lösung des BGH ist ihre Anwendbarkeit auf kriminelle
Organisationen nach dem Vorbild der Mafia. Sie führt zur
strafrechtlichen Mitverantwortung der Hinterleute, die sich auf
Anweisungen beschränken und ansonsten nicht offen auftreten.
Die notwendige Grenze der strafrechtlichen Haftung verläuft zwischen
konkreten Anweisungen und Allgemeinplätzen.
"Du weißt schon, was zu tun ist!", ist ein solcher Allgemeinplatz,
der im Einzelfall Probleme aufwirft. Er kann die Anweisung enthalten, so
wie gewohnt zu handeln, wenn es vergleichbare Situationen bereits
gegeben hat, aber ohne sie auch den Befehlsgeber vom Tatmittler
abtrennen.
Die Probleme ergeben sich im praktischen Einzelfall.
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kein Organisationsstrafrecht |
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Zwar ist in der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs anerkannt, dass einzelne Beiträge eines
Mittäters, mittelbaren Täters oder Gehilfen zur Errichtung, zur
Aufrechterhaltung und zum Ablauf eines auf Straftaten
ausgerichteten Geschäftsbetriebes zu einer Tat im Rechtssinne
zusammengefasst werden können, indem die aus der
Unternehmensstruktur heraus begangenen Straftaten in der Person
des betreffenden Tatbeteiligten zu einer einheitlichen Tat oder
wenigen einheitlichen Taten im Sinne des
§ 52 Abs. 1 StGB
zusammengeführt werden (...). Das kann namentlich auch für
wiederkehrende gleichartige Einzelbetrugstaten im Rahmen einer
betrieblichen Organisation gelten, die auf diese Weise zu einer
einheitlichen Handlung verknüpft werden (...). Dabei darf jedoch
nicht aus dem Blick verloren werden, dass
§ 263 StGB nicht als
Organisationsdelikt, sondern als ein gegen das Vermögen
einzelner Privater oder juristischer Personen gerichteter
Straftatbestand konzipiert ist. Strafbar nach § 263 StGB ist
nicht das Betreiben einer auf Betrug ausgerichteten Organisation
als solcher, sondern die betrügerische Schädigung individuellen
Vermögens. Der Umstand, dass Straftaten unter Schaffung und
Ausnutzung einer Unternehmensstruktur "organisiert" begangen
werden, ändert daher nichts daran, dass die mehrgliedrigen
tatbestandlichen Voraussetzungen des
§ 263 StGB,
erforderlichenfalls hinsichtlich jedes - möglicherweise zu
gleichartiger Tateinheit zusammenzufassenden - schädigenden
Einzelaktes, konkret festgestellt sein müssen. Kommt mittelbare
Täterschaft in Betracht, weil ein Hintermann unternehmerische
oder geschäftsähnliche Organisationsstrukturen ausnutzt,
innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst
(...), müssen die von ihm nicht selbst verwirklichten
Tatbestandsmerkmale in der Person des Tatmittlers begangen sein.
(11)
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(31.01.2010) Der BGH mahnt aber auch vor einer ausufernden Anwendung
seiner Rechtsprechung zur organisierten Arbeitsteilung zwischen
Mittätern
(11).
Sie müssen sich zwar die tatvollendenden Handlungen ihrer Komplizen
zurechnen lassen
(12),
haften aber nicht für den Aufbau der Organisation, sondern für die
tatsächliche Vollendung der von ihnen vorbereiteten und getragenen
Straftaten durch ihre Mittäter.
Damit
thematisiert der BGH Selbstverständlichkeiten, bei denen man sich fragt,
warum das nötig ist.
Muss es wohl ... |
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Anmerkungen |
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(1)
BGH, Urteil vom 26.07.1994 - 5 StR 98/94, Rn. 80
(2)
Mittäterschaft und strafrechtliche Haftung
(3)
ebenda (1), Rn. 81
(4)
Eine noch wenig betrachtete Variante betrifft Menschen, die infolge
einer Gewaltanwendung oder unter Lebensbedrohung unter einer
Posttraumatischen Belastungsstörung - PTB - leiden. Unter dem
Einfluss des Täters können sie zu Handlungen bestimmt werden, die sie
sonst nicht ausführen würden. Sie erkennen zwar, dass sie falsch handeln
(Einsichtsfähigkeit), können womöglich aber nicht nach dieser Einsicht
handeln (Steuerungsfähigkeit).
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(5)
literarisches Vorbild:
Oliver Twist von
Charles Dickens
(6)
ebenda (1), Rn. 82
(7)
ebenda (1), Rn. 83
(8)
Günther Jakobs, Zur Täterschaft des Angeklagten Alberto
Fujimori Fujimori, 14.11.2009
(9)
im Internet nicht verfügbar
(10)
ebenda (1), Rn. 84
(11)
BGH, Beschluss vom 29.07.2009 - 2 StR 160/09, Rn 5
(12)
BGH,
Beschluss vom 29.04.2008 - 4 StR 125/08;
siehe auch
gemischte Bande. Tatbeiträge
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Cyberfahnder |
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© Dieter Kochheim,
11.03.2018 |