|
|
und kriminalistische Erfahrungen beim Skimming
|
|
Das
Tatbestandsmerkmal "bestimmte Tatsachen" in
§ 100a Satz 2 StPO erfordert, dass die Verdachtsgründe über vage
Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen müssen.
Bloßes Gerede,
nicht überprüfte Gerüchte und Vermutungen reichen nicht. Erforderlich
ist, dass auf Grund der Lebenserfahrung oder der kriminalistischen
Erfahrung fallbezogen aus Zeugenaussagen, Observationen oder anderen
sachlichen Beweisanzeichen auf die Eigenschaft als Nachrichtenmittler
geschlossen werden kann. (1)
|
|
Die Themen
Beweise und
Verdacht werden im Cyberfahnder immer wieder aufgegriffen, weil sie
von zentraler Bedeutung für die Ermittlungsarbeit und das Strafverfahren
sind.
In diesem
Beitrag geht es um den Aussagewert von Beweisen, den ich als
Geltung
bezeichne, und den Erfahrungen, mit denen sie gewürdigt werden. Aus den
zunächst entwickelten Grundsätzen zur Beweiswürdigung werden schließlich Erfahrungssätze im
Zusammenhang mit dem
Skimming entwickelt.
Die Grundlagen für die Beurteilung des Verdachts sind Tatsachen. Sie
bedürfen einer fachkundigen Bewertung, in die einerseits die
Glaubwürdigkeit der Quelle ebenso einfließt wie die
Glaubhaftigkeit der Tatsache selber und andererseits das Allgemein-
und Fachwissen des Beurteilers.
Kriminalistische Erfahrungen sind solche, die die Fachleute in der
Strafverfolgung anhand vergleichbarer Situationen, des Täterverhaltens,
der Interaktion von Personen und des Fachwissens aus Einzelfällen
gewonnen haben. Je nach ihrem Erfahrungshorizont kann es aus tiefem
technischen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und psychologischen
Wissen bestehen, das aus einer Mischung aus Alltagserfahrungen,
professioneller Sensibilität und fachmännischer Beratung entstanden ist.
Kriminalistisches Wissen ersetzt kein handwerkliches oder akademisches
Spezialwissen, wohl aber das Grundlagenwissen, das in sich
wiederholenden Fällen immer wieder zugrunde liegt.
|
Dazu gehören die normalen Naturgesetze ebenso wie die
Wahrnehmungen im Alltagsleben, die eine überwiegende Wahrscheinlichkeit
wegen ihrer Ursachen aufdrängen. Das können die individuellen Wirkungen bei
Trunkenheit, Solidarisierungseffekte bei Menschengruppen, chemische und
physikalische
Prozesse im Zusammenhang mit Umweltdelikten oder Brandsachen ebenso
sein wie die schlichte Alltagserfahrung, ob der Fahrer nach einer
Karambolage, bei der der Kotflügel seines Autos völlig versemmelt wurde,
den Unfall bemerkt haben muss oder nicht.
Kriminalistische Erfahrungen und gerichtliches Wissen ersetzen die
sachverständige Klärung von Standardfragen, die immer wieder auftauchen,
längst geklärt sind und einen gewissen Grad an Langweiligkeit haben. Sie
müssen nicht immer wieder neu entdeckt, sondern nur dann thematisiert
werden, wenn es neue, eben noch nicht geklärte Aspekte und
Besonderheiten gibt.
Sie stellen jedoch an die kriminalistisch gebildeten Fachleute die
Anforderung, ihre Messlatte kritisch zu hinterfragen und zu überprüfen.
Kriminalistische Erfahrungen dürfen nicht zu platten und unumstößlichen
Vorurteilen werden.
|
 |
Geltung |
|
Stufen der Verdachtsprüfung |
1 |
tatsächliche Anhaltspunkte
Fakten, Fakten, Fakten |
2 |
Inhalt ihrer Aussage
wortgetreue und grammatische Beschreibung der Anhaltspunkte |
3 |
Geltungssicherheit, Absicherung
Wiederholbarkeit, Häufigkeit, Seltenheit;
Bewertung der Anhaltspunkte selber |
4 |
Zusammenwirken
Schlussfolgerungen aus der Summe der Anhaltspunkte |
5 |
Geltungssicherheit, Absicherung
Bewertung des Zusammenwirkens der Fakten |
aus Verdacht
|
Die Bewertung von einzelnen Tatsachen orientiert sich zunächst an ihrem
individuellen Aussagewert.
So sagen
Funkzellendaten zunächst nichts anderes aus, als
dass sich die SIM-Karte mit der betreffenden Anschlusskennung zu einem
bestimmten
Zeitpunkt irgendwo in dieser Funkzelle befunden hat. Sie sagen nichts
darüber aus, wer das Mobiltelefon getragen hat, und lassen offen, ob es
die Anschlusskennung noch ein weiteres Mal gibt.
Die Frage nach der mehrfachen Anschlusskennung lässt sich
verhältnismäßig einfach klären. Die IMSI ist einmalig und wenn sie
mehrfach vorkommen sollte (es gibt selten mehrere Karten, die
gleichzeitig angesprochen werden), dann lassen sich die weiteren
Umstände recht einfach klären.
Komplizierter ist die Frage danach, wer das betreffende Handy
getragen hat. Hat derselbe Mensch das Telefon erfahrungsgemäß immer
selber genutzt, dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass es im
entscheidenden Fall ein Anderer war. Dasselbe gilt, wenn im Zusammenhang
mit gleichartigen Straftaten immer wieder dieselbe Anschluss- oder
Zielnummer auftaucht. Das rechtfertigt die Annahme, dass dieselben
Personen auftreten, die jedoch ständig kritisch überprüft werden
muss.
Die grundsätzlich offene Frage danach, wer mit Funkzellendaten in
Verbindung gebracht werden kann, lässt sich also nur bei der Betrachtung der
Rahmenbedingungen klären - oder auch nicht.
|
Ich habe mir angewöhnt, die Frage nach der Aussagebedeutung von
Tatsachen als Geltung
zu bezeichnen.
Damit gibt es eine Geltung, die der Tatsache selbst innewohnt, und
eine höhere Geltung, die sie im Zusammenspiel mit anderen Tatsachen
erlangt, die sie bestätigen. Umgekehrt können diese anderen Tatsachen ihre Geltung auch
wieder entkräften.
Der Sinn dieser Betrachtung ist ein ganz einfacher: Die Suche nach der
"Wahrheit" ist ein Prozess, der zunächst nach Fakten fragt, die wegen
ihrer Aussage im Einzelnen und dann in der Gesamtschau bewertet werden
müssen. Die Erkennung einer "absoluten Wahrheit" ist nur bei ganz
einfachen Sachverhalten möglich. Der Vorgang, "Apfel
fällt vom Baum", ist die Wirkung eines
Naturgesetzes. Der nähere
Grund dafür - Reife, Wurmstichigkeit oder äußere Beeinflussung - ist
eine Frage, die anhand weiterer Tatsachen geklärt werden muss. Wenn die
Zeit der Apfelernte ist und auch andere Äpfel vom Baum fallen, zudem der
betrachtete Apfel keine äußeren Verletzungen und im Innern keine Würmer
hat, dann dürfte seine Reife als Grund für seine Lösung vom Baum
feststehen.
Alle weniger einfachen
Sachverhalte verlangen danach, dass alternative Ursachen nach
Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten ausgeschlossen werden. Der deus ex
machina der griechischen Tragödie, esoterische Fernwirkungen oder
geisterhafte Protagonisten haben dabei keinen Platz.
|
 |
Geltung und Wechselwirkungen |
|
Für die Feststellung von inneren Tatsachen genügt nämlich, dass ein
nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit
besteht, an dem vernünftige Zweifel
nicht aufkommen können. Außer Betracht zu bleiben haben solche
Zweifel, die keinen realen Anknüpfungspunkt haben, sondern sich
auf die Annahme einer bloß abstrakt-theoretischen Möglichkeit
gründen ... (2)
|
Kann der Tatrichter die erforderliche Gewißheit nicht gewinnen
und zieht
er die hiernach gebotene Konsequenz ..., so hat das Revisionsgericht dies zwar
regelmäßig hinzunehmen.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; es kommt nicht
darauf
an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders
gewürdigt oder
Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich auch nicht allein
dadurch etwas,
daß eine vom Tatrichter getroffene Feststellung 'lebensfremd
erscheinen' ... mag (...). Es gibt nämlich im Strafprozeß keinen Beweis des
ersten Anscheins,
der nicht auf Gewißheit, sondern auf der Wahrscheinlichkeit
eines
Geschehensablaufs beruht (...). Eine Beweiswürdigung ist demgegenüber etwa dann
rechtsfehlerhaft,
wenn sie lückenhaft ist, namentlich
wesentliche Feststellungen
nicht
erörtert, widersprüchlich oder
unklar ist,
gegen Gesetze der
Logik oder gesicherte
Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung
erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr. ...). Dies ist
auch dann
der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende
Schlußfolgerung
nicht gezogen ist, ohne daß konkrete Gründe angeführt sind, die
dieses Ergebnis
stützen können ... (3)
|
|
Der
Beweiswert, also mit meinen Worten die Geltung von Beweisen, wird in der
Rechtsprechung vielfach angesprochen. Mehrere Beispiele zeigen die
Probleme im Einzelfall.
Der
Beweisführung mit dem
genetischen Fingerabdruck liegt eine statistische Methode zugrunde
mit der Aussage, dass die gleichen biochemischen Eigenschaften einer
Probe mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit bei verschiedenen Menschen
desselben Geschlechts auftreten. Im Frühstadium der forensischen
Verwertung der DNA-Analyse bewegte sich die statistische Genauigkeit in
einem Bereich von 1 : 10.000. Das bedeutete, dass in einem
großstädtischen Umfeld Hundert oder mehr Personen desselben Geschlechts
über dieselben DNA-Merkmale verfügen konnten. Erst nachdem die
biochemischen und statistischen Methoden verfeinert und verbessert
wurden und die Wahrscheinlichkeitsaussagen im Bereich von 1 : 1 Mio.
(und größer) liegen, erkennt der BGH die DNA-Spur als Vollbeweis an
(4)
- nicht ohne zu mahnen, dass das Gericht den Zusammenhang zwischen der
Spur und der Tat genau betrachten muss.
Das
Beispiel zeigt, wie sich die Geltung von Beweisen durch die Verbesserung
der Kriminaltechnik verbessern kann.
1995 hat
das BVerfG im Anschluss an seine ständige Rechtsprechung über den
Zeugen vom Hörensagen ausgeführt, dass seine Bekundungen besonders
sorgfältig zu prüfen und dann nicht zur Verurteilung geeignet sind, wenn
sie nicht durch weitere Beweise und Spuren bestätigt werden
(5).
|
Dahinter
steckt derselbe Grundgedanke. Die zum Zeugenbeweis entwickelten
Grundsätze zur persönlichen Glaubwürdigkeit einer Auskunftsperson und
zur inhaltlichen Glaubhaftigkeit (siehe
oben) lassen sich nur auf die Auskunftsperson selber anwenden. Der
Zeuge vom Hörensagen berichtet zwar auch über seine Wahrnehmungen, also
über das, was ihm gesagt worden ist, hat jedoch keine Wahrnehmungen vom
Grundgeschehen selber. Das ihm Gesagte kann ebenso gut gelogen und
übertrieben sein. Die Geltung des Gesagten ist umso geringer, je weniger
sich das Gericht und die anderen Gerichtspersonen einen Eindruck von der
Person verschaffen können, die vom Grundgeschehen aus eigener
Wahrnehmung berichtet haben soll.
Der BGH hat deshalb zurecht zur Vorsicht gemahnt, wenn es um
"gehörtes Hörensagen" geht. Die dadurch gewonnenen Kenntnisse sind
der Beweisführung nicht völlig entzogen, müssen jedoch besonders
kritisch gewürdigt und beim leisen Zweifel verworfen werden
(6).
Bei den
Opfern von
Posttraumatischen Belastungsstörungen können sich ihre
Erinnerungsbilder verzerren, so dass sie nicht in der Lage sind, die
räumliche und zeitliche Abfolge ihrer Erinnerungen zu differenzieren.
Dafür tragen sie keine Schuld, sondern ihre Krankheit ist dafür
verantwortlich. Die Würdigung ihrer Aussagen kann nur mit Bedacht und
unter Abgleich mit anderen Spuren und Fakten mit der für eine
Verurteilung gebotenen Sicherheit erfolgen (7). Hinzu kommt, dass PTB-Opfer
nicht allein deshalb die besseren Menschen sind: Sie können auch lügen.
|
 |
Kategorisierung des Geltungsgrades |
|
|
Geltungsgrad für Erfahrungswerte |
|
5 |
sichere Erkenntnis, für die keine
Ausnahmen bekannt oder denkbar sind |
|
4 |
sichere Erkenntnis, für die Ausnahmen
bekannt oder denkbar sind |
|
3 |
Erfahrung mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit |
|
2 |
Erfahrung, die aus verschiedenen
Einzelfällen gewonnen wurde |
|
1 |
Erfahrung aus einem Einzelfall |
|
|
|
Die
Bewertung der Geltung von Erfahrungssätzen und von Beweisen beruht auf Erfahrungswissen und
entzieht sich einer strengen, quasi naturwissenschaftlichen Skalierung.
Mit gehörigen Vorbehalten lassen sich grobe Kriterien als
Qualitätsmaßstab und Stufung entwickeln.
Die hier vorgestellte Skalierung soll Anhaltspunkte für die Qualität
von Beweismitteln und Erfahrungen liefern. Ihre Eignung muss sie erst
noch beweisen.
Ich gehe
von einer fünfstufigen Skala aus, deren höchste Stufe mit der Ziffer 5
einer naturgesetzlichen Gewissheit gleicht.
Die Geltung mit der Stufe 4 ist ebenfalls eine gesicherte Erkenntnis,
für die jedoch entweder Ausnahmen bekannt oder jedenfalls denkbar sind.
Sie muss im Hinblick auf ihre Ausnahmen geprüft werden, wobei ein
Maßstab zu verlangen ist, der sich nicht mit allen Verästelungen
befassen muss. Ein Beispiel dafür ist die Beweisführung mit
DNA-Merkmalen nach Maßgabe der jüngsten Rechtsprechung (8)
Die Stufe 3 kennzeichnet eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Sie
verlangt nach einer genauen Betrachtung der Umstände im Einzelfall und
nach einer Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser Umstände.
|
Für die gerichtliche Überzeugungsbildung ist anerkannt, dass es
solche Feststellungen treffen darf, die keinen vernünftigen Zweifeln
unterliegen (siehe
oben). In ständiger Rechtsprechung sind dazu Grundsätze entwickelt
worden,
die der BGH 2004 erneut zusammen gefasst hat (9).
Diese Art der Auseinandersetzung ist die, die ich in Bezug auf die
Stufen 3 und 4 meine, wobei mit dem BGH schließlich auch keine
überzogenen Anforderungen an die Gewissheit gestellt werden dürfen.
Untermauerte Erfahrungswerte sehe ich in der Stufe 2 angesiedelt. Sie
verlangen immer nach einer Bestätigung im Einzelfall, also nach
begleitenden Beweisen, die sich gegenseitig bestätigen und keine
Widersprüche zueinander aufweisen.
Der Wert solcher Erfahrungswerte ist vergleichbar dem, der für die
Aussagen eines Zeugen vom Hörensagen gilt.
Einfache
Erfahrungswerte, die ich in der Stufe 1 ansiedele, können nur eine
bestätigende Bedeutung haben oder als Hilfsargument verwendet werden.
Sie haben eine nur schwache Bedeutung. |
 |
Erfahrungswerte wegen des Skimmings |
|
[1] Das Ziel des Skimmings ist der Missbrauch von
Zahlungskarten, um Beute zu machen. |
[2] Aus der Tatsache, dass das Cashing mit
Dubletten im Ausland erfolgreich war, lassen sich mehrere
zweifelsfreie Schlüsse ziehen:
[2.1] Es liegt eine Debitkarte zugrunde, die am Point of Sale-Verfahren
teilnimmt.
[2.2.1] Die Transaktion hat das Autorisierungsverfahren
erfolgreich durchlaufen. [2.2.2] Dem Geldautomaten ist der
Genehmigungscode übermittelt worden.
[2.3] Die Genehmigung im Rahmen der Autorisierung ist der Kern
der Garantiefunktion, die der Ursprungskarte inne wohnt.
[2.4] Es wurde eine gefälschte Zahlungskarte mit
Garantiefunktion genutzt. |
|
Im Zusammenhang mit meinem
Arbeitspapier Skimming
und der erklärenden
Zwischenbilanz Skimming habe ich mehrere Erfahrungssätze entwickelt,
die anhand der
Geltungsskala betrachtet werden sollen, um ihre Tauglichkeit zu
testen.
Die Aussage
links oben [1] ist der
Zwischenbilanz vorangestellt und hat einen programmatischen
Charakter. Sie lässt sich jedoch nicht auf jeden am Skimming beteiligten
Täter übertragen, weil es auch solche geben mag, deren Ziel es ist, die
ausgespähten Daten als solche zu verkaufen. Ihnen ist dabei jedoch klar,
dass der Käufer nur dann bereit ist, Geld für die Daten auszugeben, wenn
er mit ihnen seinerseits Profit machen kann.
Die ausgespähten Daten haben keinen Sammlerwert. Werthaltig sind sie
nur, wenn sie am Ende missbraucht werden. Das ist auch dem Täter
klar, der sich auf das Ausspähen und den Verkauf der ausgespähten Daten
beschränken will.
Die Aussage ist somit eine der Stufe 4, soweit es um das generelle Ziel
des Ausspähens geht. Wegen der eigenen Motivation des Täters gebührt ihr
die Stufe 3. Es ist möglich, dass weder er noch seine Mittäter
beabsichtigen, die ausgespähten Daten selber zu missbrauchen. Ich
verfüge jedoch über keine Erfahrungswerte, dass Skimmingdaten
tatsächlich ausschließlich zu dem Zweck ausgespäht wurden, um sie "nur" zu
verkaufen. Das ist beim Phishing anders.
|
Die Aussagen
zu [2] haben vier Unterpunkte und die einleitende Bewertung, sie seien
"zweifelsfreie Schlüsse", ist fragwürdig. "Zweifelsfrei" klingt nach
einer naturgesetzlichen Gewissheit und die kann keine der Aussagen für
sich in Anspruch nehmen. Alle Aussagen zu [2] lassen die Kreditkarten
außer Betracht, die allein deshalb eine Garantiefunktion haben, weil die
ausstellende Bank selber für die Verfügung bürgt, ohne bereits mit der
Ausgabe der Karte die Auszahlung nach Maßgabe der Kontodeckung, des
Überziehungskredits oder besonderer Bedingungen (Tageslimit,
Wochenlimit, keine Verfügungen im Ausland) Einschränkungen zu
signalisieren. Solche besonderen Bedingungen kennen jedoch auch
Kreditkarten.
Mit der Einschränkung, dass sich die Aussagen eigentlich nur auf
Debitkarten beziehen, ergibt sich ein anderes Bild:
[2.1], [2.2.1] und [2.2.2] sind Binsenweisheiten der Kategorie 4. Sie
stehen unter dem Vorbehalt, dass die Autorisierung ISO-konform
durchgeführt wurde. Eine Abweichung von der ISO-Norm ließe jedoch
erwarten, dass die Auszahlung gescheitert wäre. Keine am bargeldlosen
Zahlungsverkehr beteiligte Bank will einfach nur Geld verteilen und das
schon gar nicht aus eigenem Vermögen. Sie will auch nicht blindlings
haften, so dass schon gravierende Hinweise bestehen müssen, um die
ISO-konforme Abwicklung zu bezweifeln.
|
 |
|
|
|
[2.3] ist mehr eine rechtliche als eine tatsächliche Aussage. Ihr
tatsächlicher Kern, die Ursprungskarte, deren Daten ausgespäht wurden,
verfüge über eine Garantiefunktion, ist hingegen auch in der Stufe 4
angesiedelt. Das ist der finanzwirtschaftlichen Logik geschuldet, dass
kein Institut, das Geldautomaten betreibt, Bargeld ohne Profit an
jedermann verteilen will, ohne die Valuta und die Gebühr erstattet zu
bekommen.
[2.4] ist die Konsequenz aus den vorangegangenen Aussagen und gilt
ebenfalls nach Maßgabe der Stufe 4.
|
|
 |
erste kriminalistische Erfahrungen |
|
[3.1] Skimmer haben in der kriminellen
Organisation eine besonders vertrauensvolle Rolle. [3.2] Die
eingesetzten Geräte sind wertvoll, sollen weiter verwendet und
müssen pfleglich behandelt werden. |
[4] Vor dem Skimming müssen die Örtlichkeiten
und die geeigneten Geldautomaten ausbaldowert werden. |
[5] Die Installation der Ausspähgeräte
erfordert Erfahrung, handwerkliches Geschick und die Anpassung
der Geräte an die örtlichen Begebenheiten. |
[6.1] Skimmer arbeiten bei der Installation
arbeitsteilig. [6.2] Es gibt Fachleute für die Einrichtung des
Kartenlesegeräts und andere für die Ausspähtechnik im Übrigen
(Tastaturaufsatz, Kamera). [6.3] Neulinge werden nur beteiligt,
um sie unter Anleitung erfahrener Installateure anzulernen. |
|
Im
Zusammenhang mit dem Ausspähen von Kartendaten und PIN gibt es bereits
erste Erfahrungswerte, die als kriminalistische Erfahrungen genutzt
werden können.
[3]
Die Kamerabilder von Cashingaktionen und die Daten, die darüber bekannt
sind, belegen, dass das Cashing in aller Regel von mehreren Tätern
gleichzeitig durchgeführt wird. Es gibt jedoch Einzelfälle, in denen
offenbar Einzeltäter tätig wurden.
Für die Installation der Skimminggeräte gibt es keine Erfahrung, die
das Handeln von Einzeltätern belegt. Es ist mit großer
Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie gruppenweise und
arbeitsteilig vorgehen.
[3.1] steht unter dem gemachten Vorbehalt. Wenn die Täter in eine
kriminelle Organisation eingebunden sind, dann haben sie tatsächlich
eine besonders vertrauensvolle Rolle. Nicht nur die Geräte sind wertvoll
[3.2], sondern von der Qualität der ausgespähten Daten hängt auch der
Erfolg aller weiteren Arbeitsschritte ab.
Die
Aussagen zu [3] sind der Stufe 3 zuzuordnen.
Dasselbe gilt für [4]. Die verwendeten Geräte sind für bestimmte
Baureihen von Geldautomaten optimiert. Das gilt besonders für die
Kartenlesegeräte und Tastaturaufsätze. Beim Einsatz von Kameras muss die
örtliche Umgebung passen.
|
Spontane Skimming-Angriffe lassen sich erfahrungsgemäß nicht
ausschließen, sind jedoch unwahrscheinlich. Die Aussage ist deshalb der
Stufe 3 zuzuordnen.
[5] ist durch Kamerabilder und Observationen belegt - Stufe 3.
[6.1] ist ebenfalls durch Kamerabilder und Observationen belegt - Stufe
3.
[6.2]: Fachleute für die einzelnen eingesetzten Geräte gibt es
ausweislich von Kamerabildern und Aussagen. Insoweit
greift die Stufe 3.
Die Erfahrungen reichen aber nicht dazu aus, die Aussage zu treffen,
dass Skimmer immer mit demselben Gerät hantieren. Insoweit greift die
Stufe 2.
Dasselbe gilt für [6.3]. Die Aussage ist eine logische Konsequenz aus
[5], aber nur unzureichend durch Erfahrungen belegt. Auch insoweit
greift die Stufe 2. |
 |
|
erstes Fazit |
|
[7] Je nach der Art des Angriffs müssen -
jedenfalls beim Kartenlesegerät - Marker für die Synchronisation
der ausgespähten Daten gesetzt werden. |
[8] Skimmer beobachten den Tatort und
kontrollieren zwischenzeitlich die Geräte (Funktionstüchtigkeit,
Akkuladung). |
[9] Skimmer benutzen am Tatort Mobiltelefone,
um sich mit ihren Mittätern und Hinterleuten abzustimmen und den
Beginn, Verlauf und Abschluss der Maßnahme zu melden. |
|
Aus
den Journalen der angegriffenen Geldautomaten ergeben sich nicht
nur die allgemeinen Kundendaten der ausgespähten Personen, sondern
häufig auch der Einsatz von Testkarten, die für den Funktionstest der
Kartenlesegeräte verwendet werden. Testkarten werden häufig auch während
des Angriffs eingesetzt, um Markierungen für die spätere Synchronisation
von Kartendaten und PIN zu setzen. Die Aussage [7] gehört in die Stufe
3.
Für
[8] gibt es Erfahrungswerte, aber nur wenige. Für diese Aussage gilt
noch die Stufe 2.
Für
[9] gibt es überraschender Weise viele Beobachtungen. Für die Aussage
gilt die Stufe 3.
|
Die
Bewertung der zum Skimming bereits gemachten Aussagen
[1] [2] und der
weiteren Erfahrungssätze anhand der hier entwickelten
Geltungsskala lässt sich verhältnismäßig einfach durchführen. Sie
verlangt jedoch nach einer vorsichtigen Zurückhaltung und kritischen
Betrachtung der Erfahrungsbasis.
Der Vorteil der Bewertung ist der, dass alle Aussagen mit der
Geltungsstufe 4 als kriminalistische Erfahrungen genutzt werden können,
ohne sie kritisch hinterfragen oder mit weiteren Tatsachen anreichern zu
müssen.
Das gilt für die Aussagen mit der Geltungsstufe 3 mit der
Einschränkung, dass sie als kriminalistische Erfahrungen für die
Begründung des
Anfangsverdachts taugen, im weiteren Verlauf der Ermittlungen jedoch
unterfüttert werden müssen.
Die Aussagen mit der Geltungsstufe 2 sind als kriminalistische
Arbeitshypothesen geeignet, müssen jedoch mit weiteren Tatsachen
angereichert werden, um sie als Argumente für Eingriffsmaßnahmen zu
nutzen. Sie eignen sich vor Allem für die Bewertung von Beweisen
(Journale und andere Aufzeichnungen).
|
 |
Bewertung von Beweisen und Erfahrungssätzen |
|
|
Eine
schematische und sklavische Bewertung in der hier vorgeschlagenen Art
birgt die Gefahr eines scheinobjektiven und pseudowissenschaftlichen
Herangehens, weil sie ein subjektiver Vorgang ist und bleibt und
besonders stark von dem Erfahrungs- und Wissenshorizont des Bewertenden
abhängt.
Die
Geltungsskala ist bewusst so grob gestrickt, dass sie zu den von der
Rechtsprechung in Einzelfällen entwickelten Grundsätzen zur
Beweiswürdigung passt. Sie dient zur kritischen Reflexion in der
Ermittlungspraxis, wenn man sie auf allgemeine Aussagewerte beschränkt:
Erfahrungswerte mit naturgesetzlicher Ausschließlichkeit bedürfen keiner
kritischen Hinterfragung. Sie sind Ausnahmen und dürfen keinen
denklogischen Zweifeln unterliegen.
Je
höher die Geltung ist, desto weniger muss die Erfahrungstatsache mit
weiteren Tatsachen untermauert werden.
Je
geringer die Geltung ist, desto mehr verlangt die Erfahrungstatsache der
Untermauerung. Fehlt es daran, dann ist sie nur als Arbeitshypothese,
nicht aber zur Begründung von Eingriffsmaßnahmen geeignet.
|
Alle in der
Strafverfolgung tätigen Leute müssen sich mit dem Aussagewert und der
Geltung von Tatsachen und Erfahrungssätzen auseinandersetzen. Nicht
jeder kann alles wissen, so dass die Ermittler mit Fachwissen und die
Sachverständigen, die ihr Spezialwissen in das Verfahren einbringen,
einer besonderen Verantwortung unterliegen. Von ihnen ist zu verlangen,
dass sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen besonders kritisch würdigen und
hinterfragen.
Die Frage nach der Geltung von Tatsachen und Erfahrungssätzen kann
bei der selbstkritischen und bei der Bewertung der Aussagen Anderer
helfen. Die Skalierung kann hingegen die klassische Beweiswürdigung
nicht ersetzen und ist nicht dazu geeignet, die gebotene
Begründungstiefe genau zu bestimmen. Sie liefert dazu zwar
Anhaltspunkte, ohne jedoch die Prüfung und Entscheidung im Einzelfall zu
ersetzen.
|
 |
Anmerkungen |
|
|
(1)
BVerfG, Beschluss vom 30.04.2007 - 2 BvR 2151/06
(2)
BGH, Urteil vom 15. 11. 2001 - 1 StR 185/01, Rn. 78
(3)
BGH, Urteil vom 14.09.2004 - 1 StR 180/04
(4)
BGH, Beschluss vom 21.01.2009 - 1 StR 722/08
(5)
BVerfG,
Beschluss vom 19.07.1995 - 2 BvR 1142/93, abgedruckt bei
Jens
Ph. Wilhelm, Entscheidungssammlung zum
Strafverfahrensrecht, Stand Dezember 2003, S. 18, 19
(6)
BGH, Urteil vom 07.02.2008 - 4 StR 502/07
(7)
Zu den Anforderungen an ein "aussagepsychologisches Gutachten":
BGH, Urteil vom 30.07.1999 - 1 StR 618/98
(8)
oben und
(4)
(9)
(3). Siehe auch
Merkblatt Beweisrecht II (im Zivilrecht), veröffentlicht bei der Uni
Potsdam.
|
|
 |
Cyberfahnder |
|
© Dieter Kochheim,
11.03.2018 |