Die Staatsanwaltschaft leitet das
Ermittlungsverfahren und trägt die Gesamtverantwortung für eine
rechtsstaatliche, faire und ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens,
auch soweit es durch die Polizei geführt wird (...). Aufgrund dieser
umfassenden Verantwortung steht der Staatsanwaltschaft gegenüber ihren
Ermittlungspersonen ein uneingeschränktes Weisungsrecht in Bezug auf
ihre auf die Sachverhaltserforschung gerichtete strafverfolgende
Tätigkeit zu, vgl.
§ 161 Abs. 1 Satz 2 StPO,
§ 152 Abs. 1 GVG (...). Dabei kann sie konkrete Einzelweisungen zu
Art und Durchführung einzelner Ermittlungshandlungen erteilen,
Nr. 3 Abs. 2, Nr. 11 RiStBV, oder ihre Leitungsbefugnis im Rahmen der
Aufklärung von Straftaten unabhängig vom Einzelfall durch allgemeine
Weisungen im Voraus in Anspruch nehmen (...)
(1) |
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Der
Staatsanwaltschaft obliegt die Sachleitungsbefugnis im
Ermittlungsverfahren. Daraus folgt nicht nur ein Weisungsrecht gegenüber
den Ermittlungspersonen (Polizei), sondern auch eine
Gesamtverantwortung für eine
rechtsstaatliche, faire und ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens.
(1)
Diese Gesamtverantwortung verpflichtet die Staatsanwaltschaft vor allem
dazu, alle Verfahrensfragen zu prüfen und das besonders in Bezug auf
solche, die Verwertungsverbote auslösen können.
In der
jüngeren Entscheidung des BGH
(2)
ging es um die ordnungsgemäße Belehrung eines Beschuldigten (
§ 136 Abs. 1 StPO), die - vor allem wegen des Rechts, einen
Verteidiger zu konsultieren - nur unvollständig in den Akten
dokumentiert war. Der BGH lässt zwar die Heilung durch Vernehmung des
Polizeibeamten zu, wenn es sich nur um einen Dokumentationsmangel
gehandelt hat, bemängelt aber:
Die
Belastung des Verfahrens durch unsorgfältige Protokollierung wäre leicht
bei Verwendung eines entsprechenden Formulars vermieden worden <Rn
17>.
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Macht im Übrigen, wie hier, ein Angeklagter in der
Hauptverhandlung keine Angaben, oder sagt er - erfahrungsgemäß ebenfalls
nicht ungewöhnlich - dort anders aus als im Ermittlungsverfahren, können
seine früheren Angaben sehr bedeutsam werden. Da hinsichtlich dieser
Angaben hier keine ordnungsgemäße Belehrung aktenkundig war, stand das
Verbot ihrer Verwertung dann im Raum, wenn die Belehrung und nicht nur
deren Dokumentation unzulänglich war. Diese anhand der Akten nicht
klärbare Frage hätte bereits vor der Hauptverhandlung überprüft werden
können, auch schon von der Staatsanwaltschaft. Deren
Gesamtverantwortung
für ein rechtmäßiges Ermittlungsverfahren - auch soweit von der Polizei
geführt - verlangt auch hinsichtlich etwaiger Beweisverwertungsverbote
effektiv ausgeübte Leitungs- und Kontrollbefugnisse, damit
gegebenenfalls gebotene Maßnahmen ergriffen werden können, wo nötig in
Form allgemeiner Weisungen. Dies gilt in allen Verfahren, hat aber in
Kapitalsachen (versuchter Totschlag) besonderes Gewicht (...).
(2) |
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Die Belehrung des Beschuldigten zu Beginn seiner förmlichen Vernehmung ist eine der wenigen Förmlichkeiten,
die von Gesetzes wegen zu einem Verwertungsverbot führen (
§ 136a Abs. 3 StPO). Diese strengen Formalien sollen sicherstellen,
dass der Beschuldigte vor der irrtümlichen
Annahme einer Aussagepflicht bewahrt
wird, zu der er möglicherweise eben
durch die Konfrontation mit dem amtlichen Auskunftsverlangen
veranlasst werden könnte
(3).
Wegen der
Verwertungsverbote im übrigen verlangt der BGH einen
verfassungsrechtlichen Grund
(4).
Danach führen einfache Verfahrensfehler zu keinen Verwertungsverboten,
wohl aber solche, die unter willkürlicher Umgehung eines
Richtervorbehaltes erfolgen oder andere bedeutsame Eingriffe gegen die
Grundsätze des fairen Verfahrens bedeuten. BVerfG:
Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug oder das
Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers können danach ein
Verwertungsverbot nach sich ziehen
(5).
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faires Verfahren |
Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner
Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich
Unverzichtbares preisgegeben wurde (...). Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege
in den Blick zu nehmen (...).
(6) |
Die
Ermittlungsbehörden müssen zunächst regelmäßig versuchen, eine Anordnung
des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme
anordnen. Nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der
Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehenden Verzögerung
besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und -
nachrangig - ihrer Ermittlungspersonen (...).
(7) |
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Grundlegend
ist ein Machtwort des BVerfG gewesen:
Der
Angeklagte darf nicht nur Objekt des Verfahrens
sein; ihm muss vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner
Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen
(8).
Das betrifft vor allem die Verfahrensgrundrechte (
Art 103 GG) und darunter das Recht auf rechtliches Gehör
(9).
Eine konkrete Ausgestaltung hat das "faire Verfahren" durch
Art 6 Abs. 3 MRK bekommen, wobei die Konvention den Rang von Bundesrecht
hat.
Problematisch sind vor allem Anordnungen der Staatsanwaltschaft oder der Polizei
bei
Gefahr im Verzug, wenn damit ein gesetzlicher Richtervorbehalt
unterlaufen werden kann. Selbst wegen der Blutprobenentnahme, die keinen
erheblichen Eingriff in Grundrechte zur Folge hat, verlangt das BVerfG, dass
auch zur Nachtzeit zunächst versucht werden muss, einen Richter zu erreichen,
und wenn der nicht zur Verfügung steht, einen Staatsanwalt
(7).
Ausdrückliche Verwertungsbeschränkungen enthalten
§ 160a StPO wegen Ermittlungsmaßnahmen gegen Berufshelfer und
§ 161 Abs. 2, Abs. 3 StPO wegen Erkenntnisse aus anderen
Verfahrensordnungen und aufgrund einer polizeilichen Eigensicherung
(10).
Dessen ungeachtet können Konflikte auch dadurch entstehen, dass in einer
Entscheidungssituation auf die Vorschriften der falschen
Verfahrensordnung zurück gegriffen wird, weil bei einer "Gemengelage",
in der zum Beispiel polizei- und strafverfahrensrechtliche
Eingriffbefugnisse nebeneinander bestehen, der Vorrang des
Strafverfahrensrechts missachtet wird
(11).
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Fazit |
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BGH und
BVerfG heben die Rolle der Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei hervor und
geben ihr die Gesamtverantwortung für ein rechtmäßiges Ermittlungsverfahren.
Dadurch wird die Staatsanwaltschaft auch in die Pflicht genommen, das
Ermittlungsverfahren mit Fachkunde zu begleiten und dafür zu sorgen, dass
gravierende Verfahrensfehler unterbleiben oder behoben werden. Das verlangt auch
vom Einzelnen nicht nur Selbstbewusstsein, sondern ein breites fachliches Wissen.
Dagegen ist nichts einzuwenden.
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Anmerkungen |
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(1)
BGH, Beschluss vom 27.05.2009 - 1 StR 99/09, Rn 13
(2)
BGH, Beschluss vom 23.08.2011 - 1 StR 153/11, Rn 18
(3)
BGH, Beschluss vom 18.05.2010 – 5 StR 51/10, Rn 16
(4)
Schwellengleichheit und Verwertungsverbot, 03.04.2011;
BGH, Beschluss vom 18.01.2011 – 1 StR 663/10, Rn 22
(5)
BVerfG, Beschluss vom 24.02.2011 - 2 BvR 1596/10,
2346/10, Rn 10 (Richtervorbehalt wegen Blutprobenentnahme)
(6)
BVerfG, Beschluss vom 15.10.2009 - 2 BvR 2438/08,
Rn 7
(7)
BVerfG, Beschluss vom 11.06.2010 - 2 BvR 1046/08,
Rn 26
(8)
Ungesicherte Quelle: BVerfGE 26, 66.
(9)
BVerfG, Beschluss vom 17.05.1983 - 2 BvR 731/80
(Dolmetscher)
(10)
zulässige Verwertung verdeckter Zufallserkenntnisse, 28.02.2009
(11)
Vorrang der StPO, 21.12.2008
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© Dieter Kochheim,
11.03.2018 |