Ein Kommentar (neue Fassung)
22.03.2012
Es
macht keinen Sinn, einen Streit um Einzelheiten zu führen, und die MPI-Studie
ist fachlich dem Ansehen des Instituts unwürdig, wenn sie sich zu der Aussage
missbrauchen lässt, die Vorratsdatenspeicherung sei überhaupt ohne Sinn. Ich
habe auf den Aussagewert hingewiesen, den die Studie sich selber attestiert:
Machbarkeitsstudie ohne zureichende Daten und Instrumente, 29.01.2012.
Für die Trolle: Die Studie sagt von sich selber, dass sie nur ungesicherte
Aussagen treffen kann, weil ihr die nötigen Vorfelderkundungen fehlen, um
aussagefähige Instrumente zu entwickeln, und die nötige Datenbasis auch. Darauf
lassen sich keine belastbaren Ergebnisse gründen. Mit den richtigen Instrumenten
und einer verlässlichen Datenbasis könnten brauchbare Ergebnisse entwickelt
werden. Die MPI-Studie sagt jedenfalls von sich selber, dass sie das noch nicht
kann.
Um es in Erinnerung zu bringen: Es geht um die
Vorratsdatenspeicherung und damit um den Aussagewert von
Verkehrsdaten. Sie sagen selber nichts über Personen und ihre Handlungen aus.
Erst im Zusammenspiel mit anderen Fakten lassen sich Verbindungen zwischen
Personen und ihren Kommunikationsbeziehungen herstellen. Mit Verkehrsdaten
allein lassen sich keine Straftaten aufklären. Sie liefern nur die Anhaltspunkte
für andere Ermittlungen und - da sind sie belastbar - eine grobe Auskunft über
den Standort des betreffenden Handys. Das führt zu einem einfachen Ergebnis: Aus
der Verwertung von Verkehrsdaten lässt sich nicht unmittelbar auf einen
Verurteilungserfolg schließen (wie das BMJ wahrscheinlich dem MPI vorgegeben
hat). Umgekehrt aber: Aus dem Fehlen von retrograden Verkehrsdaten lässt sich
durchaus erkennen, in wie vielen Fällen Ermittlungen von vornherein gescheitert
sind. Das gälte es zu erkunden.
Das
politische Problem ist
hingegen der gesellschaftliche und öffentliche Rahmen, in dem um
Eingriffsmaßnahmen einerseits und dem Schutz von Grundrechten andererseits
diskutiert wird. Entscheidungen trifft inzwischen fast nur noch das BVerfG.
Einerseits
gibt es eine öffentliche Troll-Kultur, in der es nur zwei Meinungen gibt: Meine
und die falsche. Sie tobt sich vor Allem in den Kommentaren zu den Meldungen in
den Mediendiensten und in selbstgerechten Webprojekten aus.
Daneben gibt es ein journalistisches Grundinteresse an einer
kritischen Berichterstattung über Eingriffsmaßnahmen, das leicht die
Recherche und die Abwägung von unterschiedlichen Positionen zugunsten der
Aktualität (und dem anschließenden Vergessen) zurücktreten lässt.
Der dritte Faktor ist ein im Bereich des Strafverfahrensrecht untätiges BMJ, das
auf die nachvollziehbaren Mahnungen und Einschränkungen des BVerfG mit
Belehrungen in Richtung auf die Strafverfolgungspraxis damit reagiert, sie sei
wegen ihrer Arbeitsbedingungen doch gar nicht betroffen (Vorratsdaten), oder
schweigt (Onlinedurchsuchung, Bestandsdaten).
Dieses
Gemenge bezeichne ich als die "Schnarre" (
Das große Schnarren gegen die Staatstrojaner, 22.10.2011) und das
aus folgendem Grund: Dem BMJ werfe ich vor, dass es beharrlich untätig dabei
bleibt, eine an den Anforderungen der heutigen Informations- und
Kommuniktionstechnik angepasste Strafverfolgung strategisch und perspektivisch
zu begleiten und sie auszurichten. Namensgeberin ist die Bundesjustizministerin
in Person, weil sie dafür die politische Verantwortung trägt. Sie tritt
persönlich als die Frontfrau für das Quickfreeze auf und dieses Instrument ist
trotz aller bekümmerten Bekennungen des Bundesdatenschutzbeauftragten und eben
der Bundesjustizministerin ein Instrument, das längst vorhanden ist und die
Vorratsdatenspeicherung selbst nach Meinung des BVerfG nicht ersetzen kann
Wie kommen
wir heraus aus dem Dilemma?
Die
wichtigste Frage ist zunächst, welche Instrumente zur Informationsbeschaffung
brauchen die Strafverfolgung und meinetwegen auch die Polizei im präventiven
Bereich und die Nachrichtendienste? Dabei geht es nicht darum, einen
Freifahrtschein zum Überwachungsstaat auszustellen, sondern schlicht danach zu
fragen, welche Beschränkungen persönlicher Freiheiten die Gesellschaft
akzeptiert, um andererseits Rechtsstaat, Strafverfolgung und Rechtssicherheit zu
gewähren, wo die absoluten Grenzen sind und wo die relativen. Erstes fragt nach
dem Ordre Public ("geht überhaupt nicht", zum Beispiel
Art
6 EGBGB) und Letzteres fragt
nach der Verhältnismäßigkeit, also nach den zwingenden Voraussetzungen für eine
Eingriffsmaßnahme und den Verwertungsgrenzen für die aus ihr gewonnenen
Erkenntnissen.
Insoweit hat das BVerfG im Zusammenhang mit dem Großen Lauschangriff (akustische Wohnraumüberwachung)
und bei der Überwachung der Telekommunikation gut vorgelegt. Es hat
Straftatenkataloge und weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen verlangt, die mit
den aktuellen Gesetzesfassungen realisiert und nach den Neufassungen abgewinkt wurden. Es verlangt
zudem nach dem absoluten Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensführung,
dort wo es um Lebenseinstellungen (Weltanschauung, Religion, Freundeskreis,
eigene Krankheit
und Sex) geht. Andererseits sagt das Gericht immer wieder: Wo sich Täter und
andere Interessenten über die Planung, Ausführung und Berichterstattung im
Zusammenhang eigener Straftaten austauschen, gibt es keinen schützenswerten Kernbereich.
Es sind Benachrichtungs- und Berichtspflichten entstanden, die in der
Vollzugspraxis mit keinen
personellen Aufstockungen oder Umschichtungen korrespondieren,
Verwertungschranken (Schwellengleichheit) und Löschpflichten. Das eine oder
andere Detail davon kann hinterfragt werden, ohne dass das System grundsätzlich
in Frage stände.
Das BVerfG
verlangt aber auch, dass der Gesetzgeber die nötigen Instrumente für den
Rechtsstaat, die Rechtssicherheit und die Strafverfolgung zur Verfügung stellen
muss.
Genau da ist das BMJ aktiv nur im
Abwiegeln.
Mir geht
es
darum, für die Strafverfolgung Optionen und gleichzeitig klare Anwendungsregeln zu
schaffen. Das
BVerfG hat die ersten Vorschriften zur Onlinedurchsuchung, zur
Vorratsdatenspeicherung und jüngst zu den Auskünften über Bestandsdaten
beanstandet oder gleich aufgehoben. Dieses Schicksal teilen die
betreffenden Eingriffsnormen zum Großen Lauschangriff und der TK-Überwachung,
die auch eines zweiten Anlaufs bedurft haben. In keinem dieser Fälle hat
das Gericht aber gesagt, dass die Eingriffsmaßnahmen grundsätzlich
unzulässig seien, sondern immer nur die Rahmenbedingungen:
Zulässigkeitsvoraussetzungen, Verwertungsregeln, Zugriffsschutz und
Löschpflichten.
Die Tatsache, dass alle tiefen Grundrechtseingriffe im Maßnahmenrecht
eines zweiten Anlaufs bedurft haben, macht sie nicht vom Grundsatz her
unmöglich, sondern adelt sie im Ergebnis. Die Legislative legte sie vor
und die verfassungsrechtliche Judikative hat sie gewogen und weitere
Anforderungen geschaffen. Das ist ein rechtsstaatlicher Prozess und ich
verstehe ihn eher als ein verfassungsrechtliches Tuning als das Verhindern von optionalen
Eingriffsrechten. Dass das BVerfG im Zusammenhang mit dem
Volkszählungsgesetz und der Vorratsdatenspeicherung neue Grundrechte
formulieren würde, mag von guten und spezialisierten Fachleuten
geahnt, aber auch von ihnen nicht vorhergesagt worden können.
Es ist
schon lange an der Zeit, dass das BMJ seine Hausaufgaben gemacht haben
müsste. Unter der Leitung der gegenwärtigen Bundesjustizministerin wird
es jedoch nicht müde, alle Mahnungen der Praxis beleidigt abzuwehren und
sich in der Tradition der Vorgängerregierungen der Lobbypflege im
Bereich der gewerblichen Schutzrechte zu profilieren.
Die
Fachleute in der Strafverfolgung brauchen, wie alle anderen Fachleute auch,
Instrumente, die sie einsetzen können, wenn die Voraussetzungen
vorliegen und sie Erfolg versprechehn. Keiner verlangt, dass sie angewendet werden müssen oder von -
auch strengen - Ermessensgrenzen befreit werden. Zuletzt hat die Studie
des Bundesdatenschutzbeauftragten zur Quellen-TKÜ gezeigt, dass die
Praxis behutsam und zurückhaltend jedenfalls mit diesem Instrument umgeht.
Große
Lauschangriffe, Onlinedurchsuchung, Telefonüberwachung und
Vorratsdatenauswertung sind Instrumente, die im Einzelfall Sinn machen.
Wenn ich Einzelfall sage, dann meine ich damit die besonders schwerwiegende
Fälle im Bereich unter deutlich einem Prozent der Vorfälle. Mit einer Ausnahme: Das sind die
Bestandsdatenauskünfte, egal, ob sie auf der Grundlage von Verkehrsdaten
erfolgen oder ohne sie. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes ein
Massenproblem und ein - gesellschaftlich betrachtet - explosives zudem.
Im Übrigen kommt es auf den Einzelfall an, welche Gefahren er birgt und
welche korrespondierenden Rechte er betrifft. Die Rahmen dafür zu setzen,
ist die Aufgabe des Gesetzgebers und der Rechtspechung. Für die
Abwägungen innerhalb dieses Rahmens sind die Juristen ausgebildet und
von der staatlichen Verwaltung zum Beispiel mit der Strafverfolgung
beauftragt worden.
Im Führungsmanagement wird
gepredigt, dass der Mitarbeiter seinem Vorgesetzten alle Informationen
geben muss, die der Vorgesetzte in seiner Führungsrolle zur Einschätzung
von Gefahren braucht. Melden macht frei! Umgekehrt ist der Vorgesetzte
verpflichtet, seinem Mitarbeiter alle Informationen zu geben, die er für
die Wahrnehmung seiner Aufgaben braucht. Das ist eine klare Absage an
das klassische Vorenthalten von Herrschaftswissen (wie man sich als
Führungsverantwortlicher mit strukturlosem Spam, beiläufigen Erwähnungen
und wertlosen Andeutungen aus der Affäre zieht, ist ein spannendes, aber
eben anderes Thema).
Das gilt auch für die Arbeitsgeräte, die der Arbeitgeber oder
Führungsverantwortliche zur Verfügung stellt. Für die Strafverfolgung
gilt seit etlichen Jahren: Wozu brauchst Du einen Bagger, wenn Du doch
Dein Löffelchen has(s)t?
An dieser Stelle braucht die Strafverfolgung das BMJ und verweigert es
beharrlich seine Führungsaufgabe.
Wir
brauchen eine durchgreifende Reform des Strafverfahrensrechts im Bereich
des Ermittlungsverfahrens, weil es bislang nicht auf die duale Welt und
die Informations- und Kommunikationstechnik angepasst ist. BGH und
BVerfG haben flickschusterig die E-Mail-Beschlagnahme etabliert, der
zweite Senat des BVerfG das Auskunftsrecht der Strafverfolgungsbehörden
betont und das durchaus auf der alten Linie des ersten Senats. Der erste
Senat kehrt jetzt wieder den Bedenkenträger raus und meldet eben solche
gegen die Bestandsdatenauskünfte an.
Ich
wünsche mir eine kritische und auch gerne kontroverse Bestandsaufnahme.
Sie muss danach fragen, welche Eingriffsmaßnahmen überhaupt
zulässig sein sollen, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen
Folgen. Dem verschließe ich mich jedenfalls nicht.
Die bisherigen Erfahrungen lassen befürchten, dass das BMJ solche ergebnisoffenen Projekte
nicht starten und schon gar nicht fördern wird.
Damit ist: Basta!
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