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März 2012
22.03.2012 Recht der Eingriffsmaßnahmen
zurück zum Verweis zur nächsten Überschrift Wozu brauchst Du einen Bagger, wenn Du Dein Löffelchen has(s)t?
 

 
 Die politische Gremien hauen sich. Das Max-Planck-Institut hat eine Machbarkeitsstudie zur Vorratsdatenspeicherung vorgelegt (das habe ich freundlich formuliert!), die auf böse Kritik stößt. Das BMJ und seine parteiliche Lobby reagiert wiederum erwartungsgemäß.

Ich bin es leid und kommentiere das Trollentheater trotzdem ein letztes Mal und in überarbeiteter Fassung.
 

 
Machbarkeitsstudie oder Gefälligkeitsgutachten?
Beharrliche Untätigkeit des BMJ
 
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 Nicht geheim, aber noch nicht veröffentlicht ist die Stellungnahme des BKA vom 06.03.2012 zur Studie des Max-Planck-Instituts über Schutzlücken durch den Wegfall der Vorratsdatenspeicherung, also zu dieser:

Hans-Jörg Albrecht u.a., Schutzlücken durch Wegfall der Vorratsdatenspeicherung? MPI für ausländisches und internationales Strafrecht, Juli 2011 (Dokument vom 23.09.2011)

Die 62-seitige Stellungnahme des BKA kommt mit feineren Worten zu demselben Ergebnis wie ich:

Machbarkeitsstudie ohne zureichende Daten und Instrumente, 29.01.2012.
 
An mehreren Stellen wird die Stellungnahme etwas böse und das möchte ich dem geneigten Publikum nicht vorenthalten <S. 4>: Die erste Fassung der Studie wurde nach Informationen des BMI vom MPI seinem Auftraggeber bereits im August 2010 vorgelegt, jedoch nie veröffentlicht. Wenn das MPI die seit 27.01.2012 veröffentlichte Studie eine „zweite, erweiterte Fassung“ nennt, so darf angenommen werden, dass die „erste, ursprüngliche Fassung“ der rechtspolitischen Intention des Auftraggebers nicht genügte.

Oder hier <S. 51>: Dabei werden die sich ergebenden Konsequenzen jedoch nicht in objektiver Art und Weise abgeleitet. Es werden irreführende und in Teilen falsche Schlussfolgerungen gezogen.

Das erste Zitat richtet sich gegen das BMJ als Auftraggeber und das zweite gegen die Verfasser der Studie, die sich womöglich haben instrumentalisieren lassen. In der bundespolitischen Szene wird die Bundesjustizministerin inzwischen genau deshalb hart angegangen:

Spiegel: CSU wirft Bundesjustizministerin "Manipulation" eines Gutachtens zur Vorratsdatenspeicherung vor, Heise 11.03.2012

In der Nachricht heißt es: Als das Max-Planck-Institut das Papier 2010 präsentierte, forderte das Bundesjustizministerium laut Spiegel umfangreiche Nachbesserungen und verwies auf vertraglich vereinbarte Leistungen, die nicht erbracht worden seien. Neben zusätzlichen Daten aus dem Jahr 2009, die in die Studie einflossen, sollte auch ein neuer Schwerpunkt "Ermittlungseffizienz und Aufklärungsquote" aufgenommen werden. Dort werden jetzt jene Fakten betont, die dem Ministerium später als Argumente gegen die Vorratsdatenspeicherung dienen sollten.

Das sind natürlich "infame Vorwürfe", wie aus der Bundes-FDP verlautet:

Vorratsdatenspeicherung: Liberale weisen "infame Vorwürfe" der Union zurück, Heise online 12.03.2012
 

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Ein Kommentar (neue Fassung)
22.03.2012 
 Es macht keinen Sinn, einen Streit um Einzelheiten zu führen, und die MPI-Studie ist fachlich dem Ansehen des Instituts unwürdig, wenn sie sich zu der Aussage missbrauchen lässt, die Vorratsdatenspeicherung sei überhaupt ohne Sinn. Ich habe auf den Aussagewert hingewiesen, den die Studie sich selber attestiert: Machbarkeitsstudie ohne zureichende Daten und Instrumente, 29.01.2012.

Für die Trolle: Die Studie sagt von sich selber, dass sie nur ungesicherte Aussagen treffen kann, weil ihr die nötigen Vorfelderkundungen fehlen, um aussagefähige Instrumente zu entwickeln, und die nötige Datenbasis auch. Darauf lassen sich keine belastbaren Ergebnisse gründen. Mit den richtigen Instrumenten und einer verlässlichen Datenbasis könnten brauchbare Ergebnisse entwickelt werden. Die MPI-Studie sagt jedenfalls von sich selber, dass sie das noch nicht kann.

Um es in Erinnerung zu bringen: Es geht um die Vorratsdatenspeicherung und damit um den Aussagewert von Verkehrsdaten. Sie sagen selber nichts über Personen und ihre Handlungen aus. Erst im Zusammenspiel mit anderen Fakten lassen sich Verbindungen zwischen Personen und ihren Kommunikationsbeziehungen herstellen. Mit Verkehrsdaten allein lassen sich keine Straftaten aufklären. Sie liefern nur die Anhaltspunkte für andere Ermittlungen und - da sind sie belastbar - eine grobe Auskunft über den Standort des betreffenden Handys. Das führt zu einem einfachen Ergebnis: Aus der Verwertung von Verkehrsdaten lässt sich nicht unmittelbar auf einen Verurteilungserfolg schließen (wie das BMJ wahrscheinlich dem MPI vorgegeben hat). Umgekehrt aber: Aus dem Fehlen von retrograden Verkehrsdaten lässt sich durchaus erkennen, in wie vielen Fällen Ermittlungen von vornherein gescheitert sind. Das gälte es zu erkunden.

 Das politische Problem ist hingegen der gesellschaftliche und öffentliche Rahmen, in dem um Eingriffsmaßnahmen einerseits und dem Schutz von Grundrechten andererseits diskutiert wird. Entscheidungen trifft inzwischen fast nur noch das BVerfG.

Einerseits gibt es eine öffentliche Troll-Kultur, in der es nur zwei Meinungen gibt: Meine und die falsche. Sie tobt sich vor Allem in den Kommentaren zu den Meldungen in den Mediendiensten und in selbstgerechten Webprojekten aus.

Daneben gibt es ein journalistisches Grundinteresse an einer kritischen Berichterstattung über Eingriffsmaßnahmen, das leicht die Recherche und die Abwägung von unterschiedlichen Positionen zugunsten der Aktualität (und dem anschließenden Vergessen) zurücktreten lässt.

Der dritte Faktor ist ein im Bereich des Strafverfahrensrecht untätiges BMJ, das auf die nachvollziehbaren Mahnungen und Einschränkungen des BVerfG mit Belehrungen in Richtung auf die Strafverfolgungspraxis damit reagiert, sie sei wegen ihrer Arbeitsbedingungen doch gar nicht betroffen (Vorratsdaten), oder schweigt (Onlinedurchsuchung, Bestandsdaten).

Dieses Gemenge bezeichne ich als die "Schnarre" ( Das große Schnarren gegen die Staatstrojaner, 22.10.2011) und das aus folgendem Grund: Dem BMJ werfe ich vor, dass es beharrlich untätig dabei bleibt, eine an den Anforderungen der heutigen Informations- und Kommuniktionstechnik angepasste Strafverfolgung strategisch und perspektivisch zu begleiten und sie auszurichten. Namensgeberin ist die Bundesjustizministerin in Person, weil sie dafür die politische Verantwortung trägt. Sie tritt persönlich als die Frontfrau für das Quickfreeze auf und dieses Instrument ist trotz aller bekümmerten Bekennungen des Bundesdatenschutzbeauftragten und eben der Bundesjustizministerin ein Instrument, das längst vorhanden ist und die Vorratsdatenspeicherung selbst nach Meinung des BVerfG nicht ersetzen kann

Wie kommen wir heraus aus dem Dilemma?

Die wichtigste Frage ist zunächst, welche Instrumente zur Informationsbeschaffung brauchen die Strafverfolgung und meinetwegen auch die Polizei im präventiven Bereich und die Nachrichtendienste? Dabei geht es nicht darum, einen Freifahrtschein zum Überwachungsstaat auszustellen, sondern schlicht danach zu fragen, welche Beschränkungen persönlicher Freiheiten die Gesellschaft akzeptiert, um andererseits Rechtsstaat, Strafverfolgung und Rechtssicherheit zu gewähren, wo die absoluten Grenzen sind und wo die relativen. Erstes fragt nach dem Ordre Public ("geht überhaupt nicht", zum Beispiel Art 6 EGBGB) und Letzteres fragt nach der Verhältnismäßigkeit, also nach den zwingenden Voraussetzungen für eine Eingriffsmaßnahme und den Verwertungsgrenzen für die aus ihr gewonnenen Erkenntnissen.

Insoweit hat das BVerfG im Zusammenhang mit dem Großen Lauschangriff (akustische Wohnraumüberwachung) und bei der Überwachung der Telekommunikation gut vorgelegt. Es hat Straftatenkataloge und weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen verlangt, die mit den aktuellen Gesetzesfassungen realisiert und nach den Neufassungen abgewinkt wurden. Es verlangt zudem nach dem absoluten Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensführung, dort wo es um Lebenseinstellungen (Weltanschauung, Religion, Freundeskreis, eigene Krankheit und Sex) geht. Andererseits sagt das Gericht immer wieder: Wo sich Täter und andere Interessenten über die Planung, Ausführung und Berichterstattung im Zusammenhang eigener Straftaten austauschen, gibt es keinen schützenswerten Kernbereich.

Es sind Benachrichtungs- und Berichtspflichten entstanden, die in der Vollzugspraxis mit keinen personellen Aufstockungen oder Umschichtungen korrespondieren, Verwertungschranken (Schwellengleichheit) und Löschpflichten. Das eine oder andere Detail davon kann hinterfragt werden, ohne dass das System grundsätzlich in Frage stände.

Das BVerfG verlangt aber auch, dass der Gesetzgeber die nötigen Instrumente für den Rechtsstaat, die Rechtssicherheit und die Strafverfolgung zur Verfügung stellen muss.

Genau da ist das BMJ aktiv nur im Abwiegeln.

Mir geht es darum, für die Strafverfolgung Optionen und gleichzeitig klare Anwendungsregeln zu schaffen. Das BVerfG hat die ersten Vorschriften zur Onlinedurchsuchung, zur Vorratsdatenspeicherung und jüngst zu den Auskünften über Bestandsdaten beanstandet oder gleich aufgehoben. Dieses Schicksal teilen die betreffenden Eingriffsnormen zum Großen Lauschangriff und der TK-Überwachung, die auch eines zweiten Anlaufs bedurft haben. In keinem dieser Fälle hat das Gericht aber gesagt, dass die Eingriffsmaßnahmen grundsätzlich unzulässig seien, sondern immer nur die Rahmenbedingungen: Zulässigkeitsvoraussetzungen, Verwertungsregeln, Zugriffsschutz und Löschpflichten.

Die Tatsache, dass alle tiefen Grundrechtseingriffe im Maßnahmenrecht eines zweiten Anlaufs bedurft haben, macht sie nicht vom Grundsatz her unmöglich, sondern adelt sie im Ergebnis. Die Legislative legte sie vor und die verfassungsrechtliche Judikative hat sie gewogen und weitere Anforderungen geschaffen. Das ist ein rechtsstaatlicher Prozess und ich verstehe ihn eher als ein verfassungsrechtliches Tuning als das Verhindern von optionalen Eingriffsrechten. Dass das BVerfG im Zusammenhang mit dem Volkszählungsgesetz und der Vorratsdatenspeicherung neue Grundrechte formulieren würde, mag von guten und spezialisierten Fachleuten geahnt, aber auch von ihnen nicht vorhergesagt worden können.

Es ist schon lange an der Zeit, dass das BMJ seine Hausaufgaben gemacht haben müsste. Unter der Leitung der gegenwärtigen Bundesjustizministerin wird es jedoch nicht müde, alle Mahnungen der Praxis beleidigt abzuwehren und sich in der Tradition der Vorgängerregierungen der Lobbypflege im Bereich der gewerblichen Schutzrechte zu profilieren.

Die Fachleute in der Strafverfolgung brauchen, wie alle anderen Fachleute auch, Instrumente, die sie einsetzen können, wenn die Voraussetzungen vorliegen und sie Erfolg versprechehn. Keiner verlangt, dass sie angewendet werden müssen oder von - auch strengen - Ermessensgrenzen befreit werden. Zuletzt hat die Studie des Bundesdatenschutzbeauftragten zur Quellen-TKÜ gezeigt, dass die Praxis behutsam und zurückhaltend jedenfalls mit diesem Instrument umgeht.

Große Lauschangriffe, Onlinedurchsuchung, Telefonüberwachung und Vorratsdatenauswertung sind Instrumente, die im Einzelfall Sinn machen. Wenn ich Einzelfall sage, dann meine ich damit die besonders schwerwiegende Fälle im Bereich unter deutlich einem Prozent der Vorfälle. Mit einer Ausnahme: Das sind die Bestandsdatenauskünfte, egal, ob sie auf der Grundlage von Verkehrsdaten erfolgen oder ohne sie. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes ein Massenproblem und ein - gesellschaftlich betrachtet - explosives zudem.

Im Übrigen kommt es auf den Einzelfall an, welche Gefahren er birgt und welche korrespondierenden Rechte er betrifft. Die Rahmen dafür zu setzen, ist die Aufgabe des Gesetzgebers und der Rechtspechung. Für die Abwägungen innerhalb dieses Rahmens sind die Juristen ausgebildet und von der staatlichen Verwaltung zum Beispiel mit der Strafverfolgung beauftragt worden.

Im Führungsmanagement wird gepredigt, dass der Mitarbeiter seinem Vorgesetzten alle Informationen geben muss, die der Vorgesetzte in seiner Führungsrolle zur Einschätzung von Gefahren braucht. Melden macht frei! Umgekehrt ist der Vorgesetzte verpflichtet, seinem Mitarbeiter alle Informationen zu geben, die er für die Wahrnehmung seiner Aufgaben braucht. Das ist eine klare Absage an das klassische Vorenthalten von Herrschaftswissen (wie man sich als Führungsverantwortlicher mit strukturlosem Spam, beiläufigen Erwähnungen und wertlosen Andeutungen aus der Affäre zieht, ist ein spannendes, aber eben anderes Thema).

Das gilt auch für die Arbeitsgeräte, die der Arbeitgeber oder Führungsverantwortliche zur Verfügung stellt. Für die Strafverfolgung gilt seit etlichen Jahren: Wozu brauchst Du einen Bagger, wenn Du doch Dein Löffelchen has(s)t?

An dieser Stelle braucht die Strafverfolgung das BMJ und verweigert es beharrlich seine Führungsaufgabe.

Wir brauchen eine durchgreifende Reform des Strafverfahrensrechts im Bereich des Ermittlungsverfahrens, weil es bislang nicht auf die duale Welt und die Informations- und Kommunikationstechnik angepasst ist. BGH und BVerfG haben flickschusterig die E-Mail-Beschlagnahme etabliert, der zweite Senat des BVerfG das Auskunftsrecht der Strafverfolgungsbehörden betont und das durchaus auf der alten Linie des ersten Senats. Der erste Senat kehrt jetzt wieder den Bedenkenträger raus und meldet eben solche gegen die Bestandsdatenauskünfte an.

Ich wünsche mir eine kritische und auch gerne kontroverse Bestandsaufnahme. Sie muss danach fragen, welche Eingriffsmaßnahmen überhaupt zulässig sein sollen, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen. Dem verschließe ich mich jedenfalls nicht.

Die bisherigen Erfahrungen lassen befürchten, dass das BMJ solche ergebnisoffenen Projekte nicht starten und schon gar nicht fördern wird.

Damit ist: Basta!
  

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018