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Der
Berufsalltag birgt immer Überraschungen und gewisse Erscheinungen
erschweren die Arbeit und fördern den Frust. Sie sind Ausnahmen und
verstellen den Blick auf die hervorragende Arbeit anderer.
Ein
wesentliches staatsanwaltschaftliches Prüfungsschema lautet:
Bin ich zuständig?
Bin
ich wirklich zuständig?
Kann
das nicht wer anderes machen?
Anders gefragt: Kann ich die Arbeit abdrücken?
Es führt
in Einzelfällen dazu, dass Kollegen ihre in aller Regel mehrbändigen
Akten mit der Forderung schicken, die Verfahrensbearbeitung (zum
Beispiel) in die
OK-Abteilung zu übernehmen, weil es sich ausweislich Blatt irgendwo um Bandenkriminalität
handelt. Mehr nicht. Kein Wort zum Sachverhalt, keine kritische
Auseinandersetzung mit ihm und vor allem kein Wort dazu, warum es sich
in diesem besonderen Fall um Organisierte Kriminalität handeln soll.
Mündlich und in vertrauter Umgebung erfährt man dann allenfalls noch,
dass "solche Verfahren" von einem normalen Dezernenten gar nicht
bearbeitet werden können.
Das Aktenstudium darf dann der Adressat leisten.
Nun ist Bandenkriminalität in der Tat häufig mit Organisierter Kriminalität
verbunden. Aber keineswegs immer. Hilfreich ist der
Kriterienkatalog, der jedem Kollegen zugänglich ist.
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"Normale"
Staatsanwälte stehen unter dem Druck hoher Eingangszahlen und damit
verbunden, die Verfahren abschließend zu bearbeiten. Für die
Verfahrensbearbeitung im Einzelfall bleibt dabei nicht viel Zeit.
Dieser Druck lastet hingegen auch auf "speziellen" Dezernenten, die sich
etwa auf das Wirtschaftsstrafrecht, Rauschgiftdelikte,
Umweltstraftaten oder sexuelle Gewalttäter spezialisiert haben.
Spezialisierung ist immer dort sinnvoll, wo eine rechtliche Materie
besonders schwierig ist und Erfahrungs- und Hintergrundwissen die
Verfahrensbearbeitung erleichtert oder die Gradlinigkeit der
Ermittlungen fördert. Diese Verfahren stellen in aller
Regel höhere Anforderungen an die Sachbearbeitung und lassen sich selten
mit einem Federstrich abschließen.
Das heißt aber nicht, dass "normale" Dezernenten von der
Aktenbearbeitung ausgeschlossen sind. Nirgendwo in der StPO steht, dass
bestimmte Ermittlungsmaßnahmen nur von geadelten OK-Staatsanwälten
durchgeführt und nur an einer Stelle steht, dass bestimmte
Kriminalitätsformen von besonders bestellten Staatsanwälten
bearbeitet werden müssen:
§ 36
JGG.
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Zurück zum
anfänglichen Beispiel: Wenn man "Blatt irgendwo" nachschlägt, dann handelt
es sich in aller Regel um einen polizeilichen Bericht, an dessen Ende
bestimmte Ermittlungsmaßnahmen angeregt (gefordert) werden, die eines
gerichtlichen Beschlusses bedürfen. In ihm ist das Wort "Bande" dick
unterstrichen und am Seitenrand mit einem Aufmerksamkeit forderndem
Kreuz versehen.
Dabei kann es sich um einen mehrseitigen Polizeibericht handeln, der nur zwei Fakten
enthält: In zwei aufeinander folgenden Nächten sind dann zwei
Autos der gleichen Marke an zwei weit auseinander liegenden Stellen der
Stadt gestohlen worden.
Daneben enthält er weitschweifige Ausführungen über international tätige
Tätergruppen und durch nichts beweiskräftig unterlegte Behauptungen, sie
seien auch in dieser Stadt tätig, und am Ende wird mit viel
kriminalistischem Unfug entwickelt, dass international tätige
Bandendiebe im Spiel sind. Das würde dann den Einsatz aller
Maßnahmen rechtfertigen, die die StPO hergibt.
Die
polizeiliche Methodik, die das erlaubt, ist die "Analyse und
Auswertung", die sich kriminalistischer Erfahrungen bedient, um Tat- und
Täterzusammenhänge zu erkennen und daraus Ermittlungsstrategien zu
entwickeln. Sie hilft dabei, Ermittlungen und den Blick auf das
Wesentliche zu konzentrieren. Dazu ist sie gut geeignet und wichtig.
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Die Strafverfolgung dient der Aufklärung von Straftaten. Ihre Methoden
und Maßnahmen dienen dazu, Beweise zu sichern und Täter zu ergreifen.
Beweise sind Tatsachen, die mit Erfahrungswissen und somit auch mit
kriminalistischen Erfahrungen bewertet werden müssen. Bewertungen dürfen
sich aber nicht verselbständigen und von den Tatsachengrundlagen
ablösen.
Zu fordern
sind: "Fakten! Fakten! Fakten!"
Die
schlechten Beispiele, die meinem fiktiven Beispiel zugrunde liegen, gründen auf
dem persönlichen Engagement einzelner Polizisten und auf strategischen polizeilichen
Schwerpunkten.
Das polizeiliche Augenmerk auf bestimmte Kriminalitätsformen zu
konzentrieren, ist eine sinnvolle Sache, wenn es um bisher
vernachlässigte Deliktsfelder geht. Aber auch hier gilt es, professionelles
Augenmaß und den Blick auf die Tatsachen zu behalten.
Polizeiliche Schwerpunkte sind in aller Regel nicht falsch gewählt. Dort
aber, wo sie nicht die Gefahrenabwehr, sondern die Strafverfolgung
betreffen, bedürfen sie der leitenden Steuerung der Staatsanwaltschaft.
Das wird im Übereifer manchmal vergessen.
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Das
passiert zum Beispiel dann, wenn es um "Standardmethoden" geht. Dabei wird
gelegentlich übersehen, dass jede Maßnahme zur Aufklärung der Tat im
Einzelfall geeignet und angemessen sein muss. Auch wenn "wir sowas immer
machen", müssen die herangezogenen Erfahrungen hinterfragt und besonders
auf ihre Aktualität geprüft werden.
Ärgerlich
wird das, wenn man die polizeilich vorgeschlagenen
Ermittlungsmethoden allein deshalb vorhersagen kann, weil die
Ermittlungspersonen aus einer bestimmten Polizeibehörde stammen. Dann
stößt der Staatsanwalt auf Überraschung und Unverständnis, wenn er sagt,
man müsse zunächst ihn überzeugen, bevor er einen gerichtlichen
Beschluss beantrage.
Ärgerlich
ist es auch, wenn aus nichtigen Tatsachen und windigen Annahmen
plötzlich ein "dringender Verdacht" wird. Dieser Fachbegriff ist allen
Ermittlern geläufig und kennzeichnet einen besonders starken Verdacht,
der die Untersuchungshaft rechtfertigt. Sowas schreibt man nicht, wenn
eine Durchsuchung angeregt wird.
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Ganz toll
ist es auch, wenn zunächst jede Menge Verfahren zusammengezogen werden
sollen, um Tatzusammenhänge erkennen zu können, also zum Beispiel alle
ungeklärten Auto- oder Automatenaufbrüche im großräumigem Maßstab. Der
Staatsanwalt, der sich darauf einlässt, hat schon verloren, weil sich
aller Erfahrung nach die meisten dieser Taten nicht mehr aufklären
lassen und die weitere Sachbearbeitung an ihm hängen bleibt. Hinzu
kommen noch die Verfahren anderer Kollegen, die ihm wegen des Sach- oder
Personenzusammenhanges angedient werden.
Nichts gegen die Erkennung von Zusammenhängen und Aufklärung von
Straftaten. Für die Verbindung von getrennten Verfahren ist es immer
noch früh genug, wenn man den Tatnachweis wirklich führen kann. Dazu sind keine Sammelverfahren nötig, die wegen
Nichtigkeiten zusammen geführt werden.
Die
Zusammenführung von ungeklärten Einzelfällen hat den besonderen Charme,
dass am Ende die polizeiliche Aufklärungsstatistik mit Erfolgen gespeist
werden kann, die keine sind, weil es trotz der Zusammenführung zu keiner
Anklage und Verurteilung kommt. Der vage Zusammenhang ist noch kein Anfangsverdacht
und auch dieser
rechtfertigt noch lange keine Verurteilung.
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Eine Bande
besteht aus mindestens drei Tätern, die sich zur wiederholten Begehung
bestimmter Straftaten zusammengeschlossen haben.
Das verlangt nicht nach einem feierlichen Bandengelöbnis oder einem
schriftlichen Vertrag, wohl aber nach Anhaltspunkten, die die Absicht
zur Zusammenarbeit und zur Wiederholung belegen. Besonders schwierig ist
das, wenn nur ein einzelner Fall bekannt ist.
Auch dann ist die Annahme einer Bande nicht ausgeschlossen. Besondere
Tatwerkzeuge,
geschultes und für Erfahrung sprechendes Vorgehen sowie Besonderheiten
bei der Zusammenarbeit der Täter können die Bande belegen. Gefordert
sind gesicherte Tatsachen, die solche Schlussfolgerungen rechtfertigen.
Gerne gesprochen wird vom modus operandi, also der besonderen Handschrift
der Täter bei ihrem Vorgehen. Tatsächlich gibt es solche Besonderheiten
und geeignete Modi. Dieselbe Art von Beute, die Massenware oder Geld
ist, oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe sind
hingegen ohne Aussagewert.
Zählen
können die Kollegen: Eins - zwei - drei ...
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Man mag
mir Böswilligkeit unterstellen wegen dieses Textes und ich stimme dem
sogar
zu. Er ist von Ausnahmen veranlasst, die bekanntlich die Regel
bestätigen.
Er ist ein Appell an alle Beteiligten, ihre Arbeit und ihre Partner
ernst zu nehmen. Übereifer und voreilige Schlüsse sind menschlich und
Ausrutscher gibt es immer Mal. Wenn sie sich jedoch zur Regel
verdichten, dann ist Vorsicht geboten.
Völlig zu
Recht hat das BVerfG
bloßes
Gerede, nicht überprüfte Gerüchte und Vermutungen als Begründungsersatz
angeprangert. Windige Begründungen rächen sich spätestens in der
gerichtlichen Hauptverhandlung.
Im Verlauf
der Zeit lernt man die persönlichen Stärken und Schwächen der Leute
kennen, mit denen man zu tun hat. An dem Vertrauen zueinander ist zu
arbeiten und das verlangt zunächst von Jedem, seine Arbeit anständig zu
machen. Fehler geschehen, müssen benannt und akzeptiert werden. Sie
dürfen sich jedoch nicht wiederholen.
Ein hoher
Anspruch? Ja! An mich und den Leuten, mit denen ich täglich zu tun habe.
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